Kapitel 6

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~ Elyanor ~ 

Die Begegnung von gestern Nacht hing mir immer noch nach. Ich ging auf mein Arbeitszimmer, nachdem ich mein Frühstück zu mir genommen hatte und wartete auf Frederick. Insgeheim fragte ich mich die ganze Zeit, was Dashiell gestern in der Bibliothek getan hatte.

Aber dazu müsste ich ihn wahrscheinlich selbst fragen. Wenn ich mit Amelia darüber reden würde, dann würde sie mich wahrscheinlich nur wieder aufziehen.

Ich hob den Kopf als es anklopfte und kurz darauf mein Assistent das Arbeitszimmer betrat. „Guten Morgen."

„Guten Morgen, Eure Hoheit. Wir haben heute einen straffen Zeitplan." Er legte die Mappe vor und suchte zuerst das Protokoll der gestrigen Sitzung heraus, bei der ich nicht anwesend war.

„Gestern gab es offensichtlich eine sehr einseitige, aber nicht weniger hitzige Debatte im Parlament. Es sieht schlecht aus für das Frauenwahlrecht. Tut mir leid."

Ich überflog das Protokoll und seufzte niedergeschlagen, als ich die letzte Seite abzeichnete. „Ich gebe die Hoffnung trotzdem nicht auf."

Frederick nahm mir das Protokoll ab, ehe er mir die Liste der heutigen Tagesordnungspunkte reichte. Der gesamte Tag war nur für dieses Thema verplant, fast das gesamte Parlament wollte etwas dazu sagen und hatte Redezeit beantragt.

„Das wird tatsächlich ein sehr langer Tag."

„Ich habe Ihnen auch Ihre Notizen zu der Rede beigelegt", sagte er und deutete auf die Mappe.

„Danke. Ich denke wir können dann los."

„Natürlich." Frederick nahm mir die Mappe ab und öffnete die Tür für mich, sodass ich in den Flur hinaustreten konnte.

„Irgendwelche besonderen Vorkommnisse in der Nacht?", fragte ich beiläufig.

Amelia löste sich direkt neben der Tür aus ihren Schatten und ging neben mir her. „Nope, nichts Neues."

Frederick erschrak fast zu Tode. Er hatte wohl gedacht, ich würde mit ihm sprechen. Armer Kerl. Er ließ sich aber auch so gut hereinlegen.

Sie drehte sich zu mir um und ging dann rückwärts vor mir her. „Sollte denn etwas geschehen sein?", fragte sie neugierig.

Ich setzte eine unschuldige Mine auf. „Nein, natürlich nicht. Was sollte denn geschehen sein?"

Sie musterte mein Gesicht noch eine Sekunde, schien mir dann aber zu glauben und drehte sich wieder um, sodass sie neben mir herlief. „Ich behalte wie immer alles im Auge, solange du weg bist."

„Danke. Das weiß ich zu schätzen." Sie verschwand wieder in ihren Schatten, als ich abbog, um die Treppe hinunterzugehen. Dann ließ ich

„Eure Hoheit, ich muss Sie bitten, dieses ... Verhalten zu unterbinden. Man kann sich ja nirgendwo im Schloss mehr sicher fühlen, wenn man ständig Angst haben muss, dass neben einem plötzlich dieses ... Wesen auftaucht."

Ich ließ mir von Rose meinen Mantel anlegen und drehe mich dann zu ihm um. 

„Sie geht ihrer Aufgabe nach, wie wir alle. Sie machen sie noch arbeitslos. Außerdem tut sie das nur, wenn wir das Arbeitszimmer verlassen. Daran müssten Sie sich mittlerweile doch schon gewöhnt haben."

Ich stieg hinter Frederick in die Kutsche ein, die kurz darauf mit einem Ruckeln losfuhr.

„Mit Verlaub. Daran kann man sich nicht gewöhnen."

„Ich werde Amelia darauf ansprechen, in Ordnung?", schlug ich vor und ließ mir die Mappe mit den Unterlagen geben.

„Vielen Dank, meine Königin."

Selection - ElyanorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt