Kapitel 13

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18:18 Uhr.

Die Sonne brauchte ihre letzte Energie auf, um einige letzte Sekunden zu glühen. Sie war den ganzen Tag hinter einer dicken Schicht an Wolken verborgen gewesen und nun war sie kurz davor bis zum nächsten Morgen hinter dem Horizont abzutauchen. Die flachen Sonnenstrahlen blitzten zwischen den Tannenstämmen hervor und tauchten das Gras unter meinen bloßen Füßen in rot-violettes Licht.

Vormittags hatte es geregnet, aber der Boden war längst getrocknet, da die Luft in der Gemeinschaft vor Energie surrte. Außerhalb unserer magischen Schneekugel mochte es stürmen und regnen, aber unser Boden war fest und trocken. Ein weiterer perfekter Tag in einer Welt, die sich kaum veränderte.

„Epherys? Wartet dein Freund im Wald auf uns?"

Gosas fragenden Blick aus großen, haselnussbraunen Augen konnte ich nur mit einem gezwungenen Lächeln erwidern. Dass Arden in diesem Moment noch ellbogentief in Aufzeichnungen aus der Reliktsammlung vergraben sein könnte, durften die Solskins nicht wissen. Noch nicht. Ich hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die beiden Verbündete werden könnten.

Ich krempelte die Ärmel meines weißen Kleides fahrig hoch. Cassia war so freundlich gewesen, mir für diesen besonderen Anlass eines ihrer Gewänder zu borgen, aber sie war gut einen Kopf größer als ich.

Mal sehen, wer heute Nacht länger leben wird – meine Geduld oder die Nähte ihres Kleids.

„Er kommt nach. Es ist gestern spät geworden."

Gosa schenkte mir einen wissenden Blick in dem Glauben, dass sie meine Anspielung verstanden hatte. Dass sie meilenweit von der Wahrheit entfernt war, behielt ich lieber für mich.

*** Vor zwei Tagen ***

Die Kaffeemaschine arbeitete hart, während Arden über einem Haufen Papier gebeugt dasaß. Auf seine Bitte hin hatte ich ihm eine Übersicht der Verhältnisse im Kreis gemalt. Zumindest der im inneren, weil ich nach einigen verworrenen Netzwerken zu den entfernten Verwandten im äußeren aufgegeben hatte. Streng genommen war inzwischen ein Achtel der Gemeinschaft Teil des äußeren Kreises. Jeder, der ein direktes Blutband zu einem der Gründer nachweisen konnte, erhielt sein Mal – und damit eine Stimme bei Fragen, über welche der Innere Kreis abstimmen ließ.

Die wachsende Größe des Äußeren Kreises war jedoch Anlass dazu geworden, ihn immer seltener zu Rate zu ziehen. Für gewöhnlich richtete man sich nach der Mehrheit des Inneren Kreises und ließ es gut sein, um mehrwöchige Diskussionen und Unstimmigkeiten innerhalb der Verwandtschaft zu vermeiden.

„Der Kreis feiert also keine Sonnenfeste, aber dafür trefft ihr euch bei Vollmond zu einer Wache?", fragte Arden über das Röhren der Kaffeemühle hinweg.

„Nicht nur der Kreis, die gesamte Gemeinschaft – aber Kreis ist mehr oder weniger verpflichtet dort aufzukreuzen. Wenn man als einer von uns vor Mitternacht geht, muss man sich am nächsten Tag einem regelrechten Verhör durch die anderen unterziehen."

„Klingt vertraut."

Ich hob eine Augenbraue an, damit Arden seine Antwort näher erklären würde.

„Auf dem Plateau, wo ich aufgewachsen bin, gab es nach jedem Sturm oder Gewitter eine große Zusammenkunft. Wer nicht gekommen ist, wurde für tot oder abtrünnig erklärt."

Arden sprach nicht oft von seiner Kindheit, aber über die letzten zwei Jahre hatte ich begonnen, die Gründe dafür zu verstehen. Auch wenn er keinen Groll gegenüber seinen Älteren hegte, waren die Regeln für junge Sturmalben strikt. Ohne die drei Prüfungen durften sie nicht einmal den Berg verlassen, auf dem ihre Ausbildung stattfand; dadurch ließ sich sein gutes Pokerface erklären. Die Tugend der Beherrschung war die erste Prüfung und verlangte ein hohes Maß an Selbstkontrolle von den Wesen, die im schlimmsten Fall die Stromversorgung einer Stadt lahmlegen oder einen Unschuldigen mit dem Blitz treffen könnten.

Die Gemeinschaft der Nachtalben - Band IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt