The family effect [2]

158 16 3
                                    

Two

[how to make your mother cry or how to be an egoist]

Joshua

Das Chaos, welches immer noch in meinem Kopf herrschte als ich mitten in der Nacht vor unserem Haus stand, zu beschreiben war schwer. Klar war mir bewusst, dass ich an der Situation womöglich nichts ändern konnte und das es für mich keinerlei Auswege daraus gab. Um das zu begreifen brauchte ich wohl noch ein wenig, jedoch wusste ich, dass ich diese Zeit nicht hatte und das sie mir auch keiner geben würde.

Meine zitternden Hände drehten leise den Schlüssel im Schloss um und als das leise Klicken ertönte atmete ich aus um mich zu beruhigen. Ich vermutete, dass Mum schon schlief und wenn ich ehrlich war wollte ich ihr gerade nicht über den Weg laufen. Ich wüsse nicht wie ich reagieren sollte, da meine Gedanken noch ganz durcheinander waren.

Ich versuchte demnach so leise wie möglich meine Schuhe und Jacke auszuziehen, ehe ich schleichend den Flur entlang ging, als ich jedoch das Licht bemerkte, welches unter der Wohnzimmertür hindurch schien, blieb ich stehen. Es war still und man hörte keinen Mucks in der Wohnung, weswegen ich beschloss das Licht einfach auszumachen und mich ins Bett zu legen, auch wenn ich daran zweifelte heute noch Schlaf zu bekommen. Es war 4 Uhr Nachts und ich musste um 7 Uhr in der Früh aufstehen.

Ich drückte leise die Klinke herunter und schlängelte mich halb mit meinem Körper durch den Türspalt, um an den Lichtschalter heran zu kommen. Mein Tun wurde jedoch durch eine leise Stimme unterbrochen. "Joshua." Ich schluckte und schaute in Richtung der Couch, auf der meine Mum steif saß und mich regungslos betrachtete. Ich drückte die Tür etwas weiter auf, so dass ich ganz in den Raum gehen konnte. Meine Augen weichten dem Blick meiner Mutter aus.

Sie saß dort. Die Hände im Schoß gefaltet. Ihre dunklen Haare zu einem zerzausten Dutt gesteckt, die Brille auf dem Kopf sitzend und man sah ihr an, dass sie noch keine Minute geschlafen hatte, seitdem ich abgehauen war.

Ich vergrub meine Hände in den Hosentaschen, wusste nicht was ich sagen sollte. Vielleicht reagierte ich über, vielleicht war es eigentlich gar nicht so ein großes  Problem für mich das mir mein Zwillingsbruder 18 Jahre lang verschwiegen wurde. Vielleicht sollte ich damit klar kommen. Vielleicht sollte ich niemanden für mein Gefühlschaos verantwortlich machen.

Doch vielleicht war es auch gar nicht meine Schuld.

Vielleicht war einmal in meinem Leben nicht ich der der es verbockt hatte, nein. Vielleicht war es meine Mum.

Und genau deswegen redete ich nicht. Genau deswegen wich ich ihrem Blick aus, der mich um Verzeihung bat und genau deswegen verließ kein Ton meinen Mund, weil sie es mir erklären sollte. Weil sie einmal in meinem Leben die Schuld auf sich nehmen sollte.

Abwesend bemerkte ich wie sie aufstand, wie sie einige Schritte auf mich zu ging und wie sie über meinen Arm streichen wollte. Ich jedoch zurück wich und mich somit von ihr entfernte.

"Joshua warum bist du weggelaufen? Ich verstehe nicht..." Ihre Stimme klang leise, besorgt, aber trotz dessen ließ ich sie nicht weiter reden. Es wuchs mir einfach alles über den Kopf hinweg und ich konnte meine Gefühle nicht mehr unter Kontrolle halten, weswegen ich abrupt in ihre Augen schaute und dabei kurz schämisch lachte. Doch dieses Lachen verwandelte sich in Sekundenschnelle in Wut. In so eine ungeheure Wut, dass ich alles um mich herum ausblendete.

"Du vestehst nicht? Was verstehst du nicht? Das ich abgehauen bin? Das mich das alles überfordert hat? Das ich dich anschreie? Ich sag dir mal was ich nicht verstehe Mum. Ich verstehe nicht wieso mir ein Zwillingsbruder 18 Jahre meines Lebens verschwiegen wurde, oder das mein Vater noch lebt, oder das ihr Kontakt hattet aber am meisten verstehe ich nicht warum du mich angelogen hast, verdammt!" Ich schrie. Mitten in der Nacht um 4 Uhr schrie ich lautstark meine Mutter an und machte ihr Vorwürfe. Ich zeigte keinen Respekt vor ihrer Position weder davor, dass sie meine Mutter war. Ich war schlicht und einfach respektlos und rücksichtslos. Ich dachte nicht mehr nach was ich sagte und ich ließ es meine Mutter nicht richtig erklären. Ich war wie ausgewechselt und doch war mir das in diesem Moment so egal, dass es mir schon fast hätte Angst einjagen müssen.

