O2

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Interessiert mustere ich den schwarzen Einband des Buches. Es steht kein Name darauf und ich überlege, ob ich es lesen soll oder nicht. Immerhin gehört das Buch jemandem und sicher hat er es nur verloren. Meine Freunde reden ununterbrochen weiter über Partys und streiten sich, welche Marke von Alkohol besser ist. Sie bemerken nicht, dass ich dieses Buch in der Hand halte und nachdenke, was ich damit tue. Ich könnte es im Fundbüro abgeben oder es lesen und den Besitzer ausfindig machen. Der würde allerdings wütend sein, weil ich sein Buch gelesen habe. Verständlich, denn ich wäre es ja auch. Vielleicht gehört es ja der Bibliothek und ist ein Buch mit ausgedachten Figuren. Vielleicht ist es aber auch ein Tagebuch. Wer schreibt heutzutage bitte noch Tagebuch? Das ist dämlich, denn heute hat jeder ein großes Maul und spricht.

,,Woher hast du das?"

Anscheinend haben meine Freunde aufgehört zu streiten und schauen nun das schwarze Buch an. Es hat kein Cover mit dem Titel, also kann es kein gedrucktes Buch sein.

,,Hm?", schaue ich verwirrt zu meinen Freunden hoch. ,,Was?"

Sie mustern mich kurz, bevor jemand die Frage wiederholt. Diesmal verstehe ich sie und schaue kurz wieder zu dem Buch in meiner Hand.

,,Ich habe es gefunden."

Dass ich freiwillig in der Bücherei war um nach einem Buch zu suchen, dabei aber auf dieses komische Ding gestoßen bin, will ich nicht zugeben. Selten betritt jemand unsere Bücherei und das hat sicher auch einen Grund, denn dort herrscht der Tod persönlich. Überall ist Staub und manche Bücher sehen total zerfetzt aus.

,,Les' es doch einfach und bring es dann dem Besitzer zurück", schlägt mir jemand vor. Ich tippe auf meine beste Freundin Clara.

,,Ich hab's gefunden und anscheinend ist das sowas wie 'n Tagebuch", äußere ich meine Vermutung genervt und starre zu der Blondine hoch. Clara ist größer als ich und sieht auch besser aus, weswegen man öfter mit ihr flirtet. Ihre Haare sind lockig und gehen ihr bis zu den Titten. Sie zuckt mit den Schultern und sieht Finja an, die ebenfalls bei uns steht. Finja ist sowas wie das Genie bei uns, während Clara das dumme Blondchen ist.

,,Scheiß drauf", erhalten wir von Finja und ich verdrehe meine Augen. Ich bin nicht wirklich so eine schräge Olle mit Brille, die so fette Bücher liest. Während ich weiter nachdenke, bekomme ich nicht mit, wie Clara kreischend zu ihrem Freund rennt. Dass sie schon wieder einen neuen Kerl an der Angel hat, wundert mich nicht. Allerdings heißt dieser Kerl Tony Miller und der schmeißt immer gute Partys. Er ist beliebt und sieht gut aus, sowie seine Kumpels.

,,Willst du keinen Spruch ablassen?", fragt mich jemand hinter mir und ich erkenne Lisa an ihrer Stimme. Lisa ist so eine schrille Tussi, die total gerne feiert und jeden Scheiß baut. Ich war mit ihr in ein Haus eingebrochen, dass ich mein Zuhause nenne. Ich hatte den Schlüssel vergessen. Gereizt blicke ich auf und erkenne die vier nervigen Kerle mit Clara in der Ecke der Raucher.

,,Hallo, ihr Arschlöcher", lächele ich wunderschön und winke ihnen zu. Tony, dieser Bastard, verdreht seine Augen und flüstert Clara zu, dass ich eine schreckliche Freundin wäre. Zumindest vermute ich das. Gähnend wende ich mich wieder an Lisa, die den Daumen hebt und grinst. Als es klingelt, springe ich auf und kümmere mich darum, dass meine Kopfhörer unter meinen Pullover kommen. Ich lasse sie aus dem Ärmel meines Pullovers heraushängen und nun befinden sie sich an meiner Hand. Clara taucht neben mir auf und gemeinsam laufen wir mit Finja und Lisa ins Gebäude. Das Tagebuch habe ich vorher in meinen Rucksack gesteckt und frage mich immer noch, ob ich es lesen sollte.

