Kapitel 10

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Ich spürte, wie sich kalter Angstschweiß auf meiner Oberlippe sammelte. Was konnte Avna gefunden haben? Eine Nachricht von Zephael an eine dieser Außenstellen, in denen er Morde in Auftrag gab? Einen schwarz-auf-weiß festgehaltenen Vertragsbruch? Ein Protokoll der letzten Straftaten?

Auch Yven lief gebückt, als wollte er sich möglichst kleinmachen, zu Avna und dem leuchtenden Bildschirm. Er musste sich Vorwürfe machen, weil er uns Zugang zu dem einen Ort gewährt hatte, an dem sie in kürzester Zeit einen Fund gemacht hatte.

„Kommt näher, ihr seht sonst gar nichts."

Zögerlich trat ich an Avnas Seite und stützte mich mit den Unterarmen auf ihrer Lehne ab.

„Zeig schon, was hast du gefunden?"

Als ich die hörbare Anspannung in meiner Stimme mitbekam, riss ich mich wieder zusammen. Nur weil sie etwas gefunden hatte, musste das nicht heißen, dass wir bereits verloren waren. Immerhin war es Avna, die hier saß, und nicht Zcerjiana. Vielleicht konnten wir mit ihr verhandeln.

Langsam senkte ich die Augen auf den leuchtenden Bildschirm vor uns, um das Ausmaß der Katastrophe zu begutachten. Eine zwielichtige Nachricht konnte ich ihr womöglich schönreden, aber wenn es konkrete ...

„Was zur Hölle ist das?"

Die Frage war mir entkommen, kaum dass ich den ersten Satz gelesen hatte.

„Das möchte ich von euch wissen", gab Avna zurück und nun bemerkte ich auch die Lachtränen, die in ihren Augen standen. Ihre Wangen waren mit roten Flecken übersäht, so verzweifelt hielt sie das Lachen zurück. „Wer aus dem Kreis nutzt diesen geschützten Computer im hintersten Eck eines Kellers, um sich mit einer ... Mismi ... über Rezepte für Halloween-Kekse auszutauschen?"

Ich beugte mich über ihre Schulter näher an den Bildschirm, um den Gruß am Ende der Mail lesen zu können. Jolana. Natürlich.

„Ich schätze, der PC steht allen Kreismitgliedern zur freien Verfügung", murmelte ich. Mit der Anspannung hatte auch jede Energie meinen Körper verlassen und meine Knie fühlten sich wie Wackelpudding an.

Hinter mir hörte ich einen dumpfen Aufprall. Yven hatte sich gegen die getäfelte Wand fallen lassen.

„Echt süß", sagte Avna. Sie war sich offenbar nicht im Geringsten der Panik bewusst, die sie bei uns ausgelöst hatte. Seelenruhig klickte sie sich weiter durch endlose Mails voll langweiliger Gespräche über Geschäftliches.

Als ich mir sicher war, dass Avna uns keinen bahnbrechenden Fund unterschlagen hatte, wanderte ich zurück zu Yven. Er empfing mich mit einem zarten Kopfschütteln.

„Das war ..."

„Ich weiß. So ist sie." Ich schlüpfte aus der Strickjacke, die mir aufgrund von Avnas üblem Scherz zu warm geworden war. „Was ich dich seit eben fragen möchte, ist aber genauso heikel."

Yvens helle Augen lagen ruhig auf mir, doch ich konnte die Anspannung in seine Schultern zurückkehren sehen.

„Ich muss dich das fragen, weil ich sonst niemanden habe. Du bist in Dinge eingeweiht, von denen ich noch nicht einmal gehört habe. Ich meine, Außenstellen? Wirklich?"

„Du weißt fast alles. Zephael wollte nur die Berechtigung dazu haben, dir den Rest nach und nach zu erklären", sagte Yven. Sein Tonfall ließ nicht durchscheinen, ob er die Begründung meines Großvaters geglaubt hatte – oder ob er wie ich dachte, dass sie ein Vorwand zur Kontrolle war.

„Jetzt ist es an der Zeit mich aufzuklären", flüsterte ich eindringlich. „Vor allem muss ich wissen, ob die Grimlores irgendetwas Großes geplant haben."

Die Gemeinschaft der Nachtalben - Band IIWhere stories live. Discover now