Kapitel 5: Lagerfeuer und Kamin

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Mit gerunzelter Stirn und einem verdrossenen Seufzen las er die E-Mail seiner Schwester erneut durch. Doch auch beim dritten Mal wurden ihre Worte nicht weniger hartnäckig. Tatsächlich fragte sie an, ob Stephan auch in diesem Sommer mit der gesamten Familie auf die altbewährte Almhütte fahren wollte. Miriam war inzwischen dreifache Mutter und garantiert erneut schwanger, wenn sie die Wahrscheinlichkeitsrate ihrer offenbaren Fruchtbarkeit und Promiskuität weiterhin erfüllte.

Stephan wunderte sich nach wie vor darüber, dass Mutti zu Miriam hielt und diese nicht schon längst enterbt hatte. Andererseits hatte seine kleine Schwester es binnen weniger Jahre geschafft, die Eltern mit Enkeln zu versorgen – und diese mussten später schließlich etwas zum Leben haben. Enterben kam also nicht in Frage. Außerdem hielt er Miriam zugute, dass sie, trotz ihrer Lebensumstände, nicht auf Kosten des Staates lebte, sondern ihren beruflichen Alltag mit den Kindern (und Muttis Unterstützung) meisterte. Ihr Elternhaus in Korneuburg war glücklicherweise groß genug, um die Kinder mit Mutter und Großmutter darin unterzubringen.

Wäre Miriam nicht vor sieben Jahren zum ersten Mal schwanger geworden, hätte Stephan ebenfalls noch zu Hause gewohnt. Der Dank seiner finanziellen Mittel ausgebaute Dachboden war sein Reich gewesen. Er hatte sich den offenen Raum wie ein Loft gestaltet, mit einer freistehenden Edelstahlbadewanne, verchromten Armaturen in der Küche und der besten Couch der Welt. Doch mit dem ersten Anzeichen von Babyauswurf und der drohenden Störung seiner Nachtruhe hatte er sich dazu entschieden, in die Stadt zu ziehen. Küche und Sofa hatte er mit nach Wien genommen; der Badewanne hatte er traurig Servus gesagt.

Während Miriams zweiter Schwangerschaft hatte sich auch Papa aus dem Staub gemacht. Angeblich ertrug er Mutti nicht mehr, doch Stephan vermutete, dass es an den Kindern lag. Immerhin ließen sich die Eltern nicht scheiden, sie lebten nur vorübergehend getrennt. Das sagte so viel mehr aus, als die beiden jemals laut gesagt hätten. Doch im Gefühleausdrücken waren sie noch nie besonders begabt gewesen. Und dieses Talent hatten sie ihren Kindern vererbt. Darüber beschwerte sich Stephan jedoch nicht. Am liebsten war er ohnehin mit sich selbst und machte deswegen auch alles mit sich selbst aus. Es war die perfekte Beziehung mit sich selbst. Lediglich seine Couch konnte gelegentlich dazwischenfunken.

Wieder seufzte er, ehe er den Nachsatz im Mail seiner Schwester las: p.s.: du kannst deine freundin urgern mit nehmen. Wir wollen sowieso auch amal a lagerfeuer machen.

Für einen Moment war er versucht, Miriam mit einem simplen Welche Freundin? zu antworten und ihre eigentlichen Fragen zu ignorieren. Denn auf diese hatte er noch keine Antwort. Vorigen Sommer hatte er sich gekonnt vor der Verantwortung des gemeinsamen Familienurlaubs am Semmering drücken können. Ein riesiger Auftrag hatte seine volle Aufmerksamkeit verlangt und ihm eine entsprechend lukrative Provision verschafft. Hätte er auch nur einen Tag freigenommen, wäre das Projekt in die Hände von jemand anderem im Haifischbecken gewandert und Stephan hätte durch die Finger geschaut. Der Erfolg hatte ihm sogar den Posten des Teamleiters eingebracht. Am Rande hatte die Pensionierung seines Vorgängers vielleicht auch etwas damit zu tun gehabt ...

Bei der Erinnerung brach ein Schmunzeln Stephans streng verzogene Lippen. Seine harte Arbeit hatte sich nach all den Jahren bezahlt gemacht. Möglicherweise war es das einzige, worauf er in seinem Leben wirklich stolz war. Doch er liebte seinen Job, die Arbeit mit seinen Kunden, deren Akquise und die gemeinsamen Dinner mit ebenjenen. Vielleicht lag es daran, dass sie ein oberflächliches Verhältnis mit abgesteckten Grenzen verband, einen eindeutigen Anfang und ein absehbares Ende hatten und er damit seinen Lebensunterhalt mit vielen Annehmlichkeiten verdiente.

Ein Urlaub in einer alten Holzhütte auf einem Berg mit seinen Eltern, Miriam und den Kindern fühlte sich einfach nicht nach seinem Lebensstandard an. Außerdem waren Liam, Jason und Emily nervig. Allein schon ihre Namen waren es, doch Stephan hatte dabei kein Wörtchen mitreden dürfen. Nicht einmal bei Liam, dessen Taufpate er war. Der Junge war auch nur halb so anstrengend wie seine kleinen Geschwister.

Wenn Stephan länger darüber nachdachte, mit seiner Familie auf Urlaub zu fahren, fiel ihm nur ein Grund dafür ein: der Kachelofen in der Stube, in welchen Hänsel und Gretel seinerzeit die böse Hexe gesteckt hatten. Ob die Öffnung tatsächlich groß genug war, um einen Menschen dort durchzuschieben?

Im selben Moment bemerkte er, dass der Ofen im Sommer wohl nicht in Betrieb genommen wurde. Somit konnte er sich nicht einmal darauf ausreden, Feuerholz holen zu gehen, um an die frische Luft zu gelangen und eine zu rauchen. Miriam hasste es nämlich, wenn er vor den Kindern, in der Nähe der Kinder oder in möglicher Sichtweite der Kinder, selbst wenn diese schliefen, eine Zigarette vernaschte. Dabei hatte Miriam selbst geraucht, bis sie von ihrer Schwangerschaft mit Liam erfahren hatte. Ab diesem Moment war sie zu einem Mamamonster mutiert, das Stephan oftmals nicht wiedererkannte.

Darüber zerbrach er sich jedoch ebenfalls schon seit längerer Zeit nicht mehr den Kopf. Nach Jasons Taufe hatte er aufgegeben, die Entscheidungen seiner Schwester zu hinterfragen. Lediglich ihre Absichten bezüglich des Familienurlaubs verstand er noch immer nicht. War ihr nach all den Jahren noch immer nicht bewusst, dass Stephan den Abstand suchte? Sollte er Miriam das einfach sagen, damit sie begriff, was in ihm vorging?

Schwesterherz, danke, dass du auch heuer an mich denkst, aber mir wird das zu stressig. Wenn wir nächstes Jahr ans Meer fahren, bin ich vielleicht dabei.

Bussi, dein Bruderbär

Vienna Love StoryWhere stories live. Discover now