»Oh, Schreck. Dann gehören sie wohl nicht dazu.« | Kapitel 1

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Manchmal kommt uns eine Beleidigung recht erwünscht. Sie gibt uns über den, der sie uns zufügte, die Freiheit des Urteils.
Karl Ferdinand Gutzkow

Bücher findet man überall auf der Welt, dachte ich

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Bücher findet man überall auf der Welt, dachte ich. Bis jetzt. Wobei finden etwas anderes ist als die Möglichkeit, sie zu lesen. Dabei sollte es doch auch überall Bibliotheken geben. So auch in New York, der Stadt des pulsierenden Lebens, dachte ich. Doch anscheinend habe ich mich geirrt. Oder es ist einfach diese spezielle Universitätsbibliothek und ihr verschrobener Bibliothekar, der mir genau dies verweigert: ein einfaches Buch auszuleihen.

Seit nun schon geschlagenen vier Minuten baut sich der schlaksige, alte Mann vor mir auf und erklärt mir auf umständlichsten Wegen, warum ich das Buch, welches ich zuvor mehr als zwanzig Minuten lang aus den Tiefen seines unsortierten Heiligtums gekramt habe, weil er sich schlichtweg weigerte zu helfen, nicht ausleihen kann.

»Wenn du keinen Ausweis hast und damit nicht in dem System registriert bist, haben wir keine Versicherung, das wir das Werk unbeschadet zurückbekommen und keinesfalls die Garantie, dass wir es jemals wiedersehen. Da du dir eine solch komplexes Stück der Literatur widerrechtlich borgen möchtest, sollte dies doch nicht allzu schwer verständlich sein, kleines Fräulein«, weist er mich ein weiteres Mal schnippisch zurecht.

Von oben herab funkeln seine kleinen Falkenaugen durch die schief sitzende Brille über seine lange Hakennase. Mit jedem Sekundenbruchteil, den sein abwertender Blick zwischen dem dicken Buch in meiner Hand und meiner hochgezogenen Augenbraue hin- und herhuscht, widert er mich mehr an und ich bin versucht ihm den schweren Wälzer vor die Füße — ach, was sag ich, besser auf die Füße zu werfen und ohne ein weiteres Sterbenswörtchen zu gehen. Das muss ich mir echt nicht bieten lassen. Nur weil ich ein Frau bin, hat er kein Recht, mich so herablassend zu behandeln. Und nur, weil ich keine Studentin hier an der Universität bin, heißt das auch nicht, dass ich wie ein Nichts behandelt werden darf.

»Nun hören sie mir mal zu, mein lieber Freund«, brennen bei mir alle Sicherungen durch, aber ich entschließe mich bewusst dafür, sie nicht zu erneuern, »erstens bin ich kein kleines Fräulein, sondern eine ausgewachsene Frau, die nicht so mit sich reden lässt. Zweitens weiß ich nicht, ob ihnen bewusst ist, dass dieses sogenannte ›komplexe Stück der Literatur‹ der juristischen Abteilung entstammt, ich mich somit also eventuell mit diesen Themen beschäftige und dazu besagtes Werk ein Buch über die Gleichberechtigung der Frau ist.
Somit kann ich ihnen glaubhaft versichern, dass sie kein Recht haben, einer Frau die Ausleihe zu verweigern und Männer mit einem kurzen Kopfnicken passieren zu lassen. Dies nennt man in der realen Welt — dort draußen —«, ich deute mit dem Kinn vielsagend in die Richtung der schweren, offen stehenden, aus massivem Holz gearbeiteten und reichlich verzierten Flügeltür, »Diskriminierung und wird — obwohl wir in den United States sind — von der Mehrheit der Bevölkerung nicht gut aufgefasst. Ist sogar in nicht wenigen Ländern rechtlich verboten und wird bestraft. Deshalb › Das Recht der Frau ‹, wissen sie?«.

Angel without WingsWhere stories live. Discover now