Mr. Wood ist ein altes Arschloch, dass uns extra viele Hausaufgaben aufgab. Während Lisa in Biologie nun über ihn lästert, starre ich das Buch vor mir an und klappe es schließlich auf. Bereits als ich die ersten Sätze gelesen habe, fühle ich mich unwohl und neugierig. Ich hätte dieses Ding niemals lesen sollen und klappe es schnell zu. Es stand kein Name, sondern nur einige Sätze, die ich nicht verstehe. Es ist Mittwoch und ich könnte am Wochenende das ganze Buch durchlesen. Ich frage mich langsam, wer dieser Autor ist und wer das hier geschrieben hat. Es ist eine Handschrift, die man eigentlich ganz gut lesen kann und Lisa neben mir wirft plötzlich einen Blick auf mich. Ich schaue zurück und zucke mit den Schultern, bevor ich das Buch wieder aufklappe und mir die Wörter einpräge. Normalerweise würde hier irgendwas über den Autor stehen oder sowas wie Angaben zu der Person, denke ich mal. Der Name der Person, das Alter und so eine kurze Beschreibung von der Person wäre ganz sinnvoll.

,,Was soll der Mist bitte heißen?!", flucht Lisa leise neben mir. Die Lehrerin in diesem Fach bemerkt eh nie, was man tut. Ich hatte mal Papier in ihre Haare geworfen und sie hat es nicht gemerkt. Meine Klasse ist auch nicht gerade die leiseste, aber diese Lehrerin bemerkt es nicht. Ich tippe auf Taubheit oder so etwas. Wenigstens mag ich die Lehrerin, dessen Namen ich nach Jahren immer noch nicht kann, mehr als Mr. Wood, meinen Lateinlehrer. Warum musste ich auch Latein wählen? Französisch wäre aber genauso grausam.

,,Bestimmt ist das so eine sechszehn Jahre alte Tussi, die meint, sie wäre besonders und dann erzählt sie ihre klischeehafte Liebesgeschichte", erzählt Lisa mir ihre Vermutung und lachend winke ich ab. Als ich mich wieder beruhigt und merkwürdige Blicke meiner Mitschüler erhalten habe, schaue ich wieder auf das aufgeschlagene Buch.

,,Ich denke nicht, dass das so ein Scheiß ist", meine ich und stecke das Buch zurück in meine Tasche. Ich will es Zuhause unbedingt lesen und deswegen lasse ich den Tag über mich ergehen. In der Pause sitze ich bei Clara und diesen bösen Jungs. Diese Sätze wiederholen sich in meinem Kopf und ich blicke verträumt in die Ferne. Finja stupst mich an, doch ich lächele ihr zu und bemerke die Blicke auf mir. Ich verziehe mein Gesicht zu einem angeekelten Blick.

,,Ihr seid echt solche Stalker."

Schließlich nehmen sie ihre Gespräche wieder auf und ich unterhalte mich mit ihnen. Manchmal beschimpfe ich jemanden und ein kleiner Streit beginnt zwischen mir und einem dieser beliebten Arschlöcher. Irgendwann nach Schulschluss verabrede ich mich für heute Abend mit Lisa und laufe nach Hause. Meine Mutter arbeitet und ihr Freund ist sicher in seinem Arbeitszimmer. Leise laufe ich die Treppen hoch und verschanze mich in meinem Zimmer. Meine Schuhe lasse ich irgendwo liegen und aus meinem Rucksack krame ich das Buch. Ich setze mich auf mein Bett und pfeife auf Privatsphäre, bevor ich das Buch öffne und die erste Seite lese. Ich würde nicht viel lesen und dann schauen, dass ich den Besitzer dieses dämlichen Tagebuches ausfindig machen kann. Neugierig lese ich die erste Seite des Buches und bemerke, dass das kein gewöhnlicher Müll ist, den die Person dort aufschreibt.

scattered thoughtsWhere stories live. Discover now