Das Königreich der Geheimniss...

By MorganKingsman

94K 11.7K 5.3K

Dinah wird steckbrieflich für ein Verbrechen gesucht, von dem sie noch gar nichts weiß. (Nicht, dass sie kein... More

1- Alles beginnt (immer) mit einer Leiche
2- Warum man von Drogen abrät.
3- Flucht. Nur eben nicht meine.
4- Bekanntschaft mit der Zweitbesetzung
5 - Nie wieder Wäsche selber waschen.
6- Am Leben. Noch.
7- Exil ist die Antwort auf jedes zweite Problem
8- Mord, die Antwort auf alles andere.
9- Barbarisch. Sogar für meine Verhältnisse.
10- Höfische Sitten
11- Tue nett.
12- Mord im Schlafrock
13- Meuchelmörder im Schlafrock
14- Wir planen einen Ausbruch
15- Tänze und andere Regelverstöße
16- Tatsächliche Detektivartbeit
17- Der Inseluntergang ist nicht einmal mein größtes Problem
18- Die Katastrophe geht weiter
19- Hilfe aus dem Hintergrund
20- Briefe in der Nacht
21- Es ist nicht das, wonach es aussieht.
22- Hilfe ist Definitionssache
23- Wie wichtig muss man sein, damit es Attentat heißt und nicht Mord?
25- Sex und Monster.
26- Ich bin dagegen. Egal gegen was.
27-Audienzen und andere Krankheiten
28- Ihr hättet sein Gesicht sehen sollen.
29- Es war nicht genug Glaube für alle da.
30- Im Territorium der Gärtner
31- Oh, ich renne sowas von nicht fort. Wirklich.
32- Alles wäre einfacher, wenn ihr mich vorher fragen würdet.
Lesenacht Teil 1: Erinnerungen an Vater
Lesenacht Teil 2- Im Wohnzimmer der Toten
Lesenacht Teil 3: Vertrauen, oder der berechtigte Mangel davon.
Lesenacht Teil 4- Warum nicht von einer Klippe springen?
37- Der Teil mit den Auftragsmördern
38- Der nächste Schritt
39- Es hätte so schön sein können.
40- Flieh, du Narr.
41- Sprich mir nach: Wir schicken keine Assassinen.
42- Geständnisse.
43- Grausame Wunder
Epilog
Tiiiimee toooooo say Goodbyyyyee.

24 - Weniger glückliche Wiedersehen

1.7K 263 134
By MorganKingsman

➴♚➶

          Dara Sarei.
Der Saum seiner grünen Kutte war vom Staub der Straßen verdreckt aber nicht schäbiger, als ich ihn zuletzt gesehen hatte. Seine Haare waren länger, genauso dunkel wie vorher und sein Backenbart ordentlich gestutzt. Ruhig stand er mitten im Leben des Marktplatzes und sah mich an.

Irgendwie hatte ich gehofft, dass er mit seiner Verbannung vom Hof auch die Stadt verlassen hätte. Aber ich lag falsch. Und jetzt wusste er, dass ich wieder hier war.

„Ein Vorschuss für deine Beerdigung", las Constantin die Karte vor, die zwischen den Blumen steckte.

Ich holte tief Luft. Warum auch nicht?

„Wer hat diese Blumen gekauft?", fuhr er die Frau an, der prompt das Lachen aus dem Gesicht fiel.

Ihre tiefen Falten erzitterten.
„D-der Mann do- dort." Doch als wir dieses Mal beide den Kopf drehten, war da keine Spur mehr des ehemaligen Senators des Königs. Fortgespült.

Ich drückte Constantin die Blumen in die Arme. Das würde ich alleine klären.
„Ich bin gleich wieder da." Und damit quetschte ich mich zwischen den Leuten durch.

„Dinah..."
Hinter mir fluchte Constantin und machte Anstalten mir zu folgen, aber ich kannte diesen Ort besser als er. Dicht an dicht drückten sich die Menschen, pressten ihre Schultern aneinander, bis niemand mehr den Boden sah. Constantins Rufe zogen neugierige Blicke auf sich, doch keiner konnte ihm Platz machen, ganz gleich wie er ihnen drohte.

Ich schlüpfte zwischen ihnen hindurch und hinter mir schloss sich die Masse wie eine geballte Faust und schnitt mich von ihm ab.
Seine Rufe wurden von meinem hämmernden Puls verschluckt. Ich musste Dara Sarei finden. Und gleichzeitig wollte ich nichts lieber, als die äußerste Stadtmauer zu erreichen und niemals wieder zurückzublicken.

Die Entscheidung wurde mir allerdings abgenommen, als mich eine große Hand am Oberarm erwischte und zwischen zwei Stände zerrte. Hatte mich vorhin noch jeder gekannt, sah jetzt niemand, wie ein grobschlächtiger Kerl mich beinahe zu Boden warf.

Meine Füße waren zu langsam, um mit ihm mitzuhalten, und ich stolperte gegen einen Karren. Der Typ hielt mich an der Schulter fest, ganz gleich wie sehr ich mich wehrte. Meine Kapuze fiel zurück und der Regen traf mein Gesicht.

Er war groß- riesig sogar. Seine massige Gestalt lehnte über mir wie ein Felsbrocken. Er war rasiert, glatzköpfig und ordentlich angezogen. Doch Dreckschmieren an seinen Händen verrieten die harte tägliche Arbeit. Kein gewöhnlicher Dieb, doch das hatte ich auch nicht erwartet. Sein Teint war gleichmäßig mit einem olivfarbenen Unterton, der ihn von dem Hautton der heimischen Bauern unterschied.

Meine Brust pumpte nicht genug Sauerstoff in mein Gehirn.
Ich versuchte, mein Messer zu erreichen, doch er blockte meinen Griff und verpasste mir einen Ellenbogenhieb gegen die Schläfe, der mich doppelt sehen ließ. Träge blinzelte ich gegen den Schmerz an. Ich kannte diesen Typen nicht. Einer von Dara Sareis Fußvolk?

Ich nutzte seinen kurzen Moment des Triumphs und trat ihm seitlich gegen das Knie. Er knickte sofort ein. Man hätte ihn vor mir warnen sollen.

Doch anstatt zu einem Häufchen vor mir zusammen zu sacken, knirschte er mit den Zähnen und griff in seine Tasche. Ich erwartete ein Messer oder eine andere Waffe und wollte ausweichen, doch er hatte mich eingekeilt zwischen den Ständen.

Aber der Gegenstand war golden und als er es mir in die Hände drückte, erkannte ich es auch. Ein Dolch wäre mir lieber gewesen.

Mein Herz blieb einfach stehen. Mein Medaillon. Mein gottverdammtes Medaillon.
Aus geweiteten Augen starrte ich ihn an. Wo hatte er das her?

„Grüße deiner Familie", schnarrte er in mein Gesicht, sein Atem zersetzt von dem Gestank verdorbener Zähne. Mit einem letzten drohenden Hieb, der das Holz des Wagens stöhnen ließ, machte er kehrt und ließ mich in meinem Schock alleine zurück.

Die hatte ich fast vergessen.

Ich starrte sie einfach nur an. Die Kette meines Vaters. Kein Zweifel, dass es sich um meine handelte. Doch das machte nichts besser. Gar nichts.

Hektisch sah ich mich um. Konnte ich sie irgendwo verstecken? Wegwerfen?
Mein Blick fiel auf den Wagen. Wenn der Besitzer nicht wusste, worum es sich handelte, würde er versuchen es zu verkaufen. Ich zögerte. Niemand sollte wegen mir in Schwierigkeiten kommen. Aber ich, wenn möglich, auch nicht.

Ich musste die Kette loswerden. Es war ein Beweis-... Meine Zunge wurde von meinen Zähnen eingeklemmt. Das war die Kette meines Vaters... Meine letzte habhafte Erinnerung an ihn. Konnte ich sie wirklich wegwerfen, wie einen wertlosen Haufen Metall?

Nein.

Eine Bewegung im Augenwinkel ließ mich das verräterische Stück schnell in einen Ärmel stecken. Nur Wimpernschläge, bevor Constantin mich erreichte. Seine Haare waren zerzaust, nass und sein Atem ging stoßweise. Der aufwieglerische Ausdruck hatte sein Gesicht verlassen. War verdrängt worden von dem Ärger, mit dem er mich musterte.
„Was sollte das?" Er gab mir keine Zeit zu antworten. Den Kiefer aufeinandergepresst, packte er mich am Handgelenk.
„Wir gehen heim. Jetzt."

Oh, wie ich es hasste, wenn er in seinem Befehlston um die Ecke kam. Sei es der Schock oder die Kopfschmerzen, die mich leiteten, doch ich entwandte ihm meinen Arm und stieß ihn von mir.
Er würde das nicht verstehen, aber es musste sein. Mehr als noch davor.
„Constantin, ich muss gehen. Nicht nach Hause. Fort von hier. Du musst mich gehen lassen."
Wenn Dara Sarei wusste, dass ich hier war, würden wir bald ganz andere Probleme haben. Die Kette wog wie ein Zentner in meinem Ärmel.

Er hörte mir nicht richtig zu. Stattdessen griff einfach wieder nach meiner Hand und zog mich auf den Marktplatz hinaus. Dieses Mal wichen ihm die Leute aus, als spürten sie die Bugwelle, die seinem starren Ausdruck vorausging. Es hätte mich nicht gewundert, wenn seine Schritte den Boden erschüttert hätten.
„Du wirst hinter den Schlossmauern sicher sein."

Ich tat mir selbst weh, so heftig machte ich mich wieder von ihm los. Ich könnte ihn angreifen. Ein oder zwei gezielte Schläge und er wäre außer Gefecht... vielleicht würde ich es bis zu den Stadtmauern schaffen. Aber meine Hände gehorchten mir nicht. Der Regen fiel mir ins Gesicht und ich blinzelte gegen das Wasser an.
„Nein werde ich nicht! Und du auch nicht! Niemand ist sicher dort", wiederholte ich mich dieses Mal eindringlicher. Ich wollte es ihm erklären, wirklich. Aber ich konnte nicht.

Mein Ärger fand sein Spiegelbild in seinen Augen.
„Dann würde ich vorschlagen, du beeilst dich mit deinen Ermittlungen."

„Nein, du-..."

„Da seid ihr!", Sebastian tauchte hinter Constantin auf, „Die Mutter von Miss Vanna ist eingetroffen und ist außer sich."

Ich wollte, das Constantin zuerst wegsah. Ich wollte, dass er nur dieses eine Mal nachgab. Aber darauf konnte ich lange warten. Er starrte auf mich herab, als wäre ich nichts, als ein trotziges Kind. Fast erwartete ich geladene Blitze in der Luft.

Und auch Sebastian bemerkte dies. Belustigt verschränkte er die Arme vor seinem Brustpanzer, an dem die Tropfen herabrannen und beobachtete uns, bis ich es nicht mehr aushielt und mich zu ihm umdrehte.
Ich war nass, wütend und die Kette brannte gegen meinen Arm.
Mit der Erschöpfung der letzten Tage sagte ich zu ihm: „Bring mich weg von hier."

Und das tat er auch. Mit einem kleinen Umweg zu dem Soldatentross zurück, in dessen Mitte die Königin und ihre Mutter warteten.
Lady Vanna hätte problemlos die Karriere einer Marktschreierin anstreben können, so weit trug ihre aufgebrachte Stimme. Eine verängstigte Dienerin hielt einen Schirm über dem Turm aus Haaren, der bei ihren ausholenden Gesten bedrohlich schwankte.

Ich konnte nicht sagen, dass ihr Anblick meine Stimmung aufhellte.

„Sie haben eine faulige Tomate nach ihr geworfen!" Lady Vanna war nur einen Schritt davon entfernt sich an Constantins Beine zu werfen. Ihre ikonischen roten Flecken mühten sich wieder durch die dicke Schicht Schminke. Ein unverkennbares Zeichen, dass sie am Ende ihrer Nerven war. Und mein Auftauchen gab ihr den Rest.
„Das ist dein Verdienst! Du hast sie dazu angestachelt!"

Ihre Tochter sah entschieden verstört aus. Mit ihren dünnen Armen umschlang sie ihren zierlichen Körper, doch zwischen dem weißen Stoff ihrer Ärmel war deutlich der riesige rote Fleck zu sehen. Einer der Wachen hatte Mitleid mit ihr gehabt, bestimmt auch weil ihr weißes Kleid schrittweise durchsichtig im Regen wurde und ihr einen der Soldatenmäntel umgelegt. Man mochte es kaum glauben, aber selbst jetzt sah sie wunderschön aus. Das Wasser auf ihrer hellen Haut verwandelte sie in das Abbild einer hilfebedürftigen Wassernymphe. Und irgendwo in der Vorstellung ihrer Mutter hatte ich das gemeine Volk dazu angehalten, sie mit fauligen Tomaten zu bewerfen.

Die Vorstellung belustigte mich mehr, als ich gewillt war zurückzuhalten. Doch Constantin war nicht in der Stimmung. Ohne sie anzusehen, ging er zu den wartenden Pferden hinüber.
„Ihr sprecht mit Lady Ferrox, ehemaliger Königin von Clevem. Entweder Ihr bemüht Euch um Respekt oder Ihr verliert Eure Ohren und die Erlaubnis, in meiner oder ihrer Anwesenheit den Mund zu öffnen."

Wir alle starrten ihn sprachlos an. Die Spannung machte ihn noch größer. Beinahe schon beunruhigend. Aber er bemerkte unsere Blicke nicht. Oder sie interessierten ihn wenig. Das war bei ihm stets schwer zu sagen.
„Wir gehen heim. Alle", beorderte er uns über seine Schulter hinweg.

Er änderte etwas am Sattelgurt und ich rutschte näher an Sebastian heran. Sein Mantel fehlte.
„Warum haben die Leute Tomaten nach ihr geworfen?", fragte ich mit gesenkter Stimme.

Sebastian lehnte sich subtil ein Stück zu mir herunter.
„Sie behauptet auch, sie hätte ihre Krone gestohlen." Mit dem Kinn deutete er auf das leere Haupt von Miss Akemira, „Aber niemand hat davon etwas bemerkt."

Oh-oh. Das würde Ärger geben.

Und auch Lady Vanna war nicht bereit das Thema einfach so fallen zu lassen. Von Constantins Zurechtweisung nur noch weiter erzürnt marschierte sie auf ihn zu.
„Ihr wollt also nichts unternehmen? Nicht nach den Straftätern suchen lassen?"

Um uns herum hatte sich der gesamte Markt versammelt. Wir hatten ein buntes Publikum, das zehn Schritte Abstand von uns hielt, aber nah genug war, um jedes Wort zu hören. Sie kicherten und tuschelten über die absolute Gleichgültigkeit, mit der Constantin das Gebaren seiner Schwiegermutter ertrug. Er verstellte die Steigbügel, kontrollierte kurz das Gebiss und ging dann einfach auf die andere Seite des Pferdes, um aufzusteigen. Er hatte gesagt, was er jetzt tun würde und er würde es nicht noch einmal wiederholen oder diskutieren.

Auch Lady Vanna dämmerte, dass sie auf verlorenem Posten kämpfte. Und das tat ihren roten Flecken keinen Gefallen. Auch wenn man jetzt nicht mehr von Flecken sprechen konnte. Sie war genauso rot wie eine gepuderte Tomate. Ihre Augen funkelten nicht mehr, sie brannten lichterloh. Und damit drehte sie sich zu mir um.
„Du hast die Krone für dich zurückgestohlen. Wenn wir zurückkommen, soll ihr Zimmer durchsucht werden."

„Lady Vanna", warnte Constantin, doch es war bereits zu spät. Mit großen Schritten kam sie auf mich zu und stieß mir beide Handballen gegen die Schultern.

Das Volk grölte vor Begeisterung von so un-damenhaften Verhalten und ich stolperte zurück. Nach Halt suchend ruderte ich mit den Armen und das Medaillon rutschte heraus.

Im hohen Bogen flog es durch die Luft, sprang von dem unebenen Boden ab- einmal, zweimal. Der hohe klingende Ton seines Aufpralls auf dem Pflasterstein ließ das Lachen der Leute jäh verstummen. Es rollte ein kleines Stück, bis es in der Mitte der freien Fläche neben einer Pfütze liegen blieb. Ein goldener Fleck im Grau des Unwetters.

Mein Herz setzte aus und mir wurde kalt.

Bitte, bitte nicht.

Ich wollte gleichzeitig vorspringen, es vor den Augen der Leute verbergen, und wegrennen. Mein Magen drehte sich um und ich war felsenfest überzeugt, wieder an der Kante des Dachs zu stehen. Oder schon einen Schritt weiter. Es war das Gefühl, wenn die komplette Welt um einen herum in Staub zerfiel. Alles, was man liebte und schätzte nur noch Asche.
Sie wussten es. Jetzt wussten sie es.

Jeder glotzte den Anhänger an. Ein Symbol, das sie alle schon einmal gesehen hatten, irgendwo. Doch eine Frau unter ihnen brachte es am schnellsten in den richtigen Zusammenhang. Sie war mittleren Alters, mit grauen Strähnen in ihren streng zurückgebundenen Haaren und den ersten dunklen Flecken auf ihren entblößten Armen. Sehr langsam bückte sie sich, unsicher was sie damit tun sollte. Der Schal um ihre Schulter verrutschte, als sie es vom Boden aufhob und zu mir herüberbrachte.

Ich ergriff es, ohne die Kühle des Metalls zu spüren. Ohne eine einzige Regung in meinem Gesicht, den Blick auf den Boden niedergeschlagen. Jetzt wussten sie es.

Mit schlurfenden Schritten entfernte sich die Frau wieder.

„Das Zeichen der Ungläubigen." Ich wusste nicht, wer das gesagt hatte, aber es hallte in der Leere meines Körpers wider. Sie würden mich hängen und das war noch nicht einmal das Schlimmste.

Meine Brust wurde zu eng zum Atmen, als das Flüstern der Leute einsetzte. Sie steckten die Köpfe zusammen, doch ihre Augen hingen auf mir, als ziehe sie jemand mit Fäden an. Fäden, in denen ich mich verhedderte. Ich brauchte eine gute Ausrede! Eine feingesponnene Lüge, die mich retten würde. Doch mir fiel keine ein. Genau dieses eine Mal fiel mir keine ein.

„Sie ist eine von den Fanatikern!" Selbst Lady Vanna klang atemlos. Egal was sie sich von ihrer Auseinandersetzung erhofft hatte, dies sprengte jede Vorstellung. Hektisch drehte sie sich hin und her, um sich der Aufmerksamkeit der anderen Zuschauer zu versichern.

„Mutter", flüsterte ihre Tochter bittend, doch das Beben hinter diesem Wort schnürten mich nur weiter ein.

Behutsam schloss ich meine Finger um die Kette und steckte sie in eine meiner Rocktaschen. Ich hätte sie niemals hergeben können.

„Sie steckt hinter den Angriffen auf den König. Jetzt macht alles Sinn!", flüsterte Lady Vanna in einem fort, ohne ihre Tochter gehört zu haben.

Doch aus irgendeinem Grund holte mich ausgerechnet diese dämliche Anschuldigung in meinen eigenen Körper zurück. Ich hob das Kinn.
„Ich war bewusstlos. Bei De und den zwanzig orbitalen Zirkel des Himmels, denkt Ihr auch einmal na-..."

„Legt sie in Ketten!", rief jemand aus der Masse der versammelten Leute und mein Herz brach ein kleines Bisschen. Die Forderung fand prompt ein Echo. Meine eigenen Leute, meine Heimat, wandten sich gegen mich. Zustimmendes Gemurmel und das heftige Nicken Lady Vannas ließ mich in Constantins Richtung sehen.

Er sah mich einfach nur an. Nichts hinter seinen blau-grünen Augen hätte verraten, was in seinem Kopf vorging, als er Sebastian mit einer Geste bedeutete, dem Verlangen Folge zu leisten. Er blickte mir nur ins Gesicht und sagte nichts.

Ich versuchte, meine zitternden Hände zu beruhigen, bevor er sie sah, doch es war vergebens. Vielleicht würden sie mich einfach dem Zirkel verweisen? Ich hatte schließlich nichts verbrochen, außer ihrem Gottesdienst beigewohnt und die Verse falsch zitiert. War das wirklich ein Vergehen?

Sebastian trat demonstrativ einen Schritt zurück.
„Diese Kette beweist nichts. Vielleicht ist es nicht einmal ihre. Ich führe keine Unschuldigen ab."

Constantin nickte, hatte die Antwort bereits vorausgesehen, und wank stattdessen einem anderen Soldaten hinter ihm. Ich erkannte ihn nicht unter seinem Helm. Vielleicht kannte ich ihn auch gar nicht. Ich hatte allein Augen für das Paar Handschellen, das er mit sich brachte.

Innerlich wollte ich mich wehren. Ich wollte ihn von mir stoßen und fliehen. Ich musste sowieso hier fort. Doch meine Beine hatten Wurzeln in meinem Unglück geschlagen. Ich spürte jeden Blick auf meinen Handgelenken wie einen Dolch im Rücken.

Das Metall selbst war steif und rau. Bis heute Abend würde jeder in der Stadt wissen, dass ihre Königin eine von den fanatischen Heiden war. Ihre Rufe bauten sich zu einer wahren Welle auf, die mich in den Abgrund reißen würde. Die Nachricht würde sich sicherlich verbreiten wie ein Lauffeuer. Morgenfrüh würden sie mir nicht mehr zujubeln, sondern nach mir spucken. Das Bild blieb in meinem Kopf über den gesamten Rückweg zum Palast.

➴♚➶

          „Bist du vollkommen übergeschnappt? Du kannst von Glück reden, dass die Leute zu geschockt waren, um dich auf der Stelle zu lynchen."

Ich wusste nicht, warum Constantin mich nicht in eine Zelle geworfen hatte. Jetzt war ich zurück in meinem Zimmer, die Balkontüren fest verschlossen und mit doppelter Wachtzahl vor meiner Tür. Zu meiner oder der Sicherheit der anderen Palastbewohner konnte ich nicht sagen. „Weißt du nicht, was der Primus mit Zirkeln macht, wenn er glaubt, dass sie in die Hände der Ke-enen fallen könnten?"

Spiegel und Scheiben. Und nach ein oder zwei Wochen war der Boden zu trocken, um länger zusammen zu halten. Ich hatte davon gehört. Horror-Geschichten aus meiner Kindheit.

Ich wusste allerdings nicht, warum er sich die Mühe machte mich aufzusuchen. Oder warum er mich nicht verhörte. Niemand hätte es ihm vorgeworfen. Stattdessen war er deutlich aufgewühlter, als ich ihn zuletzt gesehen hatte. Er stand vor den eben beschriebenen Balkontüren und sah nach draußen, als könne er so die Stimmung seiner Leute von hier aus abschätzen.

