Kapitel 4

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„... und dann zerrt er mich praktisch am Arm zu diesem Typen, vielleicht ein bisschen kleiner als ich, blass wie eine Moorleiche, aschblond – du weißt schon, wen ich meine – und will ihn als eine Art Mentor für mich rekrutieren. Aber eigentlich möchte er nur von mir, dass ich ihm schöne Augen mache."

Meine Beschwerden wurden von starker Gestik unterstrichen, mit der ich Cassia ein Bild davon zeichnen wollte, wie unpassend ich Zephaels Verhalten fand. Dass ich stattdessen beinahe Salz und Pfeffer vom Tisch fegte, bemerkte ich kaum.

Cassias Kaubewegungen wurden langsamer, während sie mir zu folgen versuchte. "Du sprichst von Yven Fernvale, nicht wahr?"

Ich nickte kräftig, bevor ich mir selbst einen großen Bissen Pfannkuchen in den Mund schob.

"Ich wusste, dass dein Großvater ihn beobachtet", fuhr Cassia fort. Tatsächlich war ihr keine Überraschung anzumerken. „Schätzchen, in Zephaels Vorstellung haben du und Yven schon längst am Traualtar gestanden."

Ich zog eine Grimasse, die meine Gefühle darüber mehr als deutlich machte. Zephael war über meine Beziehung zu dem Sturmalben Arden aufgeklärt – was allerdings nicht bedeutete, dass er diesen Fakt nicht mit aller Kraft ignorierte.

„Vielleicht sollte mein Großvater selbst zuschlagen, wenn Yven so eine gute Partie ist", fügte ich hinzu, nachdem ich meinen Bissen Ei hinuntergeschluckt hatte.

Wir sahen uns über den Tisch hinweg an und spuckten beinahe unser Frühstück wieder auf die Teller, als wir synchron losprusteten. Die Teenager am Nebentisch warfen neugierige Blicke in unsere Richtung, aber nach zwei Jahren an der Akademie störte ich mich nicht länger an unerwünschter Aufmerksamkeit. Selbst nach Valencias Rauswurf hatte ich noch monatelang in Begleitung bohrender Blicken und fiebrigen Getuschels gegessen.

Cassia warf den Mädchen einen mahnenden Blick zu, bevor sie ihre Gabel wieder aufhob.

„Wenn Zephael auf Kupplerin á la Emma Woodhouse macht, dann ist das niedlich", sagte sie. „Aber nicht jeder ist so durchschaubar. Was hältst du von Caellis' Benehmen?"

„Wie meinst du das?"

„Du weißt, dass ich immer das Gefühl hatte, sie wartet auf irgendetwas. Zuerst dachte ich, es würde darum gehen, dass du zurückkommst, damit sie dich vor der Gemeinschaft bloßstellen kann, aber bisher war sie erschreckend handzahm."

Obwohl ich im Allgemeinen kein Familienmitglied der Grimlores als handzahm bezeichnet hätte, musste ich Cassia in diesem Fall zustimmen.

„Kannst du dich noch daran erinnern, was Valencia gestern Abend gesagt hat? Sie meinte, man würde Großes von dir erwarten."

Caellis und ich hatten auf der gestrigen Veranstaltung kaum mehr als zwei Sätze gewechselt, also musste ich nicht lange nachdenken, worauf Cassia sich bezog: Man erwartet immer Großes von den Marblods. Wir werden dir helfen, dein Potential zu erfüllen, Epherys.

„Sie hat von meiner Familie gesprochen, nicht nur von mir."

Cassia wedelte mit einer Hand durch die Luft, um mir zu zeigen, was sie von der Korrektur hielt. Ich bemühte mich ihren scharfkantigen Nägeln auszuweichen.

„Ich weiß nicht, wie du das siehst, aber für mich hört sich das nicht nach jemanden an, der seinen Größenwahn überwunden hat. Wenn du mich fragst, dann haben die Grimlores und Zephael noch viel mehr vor, als uns gerade klar ist."

Der erdbeerblonde Sukkubus sprach damit eine meiner größten Sorgen laut aus. Der Innere Kreis mochte viel Einfluss in der Gemeinschaft haben, doch mit der schwindenden Zahl an Nachtalben war nicht mehr viel übrig, das sich kontrollieren ließ. Wenn Caellis Grimlore und mein Großvater also die Chance dazu sehen würden ihre Macht auszuweiten, dann täten sie zweifelsohne ihr Bestes, um sie zu ergreifen.

Die Gemeinschaft der Nachtalben - Band IIWhere stories live. Discover now