Wenn die Musik den Weg kennt

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Die Welt um mich war seltsam leer, während ich mich selbst in mir so voll fühlte.
Ich war im Wald und es war dunkel. Ich fror, war müde und hatte ein bisschen Hunger. Der Baumstamm, auf dem ich saß, fühlte sich feucht und kalt an. Ich stand also auf, um nach einem besseren Ort zu suchen.
Ich blickte zu den Sternen über mir, doch sie sagten mir nichts. Ich konnte mich nicht erinnern, ob ich sie je gekannt hatte, nun kamen sie mir zumindest fremd vor.
Weil ich nicht wusste, in welche Richtung ich gehen sollte, ging ich einfach gerade aus. Nur nicht stehen bleiben, nur nicht umdrehen. Nur nicht nachdenken.
Die Sonne ging auf, Sonnenstrahlen brachen sich in den Tautropfen auf den Blättern. Die Farben, die eben noch schwarz-weiß gewesen waren, leuchteten plötzlich umso intensiver. Es war schön und doch nur ein Abklatsch der Wildheit, die in einem Wald liegen sollte. Alles sah zahm und freundlich aus.
Zu Hunger gesellte sich Durst. Ich sammelte ein paar Tautropfen von den Blättern und ließ sie in meinen Mund rinnen, aber sie reichten nicht aus.
Die Sonne stieg immer höher und parallel dazu wurde es wärmer, heißer. Zu Erschöpfung, Hunger und Durst kamen Kopfschmerzen, nur frieren musste ich nicht mehr. Ich hätte mich jetzt gern unter irgend einem Busch verkrochen und wäre einfach liegen geblieben, doch ich wollte nicht stehen bleiben.
Ich durfte nicht stehen bleiben.
Angst.
Angst, die mich voran trieb.
Angst vor dem was hinter mir lag.
Immer weitergehen, nicht stehen bleiben, nicht umdrehen.
Die Sonne rutschte wieder von ihrem Himmelsthron, näherte sich immer näher dem Boden. Sie schien mir direkt ins Gesicht, als ich eine Stimme hörte.
Die Stimme war wunderschön. Und sie sang!
Ich kannte die Sprache nicht, dennoch verstand ich jedes Wort.

"Ist das, was war, hier nun vor mir?
Ist das hier meine Geschichte?
Werd' ich sie nun erfahren?
Und wer ihn wirklich bin?

Ist das denn hier was ich suche?
Schon ein Leben lang warte ich drauf
Von der Vergangenheit
Will ich mehr als zuvor

Oh ich will jetzt wissen, wer ich bin
..."

Die sanfte Stimme und der Text rissen mich mit sich. So schnell ich es noch schaffte, bewegte ich mich auf die Stimme zu und plötzlich, endlich, stand ich auf einem Weg. Wie ein grauer Fluss aus Schotter zog er sich durch den Wald, teilte die Bäume in links und rechts.
Jetzt, wo ich mein Ziel fast erreicht hatte, verließ mich die Kraft. Vor mir sah ich eine Gestalt, wollte auf sie zu gehen, doch meine Beine versagten den Dienst. Ich taumelte, dann knicken meine Knie ein und im nächsten Moment hockte ich auf dem Boden.
Die Gestalt, die sich als junger Mann entpuppte, kam auf mich zu gerannt. Der Gesang hatte abgebrochen, das hatte ich nicht gewollt.
Er sah fast wie ein Engel aus, mit blonden Haaren und wehendem Mantel, nur die Flügel fehlten.
"Hallo, können Sie mich hören? Was ist den los?" Ich kannte seine Stimme. Er hatte vorhin gesungen. Er hatte mich zum Weg gebracht, auch wenn er das vielleicht nicht beabsichtigt hatte. Aber der Weg wohin?
"Nichts", presste ich hervor.
Keine Aufmerksamkeit erregen, schrie mein Kopf, aber dazu war es jetzt wohl zu spät.
"Nichts sieht aber anders aus." Vorsichtig machte er noch einen Schritt auf mich zu und kniete sich vor mich, um mir in die Augen sehen zu können.
Blau.
Instinktiv wich ich zurück.
"Hey, ich beiße nicht." Jetzt lachte er ein wenig, aber er klang trotzdem besorgt. "Wo wohnen Sie denn? Wie heißen Sie denn überhaupt?"
Mehr als ein Flüstern brachte ich nicht heraus. "Ich weiß es nicht."
"Was ist denn passiert?"
"Es geht mir gut. Ich bin nur so erschöpft."
"Ja, aber ich kann Sie doch nicht einfach hier lassen. Irgendwo müssen Sie doch hin."
"Bitte. Niemandem verraten." Ich wich noch ein bisschen zurück. Meine Augen fielen beinahe zu, dagegen konnte auch die Angst nichts mehr ausrichten.
"Okay", entschied er. "Sie kommen erst mal mit zu mir, in Ordnung? Und dann sehen wir weiter."
Ich nickte erschöpft, etwas anderes blieb mir sowieso nicht übrig. Ich versuchte mich aufzurichten, aber ich kam nicht hoch. Ohne zu zögern packte er mich an der Hüfte und stellte mich auf meine Füße, doch kaum ließ er mich los, schwankte ich wie ein dünnes Bäumchen im Wind.
"So wird das nichts" seufzte er.
Der Boden unter meinen Füßen verschwand, kurz meinte ich, wieder zu fallen, doch er hatte mich hochgehoben. Rythmisches Auf und Ab verriet mir, dass er losgelaufen war.
Ich legte meine Arme um seinen Hals und lehnte meinen Kopf gegen seine Brust. "So müde", konnte ich noch murmeln, dann fielen meine Augen zu.

banishedWhere stories live. Discover now