Kapitel 1

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Kristina Carter

Kapitel 1

Das Leben ist grausam. Ich will mich nicht beschweren – ganz bestimmt nicht. Ich will nur meinen eigenen Eindruck dieser Hölle wiedergeben und ich komme immer wieder – egal wie sehr ich versuche, mich eines Besseren zu belehren – zu dem Entschluss, dass das Leben grausam ist. Ich sage nicht, dass mein Leben grausam ist, ich will nur verdeutlichen, dass dieses gesamte Konstrukt, dass wir tagtäglich am eigenen Leib miterleben müssen tatsächlich einfach nur anstrengend und schier ermüdend ist.

Ich mag mein Leben – Gott, nein, ich liebe mein Leben. Ich könnte es mir nicht besser wünschen und ich glaube besser ginge es auch nicht wirklich. Es ist bloß, dass ich manchmal hoffe, dass da mehr  wäre. Und bitte zwingt mich nicht dieses berühmt-berüchtigte mehr, nach dem wir alle zu suchen scheinen, zu definieren, denn dazu bin ich keineswegs fähig. Ich vertrete bloß die Ansicht, dass das, was ich als perfekt empfinde, wirklich alles für mich ist und ewig alles für mich sein wird. Ich mag zufrieden sein, aber Zufriedenheit ist keine Garantie für Erfüllung der totalitären Art.

Ich bin ein Freigeist, ein Grenzenlosdenker gefangen in ihren eigenen Grenzen. Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen, bin ich mein eigener Boss – und ich liebe es mein eigener Boss zu sein, trotzdem fehlt mir der Kick; es fehlt der kleine Rest, der mich gänzlich erfüllen würde – wenn er auch nicht mehr Zufriedenheit versprechen würde, so ist die Aussicht auf mehr Erfüllung ausreichend.

Durch meine Arbeit in der Modebranche, habe ich mein kleines eigenes Reich und schneidere für mich und die Welt. Ich lebe in einem Studioappartement inmitten der Londoner Innenstadt, wo das Leben pulsiert, die Leute nie schlafen und alles stets in Bewegung ist. Leider ist das, was ich als mein Reich bezeichne nicht gänzlich meins – die Hälfte gehört meiner Schwester. Damit konnte ich leben.

DieBetonung lag auf konnte.

Der Teufel, der meine Schwester war – Nikki – hatte mich immer in Ruhe gelassen; ich machte mein Ding und sie machte ihr Ding, so liefen die Dinge immer. Ich studierte und war vier Jahre lang nur zum schlafen zuhause und um morgens mit ihr Pizza vom Vorabend zu Frühstücken und sie machte ihr Ding damit, fremde Menschen zu schminken. Wir waren beste Freunde und wir waren glücklich.

Das endete – wie alles Gute – vor einem Jahr, auch wenn es da noch keine Probleme mit unserer simultanen Arbeit von zuhause gab. Doch jetzt, acht Monate und fünf Tage später, sitze ich hier und frage mich, womit ich diese weitere Grausamkeit des Lebens verdient habe.

Ich fühle mich vom Leben an der Nase herumgeführt. Ich suche nach Erfüllung und will meine Zufriedenheit beibehalten, doch seit acht Monaten ist das nicht mehr so einfach, wie einst einmal. Jetzt sitze ich an einem Mittwochabend hier auf einem unserer Barstühle in dem Teil unseres Appartements, der als Küche gilt, und esse Tiefkühlpizza, während ich mir eine schlechte Komödie im Free-TV angucke und die Lautstärke stetig höher drehe und mich zeitgleich frage, warum das Leben auf einmal so grausam zu mir ist.

Ich schaffte es oft aus kniffligen Situationen heraus, doch wenn meine Schwester und ihr Freund eine Pappwand weiter von meinem Bett ihren nächtlichen Aktivitäten nachgehen müssen – ohne Rücksicht auf Verluste – dann war selbst ich verloren und nichts anderes als aufgeschmissen.

Meine Augen fanden ihren Weg zurück in meine Augenhöhlen und ich biss in ein Stück meiner mittlerweile ausgekühlten Pizza als sich mein genetischer beinahe-Zwilling dazu entschied, den Namen ihres Göttergattens so laut auszuschreien, dass ich das Gefühl bekam, der Kronleuchter der Mieter über uns würde gleich durch die Decke krachen.

Love Rebel 2.0 (Harry Styles/One Direction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt