Wenn das Essen den Hunger kennt

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Ich verbrachte den Mittag mit Lesen. Ich versank in eine Welt voll Intrigen, verfolgte mit Schrecken, wie die Waffen immer tötlicher wurden, die Kriege immer blutrünstiger und die Schuldigen von immer grausamerer Kaltherzigkeit waren. Mir stockte das Herz, als ich von der Entdeckung und Erfindung der Atombombe las und ich konnte nicht verstehen, dass die Machthabenden keine Schuldgefühle zu haben schienen.
Und doch, es kam mir alles so bekannt vor, so vertraut. Und zu der ständigen, verdeckten Angst mischte sich das sanfte, drückende Gefühl von unerkannter Schuld.
Das Klicken der Haustür riss mich aus meiner Trance. Wie lang hatte ich die Wand angestarrt?
"Hallihallo", rief Anton fröhlich. "Ich war einkaufen. Kannst du mir mal helfen?"
Schnell sprang ich auf und lief Richtung Haustür. In der kleinen Garderobe stand Anton mit zwei Stofftaschen in den Händen und streifte gerade unbeholfen seine Schuhe von den Füßen.
"Halt mal", er steckte mir die Taschen entgegen. Hastig griff ich danach und Anton setzte seinen Rucksack ab und schlüpfe aus seiner Jacke. "Du kannst das in die Küche bringen", erteilte er mir Anweisungen und hängte seine Jacke an einen Haken an der Wand. Ich nickte und schleppte die Taschen in die Küche. Anton folgte mir kurz darauf mit seinem Rucksack in der Hand.
"Ich dachte mir, wir Kochen heute mal." Er grinste.
Verunsichert sah ich ihn an. Anton brach in schallendes Lachen aus. "Keine Sorge, das tut nicht weh."
Nacheinander holte er verschiedenes ... Zeug ... aus den Taschen und breitete es auf dem Tisch aus. Dann zog er eine Schublade auf und nahm ein Messer heraus. Augenblicklich versteiften sich meine Muskeln angesichts der kleinen Waffe in seinen Händen, aber Anton reichte mir das Messer gemeinsam mit einem Holzbrett. Dann nahm er sich ebenfalls Messer und Brettchen und setzte sich an den Tisch. Mit einer Handbewegung forderte er mich auf, mich ihm gegenüber zusetzen.
Zitternd atmete ich aus und ließ mich auf den Stuhl gleiten. Einen kurzen, lächerlichen Moment hatte ich geglaubt, er wolle einen Kampf. Einen Kampf mit Minimesser und Holzbrett. Im nachhinein betrachtet erschien mir das sehr dumm von mir.
"Hier", Anton legte mir einen roten Bollen auf das Brettchen und schnappte sich einen eigenen. "Schneide die Paprika einfach so wie ich."
Aufmerksam beobachtete ich seine Bewegung und teilte wie er sie Paprika in der Mitte, bevor ich den Stängel und die Kerne rausschnitzte. Ich schnitt die Paprika in kleine Stückchen, dann ging es weiter mit Tomaten waschen, Pilze putzen und Mais aus einer Dose kratzen. Anton machte Wasser auf dem Herd heiß und steckte lange, harte Nudeln rein, die den klangvollen Namen Spagetti hatten. Das Gemüse warf er zusammen mit roter Pampe, die angeblich auch aus Tomaten bestehen sollte, in einen Topf. Kurze Zeit später erfüllte leckerer Duft die Küche und breitete sich im ganzen Haus aus. Mir lief das Wasser im Mund zusammen und ich merkte plötzlich, wie hungrig ich eigentlich war.
Anton hatte wohl auch hunger, denn er schöpfte uns beiden riesige Portionen auf unsere Teller.
Beim Essen musterte er mich eingehender. “Wir bestellen dir heut ein paar Klamotten.“
Verwirrt sah ich ihn an. Kurz sah ich an mir herunter, dann schaute ich ihn wieder an. “Wieso? Deine Sachen sind doch sehr bequem.“ Das waren sie wirklich. Seine Jogginghose war angenehm locker und ich fühle mich darin sehr beweglich und das T-Shirt schlabberte sanft um mich herum.
Anton räusperte sich. “Hmm, ja, aber du kannst ja nicht ewig in meinen Sachen rumlaufen.“
“Willst du nicht, dass ich sie trage?“
Er lachte leise. “Mir persönlich ist das egal, aber es wirkt einfach seltsam für andere. Es ist nicht normal, verstehst du? Du würdest sofort auffallen. Und zumindest solche Sachen wie ... Unterwäsche solltest du auch einfach selbst besitzen.“ Seine Wangen röteten sich leicht.
Ich lenkte ein. “Also gut, bestellen wir Klamotten.“ Wo auch immer man die herbekam.

banishedWhere stories live. Discover now