I

15 4 2
                                    


Ian ließ die Klinge mit beeindruckender Geschwindigkeit auf mich runtersausen. Gekonnt wich ich seinem Angriff aus und beförderte ihn mit dem Gesicht voran in den Matsch.

 Prustend sah ich zu, wie Ian versuchte, im rutschigen Dreck halt zu finden und aufzustehen.

 "Musstest du übertreiben? Hättest du mich nicht einfach hebeln können?" , entrüstete er sich. Grinsend hielt ich ihm die Hand hin und half ihm auf.
"Doch, klar. Das hätte aber weniger Spaß gemacht. Außerdem hast du gesagt, ich solle mir vorstellen, das Messer wäre echt. Und außerdem; wäre das Messer ein richtiges Messer und du ein richtiger Angreifer, würde ich weglaufen." 

 Ian verdreht die Augen, ehe er antwortet. "Es geht um das Prinzip. Natürlich solltest du weglaufen und, nicht zu vergessen, Hilfe holen, wenn du angegriffen wirst. Es ist nur praktisch, sich verteidigen zu können, wenn..."

 "Wenn es hart auf hart kommt, ich weiß.", falle ich ihm ins Wort. Ian seufzt, während er versucht, den Schlamm ab zu klopfen. 

"Das bringt nichts. Du musst entweder in den Bach oder du wartest, bis du zu Hause bist.", rate ich ihm. 

"In den Bach?! Da kommst du schmutziger raus, als du reingegangen bist. Lieber ernte ich blöde Blicke, als einen Ganzkörper-Hautausschlag", schnaubt er. 

"Gut, lass uns dann schnell nach Hause. Es wird sowieso bald dunkel." 
Es schickte sich für eine junge Dame nicht, "in lumpigen Hosen, mit einem Jungen alleine draußen im Dunkeln zu sein. Und auf gar keinen Fall, sollte eine junge Dame, sich die Hände mit Kämpfen schmutzig machen". Ich verdrehte die Augen, über die Worte meiner ehemaligen Erzieherin. 


Wir liefen die Straßen entlang, möglichst fernab vom Trubel und den argwöhnischen Blicken.
Sein Davidstern wirkte viel zu hell im Lampenlicht. Er konnte von Glück sprechen, noch nicht deportiert worden zu sein. 
In der Ferne war das Gebrüll von Motoren und Löschfahrzeugen zu hören und der beißende Geruch von vergangenem Feuer, wandte sich durch die Straße.
Drei Jahre schon und uns standen noch zwei bevor. Aber das wussten wir noch  nicht.
Drei Jahre schon, kämpften die Leute gegeneinander, ohne Rücksicht auf irgendwen. Alle hofften auf bald währenden Frieden.

Wir blieben vor Ians Haustür stehen. Er wohnte in einer etwas abgelegeneren Gasse, die weit von dem fast schon luxuriösen Viertel entfernt war, in dem wir früher beide gewohnt hatten. Aber noch weiter entfernt, war sie von den Ghettos, in denen das Gesindel wie Ratten zusammengepfercht und ausgebeutet wurde. 

Es war dunkel geworden und wir standen einfach nur da.
Der heutige Abend war extrem unruhig. In der Ferne dröhnten weiterhin die Kampfgeräusche und über unseren Köpfen zogen Flieger ihre Bahnen. Von wem sie waren, ließ sich nicht erkennen. Sie waren zu weit oben. Auf der Straße lag ein brennender Kinderschuh. 
Plötzliche Angst um Ian, trieb mir die Tränen in die Augen. 

"So weit ist es also? Du begleitest mich nach Hause.", er lachte leise. "Würde meine Tante das erfahren, wär's das mit "Gentleman"."
Er grinste schief. Jahrelang hatte er mich immer bis vor die Haustür begleitet, aber damit war schon lange Schluss. Es war ihm verboten, die Christenviertel zu betreten. Außerdem klammerte ich mich an der Hoffnung Ian als Tochter einflussreicher Christen, Schutz gewähren zu können.
Ich zog ihn in eine Umarmung. Dabei erinnerte ich mich daran, wie sehr er gewachsen war. Wir waren nun gleich groß und seine Eltern witzelten nicht mehr darüber, dass ich ihm bald an die Hand nehmen müsse, wie einen kleinen Jungen, wenn ich weiter so wüchse und er nicht.

Ich löste mich leicht von ihm. Dann küsste ich ihn auf die Wange und drückte ihn noch mal leicht.
"Ich habe dich auch lieb.", murmelte er in mein Haar, ehe ich mich von ihm löste.
"Bis morgen!"
Für einen Moment stand ich noch da und beobachtete, wie er grinsend im Haus verschwand. Dann machte auch ich mich auf den Rückweg. 



"Belle! Da bist du ja. Wie oft habe ich dir gesagt, dass du zu Hause sein sollst, bevor es dunkel wird?"
Mama stand in der Türschwelle und hatte die Hände in die Seiten gestemmt.
"Entschuldigung. Ich habe nur Ian nach Hause gebracht.", nuschelte ich und warf ihr einen entschuldigenden Blick zu.
Sie seufzte.
"Komm. Es gibt Essen."
Ich folgte ihr in die Küche, wo Henry schon am Tisch saß.
Henry. Andere Kinder nannten ihre Väter nicht beim Vornamen. Meine Mutter hatte das anfangs auch nicht gewollt, weil das die Vermutung der anderen, ich sei ein Bastard, nur bestärkte. Mittlerweile war es ihr gleich. Und mir auch. Wir hatten andere Sorgen, als eine sozial als kompromittierend angesehene Behauptung, die nicht einmal durch Beweise gestützt wurde. Ihr Fundament bestand aus dem allgemeinen moralischen Verfall.

"Hallo Sonnenschein.", begrüßte Henry mich und ich umarmte ihn.
"Wie war es in der Schule?"
"Nett.", ich verzog den Mund. "Lehrerin Müller hat dem Helmut den Hintern versohlt, weil er die Gleichung nicht innerhalb von einer halben Minute lösen konnte."
Ich sah, wie meine Mutter missbilligend den Kopf schüttelte.
"Also ich halte nichts von diesen rudimentären Erziehungsmaßnahmen. Die bringen doch gar nichts. Damit setzen sie unsere Kinder nur unter Druck."
Leider standen meine Eltern mit dieser Meinung alleine da. Schüler und Kinder körperlich zu züchtigen galt als allgemein bewährt und wurden von vielen meiner Lehrer leidenschaftlich praktiziert.

"Sollte dir das jemals passieren, sagst du uns sofort bescheid."
Mama sah mich eindringlich an und ich nickte. 
"Gut. Salat?"
Als Antwort streckte ich ihr meinen Teller hin. Salat war momentan eines unserer Hauptlebensmittel. Die Lebensmittelkarten wurden immer teurer und die Mittel knapper. Salat konnten wir gut selbst im Garten anbauen. Genauso wie Tomaten und Äpfel. 
Zwei mal in der Woche, verteilten Ian und ich einige Körbe davon an die ärmlichen Bewohner und Kinder, die allein zwischen den Trümmern spielten.
Es war nicht besonders viel, aber immerhin etwas.


_______________________________________

Beendet am: 02.03.21

Veröffentlicht am:

Bearbeitet am: 




You've reached the end of published parts.

⏰ Last updated: May 13, 2021 ⏰

Add this story to your Library to get notified about new parts!

Tinkerbelle- Waffe des HephaistosWhere stories live. Discover now