Ich saß auf der Bettkante und beobachtete ihn. Als hätte ich den heutigen Vorfall wie eine riesige Enthüllung geplant. Ich war ins Kreuzfeuer geraten, ohne es zu bemerken, und jetzt würde ich die Folgen davon ausbaden. Aber vielleicht gab es ja für alle anderen Schadenbegrenzung.
„Du solltest dich mit der Scheidung beeilen. Zwei Ehefrauen unter einem Dach ist keine gute Idee", überging ich seinen Vorwurf.

Doch statt einer Antwort blieb er lange regungslos in seiner Überlegung, bis plötzlich-

„Warum hast du mir nie etwas gesagt?" Er drehte sich zu mir um und gab mir einen winzigen Einblick in seine Gedanken. Seine Haare waren im Zopf wieder getrocknet, aber deutlich lockiger als sonst. Eine dornige Krone aus Sorge und Stress, die ich ihm gerne abgenommen hätte.

Ich runzelte die Stirn.
„Habe ich doch. Gerade eben." Jeder sollte wissen, dass zwei Ehefrauen nur Probleme bedeuteten.

„Ich meinte über deine Religion! Wir sind verheiratet. Ich hätte sowas wissen müssen." Energisch kam er wieder zu mir zurück, doch anstatt sich vor mir groß zu machen, ging er vor meinem Bett auf die Knie und nahm meine Hände.

Wie immer griff sein Ärger sofort auf mich über, doch es wuchs kaum mehr als zu einem dumpfen Glimmen heran. Ertränkt von meiner Angst.
„Ach wirklich? Wann hätte ich es dir denn am besten sagen sollen? Gleich zu Anfang, damit du meinen Kopf als Dekoration auf einem der Wachttürme aufgespießt hättest?"
Es war nicht meine Schuld, dass ich in eine Welt geboren war, die sich über fiktive Gestalten und das Leben nach dem Tod stritt. Ich war es nicht, die andere Leute in Zellen warf, bis sie mir recht gaben. Ich erklärte niemandem, wie sie ihr Leben leben sollten.

Er ließ mich prompt los und erhob sich wieder. In einer einzigen geschmeidigen Bewegung stützte er die Arme links und rechts von mir auf die Matratze des Bettes und zwang mich zurück. Seine Worte waren kaum mehr als ein Zischen.
„Oh natürlich. Deinen hätte ich direkt neben die Kinderköpfe der letzten drei Taschendiebe aufgespießt, die ich erwischt habe. Du hattest wirklich Grund zur Sorge."

Und wer hatte mich heute in Handschellen abführen lassen, weil ich eine Kette fallen gelassen hatte?
Trotzig reckte ich das Kinn und amte seinen Tonfall nach.
„Besorg. Dir. Die. Scheidungsbriefe."

Er rückte von mir ab, die Augenbrauen zusammengeschoben.
„Warum willst du so verbissen..." Er brachte seine Frage nicht zu Ende. Stattdessen studierte er mich eingehender, bis ich ungemütlich hin und her rutschte.
„Du hast ihn gefangen, oder? Den Typ, der dir die Blumen geschickt hat?"

Mein Herz zog sich zusammen. Arroganter, intelligenter-... er kannte mich zu gut.
Aber das würde ich ihn nicht wissen lassen. Nicht, wenn es alles so viel komplizierter machte, auch an meinem letzten Tag.
„Ich habe ihn nicht einmal wirklich gesehen."

„Und du lügst schon wieder. In mein Gesicht", Constantin schüttelte den Kopf und wollte bereits zur Tür gehen, als er es sich wieder anders überlegte, „Sag mir nur Eines: Ich meine, wenn schon die gesamte Stadt denk, meine flüchtige Braut wäre eine fanatische Ungläubige- war deine Religion der Grund, warum du mich verlassen hast?"

Was? Ehrlich?
„Nein."

„Wusste mein Bruder, dass du zu den Ke-enen gehörst?"

Ernsthaft? Das war seine größte Sorge?
„Nein."

Er ließ sich auf den Sessel mir gegenüber fallen und mit dieser Geste kehrte alle Müdigkeit in sein Gesicht zurück. Mit beiden Händen fuhr er sich über die Augen, sah mich jedoch nicht noch einmal an.
„Gott verdammt, Dinah. Du hättest es mir wirklich sagen sollen."

Und vielleicht hatte er recht. Vielleicht hätte er einen Weg gefunden, der nicht mein oder das Leben aller Bewohner Clevems riskiert hätte. Constantin war manchmal zu Wundern fähig. Aber ganz ehrlich- mir fehlte in letzter Zeit die Naivität, um an derartige Dinge zu glauben. Und außerdem war es dafür jetzt zu spät.

Plötzlich wurde seine Nähe zu mir zu viel. Als würden sämtliche Möglichkeiten den Raum um ihn herum füllen und mir das Atmen schwer machen. Ich brauchte Luft. Frische Luft und unendliche Weiten. Ich fuhr hoch, beeilte mich zu den Balkontüren-... und blieb so abrupt stehen, dass ich sogar Constantin wieder aus seiner Lethargie holte.

„Was ist los? Ein neuer Fluchtversuch, noch während ich in deinem Zimmer sitze?" Er versuchte, an mir vorbei hinaus zu sehen, doch ich hatte mich bereits wieder in Bewegung gesetzt.

Auf den mondbeschienenen Fliesen wartete ein vertrauter Gegenstand. Goldgeflochten trug Constantin das breitere Gegenstück manchmal mit sich. Doch dieses war viel zu fein und elegant, um seine Krone zu sein.

Widerwillig beugte ich mich zu ihr unter und entdeckte einen schmalen, eingeklemmten Zettel unter ihr. Mit Constantin in meinem Rücken entfaltete ich das Papier wie ein Todesurteil.

„Wärst du lieber geflohen, als du noch konntest. Hör auf zu suchen."

➴♚➶

"Weil Religion kompliziert ist, aber Männer komplizierter."- Dinah. Eheberaterin (darf gerne in Sternen bezahlt werden.

Ich saß heute morgen um kurz nach 7am auf dem ersten Pferd. (ihr könnt inzwischen meinen chaotischen Alltag auf Instagram verfolgen) Und lasst mich euch sagen: Ich bin SO müde xD 

Erst mal die nächsten 6 Folgen The Witcher mit TJ schauen xD

Continue Reading

You'll Also Like

260K 21.8K 41
𝐖𝐢𝐞 𝐞𝐧𝐭𝐤𝐨𝐦𝐦𝐭 𝐦𝐚𝐧 𝐞𝐢𝐧𝐞𝐦 𝐒𝐜𝐡𝐢𝐟𝐟 𝐯𝐨𝐥𝐥𝐞𝐫 𝐠𝐞𝐟𝐚𝐧𝐠𝐞𝐧𝐞𝐫 𝐒𝐞𝐞𝐥𝐞𝐧, 𝐰𝐞𝐧𝐧 𝐞𝐢𝐧𝐞 𝐝𝐚𝐯𝐨𝐧 𝐝𝐞𝐢𝐧 𝐇𝐞𝐫𝐳...
797K 66.5K 60
Das Leben hat einen an der Waffel. Vor allem, wenn man mit ihm schon längst abgeschlossen hat.
44.4K 3.1K 42
Einfach Weg! Das ist es was Leoni will, als sich ihre Hochzeit in ein Alptraum verwandelt. In ihrer Not, wendet sie sich an ihrem Bruder, der sie ei...
1.6K 260 5
Elayn weiß, es gibt nur zwei Gründe, warum magisch begabte Kinder auf einen weihnachtlichen Ball gehen. Erstens: Sie wurden von den Adeligen gekidnap...