Die Forelli-Dynastie: Göttlic...

By dell_a_story

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Iris Dan de Lion ist eine abenteuerlustige Landadelige und eine der letzten Blomlore-Übersetzerinnen in ganz... More

Vorwort
Karten
Im Haifischbecken [Teil 1]
1. Zum Goldenen Hummer ⋆
2. Vier rote Knobbs ⋆
3. Fischfutter ⋆
4. Brandstiftung ⋆
5. Der schwarze Stichling ⋆
6. Bei Tageslicht ⋆
7. Pike und Hauki ⋆
8. Der alte Gamal ⋆
9. Die Florfruese und der Gusar ⋆
10. Spaziergang mit Umwegen ⋆
11. Samt und Seide ⋆
12. Der Patriarch ⋆
13. Die Schwertlilie ⋆
14. Auf verschiedenen Seiten ⋆
15. Die wahre Natur ⋆
16. Novomagica ⋆
17. Tafelrunde
18. Das Holloch
19. Falscher Nöck
20. Weiblicher Rat
21. Die Haie von Ryba
22. Schattenmesser
23. Futusfera
24. Widerliche Kreaturen
25. Die Füchsin
26. Der Mühe Lohn
27. Die Tortur des Seidenspinners
28. Der zweite Zauber
29. Der böse Geist von Ryba
30. Am Abgrund
31. Pläne, Tee und Pralinen
32. Hummer zum Dessert
33. Lebendige Dunkelheit
34. Brennender Himmel
35. Rot wie Blut
36. Lass uns ein Spiel spielen
37. Nackte Tatsachen
38. Der Sudtempel
39. Das Haus der Frauen
40. Fräulein Ondine
42. Nächtlicher Besuch
43. Wasserscheu
44. Rybaler Heidschnucken
45. Myrkurs Reich
46. Willkommen in der Familie
Blut und Wasser [Teil 2]
47. Duelle und Kuchen
48. Kalte Luft
49. Ratten
50. Die Vision
51. Die Warnung
52. Durch die Macht der Göttin
53. Schlammfischen
54. Kikermarkt
55. Seeteufel
56. Die Gejagten
57. Der doppelte Rogner
58. Geschwisterliebe
59. Berührungspunkte
60. Von Flockenfaltern und Flogmusen
61. Karten auf den Tisch
62. Die Lage spitzt sich zu
63. Auf Messers Schneide
64. Wilde Hatz
65. Zu den Waffen
66. Nachtschattengewächse
67. Krähengesang
68. An Tineas Fäden
69. Sonnenaufgang
70. Lehrstunde
71. Blind
72. Veränderungen
73. Tauben auf dem Dach
74. Die Ballade des Piratenkönigs
75. Gusarenblut
76. Freunde aus zwei Welten
77. Ein kleines Pläuschchen
78. Hinter dem Schleier
79. Otter und Weinbrand
80. Sheitani
81. Im Auge des Sturms
82. Vom Wert eines Namens
83. Prinzessin Liten
84. Unerwarteter Besuch
85. Zündstoff
86. Finsternis
87. Ein göttliches Wunder
88. Unter die Haut
89. Ein Funken Wahrheit
90. Familienangelegenheiten
91. Ein lang erwartetes Fest
92. Die königliche Werft
93. Erste Annäherungen
94. Feindkontakt
95. Brennende Flügel
96. Rybala Havfruese
97. Auferstehung
98. Bittere Wahrheiten
99. Tränen der Götter
100. Etwas ist anders
101. Göttliches Erbe
102. Aus der Asche
Nachwort
Anhang
Register

41. Herzenssache

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By dell_a_story

Zander sah von seiner grausamen Arbeit auf, als Iris zu ihnen zurückkehrte. Allein und verloren, wie etwas, das der Herbstwind hereingeweht hatte, stand sie in der Tür. Er sah ihr an, wie sehr sie ihn dafür hasste, dass er ihr das antat. Es fühlte sich nicht gut an.

»Du kommst gerade rechtzeitig«, stellte Tuna fest. »Unser Freund redet jede Menge unverständliches Zeug.«

Ihrem Freund waren die Handgelenke hinter dem Rücken gefesselt und mithilfe eines Seils, das über ein Kurbelgewinde und einen Haken an der Decke verlief, nach oben gezogen worden, sodass er an seinen Armen hing. Dieses so genannte Pfahlhängen war äußerst schmerzhaft, führte nach etwa einer halben Stunde zu Bewusstlosigkeit und nach ein paar Stunden zum Tod. Dementsprechend war ihr namenloser Freund äußerst willig, sich alles von der Seele zu reden.

