29 - Die Welt ist aus den Fugen geraten

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„Hattest du einen schönen Abend?"

Das war nicht die Begrüßung, mit der ich gerechnet hatte. Waren Aliens auf der Erde gelandet und hatten meine Mutter ausgetauscht? Hatte Shivan ihr Gehirn gewaschen?

„Ja, war ziemlich cool", erwiderte ich und ließ mich auf der Treppe nieder, um meine Schuhe aufzuschnüren.

„Schön", sagte sie und ließ mich dann allein.

Vielleicht wartete sie nur auf den richtigen Moment, um mir einen Einlauf zu verpassen? Aber warum sollte sie das tun? Sie hatte sich noch nie zurückgehalten wenn es darum ging, mir zu sagen, was ich falsch gemacht hatte und sich passende Strafen zu überlegen.

Die Welt war eindeutig aus den Fugen geraten.

Oben in meinem Zimmer fühlte ich mich mit einem Mal ziemlich einsam. Nicht nur allein, das war es nicht. Ja, der Abend mit Shivan war verdammt schön gewesen. Der Morgen auch. Keine Ahnung, was das jetzt für uns bedeutete, aber ... Er war nicht hier und ich hatte auch niemandem, mit dem ich darüber reden konnte.

Wären Syl und ich an diesem verhängnisvollen Tag nicht schießen gegangen, wie würde die Welt dann aussehen? Wäre ich trotzdem mit Shivan zu Thorben gegangen, hätte trotzdem bei ihm übernachtet und ihn geküsst? Würde ich jetzt vor meiner Konsole sitzen und Syl davon erzählen, während wir über irgendeine COD Map rannten und gegeneinander kämpften?

Ich wusste es nicht und alle ‚was wäre wenns' brachten nichts.

Ich hatte Shivan geküsst und Syl die Nase voll von mir.

Auf meinem Bett sitzend holte ich mein Handy aus der Hosentasche, entsperrte es und öffnete den Chat mit meinem besten Freund. Er hatte mir sehr deutlich gesagt, dass ich ihn in Ruhe lassen sollte. Ihn nicht mehr ansprechen, ihm nicht mehr auf die Nerven gehen. Er brauchte mich nicht in seinem Leben, hatte er gesagt, war ohne mich besser dran.

Vielleicht stimmte das für ihn.

Aber nicht für mich.

Seufzend sperrte ich das Handy wieder und legte es neben mir ab, als ich mich seitlich auf die Matratze sinken ließ.

Syl war nicht nur mein bester Freund, er war auch mein einziger. Wie würde mein Leben ohne ihn aussehen? Ich wollte es mir nicht vorstellen, aber genauso war mir klar, dass es bald bittere Realität sein würde.

Am Abend zockte ich mit Mo.

„Was ist eigentlich mit Syl? Er war schon ewig nicht mehr on hab ich das Gefühl", fragte sie mitten in einer Runde, die schon nach der Hälfte der Zeit für die Terroristen entschieden schien.

„Ach, der hat gerade ein paar Probleme", murmelte ich.

„Was denn?"

Ich würde wirklich gerne mit Mo darüber reden, aber wäre das richtig? Wäre es in Ordnung, wenn ich ihr erzählte, was bei Syl los war oder wäre das auch wieder falsch?

Andererseits hasste Syl mich eh schon, also was sollte es. Mehr kaputtmachen konnte ich wahrscheinlich gar nicht, denn verloren hatte ich ihn längst.

„Weiß auch nicht genau", murmelte ich trotzdem.

„Na gut."

Wir schwiegen einen Großteil der Zeit, in der wir miteinander spielten. Sprachen höchstens über in game content. Mit Syl war das nie so gewesen, da hatten wir drei immer geredet ohne Ende. Wahrscheinlich war er der Kitt, der unsere Freundschaft zusammenhielt. Jetzt, wo er nicht mehr da war, konnte ich auch die Freundschaft mit Mo vergessen.


Shivan kam nicht mehr online, aber der war ja auch mit LARPen beschäftigt. Stunden zogen ins Land, ich verabschiedete mich irgendwann von Mo und stellte ein, dass man meinen Onlinestatus nicht sehen konnte. Dann spielte ich alleine, hing nur meinen Gedanken nach.

Im Internet gibt es keine FrauenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt