Fast 5 Jahre später

123 16 11
                                    

Fuck.

Das ist das erste Mal seit beinahe 5 Jahren, vielleicht nur 4 Jahre, dass ich dieses Werk durchgelesen habe und es überhaupt bemerken wollte.

Die Tagebucheinträge waren meine Gedanken, die ich zu dem damaligen Zeitpunkt über alles hatte. Ich kann nicht in Worte fassen, wie sehr diese Kapitel hier meine Gedanken wiederspiegelten und wie real sie waren.

Zwar hatte ich hier und da höchstens eine handvoll an Dingen abgeändert, aber es entspricht meiner damaligen Realität und meinem Leben in jeder Weise und Art.

Wenn ich sage, dass ich mein Herzblut in diese Tagebucheinträge gepackt habe, dann meine ich genau das. Diese Gedanken, die ich damals hatte, waren real und echt.
Ich wollte Suizid begehen, ja. Ich habe oft darüber nachgedacht. Manche Dinge, wie der Winter, die Kälte und der Baum vor meinem Fenster, haben mich davon abgehalten.
Die Wahrheit ist, dass ich damals im Wohnzimmer saß und verzweifelt aufstand, mir ein Messer aus dem Schneideblock nahm und für einen kurzen Augenblick, nur einige Sekunden, einfach nur daran denken konnte.
Geschockt von mir selbst und verzweifelt über meine Situation habe ich es weggelegt und mir geschworen, keines mehr anzufassen, bis es mir nicht besser ging.

Ich habe mir damals, als ich 14 bzw. 15 Jahre alt war, ein Ultimatum gestellt.
"Mit 18 bringst du dich um."
Das Alter hat sich je nach Laune geändert, aber achtzehn Jahre war immer der Endwert.
"Mit 20 beendest du es."
Aus 20 wurde 25 und schlussendlich blieb ich bei 18.

Am 18.06.2019 wurde ich dann 18. Dieses achtzehnte Jahr verfolgt mich und solange ich nicht älter werde als 18, wird es mich weiterhin verfolgen.
Dieses Jahr steckte ich viel zu sehr in der Vergangenheit. Sie holt mich dieses Jahr ein, ist wie ein Schatten in meinem Rücken.

Nein, ich werde mich nicht umbringen. Ich respektiere den Tod und er beängstigt mich.
Ja, mir geht es besser. Kaum hatte ich meine Realschul-Abschlussprüfungen erreicht und wurde älter, ließen diese Gedanken nach und ich habe mich aus dem damaligen Loch gezogen.
Damals dachte ich noch, dass die Realschule alles wäre, alles was ich je erleben würde. Sie hat sich zeitlos angefühlt. Diese zehn Schuljahre waren alles, aber in keinster Weise gut für meine Mentalität.
Ich verließ die Realschule mit einem guten 2,4 Durchschnitt und keinen schrecklichen, nahezu depressiven Gedanken. Ich begann mein Abitur 2017 und stehe nun kurz vor den Abiturprüfungen 2020.

Mein Leben hat sich verändert, als ich älter als 15 Jahre wurde.

Ich habe Psychologie als schriftlichen Grundkurs im Abitur, sowie in den Prüfungen und noch im Winter haben wir über Depressionen gesprochen. Wir haben die Symptome von Depressionen behandelt und über die verschiedenen Ausprägungen der Stärke gesprochen.
Ich konnte dem Unterricht nach den Worten meines Lehrers nicht mehr folgen, als wir darüber sprachen.

Ich hatte zu großer Wahrscheinlichkeit eine schwach ausgeprägte Depression, als ich 14 Jahre alt war.

Allein diese Möglichkeit und Tatsache, nimmt mir immer noch den Atem. Jedes der Symptome stimmte auf mich zu. Die Angst im Laufe meines Lebens noch einmal Depressionen bzw. diese Symptome nochmal zu erleben, ist groß, aber ich habe Hoffnung. Genau so wie ich damals noch einen Funken Hoffnung besaß.

Ich habe mich nie diagnostizieren lassen. Ich habe mir Hilfe bei einer Frauenhilfe gesucht und mit dieser Frau versucht zu kommunizieren durch einen Haufen von Tränen. Konnte kaum den Mund aufmachen ohne zu weinen in den ersten Sitzungen. Heute kann ich darüber reden, was in meiner Vergangenheit liegt, aber die Emotionen bleiben gleich. Diese professionelle Frau hat mich mit traurigen Augen angeguckt und impliziert, dass ich mir auf jeden Fall einen Therapeuten suchen sollte und endlich meinen Eltern davon beichten soll.
Einmal musste ich einen Termin absagen oder habe dort gar nicht erst angerufen um abzusagen. Ich habe einfach aufgehört dorthin zu gehen.
Ich hatte ein Gespräch mit meiner Mutter. Es ist ein anderes Gefühl als nur Traurigkeit, wenn man die eigene Mutter weinen sieht. Wir haben gesprochen und nach einiger Zeit, langer Zeit, wurde es besser.
Jeder Tag wurde leichter.

Was ich damit sagen will, ist, dass ich ein Wreck damals war. Ich habe mich nicht getraut dieses Werk hier, scattered thoughts, überhaupt nochmal jemals durchzulesen. Ich könnte meine damalige, schreckliche Zeit nicht nochmal durchleben. In fast jedem dieser Worte liegt die Vergangenheit, die ich akzeptiere, aber größtenteils vergessen habe. Sie existiert, aber nicht in so einem Detail.

Dieses Werk wird auf ewig eine Erinnerung an diese Zeit sein und ich werde es bestimmt für die nächsten Jahre nie wieder beachten.

Mein Schlafrythmus von damals hat sich nicht viel verändert. Ich schreibe dies um drei Uhr nachts.
Dennoch brauche ich heutzutage mehr als 4 Stunden Schlaf um durch den Tag zu kommen und nicht das Gefühl zu haben, im Unterricht einschlafen zu müssen.
Damals war ich so müde, dass ich im Unterricht in der Realschule einfach einschlief. Ich war viel zu müde.
Heute muss ich nach 6 Stunden noch ein teilweise ein Nickerchen dazu machen, weil ich sonst zu müde bin.
Meine mentale Gesundheit ist viel besser, ich kümmere mich endlich um mich selbst, erinnere mich ans Essen und Trinken.
Selbstzerstörung ist nicht mehr der Weg, auf dem ich mich befinde. Ich habe ihn gegen regelmäßige tägliche Mahlzeiten und Gesichtsmasken eingetauscht.

Ich bevorzuge immer noch meine Ruhe und Einsamkeit, aber genieße auch die Treffen und Zeiten mit meinen Freunden. Es sind nicht mehr nur Schulfreunde, sondern echte Freunde. Freunde, die ich privat treffe und die ich mag.

Ich habe dieses Jahr einige Rückschlage erhalten, habe das Jahr 2019 mit dem Gewissen, dass ich drei Menschen verlieren werde und einen besten Freund bereits verloren habe, beendet.
Mein Hund ist gestorben, der mich seit elf Jahren begleitet hat und alles, worüber ich denke, ist, dass mich dieser Tod damals zerstört hätte und mich vielleicht über die Kante springen lassen hätte.
Vielleicht wäre dann damals meine Angst vor dem Tod doch zu groß geworden, aber der Tod meines Hundes hätte mich weiter in dieses Loch fallen lassen und ich weiß nicht, ob ich daraus wieder rausgekommen wäre.

Meine beste Freundin seit der Realschule hatte mit mir einen Streit und wer weiß, ob ich vielleicht doch die Realschule endlich ganz verliere, sobald 2020 endet.

Ich bin mental und physisch gesund in jeglichem Aspekt.

Ich verdanke es niemandem außer mir selbst. Hätte ich damals keine Hilfe gesucht, aufgesucht, in irgendeiner Weise nicht einigen Personen davon erzählt, wäre es anders.
Ich besitze immer noch die ausgedruckten Adressen von Psychologen, die mir damals helfen konnten. Meine Vertrauenslehrerin aus der Realschule hatte mir sehr stark geholfen und meine Freundin, die mich zu der Vertrauenslehrerin schickte, verdanke ich heute noch alles.

Mein achtzehntes Lebensjahr ist vieles, aber am meisten ein Zeichen der Veränderung und seelischen Zufriedenheit.
Dieses Ultimatum war das Beste, was ich mir damals gesetzt habe. Es hat mich am Leben gehalten, bis meine Situation sich verbessert hat und ich es nicht mehr fürs atmen und leben brauchte. Drei Jahre nach diesem Ultimatum liege ich noch im selben Zimmer, aber besitze eine völlig andere Mentalität.

scattered thoughtsWhere stories live. Discover now