Kapitel Sechs

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*** Die Handlung spielt vor Kapitel Fünf, aber damit es nicht verwirrend wird, poste ich es als Kapitel Sechs. ***



Er drehte sich noch einmal um und schaute zurück, bevor er in die Gasse einbog, um sicherzugehen, dass ihm niemand folgte. Er sah den Schimmel vorbeitrotten, auf dem dieser Handlanger von Lady Sanaha saß, und lächelte, während in seinen Augen ein grausamer Schimmer funkelte. Dann zwängte er sich in das Gedränge, um unterzutauchen. Er war schon fast am Fuß der Berge angekommen, aber er musste aufpassen, dass niemand ihm folgte und so den geheimen Pfad hinauf zum alten Tempel fand. Von allen Seiten wurde er von denen angerempelt, die auf die Hauptstraße wollten, schließlich war heute Markttag und es waren mehr Stände auf dem großen Platz als gewöhnlich. Einmal rutschte ihm die Kapuze vom Kopf und er beeilte sich, sie schnell wieder aufzusetzen. Aber ein kleines Mädchen, sie durfte nicht älter als ein paar Jahre sein, hatte sein Gesicht schon gesehen. Sie fing an zu schreien und Jedan hastete schnell weiter.

Bald war er endlich an dem Zugang zum Pfad angekommen und kontrollierte vorsichtshalber noch einmal die Umgebung, bevor er in den Schatten verschwand. Die Stadtwache kannte schon den Hauptweg zum Sitz seiner Gemeinschaft, diesen hier wollte er um jeden Preis vor ihnen geheim halten. Der Weg hinauf auf die Spitze des Berges war lang, länger, als wenn er den normalen Weg genommen hätte. Aber dafür hätte er durch die ganze Stadt gemusst und dann hätte man ihn sofort verdächtigt für das, was bald geschehen würde. Er keuchte, während er sich den schlammigen, von rauen Steinen gesäumten Weg hinauf plagte. Es gab keine Stufen, also drohten ihm immer wieder die Füße unter dem Körper wegzurutschen. Mehrmals musste er in die scharfkantigen Felswände greifen, um Halt zu finden. Daher war seine Haut übersät von vielen kleinen Schnitten und Dreck, als er endlich oben ankam. Als er ins Tageslicht trat, musste er die Augen zusammenkneifen. Auf dem Weg durch den Berg war es so dunkel gewesen, dass seine Augen die Helligkeit nicht mehr gewohnt waren. Kein Wunder, denn er hatte mindestens eine Stunde bis ganz nach oben gebraucht.

Als er endlich wieder seine Umgebung richtig wahrnehmen konnte, sah er sich auf der großen Wiese vor dem alten Tempel um. Bei den Bruchstücken des verfallenen Turmes links von ihm spielten ein paar Kinder und weiter rechts, am Brunnen, unterhielt sich sein Schriftwahrer mit einem anderen Mitglied der Gemeinschaft. Der Wald hinter dem Tempel wirkte heute gruseliger als sonst, die große Dunkelheit in ihm schien ihn anzustarren. Aber er fürchtete sie nicht, denn sie standen auf derselben Seite. Sie waren die, die man als die dunkle Bedrohung fürchtete. Das wusste er. Aber im Grunde waren sie nicht anders als die Hohepriesterin, die ihren Glauben und ihr Leben der Göttin Iara verschrieben hatte. Sie dienten dem einen, an das sie glaubten. Als er an Sanaha dachte, wurde sein Gesichtsausdruck ernst und auf seiner Stirn bildete sich eine Zornesfalte. Sein Besuch bei ihr war nicht so verlaufen, wie er es sich vorgestellt hatte.

„Hohepriester!" Der Schriftwahrer kam auf ihn zu, seine grüne Kutte flatterte dabei in der zugigen Bergluft. „Eurem Gesichtsausdruck nach zu urteilen habt ihr nichts erreichen können." Er zögerte, aber dann sprach er dennoch weiter. „Aber ich möchte in einer anderen Angelegenheit mit Euch sprechen. Der letzte Teil der Schriftrolle mit den Versen für ..."

„Haltet ein", unterbrach Jedan ihn. „Das ist nichts, was wir hier besprechen sollten." Er ging über die Wiese in Richtung des alten Tempels und der Schriftwahrer folgte ihm. 

Jedan stieß die schweren, eisengegossenen Tore des Tempels auf und klopfte sich den Staub zusammen mit einigen Holzstückchen von den Händen. Die Tore und das Gebäude waren nach all den Jahren ihrer Existenz schon ziemlich marode. Das machte die düstere Atmosphäre im Inneren noch eindrucksvoller. Die Türen zu den Gebetsräumen an den Seiten der großen Haupthalle waren alle weit geöffnet und die auf vertryrisch gesprochenen Gebete drangen laut daraus hervor. Aus einem davon erreichte der hohe Gesang einer Anhängerin die Ohren des Hohepriesters. Er machte ein paar Schritte in den Raum hinein und legte seine Hände auf die Schultern der Sängerin. Sie hatte ihre Kapuze abgenommen und ihr langes braunes Haar fiel geschmeidig über ihre Schultern nach unten. Der Schriftwahrer, der ihm gefolgt war, beobachtete das Szenario von außerhalb des Raumes. Sie unterbrach ihren Gesang, als sie die Berührung spürte.

Die Kinder des JenseitsKde žijí příběhy. Začni objevovat