Austin

By millionofthoughts

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Austin ist verzweifelt, auf Kriegsfuß mit seiner Mutter, aber vorallem ist er einsam. Verdammt Savannah, wir... More

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By millionofthoughts

XXX.VII.MMXV - zwei jahre vor dem tod
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» ed sheeran - supermarket flowers

Vorsichtig strich ich über das glatte schwarze Kleid, als wäre es etwas kostbares. Das Mädchen im Spiegel blickte mich mit tiefen Augenringen an und ließ mich seufzen. Ich habe noch nie zuvor ein Kleid getragen und ich hätte nicht gedacht, dass es jemals dazu kommen wird.

„Kommst du bitte?", hörte ich die tiefe Stimme meines Vaters, die mich zusammenzucken ließ. Er hatte nicht angeklopft und stand plötzlich aus dem nichts in meinem Türrahmen.

„Natürlich", sagte ich leise und griff nach meiner kleinen Tasche, in der sich Tempos und ein Brief befanden. Schnell drängte ich mich an meinem Vater vorbei und lief den langen Flur entlang. Seitdem Mum weg ist, ist er nur halb so sauber wie davor. Es hatte schon lange niemand mehr geputzt und in diesem Haus sammelte sich der Staub erschreckend schnell an.

Mum war so perfekt. Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich so einen beeindruckenden Menschen kennenlernen dürfen und ich war immer so unfassbar stolz darauf, sagen zu können, dass sie meine Mutter ist.

Manchmal wünschte ich mir, ich hätte etwas von ihr geerbt. Ihre wunderschönen glänzenden Haare, die stechenden Augen, diese perfekte Figur oder diese Eleganz in ihrem Auftreten. Vielleicht auch ihr Selbstbewusstsein und ihr Stolz. Ihre Liebenswürdigkeit, ihre Fürsorge oder ihren Ehrgeiz. Doch keine einzige Eigenschaft scheine ich geerbt zu haben, was mir im Herzen wehtut. Ich hätte gerne einen Teil von ihr in mir weiterleben lassen wollen, doch stattdessen trage ich den Sarg meiner Mutter zum Grab und weiß, dass sie eines Tages vergessen wird. Was unglaublich schade ist, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass die Welt ohne sie ein schlechter Ort sein wird. Solch einen herzensguten Menschen trifft man nicht oft und egal wie ich es drehte und wendete, ich verstand nicht, womit sie das verdient hat, ihr Leben nicht zu Ende leben zu dürfen.

Monatelang hatte sie sich durch ihre Krankheit gequält und es wurde immer schlimmer und schlimmer, je näher das Ende kam. Ich konnte nichts dagegen tun, außer ihr dabei zuzusehen, wie sie langsam aber sicher zu Grunde ging. Ich schwöre, ich hätte mein Leben für ihres gegeben, wenn es möglich gewesen wäre. Aber leider ging das nicht und das Leben enttäuschte mich zutiefst: Ich habe den wichtigsten Menschen in meinem Leben verloren und konnte nichts dagegen tun.

Ich lief die Treppen hinunter und eilte zum Wagen, da die eiskalten Tropfen, die vom Himmel fielen, meine nackten Beine wie stechende Nadeln trafen. Das perfekte Wetter für diesen beschissenen Tag.

Mein Vater kam relativ zügig nach und setzte sich ebenfalls auf die Rückbank. Er gab dem Fahrer, John, das Kommando und der Wagen fuhr an. Geld hatte in meiner Familie noch nie eine Rolle gespielt, aber am Beispiel meiner Mutter wurde mir klar, dass Geld definitiv nicht alles ist und auch nicht glücklich macht.

Mein Vater schwieg und blickte auf sein Telefon. Er sah alt aus, sein Gesicht wirkte fad. Seinen Anzug hatte er perfekt bügeln lassen und die Krawatte binden lassen, sodass alles am rechten Fleck saß. Ich hatte mich noch nie sonderlich gut mit ihm verstanden und jetzt werde ich mit ihm alleine aufwachsen müssen. Mum, wieso hast du mich alleine gelassen?

„Die Feierlichkeit beginnt nach dem Begräbnis. Ich erwarte von dir, dass du mit mir die Trauergäste begrüßt und danach eine Rede hältst. Das ist wichtig", meinte er schließlich und durchbrach damit die Stille. Ich möchte niemanden begrüßen und keine Rede halten. Alle Menschen die geladen sind, haben sich noch nie einen Funken um Mum geschert. Und jetzt soll ich sie begrüßen, als wäre nichts passiert und als wäre das eine Feierlichkeit zu einem guten Anlass?

Ich seufzte und antwortete nicht, während ich aus den verdunkelten Scheiben nach draußen blickte. Der Regen schien langsam nachzulassen, jedoch war der Himmel so grau und dunkel, dass ich mir nicht vorstellen konnte, heute noch gutes Wetter erleben zu dürfen.

„Savannah, hast du verstanden?", hakte mein Vater und ich schaubte verächtlich. „Ja. Klar und deutlich."

