Kapitel 3

1K 85 5
                                    

„Großartig, die Antagonisten meiner Geschichte", murmelte ich und fing noch im selben Moment den tadelnden Blick meines Großvaters auf. Seine Augen waren beinahe so scharf wie sein raspelkurz geschnittenes Haar.

„Hüte besser deine Zunge vor ihnen, Epherys. Du hast ihrer Familie geschadet und das werden sie dir niemals vergessen. Dir sollte viel daran liegen, es wieder gutzumachen."

Und mit diesen Worten stolzierte er in Richtung der Grimlores los, die sich gerade etwas zu trinken besorgten. Ich folgte ihm widerwillig an den langen Tisch mit Champagner auf Silbertabletts, wo die Matriarchin der Familie in weinrotem Samt auf uns wartete.

Caellis Blick wurde eiskalt, als er auf mir zu liegen kam, aber sie verschwendete ihre Energie damit. Meine ganze Aufmerksamkeit wurde nämlich von dem jungen Mann neben ihr vereinnahmt.

Überrascht starrte ich in ein Paar freundlich blinzelnde, haselnussbraune Augen. „Ian?"

Verlegen zupfte der Werwolf an seinem dunkelblauen Revers herum, obwohl es bereits perfekt saß. Ein Maßanzug. Der wurde nicht über Nacht gefertigt.

Wie lange war Ian bereits in der Gemeinschaft?

„Ich wusste, wir würden uns früher oder später treffen, Erys. Lange nicht gesehen."

„Lange nicht ... was zum Teufel tust du in –", setzte ich an, doch das Räuspern meines Großvaters ließ mich augenblicklich verstummen.

Ich wusste, ich sollte mich von meiner besten Seite zeigen, um die Grimlores gnädig zu stimmen. Statt Ian hier und jetzt darüber auszuquetschen, was er in der Gemeinschaft suchte, verschob ich meine Fragen deshalb auf später.

„Ich meine, es ist schön dich zu sehen. Wie geht's dir?"

„Ganz gut", erwiderte Ian vage.

Für einen kurzen Moment ließ ich den Gedanken zu, dass Caellis ihn gegen seinen Willen festhalten könnte. Doch welchen Grund sollte sie dafür haben? Ian war trotz seiner Abstammung mütterlicherseits weder ein Sukkubus noch ein Inkubus. Streng genommen gehörte er überhaupt nicht zu den Nachtalben und war somit entbehrlich für den Kreis.

Das erklärte natürlich nicht, weshalb er freiwillig hier sein sollte.

„Gratulation zu deiner Aufnahme, Epherys", sagte Caellis, als Stille zwischen ihrem Sohn und mir eintrat. „Deine Familie ist mit Sicherheit erleichtert, dich endlich im Kreis zu wissen."

Mir entging der spitze Unterton nicht, mit dem sie die Worte erleichtert und endlich betonte, aber er brachte mich nicht aus der Ruhe.

„Danke, Caellis. Ich hoffe, dass ich die Erwartungen übertreffen kann." Wenn auch nicht eure.

„Gut. Man erwartet immer Großes von den Marblods."

Der junge Werwolf an ihrer Seite warf einen Blick über die Schulter und fror ein. „Mutter, sie –"

„Nicht jetzt, Ian."

„Aber sie kommt zu–", begann er, bis sich seine Stimmlage abrupt änderte. Sie lag mindestens eine brüchige Oktave höher, als er fortfuhr. „Oh, hey. Hast du bekommen, was du wolltest?"

Ian machte dabei einen Schritt zur Seite, um Platz für eine Fremde zu machen; zumindest dachte ich das, bis ich mit Grauen erkannte, wen ich vor mir hatte.

Auf den ersten Blick wirkte die Mittzwanzigerin, die eben mit einer randvollen Sektflöte zu ihrer Familie zurückgekehrt war, harmlos. Das himmelblaue Satinkleid, das locker um ihren Körper drapiert war, und die weichen Locken, in denen sie ihr blondes Haar trug, ließen sie engelsgleich strahlen. Doch ich wusste, was unter den Perlen und adretten Kleidern steckte.

Die Gemeinschaft der Nachtalben - Band IIWhere stories live. Discover now