»Ich mache nur, was ich tun muss, um Herrn Forelli zu helfen«, sagte Iris, ohne sich vom Fleck zu rühren. »Und das auch nur, weil ich Mitschuld an seinem Zustand habe.«

»Du bist unsere Übersetzerin«, erwiderte Zander. »Das ist alles, was wir von dir wollen.«

Iris schien noch einmal tief ein- und wieder auszuatmen, dann betrat sie die Kammer und schloss die demolierte Tür hinter sich. Der Gefangene hob den Kopf und begann sofort, mit winselnder Stimme auf Iris einzureden. Sie kam näher und lauschte seinen Worten. Obwohl sie sich sichtlich bemühte, sich keine Gefühle anmerken zu lassen, sprach ihre Miene eine unmissverständliche Sprache. »Er sagt, sein Name sei Tauro Baboi.«

»Baboi?«, wiederholte Zander fragend.

»Sarko Babois Bruder«, ergänzte Iris.

Zander hob die Augenbrauen. »Wirklich?« Er sah zu Tuna, die seinen Blick ebenso überrascht erwiderte. »Frag ihn, was er in Myr Ryba macht.«

Nach kurzem Überlegen befolgte Iris die Anweisung, wobei sie das schmerzerfüllte Ächzen und Stöhnen ihres Gesprächspartners mit der Stimme zu übertönen versuchte. 

Kaum dass sie geendet hatte, blubberte Tauro Baboi los. Er redete und redete wie der sprichwörtliche Wasserfall. Iris verhielt sich jedoch äußerst professionell und ließ ihn seine Geschichte zu Ende erzählen, bevor sie sich ans Übersetzen machte. 

»Er sagt, er und sein Halbbruder würden aus den Wodlanden stammen und seien weit oben im Norden, in der Nähe von Neromonte, aufgewachsen. Aus diesem Grund sprächen beide sowohl Blomlore als auch Swartlore. Später sei sein jüngerer Bruder dann nach Erdhav zu ihrem Onkel gezogen, wo er eine Ausbildung zum Unterhändler gemacht, sowie Fisklore und Roilore gelernt habe. Vor einigen Monaten wäre Tauro von seinem Bruder kontaktiert worden. Er habe ihm von den Karpis aus Myr Ryba berichtet, die auf der Suche nach einem Unterhändler mit besonderen Sprachkenntnissen seien. Da Sarko nur wenig altes Blut in sich trägt, ist er wohl trotz guter Ausbildung nur sehr begrenzt fähig, Blomlore zu übersetzen. Daher wollte er, dass Tauro in die Stadt kommt und ihn unterstützt.«

»Dieser schamlose Lügner«, grollte Zander in Erinnerung an Sarko Babois Angeberei in Bezug auf seine Herkunft und seine Sprachfähigkeiten. Er wanderte an der Wand entlang bis er hinter Tauro Baboi stand und Iris direkt ansehen konnte. »Gut. Und jetzt frag ihn, was es mit den Haien von Ryba auf sich hat.«

Ungeduldig wartete Zander auf das Ergebnis des folgenden Wortwechsels. Im Halbdunkeln des fensterlosen Kerkers schien die Zeit viel langsamer zu vergehen. Tauros Stammeln wurde immer wieder von Pausen unterbrochen, die dem Schmerz geschuldet sein mussten. Doch Zander hatte kein Mitleid. Er wusste, die Quelle würde versiegen, wenn er den Strick auch nur wenige Zentimeter lockerte.

»Er sagt, sein Bruder habe die Haie rekrutiert, kurz nachdem er seinen Dienst für die Karpis angetreten habe. Angeblich handelt es sich bei ihnen um Söldner aus einem fernen Land.«

»Blödsinn«, grollte Zander und betätigte die Kurbel, die Tauro Baboi an den Händen in die Höhe zog und ihn dann ruckartig wieder ein Stück absacken ließ. Der Mann stieß einen gellenden Schmerzensschrei aus, als der Impuls durch seine Arme und Schultern fuhr.

»Hör auf, Zander!«, protestierte Iris aufgebracht. »Wieso denkst du, dass er lügt?«

»Weil einer der Haie meinen Namen kannte«, entgegnete Zander. »Und auch wenn ich es äußerst schmeichelhaft finde, dass ihr offenbar der Meinung seid, ich wäre auch über die Stadtgrenzen von Myr Ryba hinaus bekannt, muss ich euch in dieser Hinsicht leider widersprechen.« Er fasste das Seil und spannte es mit der Hand, was Tauro gequält aufstöhnen ließ. »Die Haie von Ryba stammen aus der Gegend.«

Iris wischte sich mit einer Hand den Schweiß von der Stirn und wandte sich wieder an Tauro. Diesmal klang ihr Tonfall schärfer. Der Mann wimmerte und jammerte wie ein geprügelter Hund.

