Kapitel 15

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Ich saß im Wald, auf einer Lichtung, umringt von kampfbereiten, blutrünstigen Wölfen, meinen bewusstlosen Onkel neben mir liegend.
Ich fühlte mich endlos verloren, endlos schuldig. Schuldig für alles, was in den nächsten Augenblicken passieren würde.
"Du hast noch eine einzige Wahl, Ruby. Auch im Namen deines... Onkels.", meinte Marco mit kühler Stimme und sah mich eindringlich, verächtlich an.
"Die wäre?", entgegnete ich trocken, versuchte entschlossen zu wirken, doch der Knoten aus Angst, welcher sich in meiner Kehle gebildet hatte, war wohl kaum zu überhören.
"Wie ihr beide sterben mögt." Marco grinste hämisch. Widerlich.
Irgendetwas in mir verspürte den unaufhaltsamen Drang, auf diesen egoistischen, eingebildeten Mörder loszugehen, ihm Füße und Hände in den Bauch zu rammen, ihn zu Grund und Boden zu prügeln, doch der andere, stärkere Teil in mir wusste, dass es keinen Sinn machte. Ich würde es nicht schaffen. So oder so. Es war vorbei.
Doch genau in diesem Moment bildete sich eine Idee, ein Plan in meinem Kopf. Aber war es nicht so leicht zu durchschauen...
"Werft uns eine Klippe hinunter. Ich möchte noch ein letztes Mal den Wind um meinen Körper brausen spüren." Ich versuchte meinem Gegenüber so entschlossen wie möglich entgegenzublicken. Doch innerlich bettelte ich darum, dass er nicht erschnüffelte, was ich vorhatte. Dass er so blind vor Hass war und nicht misstrauisch wurde.
Marco zögerte. Doch dann nickte er grummelnd. "Nun gut, du hattest die Wahl."
Er wandte sich an die Wölfe, die zornig, voller Hass und Verachtung zu Liam und mir herüberschauten, sich die Zungen leckend, mit funkelnd gierigen Augen.
"Umkreist sie! Wir marschieren zur Nebelklippe!", dröhnte Marcos kräftige, dunkle Stimme in meinen Ohren, und sofort wurde ich von etwas Haarigem vorangeschubst, während immer mehr Wölfe dazu kamen und einen engen Kreis um mich und meinen Onkel bildeten.
Der Knoten, der meine Kehle zuschnürte, wuchs stetig, mit einem Mal war diese Unsicherheit, diese Angst, diese Angst um alles und jeden, wieder da. Was, wenn Marco längst wusste, was ich vorhatte? Was, wenn dieser ganze Plan schiefging? Was, wenn wir wirklich... starben?
Was würde aus all meinen Freunden, meinen Mitschülern, den Lehrern, ja, allen werden, die ich kannte?
Aber was, wenn es unser aller Schicksal war... mein Schicksal... Liams Schicksal... Lunas Schicksal...
Aber noch bestand ein Lichtblick, ein kleiner Funke Hoffnung in dieser rabenschwarzen, verlorenen Dunkelheit...

Je tiefer wir in den Wald gingen, desto nebliger wurde es, desto weniger sahen wir, bis bald alles um uns herum in eine dichte, graue Wolke gehüllt war.
Nervös rieb ich meine Finger in den Hosentaschen aneinander, zitterte am ganzen Körper, mein Herz schlug schneller und wilder, als jemals zuvor. Denke ich.
Wenn jetzt nicht alles nach Plan verlief...
"Fasst sie!", ertönte Marcos raue Stimme von irgendwo vor mir und mit einem Mal wurde ich von massigen Armen, Pranken und dergleichen gepackt, sodass es für mich unmöglich war, mich zu bewegen. Krallen bohrten sich in meine Haut, rissen meine Kleidung auf, zerkratzten alles, was ich besaß.
Ich wollte schreien, sie darum anschreien, aufzuhören, aber ich wusste, dass es ohnehin nichts bringen würde.
Ich sah nichts, nur Teile von schwarzem Fell und blanker Haut, alles war in diese graue Nebeldecke gehüllt.
Mein Herz begann ein weiteres Mal, auf Hochtempo zu beschleunigen, vor meinem inneren Auge spielten sich sämtliche Horrorszenarien ab, was alles passieren könnte, wenn-
In dem Moment spürte ich einen Ruck. Und dann nur noch Leere.
Ein massiver Druck drückte gegen meinen zarten Körper, Wind ließ mich umherschleudern, der Nebel ließ mich noch immer nichts sehen.
Erst jetzt fiel mir auf, dass ich Liam nirgendwo entdecken konnte. Aber ich wollte ihn doch retten, ihn stämmen, und...
Aber all das würde keinen Sinn mehr haben. Es war nicht möglich, ihn zu retten. Ich sah nichts. Nur Grau. Höchstens mich würde ich retten können. Aber was dann? Was sollte ich dann tun? Ohne Liam... waren wir doch allesamt verloren.
Immer weiter raste ich in die Tiefe, umgeben von pfeifendem Wind, der mir um die Ohren schoss und einer grauen Decke aus Nebel, die mich erblindet zu haben schien.
Der freie Fall schien kein Ende zu nehmen.
Du musst dich verwandeln, sagte ich mir selbst zu. Jetzt.
Ein letztes Mal spannte ich all meine Muskeln an, versuchte mich zu entspannen, schloss die Augen,  dachte an einen weiß-braun gefiederten Gerfalken... doch nichts.
Mein Herz schien mir bis zum Hals zu schlagen, meine Kehle war komplett zugeschnürt.
Dann löste sich die Nebeldecke mit einem Mal auf.
Ich stellte erschrocken fest, wie nah ich dem Boden schon war, gleich würde ich aufprallen, gleich würde alles für immer vorbei sein...
Doch mit einem Mal spürte ich einen kräftigen Ruck, eine kräftige Hand, welche sich um meine Schultern legte, mich... hochzog?
Ich öffnete verwundert die Augen und blickte in ein so unfassbar vertrautes Paar Augen, welches mich nur gutmütig und liebevoll anblickte.
Es war Romo in menschlicher Gestalt, welcher gesichert an einem Seil hing und mich anblickte.
Mein Vater.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 01, 2021 ⏰

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