"Joshua. Ich weiß du bist sauer auf mich. Und ich kann dich vollkommen verstehen. Nur bitte sei etwas Rücksichtsvoller mit den Leuten und schrei nicht so herum. Lass uns bitte ordentlich darüber reden." Sie sah mich verzweifelt an, versuchte mich zu beruhigen, aber ich konnte nicht. Ich konnte nicht runter kommen, denn ich war so aufgebracht, dass mein Herz drohte zu explodieren.

Ich wusste einfach nicht was ich noch sagen sollte. Sie verstand mich nicht. Sie begriff nicht, dass es mir so viel ausmachte, dass ich mich von ihr hintergangen fühlte und genau deswegen wusste ich das es keinen Sinn mehr machte mit ihr zu diskutieren. Mit einem letzten Blick in ihre verzweifelten Augen drehte ich mich um und machte mich schnell auf den Weg in mein Zimmer. Die Person, die am Türrahmen des Wohnzimmers lehnte ignorierte ich gekonnt.

Mit schnellen Schritten stürmte ich in mein Zimmer, schaltete das Licht an und steuerte auf meinen Kleiderschrank zu. Mit wenigen Griffen zerrte ich eine Tasche aus meinem Schrank und schmiss wahllos Klamotten hinein. Die niedergeschlagenen Schreie meiner Mutter und ihr Zerren an meinem Arm blendete ich aus. Es war als wäre ich in einer Seifenblase. Ich verstand nichts als gedämpfte Stimmen und undefinierbare Bewegungen in meinem Umfeld.

Ich nahm die Tasche in die Hand und ging ins Badezimmer, wo ich die nötigsten Dinge auf die zerknitterten Klamotten schmiss, bevor ich sie zu machte und  sie schulterte. Noch immer begleiteten mich leise Schreie auf dem Weg in den Flur, wo ich mir schnellstmöglich meine Schuhe und Jacke anzog und dann mein Handy und meinen Schlüssel für die Wohnung demonstrativ auf die Kommode neben der Tür legte.

Ohne weiteren Bedenken zu folgen riss ich die Wohnungstür auf und schmiss sie kurz darauf wieder hinter mir zu. Danach stolperte ich schnell die Treppe herunter und verließ anschließend das Haus.

Die kalte Winterluft brachte mich wieder in die Realität zurück und die Seifenblase, welche mich von der Welt abgeschottet hatte, schien mit einem Moment zu platzen und schubste mich gnadenlos in mein Gefühlschaos zurück.

Erst jetzt realisierte ich, was ich für einen heftigen Streit mit meiner Mutter gehabt hatte. Und der Gedanke daran wie sie oben weinend stand und sie die Verzweiflung von innen auffraß brach mir das Herz. Doch das was mich mehr störte war, dass in diesem Moment nicht ich derjenige war der sie wie sonst immer tröstete sondern mein Schnösel von Zwillingsbruder, der schon nach ein paar Stunden anfing meinen Platz einzunehmen. Und das war wahrscheinlich ein weiterer Punkt, weswegen ich ihn immer weniger leiden konnte, obwohl ich ihn nicht einmal richtig kannte.

Es war egoistisch von mir, ich wusste das und trotzdem gönnte ich es ihm nicht seine Mutter kennenzulernen. Ich sah es nicht ein wieso er mit seinem so lange fehlendem Elternteil Zeit verbringen durfte und sich mein von mir tot geglaubter Vater einen Dreck für mich interessierte.

Ich wollte es nicht zugeben, aber es verletzte mich ungemein. So gern hätte ich jemanden gehabt, der mich in banalen Sachen wie meinem ersten Date unterstützte, mir Tipps gab die ich von meiner Mutter nie erwarten könnte und mit mir Baseball nach der Schule spielte, einfach nur um herunter zu kommen. 

Es waren Erinnerungen die mir aus meiner Kindheit und frühen Jugend fehlten und ich wusste nicht wie ich es deuten sollte. Er lieferte meinen Bruder hier ab als wäre nie etwas gewesen und verschwand dann wieder ohne mir überhaupt etwas zu sagen. Nicht ein einziges Mal hatte er den Mund aufgemacht als ich in die Küche gekommen war. Ich wusste, ich hätte ihm dazu keine Chance gegeben und trotzdem hatte er es nicht einmal versucht.

Vielleicht war er einfach zu geschockt mich das erste mal wieder zu sehen nach so langer Zeit oder vielleicht war er auch einfach nur ein reiches, geiziges Arschloch was keinen Dollar für seinen zweiten Sohn ausgeben wollte.

Wahrscheinlich war ich zu egozentrisch, aber gerade im Moment wusste ich nicht was mir mehr schadete, die Wut auf meine Lebenssituation oder meine Egozentrik. Beides war nicht gut und sicherlich nicht hilfreich aber ändern konnte ich es gerade nicht.

The family effectWhere stories live. Discover now