»Er gibt zu, dass die meisten Haie in Ryba rekrutiert wurden«, übersetzte Iris. »Von einem Ort, der sich Modderhauven nennt.«

Zander knetete mit den Fingern seine Lippen und nickte. »Das liegt im Osten der Stadt. Elende Gegend.«

»Aber zwei seien von weiter weg gekommen«, fuhr Iris fort und fasste sich, scheinbar ohne es zu merken, ans Brustbein, genau dorthin, wo sich ihr Herz befinden musste.

»Woher?«, fragte Zander interessiert.

Iris schüttelte den Kopf. »Das weiß er nicht.«

»Er sagt, dass er es nicht weiß«, korrigierte Zander und betätigte erneut die Kurbel. 

Während Tauro vor Schmerz wie am Spieß brüllte, presste sich Iris die Hand auf die Brust, senkte den Kopf und wandte den Blick ab.

Als Tauro schließlich verstummte und halb bewusstlos am Haken hing, wandte sich Zander wieder an Iris: »Frag ihn noch einmal.« Sanfter ergänzte er: »Bitte.«

Iris blinzelte Tränen weg. Es war jedoch nicht nur Mitleid, das diese Gefühlsregung auslöste, sondern auch echter Schmerz. Das konnte Zander an ihren Augen erkennen. Trotzdem tat sie, was er gesagt hatte, und wiederholte die Frage. Einmal. Zweimal. Dann näherte sie sich Tauro, um sein Gewinsel besser verstehen zu können. 

»Er sagt, dass sie eine komische Sprache sprächen, die er nicht kenne. Allerdings glaubt er, dass sie vom Wüstenvolk abstammen könnten.«

»Vom Wüstenvolk?«, wiederholte Tuna.

Iris sah sich irritiert nach ihr um. »Ja. Was bedeutet das?«

»Das Wüstenvolk gilt als ausgerottet«, erklärte Zander. »Aber einige der Überlebenden verdingen sich heutzutage als Attentäter.«

»Aciarische Attentäter...«, hauchte Tuna. »Sie könnten hinter dem Anschlag auf Gwydion Dan de Potas stecken. Das wäre genau ihr Stil.«

»Wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen«, gab Zander zu bedenken, auch wenn er fand, dass diese Theorie recht plausibel klang.

»Bitte, Zander«, flehte Iris, wobei sie sich noch immer eine Hand auf die Herzgegend presste. »Mehr weiß er wirklich nicht. Können wir es nicht dabei bewenden lassen? Er hat doch nichts damit zu tun. Wenn wir weitermachen, stirbt er.«

Zander nickte. »Du hast recht. Wenn wir so weitermachen, wird er sterben.« Er gab Tuna ein Zeichen. »Und das wäre mir in diesem Fall tatsächlich sehr unrecht. Als Sarko Babois Bruder kann er uns sicher noch nützlich sein.« Was er Iris nicht sagte, war, dass er Tauro unmöglich freilassen konnte. Über kurz oder lang würden sie sich seiner entledigen müssen. Das war unumgänglich.

Während Iris zu Tauro ging, um ihm die freudige Botschaft zu übermitteln, trat Tuna hinter den Gefolterten und machte sich an seinen Fesseln zu schaffen.

»Iris, geh da weg«, mahnte Zander.

»Er wird fallen«, protestierte Iris, eine Hand auf ihre Brust gepresst. »Und er hat Schmerzen.«

Zander wollte gerade entgegnen, dass sie ebenfalls so wirkte, als ob sie Schmerzen hätte, da kam Tauro Baboi frei, stürzte vorwärts und taumelte gegen Iris. Von der Wucht seines Anpralls überrumpelt, wurde sie von den Beinen gerissen und unter ihm begraben. Sie stieß einen spitzen Schrei aus und wollte ihn von sich wegstoßen, aber er klammerte sich an sie. 

Obwohl er so etwas schon geahnt hatte, kam Zanders Reaktion viel zu spät. Iris' Schrei steigerte sich zu einem Kreischen, als Tauro die Zähne in ihr Fleisch grub. Tuna bekam ihn irgendwie zu fassen, aber er gebärdete sich so wild, dass sie große Mühe hatte, ihn von Iris herunterzuzerren. 

Eine eisige Kälte durchfuhr Zander wie eine winterliche Böe, die mit jedem Laut aus Iris' Mund stärker wurde. Er schnappte sich eine der Knochensägen, die eigentlich nur zu Dekorationszwecken die Wände der Folterkammer zierten, stieß Tuna beiseite, packte Tauros Kopf und rammte das stumpfe Werkzeug in seinen Hals. Ein dunkelrotes Rinnsal quoll aus der Wunde, während der Mann von Iris abließ, röchelte und zuckte. Zander zerrte die Waffe wieder aus seiner Kehle, wodurch ein Schwall Blut ins Freie befördert wurde. Tauro gab ein gurgelndes Geräusch von sich, brach zusammen und hätte Iris beinahe unter sich begraben. Gerade noch rechtzeitig konnte sie sich unter ihm herauswinden und rückwärts davonkrabbeln. Tuna wollte ihr zu Hilfe kommen, doch Iris stieß ihre ausgestreckten Hände beiseite. Sichtlich verstört zog sie sich an einem der Tische auf die Beine, raffte ihr blutbesudeltes Kleid zusammen und rauschte zur Tür hinaus.

Zander ließ Tauros Kopf los und warf seine Waffe weg. »Kümmere dich um das hier. Ich sehe nach Iris.«

»Denkst du, das ist eine schlaue-«

Den Rest des Satzes hörte Zander nicht mehr, weil er da schon aus der Tür war. Er rannte den Korridor und die Treppe hinunter. Allerdings schien Iris das Beste aus ihrem Vorsprung gemacht zu haben. Sie war nirgendwo zu erblicken. Dafür kamen ihm die Türwächter entgegen. 

Zander wimmelte sie ab und trat auf die Straße hinaus. Das Sonnenlicht blendete ihn, sodass er seine Augen mit einer Hand abschirmen musste, um etwas erkennen zu können. Sofort fiel sein Blick auf die Umrisse des Sudtempels, der sich nicht weit entfernt in den Himmel schraubte. Da er vermutete, dass Iris in den heiligen Hallen Zuflucht gesucht haben könnte, überquerte er die Straße und tauchte in das Halbdunkel der Tempelanlage ein. Doch erneut keine Spur von Iris.

In Ermangelung einer Alternative folgte er der Straße, die den Berg hinauf zum Leuchtturm der Stadt führte. Dort grünten und blühten die Meereskiefern. Weiter südlich verdichtete sich das Unterholz zu einem dunklen Wald, der die östliche Flanke des Sudkyste-Viertels überwucherte. Dahinter lagen der Modderhauven und die Schlammfelder. Trotz des gleißenden Sonnenscheins fühlte Zander in seinem Innern noch immer eine eisige Kälte. Aus vergangenen Erfahrungen wusste er schon, dass dieses Gefühl erst wieder verschwinden würde, wenn er sicher war, dass alle Menschen, die ihm etwas bedeuteten, wohlauf waren.

Nach wenigen Minuten erreichte Zander die aufgeschichteten Felsen, die den Leuchtturm umgaben, der in den Stadtfarben blau und weiß angestrichen war. Bei Ebbe konnte man von hier bis zu den Kalksteinfelsen am Ausgang der Bucht klettern. Der aktuelle Wasserstand ließ dieses Unterfangen jedoch wenig erstrebenswert erscheinen. Weiter draußen konnte er die Seeteufel erkennen, die soeben ihre blütenweißen Segel setzte. 

Dann entdeckte er Iris. Sie war über die Felsen bis zum äußersten Ende der Landzunge geklettert. Dort hatte sie sich niedergelassen und blickte auf den Ozean hinaus, wie eine Seemannswitwe, die ihrem Ehegatten nahe sein wollte. Zu diesem Eindruck trug auch bei, dass sie noch immer eine Hand auf ihr Herz presste.

»Iris!«, rief Zander, während er von Felsen zu Felsen sprang. Sie reagierte nicht. Irgendwo in der Nähe schnatterten und zankten die Möwen. Dennoch musste sie seine Stimme gehört haben. »Iris!«, wiederholte Zander und erhöhte seine Anstrengungen. Erst als er sie fast erreicht hatte, verlangsamte er seine Schritte und Sprünge wieder. »Geht es dir gut, Iris?«

»Was erwartest du denn?«, entgegnete sie gereizt. »Dieser Mistkerl hat mich gebissen! Oder ist dir das etwa entgangen?« Sie zupfte ihr Kleid zurecht, das mit Tauros und vermutlich auch mit ihrem eigenen Blut besudelt war. »Ich wollte ihm helfen und das ist der Dank.«

Zander schmunzelte. Es beruhigte ihn, dass Iris noch immer ganz die Alte zu sein schien. Vorsichtig setzte er sich zu ihr auf den Felsbrocken. Sie wandte ihr Gesicht ab, aber er konnte die Bisswunde erkennen, die sich auf ihrem Schlüsselbein abzeichnete. Sie war zum Glück nicht besonders tief, bedurfte aber auf jeden Fall einer ärztlichen Behandlung. 

»Es tut mir leid. Ich hätte besser aufpassen müssen.«

Iris schwieg einen Moment und blinzelte in die Sonne, die in nördliche Richtung gewandert war. »Nun, du hattest mich gewarnt, aber ich habe nicht auf dich gehört.«

»Du hattest Mitleid-«, begann Zander, aber Iris schüttelte den Kopf.

»Nein... oder ja, aber das ist es nicht.« Sie löste die Hand von ihrer Brust und betrachtete ihre Finger, als erwartete sie, dass damit irgendeine Veränderung vonstatten gehen würde. »Ich konnte es fühlen, Zander.«

»Was?«, fragte er.

Iris schloss die Augen. »Alle Kinder des Waldes sind miteinander verbunden. So heißt es jedenfalls in den Legenden, die man mir und meinen Brüdern früher erzählt hat. Und manchmal, da kann ich es tatsächlich fühlen. Bei Sarko Baboi habe ich es gefühlt und jetzt auch bei seinem Bruder.«

Zander schwieg. Auch den Gusaren sagte man nach, dass sie miteinander verbunden wären, wie die Wellen eines gewaltigen Ozeans. Er hatte nie wirklich daran geglaubt, die Vorstellung aber irgendwie genossen. Immerhin hätte das erklärt, wieso Tuna und er so kinderleicht Freundschaft geschlossen hatten.

»Vergiss es«, murmelte Iris.

»Ich bin froh, dass du zurückgekommen bist«, sagte Zander, weil ihm nichts Besseres einfiel und weil es die Wahrheit war. »Ohne dich wüssten wir nicht, was wir jetzt wissen.«

»Und was soll das sein?«

»Die zwei Gestalten, die in der Händler-Gilde Fragen nach Rogner Forelli gestellt haben, sind vermutlich die zwei Männer, von denen Tauro Baboi gesprochen hat. Außerdem wissen wir jetzt, dass sie vermutlich vom Wüstenvolk abstammen und daher vielleicht ausgebildete Attentäter sind, was wiederum den Schluss nahelegt, dass sie Gwydion Dan de Potas getötet haben.« Er stützte sich mit den Händen ab und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Langsam kehrte die Wärme in sein Herz zurück. »Das bedeutet, dass wir uns als Nächstes Sarko Baboi, seine Haie von Ryba und die Karpis vorknöpfen müssen.«

Für einen Moment herrschte Schweigen, dann gab Iris ein glucksendes Geräusch von sich. »Er hat mich echt gebissen!«, sprudelte es aus ihr heraus. »Und dann hast du ihn einfach getötet.«

»Das war ein Reflex«, verteidigte sich Zander.

Iris kicherte. »Und wie soll er uns jetzt noch nützlich sein?«

»Ich habe das nicht zu Ende gedacht«, erwiderte Zander, woraufhin Iris noch heftiger lachen musste.

»Lass uns gehen«, sagte sie schließlich. »Aber bevor wir zum Anwesen zurückkehren, will ich noch etwas von dem Erdbeersaft.«

Zander richtete sich auf und streckte die Hände nach Iris aus. »Davon kannst du heute so viel haben, wie du willst, aber morgen müssen wir wieder arbeiten.«

»Ja, ja«, erwiderte Iris, nahm seine Hände und ließ sich von ihm auf die Beine helfen. Der frische Wind zerzauste ihre kurzen Locken. »Was ist eigentlich mit den Möwen los?«

Jetzt da sie es sagte, wurde auch Zander wieder auf das wilde Geschnatter der Möwen aufmerksam. »Vermutlich ist ein großer Fisch angespült worden«, sagte er. »Aber wir können gern nachsehen gehen.« 

Mit Iris an der Hand bewegte er sich über die Felsen, wobei er sorgsam auf seine Balance und die der Felsen unter seinen Füßen achtete. Als sie den Rand erreichten und in die Tiefe spähten, sahen sie die Möwen, die sich auf einem Felsvorsprung in Wassernähe versammelt hatten. Es mussten Dutzende sein. Zander kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können, was der Grund für ihre Versammlung war. 

Als er die grausige Wahrheit erkannte, zog er Iris zu sich. »Nicht hinsehen.«

Sie sträubte sich gegen seine Umarmung. »Wieso? Was ist da?«

»Ein falscher Nöck«, antwortete Zander.

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