Er nickte zufrieden und widmete sich dann wieder seinem Telefon. Wie konnte er sich an solch einem Tag immer noch mit seinem Handy beschäftigen? Ging es um seine Arbeit? Wieso konnte man diese nicht mal für die Beerdigung seiner eigenen Ehefrau mal pausieren?

Die Fahrt verging meiner Meinung nach viel zu schnell und so fand ich mich in kurzer Zeit in einer Situation wieder, in der ich niemals sein wollte. Zumindest nicht in meinem Alter.

Versteift stand ich in erster Reihe vor dem riesigen Loch im Boden und hielt meinen Regenschirm, während ununterbrochen die Tropfen vom Himmel prasseln und der Mann in Schwarz vor den anderen Trauernden seine Predigt hält. Mama, der Himmel weint um dich.

Meine Augen brannten, während der Sarg langsam in dem Loch versank, jedoch möchte ich nicht weinen. Nicht hier, nicht jetzt und nicht vor all diesen Heuchlern. Ich möchte stark sein, denn das bin ich. Ich habe meine Mutter verloren und niemand hat mich gefragt, ob ich damit einverstanden bin.

„Nun, im Anschluss an das Vater unser, welches Sie gerne mitsprechen dürfen, haben Sie Zeit für eigene, persönliche Gedanken und Gefühle, um sich in tiefster Trauer von Anna verabschieden zu können", sprach der Pfarrer und ich kramte in meiner kleinen Handtasche nach dem kleinen Couvert. Vorsichtig trat ich an das Loch und ließ ihn auf das schwarze Holz fallen, gefüllt mit Worten an meine Mutter, die ich in Trauer verfasst habe. Schnell bedeckten die Regentropfen das Papier, was mich wütend machte. Ich möchte, dass sie meine Worte unversehrt aufnehmen kann, rufe mir jedoch in Erinnerung, dass das nicht mehr meine Mutter war, die da lag. Es war ihre leere, kalte Hülle, die in kurzer Zeit verfallen wird.

Seufzend trat ich zurück und nach verstrichenen Minuten beendete der Pfarrer seine Rede. Ich habe gerade meine eigene Mutter beerdigt.

Es war still, als sich die große Gruppe vom Grab entfernte und alle Richtung Ausgang stürmten. Die Trauerfeier würde in einer von Vaters Immobilien stattfinden, die extra nach Mums Geschmack hergerichtet worden war. In meinen Augen völlig überflüssig, denn ich bin mir sicher, dass sie nicht so eine oberflächliche Beerdigung haben wollte. Voll mit Menschen, die sich nicht für sie interessieren und mit denen sie im Grunde nichts zu tun hatte. Alles für das Image meines Vaters.

Die Immobilie war schnell zu Fuß zu erreichen, jedoch fuhren mein Vater und ich mit dem Wagen, um vor den Gästen da sein zu können, sodass wir bei Beginn jedem die Hand reichen konnten.

„Mach dir deine Haare zurecht. Sie sind völlig zerzaust von dem Regen", meinte mein Vater spitz, als wir den riesigen Bungalow betraten. Ich seufzte und hätte ihm am liebsten ins Gesicht gespuckt. Wie konnte man sich so sehr auf Oberflächlichkeiten konzentrieren?

Ich eilte ins Bad und sperrte mich ein. Langsam trat ich an das Waschbecken und betrachtete mich. Das Mädchen, das mich anblickte, war nicht ich. Ich schüttelte den Kopf und spritzte mir ein wenig Wasser ins Gesicht, um ein wenig Farbe zu erhalten, da ich sehr blass aussah. Ich möchte jedoch nicht gesund und glücklich aussehen, denn das bin ich nicht. Ich werde nie wieder glücklich sein, wieso sollte ich glücklich aussehen wollen?

Seufzend griff ich nach dem weißen Handtuch und wischte über mein Gesicht. Alles im Bad sah so edel und wie aus einer Werbung entsprungen aus. Die goldenen Details wirkten elegant und die Fußbodenheizung wärmte angenehm meine kalten Füße. Mein Vater gab sich immer sehr Mühe bei seinen Einrichtungen, damit er stets die Elite zum Kauf der Villen und Häuser motivieren konnte.

Ich verließ das Bad und merkte, dass bereits meine Großeltern und die Geschwister meines Vaters im Wohnzimmer standen. Sie unterhielten sich leise, jedoch wollte ich jegliche Konversationen meiden, weshalb ich weiter den Flur entlang lief.

Als ich ein leises Kichern vernahm, hielt ich inne. Vorsichtig blicke ich in den Raum, der vor mir lag und sich als großzügige Küche mit Esszimmer entpuppte.

Ich sah meinen Vater, wie er an der Kücheninsel lehnte und leise lachte. Und ich sah die blonde, kleine Frau, die sich an ihn schmiegte und ihn kurz darauf zu sich zog, um ihn zu küssen.

So kam es, dass ich meinen Vater zum ersten Mal mit seiner neuen Frau auf der Beerdigung meiner Mutter erwischte.

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