Wenn ein Kind die Bestimmung kennt

3 2 0
                                    

Müde, hungrig und glücklich kamen wir abends in Antons Wohnung an. Mit wenigen Zutaten zauberten wir Pfannkuchen und machten es uns anschließend auf dem Sofa bequem.
Vorsichtig fischte ich ein Stück Schokolade aus der Packung, die Anton auf den Sofatisch gestellt hatte. Es gab einfach so viel fantastisches Essen in dieser Welt!
Erschöpft lehnte ich mich an Antons Schulter. Er lachte leise.
“Hmmm?“, murmelte ich.
Er schmunzelte. “Eigentlich wollte ich vorschlagen, noch was zu Spielen, das Siedler-Kartenspiel oder so. Aber ich glaube, das verschieben wir wohl.“
In nickte schläfrig, obwohl ich sehr neugierig war, was dieses Kartenspiel war.
“Morgen. Wenn du von der Arbeit kommst.“
“Ich dachte, du kommst zur Arbeit mit?“ Antons Stimme klang enttäuscht.
“Störe ich denn nicht?“
Sanft legte er den Arm um meine Schulter. Seine Wange berührte meinen Kopf. “Uns bleibt nur noch eine Woche gemeinsam. Diese Zeit will ich nicht getrennt von dir in der Arbeit verbringen.“
Ein trauriges Lächeln huschte über meine Lippen. Wann war ich ihm so wichtig geworden?
“Ich komme zurück, Anton. Ich werde meine Aufgabe erfüllen und dann komme ich wieder her.“ Hoffentlich.
Anton nickte. Doch er drückte mich dabei fester an sich und seine ganze Körpersprache sagte: hoffentlich.

Am nächsten Morgen machten wir uns früh auf den Weg zur Arbeit. Antons Kollegen begrüßten mich mit einem Handschlag und Umarmungen, ganz so, als würde ich schon zur Truppe gehören. Ich versuchte, mir ihre Namen zu merken. Da war Anne mit den kurzen, blonden Haaren. Alex, mit der tiefen Stimme. Yara mit den langen Wimpern. An ihrer Hand hielt sie ein Mädchen, das mich neugierig angrinste. 
Ich lächelte zurück.
"Stell dich Nadine mal vor", forderte Yara die Kleine auf.
"Ich heiße Lina", murmelte das Mädchen schüchtern.
"Das ist meine Tochter", erklärte die Kollegin.
Ich hatte keine Ahnung, wie man mit Menschenkindern umging.
"Warst du schon öfter hier?", fragte ich Lina. 
Sie nickt. 
"Magst du mir alles zeigen, während die anderen arbeiten?" 
Sie nickte wieder und lächelte zögerlich. Oh, das war ja gar nicht so schwer gewesen. Ich sah zu Anton und er grinste mich schief an.
“Und schon bin ich meine Begleitung los“, bemerkte er zerknirscht, aber ich sah ihm an, dass er es nicht übel nahm.
Gemeinsam gingen Lina und ich durch die ganze Anlage, schlichen uns auf die Musicalbühne, entdeckten die Tanz- und Musikstudios, testeten die Probebühne aus. Wir machten einen Wettkampf, wer mehr Rädchen hintereinander schaffte (wobei Lina mir erst zeigen musste, was das überhaupt ist) und lachen, weil uns danach schwindlig war. 
Zum Essen gingen wir in die Cafeteria und danach gönnten wir uns auch noch ein Eis. Anton hatte mir Geld dafür gegeben und versprochen, in seiner Pause zu uns zu kommen. Aber noch war er nicht zu sehen.
Wir saßen gemütlich in der Sonne.
Ich spürte, wie Lina ihren ganzen Mut zusammen nahm. "Darf ich dir ein Geheimnis verraten?", flüsterte sie mir ins Ohr.
"Na klar."
Verschwörerisch beugte sich Lina noch näher zu mir. Sie atmete ganz tief ein, dann: "Ich war mal ein Junge."
Ich sah sie an.
"Als ich geboren wurde, war ich eigentlich ein Junge. Ich hieß Lennard. Aber ich bin ein Mädchen. Ich fühle es! Aber ich hab immer noch einen...", sie stockte kurz, "...einen, einen Pimmel."
Sie sah zur Seite. Unsicher. Ängstlich. Und zugleich absolut überzeugt und sicher.
Ich lächelte und nahm sie in den Arm. Ich verstand nicht so ganz, was schlimm daran sein sollte, aber ich merkte, dass es sie beschäftigte.
"Du bist Lina. Und du entscheidest selbst, wer du sein willst", sagte ich sanft.
Und ich entscheide, wer ich bin, dachte ich. Ich schluckte. Denn das bedeutete, dass ich zurück gehen und Anton verlassen musst, um meine Welt zu retten. Es gab einfach keinen anderen Weg.

You've reached the end of published parts.

⏰ Last updated: Sep 17, 2019 ⏰

Add this story to your Library to get notified about new parts!

banishedWhere stories live. Discover now