Der Abschied

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Erste Sonnenstrahlen kitzelten Niennas Nase. Sie öffnete langsam die Augen.
"Warum weckt Ihr mich so früh, Mutter?" wollte sie verschlafen wissen und gähnte.
Ihre Mutter Èowyn lächelte, als sie sah, dass Nienna wach war. Sie ging zum Fenster und öffnete die Vorhänge.
"Heute wird ein anstrengender Tag für dich, Nienna." Sie drehte sich wieder zu ihrer Tochter und lächelte.
Nienna richtete sich langsam im Bett auf. Ihres Wissens war heute nichts Besonderes. Ein normaler Tag.
"Was ist denn?", fragte sie und schwang sich aus dem Bett. Ihre Mutter ging schon wieder zur Tür hinaus. Ihr Gesichtsausdruck war wieder ernst.
"Ich werde dir eine Dienerin schicken. Lass dir bequeme Reitkleidung rauslegen und die Haare nach Möglichkeit zusammenflechten. Es wird ein langer Ritt."
Sie zog die Tür hinter sich zu und erstickte so jede Frage Niennas.

Nienna ging zu ihrer Waschschüssel und goss ein wenig klares Wasser aus der Karaffe in das Becken. Warum ihre Mutter wohl nicht auf ihre Frage antworten wollte? Was verbarg sie vor ihr?
In diesem Moment trat die Dienerin ein. Sie knickste vor Nienna.
"Ich habe dir doch schon hundertmal gesagt, dass du das nicht machen sollst!" lachte Nienna und zog die Dienerin hoch. Es war Eoba, sie war genauso alt wie Nienna und eigentlich mochten die beiden sich. Nienna fand es nur abscheulich, dass sie von ihrem Stand her mit ihr umgingen, als wäre sie die Königin von Mittelerde höchstpersönlich. Dabei war sie nur die Tochter der Schwester des Königs, und es wäre ihr vielmals lieber, wenn alle mit ihr umgehen würden als wäre sie eine einfache Bauersfrau. Denn sie fühlte sich nicht adlig, keineswegs.

Eoba lächelte schüchtern. "Du weißt doch, die Regeln schreiben es vor"
Nienna verdrehte lachend die Augen. "Na gut, also such mir Kleidung raus, Sklavin!"
Es war natürlich nur Spaß, und Eoba wusste das auch, doch trotzdem leistete sie der Anweisung gehorsam folge.
Sie zog ein hellblaues Hemd aus dem Schrank, außerdem eine braune Lederhose und Niennas Reitstiefel. Dann nahm sie eine grüne Jacke vom Haken.
"Hier, meine Herrin Nienna" sagte sie unterwürfig und zog sich zurück, damit Nienna sich hinter der Trennwand umziehen konnte.

Nienna schüttelte den Kopf. Eoba würde wohl nie begreifen, dass sie ihre "Herrin" auch ganz normal bei ihrem Namen nennen durfte.
Denn auf ihren Namen war Nienna stolz. Bei ihrer Geburt hatten ihre Eltern sofort die Ähnlichkeit zu ihrer Großmutter väterlicherseits, der Mutter ihres Vaters Faramir bemerkt. Diese war eine Elbe gewesen und deswegen hatten sie ihr den elbischen Namen ihrer Großmutter gegeben.

Und sie hatten Recht behalten. Die spitzen Ohren, die besondere Neigung zur Natur und die Fähigkeiten, sich absolut lautlos und doch anmutig zu bewegen, und noch vieles mehr; all das wies darauf hin - Nienna war eine Halbelbe. Genau genommen war sie zwar eine Viertelelbe, doch sie hatte ausschlaggebend die Gene ihrer Großmutter erhalten, die ihren Vater übersprungen hatten.

Sie war ein komplettes Abbild ihrer Großmutter; ebenso wie diese hatte sie lange braune Haare, die ihr bis zur Hüfte reichten und eindrucksvolle grüne Augen.

Nienna zog sich die Kleidung an, die Eoba ihr rausgelegt hatte. Dann trat sie hinter der Trennwand hervor. Eoba packte gerade Kleidung in eine Tasche, die man an einem Sattel befestigen konnte.
"Warum packst du meine Sachen?", fragte Nienna.
"Tut mir leid, aber Eure Mutter hat mir befohlen, Euch nichts zu verraten." Eoba schlug beschämt die Augen zu Boden.

Frustriert ließ Nienna sich auf einem Schemel nieder und griff sich die Bürste von ihrer Kommode.
"Flechte mir die Haare!" befahl sie. Sie wusste, dass Eoba nichts dafür konnte, dass ihre Mutter verboten hatte dass sie wusste, warum sie gehen sollte. Aber sie war enttäuscht, dass anscheinend alle außer ihr über eine Sache Bescheid wussten, die sie betraf.

Eobas Hände traten an ihre Stelle und flochten Nienna flink einen Zopf, der über ihre rechte Schulter fiel.
Als sie fertig war, stand Nienna auf und verließ ohne ein Wort ihr Zimmer. Sie lief die Stufen zu dem Speisesaal hinunter. Ihre Eltern saßen schon am Tisch.
Nienna setzte sich auf ihren Platz, nahm sich jedoch nichts zu essen, sondern verschränkte die Arme vor der Brust.
Ihr Vater Faramir sah von seinem Teller auf und räusperte sich.
"Deine Mutter und ich müssen dir etwas... mitteilen."
Nienna tat überrascht. "Wirklich? Was denn?"
Èowyn und Faramir tauschten einen Blick aus, den Nienna nicht deuten konnte.
"Nun..." begann Faramir, doch Èowyn unterbrach ihn.
"Die letzten Orks und Uruk-Hais haben dich verbündet und wollen Saurons Werk vollenden. Sie wollen Gondor und Rohan besiegen." sagte sie ohne großes Geschwafel direkt. Èowyn schwang nie große Reden.
Nienna erstarrte. Orks und Uruk-Hais kannte sie nur aus den Erzählungen ihrer Eltern und deren Freunden. Und sie fürchtete sich vor ihnen mehr als vor allen anderen Wesen dieser Welt.

Der Prinz des Düsterwaldes || Legolas FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt