Montag 20:30 Uhr
Sankt Petersburg, in Russland
Am herrschaftlichen Anwesen von Wladimir
In seinem prachtvollen Haus
Wladimir Kovoijky und Nikolaij Wladimirowitsch Stoijov
Wladimir wanderte in seinem prachtvollen Haus ziellos umher. Ab und zu hörte er einen seiner Butler oder ein Zimmermädchen herumschleichen. Doch sehen konnte er sie nicht. Das war das erste was ein Angestellter von Wladimir beherrschen musste. Egal in welcher Branche er war.
Wladimir sollte und wollte ihn oder sie nicht sehen. Und wenn ihm einmal jemand unerwünscht, unangekündigten oder unverhofft unter die Augen kam - vor allem wenn er so mies gelaunt war wie jetzt - dann Gnade ihm Gott. Nein alle Götter. Von allen Religionen.
Nur James durfte ihm immer unter die Augen kommen. Denn er hatte seinen vollsten Respekt und dank. Er liebte diesen Butler. Er war der Butler seiner Frau gewesen und damals als er sie kennen gelernt hatte war sein Blick so gnadenlos gewesen, so ehrlich und verhasst. Und das nur, weil er sich als junger Mann so unsterblich in die wunderschöne Ballerina verliebt hatte. Aber wer konnte es Wladimir verübeln? So bildhübsch wie seine Anita auch war. Und dann als sie gestorben ist hatte James alle seine Söhne aufgenommen. Mit sechs Jahren und zwei Neugeborene. Dabei hatte er einen eigenen auch noch gehabt um den er sich nun ganz alleine kümmern musste nachdem Anita nicht mehr die Ersatz-Mutter für den Sohn ihres besten Freundes sein konnte. Anita wollte Wladimir immer verheimlich, dass James ihr bester Freund war. Doch so dumm war er nicht. Er hat es ihr gegönnt. Sie war jung und Wladimir mochte James.
Wladimir blieb vor dem Kamin im Wohnzimmer stehen. Wie er hier her gekommen war wusste er nicht mehr. Denn vor kurzem war er eigentlich noch draußen auf dem Flur gewesen und ist den Gang mit den Bildern und Kunstgegenständen gefolgt.
Und dennoch stand er jetzt wieder vor dem Kamin seiner geliebten Gattin und betrachtete sein Lieblingsbild. Das auf dem sie eine Pirouette drehte. Danach hatte er sie geküsst. Das erste Mal.
Letzte Woche Dienstag war wieder dieser furchtbar traurige Tag im Jahr gewesen. Letzte Woche Dienstag vor dreizehn Jahren starb seine geliebte Frau. Seine geliebte Anita. Am Samstag davor allerdings hatten die Zwillinge Geburtstag gehabt. Ihm war zu Ohren gekommen, dass sie sich sehr brav verhalten hatten. Und dass aus Steve langsam ein echter Musterknabe wurde.
Dass das alles eine glatte Lüge war wusste er nicht. Nur das mit Steve war wahr.
Wieder betrachtete er das Foto seiner Anita. Dann blickte er nach rechts und da stand ein Foto von Nikolaij. Wie er eine Pirouette drehte. Das hatte ihm die Schule zukommen lassen. Für seine großzügigen Spenden. Ihm wurde erzählt, dass sein Sohn Nikolaij ein wundervoller Lehrer war. Er unterrichtete jede Woche einmal oder zweimal junge Mädchenklassen. Freiwillig und ohne Bezahlung. Einfach als Aushilfslehrer. Und jetzt war er auf Tournee. Wladimir war so unglaublich stolz auf seinen ältesten Sohn. Er trug das Erbe seiner Mutter weiter und das war eine große Ehre.
Andererseits würde Wladimir sich langsam wünschen, dass Nikolaij sich mehr für die Geschäfte seines Vaters interessierte als für die Bühne. Er würde wollen, dass er Caseys einen Antrag machte. Sie sollten heiraten. Und wenn Nikolaij sie nicht fragen würde dann würden es ihr Vater und er tun. Besser gesagt, sie würden es ihr erzählen. Fragen war nur höflich ausgedrückt.
Es war für beide Familien das beste so. Und für die Kirche. Natürlich. Wladimir lächelte boshaft und zynisch in sein Spiegelbild neben dem Kamin. Es war ja eigentlich kein Spiegel. Sondern ein Bild von ihm. Das wurde vor acht Jahren gemacht. Und er sah immer noch verdammt gut aus, fast so jung wie damals.
Er nahm das Bild von Nikolaij vom Kamin und Strich mit zwei Fingern darüber. Sein ältester Sohn war sein ganzer Stolz. Er war gut aussehen. Gebildet. Gefährlich. Begabt. Er würde gewissenhaft mit dem Erbe umgehen. Er war diszipliniert und auch wenn Wladimir es nicht gerne zugab. Nikolaij war bei weitem bestimmt gefährlicher und hinterhältiger als sein Vater selbst.
Und wenn er ihn so ansah, dann könnten sie sich unmöglich abstreiten. Sie hatten exakt das gleiche Gesicht. Nur hatte er das funkeln der Augen seiner Mutter in seinen eigenen. Aber die Gerissenheit und Disziplin seines Vaters war in seinen Gesichtszügen zu sehen.
Er könnte ein knallharter Geschäftsmann sein. Oder ein Söldner. Doch dazu würde Wladimir es nicht kommen lasse. Er würde Nikolaij an das Steuer stellen. Nicht an die Paddel.
Wladimir stellte das Bild seines Sohnes wieder zurück an seinen Platz, drehte sich vom Kamin weg und durchquerte das Wohnzimmer. Er betrat sein Arbeitszimmer, setzte sich an seinen massiven Schreibtisch und nahm das Kündigungsschreiben von seinem Butler, Konrad, zur Hand.
Er hatte ihn 'gebeten' dieses Schreiben aufzusetzen und ihm zukommen zu lassen.
In Wahrheit hatte er ihn mit Söldnern bedroht und ihm gesagt was er zu schreiben hatte.
Und jetzt hatte er das Schreiben vor sich liegen und unterzeichnete es.
Damit war Konrad gekündigt und Sebastian sein Ober-Butler.
Allerdings wusste er noch nicht ob er Konrad wirklich kündigen wollte. Er könnte noch für andere Dienste nützlich sein...
'So ein begabter Mann", dachte sich Wladimir in Anbetracht Sebastians und lehnte sich auf seinem riesigen, ledernen Thron zurück. Das Arbeitszimmer war dunkel und Recht klein im Gegensatz zu den anderen Räumen. Doch er wollte es genauso haben. Mit dunklen Möbeln, schweren Vorhängen und einem Kamin. Doch der war nicht an. Sein Thron stand direkt gegenüber von der Türe. Nur am anderen Ende des etwas länglichen Raumes, hinter ihm war das einzige Fenster des Zimmers. Die Wände zierte eine edle Tapete aus Rot und Braun Tönen und davor standen zahllose Bücherregal und Aktenschränke. Und ein Waffenschrank. Doch der war gut verriegelt und im Gegensatz zu den anderen Schränken und Regalen nicht mit eine Glastür verziert. Sondern aus schwerem Holz.
Aber so wie der Schreibtisch, der hölzerne Thron - mit dem Lederpolster und der Lederlehne - waren auch die Regale und Schränke mit Schnitzereien verziert und veredelt.
Wladimir rief Sebastian indem er auf einen Knopf am Telefon auf seinem Schreibtisch drückte. Augenblicklich klopfte es und Wladimir bat ihn herein. Sebastian trat ein, schloss die Türe hinter sich und verneigte sich bevor er seinem Herren in die Augen blickte.
Er winkte seinen Butler zu sich und der folgte prompt. Er blieb vor dem Schreibtisch seines Herren stehen und wartete geduldig auf seine Aufgabe. Wladimir könnte sich jetzt einfach nach hinten lehnen und ihn stundenlang warten lassen. Ihn ewig so stehen lassen. Bis er umkippte. Doch das wollte er nicht. Sebastian war nützlich. Zwar nicht unersetzbar, aber schwer zu finden.
Wladimir nahm das Kündigungsschreiben und hielt es Sebastian hin. Der nahm es, sah es kurz an und versteckte es dann hinter seinem Rücken indem er die Hände wieder dort verschränkte.
Er fragte nicht was er tun sollte, denn er wusste er musste auf seine Aufgabe warten. Er würde es erfahren.
Wladimir sprach ruhig und fast schon gelangweilt. "Conrad ist entlassen. Du wirst ihm das Schreiben persönlich bei ihm zu Hause vorbei bringen. Du bist mit sofortiger Wirkung mein neuer Butler des Anwesens." Das hieß so viel wie Ober-Butler. Er war eben für alles auf diesem Grundstück und für alles was sein Herr tat oder nicht tat zuständig. Egal wo er sich befand, er müsse ihm sofort zur Hilfe kommen wenn er das wollte. Und alles tun. Er trug die volle Verantwortung für die Arbeit der anderen Hausangestellten. Er war der, der sich um seine Gäste kümmern musste wenn Wladimir keine Lust mehr hatte, oder weg musste.
Wollte Wladimir in zehn Minuten mit einem Jet nach Alaska fliegen, na dann würde Sebastian das möglich machen.
Sebastian verneigte sich tief und verließ dann wortlos den Raum. Dank war nicht angebracht und auch nicht notwendig das wusste er. Wenn Wladimir Dank wollte würde er es zeigen.
Sein neuer Leibeigener Butler schloss die Türe hinter sich und am Klappern seiner Schuhe zu urteilen verschwand er im Flur. Ohne irgendetwas anderes noch zu erledigen verließ er mit dem Dienstboten-Wagen das Anwesen. Der Befehl von Wladimir hatte oberste Priorität. So war er es gewohnt und so sollte es auch bleiben.
Irgendwie tat es ihm ja fast schon weh das Erbe seines Vaters so früh schon zu verlassen. Sein Imperium das er aufgebaut hatte, das Imperium seines Vaters das er erweitert hatte aufzugeben. Das war kein leichter Gedanke, doch Nikolaij würde übernehmen und das Familienleben als Tradition weiterführen.
Und Casey würde ihm als Stütze zur Seite stehen so wie Anita damals ihm. Sie würde ihm ebenfalls einen Erbe schenken und in zwanzig Jahren würde Nikolaij Wladimirowitsch hier sitzen und seinem Sohn das Erbe vermachen und er würde das selbe empfinden wie sein Vater vor ihm und dessen Vater vor ihm. Er liebte diese Respektbezeichnung mit dem Vaters-Namen.
Als das Telefon klingelte wollte er es am liebsten gegen die nächste Wand werfen. Doch das hätte dann wieder irgendwer aufkehren müssen und dann wäre er wieder gestört worden. Wie umständlich.
Also hob er ab, doch er meldete sich nicht. Das war nicht notwendig. Er musste auch nicht fragen wer dran war. Er wusste es.
"Alles erledigt, Boss." Meldete sich die tiefe Stimme.
"Gut. Kommt Heim. Ich gebe euch was euch zusteht." Damit legte er wieder auf und wartete auf die Rückkehr zweier seiner Dealer und einer seiner Söldner.
Er sah auf dem Monitor, dass sich der schwarze SUV näherte und direkt vor der Eingangstüre stehen blieb. Er könnte aufstehen und ihnen entgegen kommen, doch er wollte nicht. Sie würden ihn finden. Viele Optionen wo er um diese Zeit war gab es ja nicht. Wohnzimmer. Küche. Flur oder eben in seinem Arbeitszimmer.
Sie betraten die Eingangshalle und sahen sich kurz um. Der Söldner stand vollkommen regungslos da, während die Dealer etwas ungeduldiger waren. Der Söldner gab das Kommando an und ging zielstrebig auf das Arbeitszimmer zu.
Es klopfte kurz und Wladimir bat sie herein. Er blieb seelenruhig auf seinem Sessel sitzen und wartete, dass die drei Männer auf ihn zukamen. Der Söldner war vollkommen schwarz gekleidet und der größte von den dreien. Mit seinen breiten Schultern und knappen zwei Metern war er so groß wie ein Schrank. Und außer bei Wladimir's Türen musste er sich überall bücken. Die Dealer waren zwar auch nicht schmächtig, aber gegen den Söldner sahen sie aus als wären sie seine Söhne. Breite Schultern, aber nur gute 1.80 groß. Zwillinge. Sein bestes Team. Zusammen mit dem besten Söldner.
Der Söldner blieb vor dem Tisch stehen und die Dealer stellten sich jeweils zu seinen Seiten auf. Einer rechts, einer links. Wer wer war wusste Wladimir nicht, denn sie trugen Sonnenbrillen zu den dunkelblauen und schwarzen Sachen. Genauso wie der Söldner trugen sie einen langen schwarzen Mantel und eine Waffe darunter. Nur hatte der Söldner mehr Waffen an sich. Er war bis auf die Zähne mit allem möglichen bewaffnet.
Todgefährlich zusammen mit Drogenüberschuss.
Wladimir lehnte sich in seinem Sessel nach vorne und Stütze die kräftigen Unterarme auf dem Tisch ab. Er selbst war größer als die Dealer, aber kleiner als die Söldner. Dennoch hatte er beachtliche Schultern. Er war auf keinen Fall wehrlos.
Nikolaij hingegen war sehr schlank, dafür konnte er bestimmt schnell rennen. War bestimmt auch nicht schlecht.
"Wie ist es gelaufen?" Fragte er ruhig an die Dealer gewandt. Dennoch sah er den Söldner an.
Der Söldner nickte. "Gut. Sie haben alles genommen. Wir mussten nicht drohen." Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah dann zu dem Mann zu seiner Linken. Der überreichte Wladimir einen Koffer mit Geldscheinen. Auf das zweite Zeichen gab auch der rechte einen Koffer her. Sie legte sie vor Wladimir und der Klappe sie gleichzeitig auf.
Eine Riesen Menge Geld, für jemanden der nicht sowieso mehr Geld hatte.
Er drehte sich mit dem Stuhl herum und öffnete den Safe. Ob seine Männer das sahen oder nicht war ihm egal. Denn wenn die Dealer den Code kannten würden sie ihn mit ins Grab nehmen und der Söldner war sein engster Vertrauter. Der würde die beiden zur Strecke bringen - wenn sie was ausplauderten - bevor Wladimir etwas davon erfuhr.
Er legte den Inhalt des ersten Koffers komplett rein und den Inhalt des zweiten legte er zur Hälfte rein.
Die andere Hälfte ließ er im Koffer. Dann legte er ihn zurück auf den Tisch während er den anderen neben sich stellte.
Er nahm für jeden der drei Männer den Anteil raus der ihm zu stand. Der Söldner bekam dieses Mal genauso viel wie jeder der Dealer.
Meistens war es so, dass die Dealer ihres dann noch teilen mussten oder, dass sie jeder etwas von Wladimir bekamen und der Söldner dann mehr. Doch heute war es ein großes Geschäft und der Söldner hatte niemanden umgebracht, deswegen bekamen sie alle gleich viel. Die Dealer hatten alles so gemacht wie Wladimir es wollte.
Wenn der Söldner drohen oder töten musste bekam er oft sogar doppelt so viel wie die Dealer. Wenn etwas nicht so ablief wie Wladimir es wollte, aber es dennoch geklappt hatte mussten sich die Dealer ihren Anteil teilen. Sie wurden also nur halb bezahlt.
Er hatte vier solcher Teams. Also acht Dealer und vier Söldner. Doch nur dieses hatte sein vollstes Vertrauen was das Geschäft anging. Denn die drei waren seit Jahren bei Wladimir. Die kannten sich aus. Und er mochte die Zwillinge, sie erinnerten ihn an seine Söhne und vor allem war es auf der Straße sicherer wenn sie sich gleich sahen.
Denn der Angreifer wusste dann nicht wen er zuerst angreifen sollte, denn in der Angst war er durch das Gleiche verwirrt.
Der Söldner schien dennoch zufrieden zu sein, denn er kannte die Regeln. Vor allem war das seine volle Bezahlung. Nur wenn er jemanden beiseite räumen musste bekam er eben extra.
Wladimir stand auf, ließ die Koffer an ihrem Platz - denn die Dealer würden sie nehmen - und verließ mit der Anweisung ihm zu folgen den Raum. Sie folgten ihm in der Dreiecks Konstellation, der Söldner vorne die Dealer hinten.
Mittlerweile war Sebastian wieder da und nahm den dreien die Mäntel ab. Die drei bemerkten dass Wladimir einen neuen Butler hatte, doch niemand sagte etwas. Die Dealer stellte die Koffer zur Garderobe und folgten dem Söldner zurück ins Wohnzimmer. Der nahm währenddessen einen Holzstuhl und stellte ihn zum Kamin zu den großen Sesseln. Er würde darauf sitzen. Denn auch wenn er für einen stinkreichen Russen arbeitet mochte er solch große protzige Möbel nicht. Sie waren unnötig, nicht sein Stil und ob bequem oder nicht war ihm egal. Sitzen tat gut, egal worauf.
Wladimir saß schon auf dem größten der drei Sesseln, die Dealer setzten sich mit einem Blick zu ihrem Söldner auf die Sessel. Hätte ja sein können, dass er da drauf wollte. Auf beide. Und wenn er das gewollt hätte wäre es nicht gesund gewesen zu riskieren den Platz für sich selber zu reservieren.
Doch der Söldner setzte sich seelenruhig auf den weißen Holzstuhl und wartete bis der Butler mit seinem Scotch kam. Wladimir bekam ein Glas Rotwein und die Zwillinge einen Weißen.
Sie unterhielten sich eine kleine Weile bevor die drei wieder fuhren.
Dann hieß es für Wladimir zu Abend essen, duschen und dann schlafen gehen. Morgen musste er früh aufstehen. Und sich mit dem Pastor treffen.