Lifve - Abgründe der Menschhe...

By saskiarey

42.4K 3.9K 1.2K

Lifve: Weiß alles, entscheidet alles, kann alles, beeinflusst alles. Jeder Mensch trägt ihn um das Handgelenk... More

Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Fancover
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
VERÖFFENTLICHUNG "Doll Hunters"
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Lesenacht
Kapitel 38
Kapitel 39
Epilog
Nachwort
VERÖFFENTLICHUNG "Daughter of Shades"
VERÖFFENTLICHUNG "Son of Flames"
VERÖFFENTLICHUNG "Doll Hunters 2: Geträumt"

Kapitel 6

1.2K 108 39
By saskiarey

Monja

Fast zwei Monate sind vergangen, seitdem mir Mrs. Jameson die Stelle als Disposerin angeboten hat. Ich habe eine Woche später verbindlich zugesagt.

Keaton hat es nicht geschafft, mich zu überreden, seine Freunde zu besuchen. Es gibt zwei Dinge, die mich davon abhalten. Kane wird dort sein und ich bin nicht bereit gewesen, ihm nochmals so über den Weg zu laufen. Die unverhoffte Begegnung hat mir gereicht. Außerdem befindet sich das Geheimversteck der Nolifves in einem von Stürmen zerstörten Vorort. Der Ort, in dem ich mit meinen Eltern gelebt habe und in dem sie gestorben sind.

Es gab einen Grund, warum ausgerechnet Mrs. Jameson zu mir kam. In ihrer Familie werde ich den praktischen Teil der Ausbildung absolvieren.

Es gibt mehrere Akademien im Land, wo DIS-Schüler in der Theorie unterrichtet werden. Einen Sitz haben die Disposer in Austin, wo sich auch meine Akademie befindet. Das ist etwa eine Stunde von Houston entfernt. Viele DIS arbeiten von Zuhause aus, gelegentlich finden aber auch Meetings statt. Je nachdem für welches Areal man zuständig ist, muss man sich im entsprechenden Sitz versammeln.

Meine Ausbildung findet im Blockunterricht statt. Das bedeutet, dass ich zwei Wochen in der Akademie sein werde und dann zwei Wochen bei meinen Ausbildern. An den Wochenenden habe ich Freizeit und darf dementsprechend den Heimweg antreten. Dank dem Versprechen, das ich Keaton gegeben habe.

Mit dem Speed-Zug erreiche ich Austin, wo heute der Empfang stattfinden wird, innerhalb von ein paar Minuten. Die Zugstrecke verläuft unterirdisch in Vakuumröhren und befindet sich noch in der Testphase. Bisher existieren wenige Verbindungen und meist nur auf viel befahrenen Strecken und von Großstadt zu Großstadt. Es gibt keine Zwischenhalte und die Züge beschleunigen teilweise auf 900 km/h.

Ich habe versucht, zu erahnen, was mich heute erwartet. Aber es kam mir nichts Vernünftiges in den Sinn. Beim Aussteigen gelangen wir unmittelbar in einen Übergang, wie die Brücken bei einem Flugzeug, an dessen hinterem Ende mehrere Fahrstühle abzweigen. Da heute Donnerstag ist, bleiben wir zur Einführung nur zwei Tage in der Akademie.

Ich ziehe bloß einen kleinen Rollkoffer hinter mir her und quetsche mich mit anderen Fahrgästen in einen Fahrstuhl.

Sobald ich an der Oberfläche des Bahnhofes angelangt bin, leitet mein Lifve mich mit den Straßenbahnen zu der Akademie. Ich war die ganze Zeit über kaum bis gar nicht nervös. Das ändert sich sofort, als ich das Gebäude unverwechselbar vor mir sehe.

Es ist vor allem groß und auffällig. Geformt wie ein Halbkreis steht es umringt von Bäumen, die vergeblich versuchen, von dem gräulichen Großstadtflair abzulenken. Mir macht die fehlende Grünfläche nichts aus - zumal das Gras im heißen Sommer ohnehin zu Stroh werden würde. Aber Landkindern dürfte die Lage der Akademie nicht gefallen.

Sobald ich mich mit dem Lifve an der Anmeldung registriert habe, empfange ich die Nummer meines Zimmers, wichtige Zeiten, wie die Essenszeiten, und einen Lageplan der Akademie. Ich erfahre, dass sie nach der Gründerin Chrystal Byers benannt ist, kurz CBA. Außerdem kenne ich nun schon meinen Stundenplan, den ich mir zweimal durchlese und immer noch nicht alles verstehe. An jedem Freitag habe ich abends Boxtraining. Halte ich für lächerlich, aber Sport kann als Abwechslung nicht schaden. Und vielleicht hilft es ja wirklich gegen die Wutanfälle.

Die Akademie ist so groß, dass jeder ein Einzelzimmer hat. Mein Lifve öffnet die Tür. Die Möblierung ist ausreichend und stylisch. Bett, großer Schrank, Spiegel, Schreibtisch, Sessel und eine freie Wand, an der ich mit dem Lifve Filme, Serien oder die Nachrichten schauen kann. Es grenzt ein Badezimmer mit Klo und Dusche an. Essen wird es in der Mensa geben. Aber es besteht auch die Möglichkeit in ein paar Kochnischen im Erdgeschoss selber zu kochen. Weiß ich alles dank Lifve.

Ich schmeiße meine Tasche aufs Bett und gehe zum Fenster. Ausblick habe ich über einen Hof, der zum Gelände der Akademie gehört. Dann überlege ich, ob ich mich vor der Begrüßungsfeier umziehen sollte, belasse es schließlich doch bei dem langen T-Shirt mit drei absichtlichen Löchern und bei der mit Stickereien verzierten Leggings, dessen eines Bein mir nur bis zum Knie reicht. Dadurch kommen meine Tattoos am Bein und in der Nähe meiner Hüfte zur Geltung. Bloß den dunkelblauen Lippenstift ziehe ich noch einmal nach.

Ich verbringe die Wartezeit bis zur Begrüßung im Internet und teile Keaton (und meinen Followern) mit, dass ich gut angekommen bin. Im Nu ist die Dreiviertelstunde herum und ich lasse mich vom Lifve in die Eingangshalle führen.

Nervosität gesellt sich zu der Vorfreude, als ich die Halle betrete. Das war wirklich nie der Beruf, den ich mir für mich vorgestellt habe. Aber abgesehen von der Tatsache, dass ich immer mehr Gefallen an daran finde, verschafft mir das die Möglichkeit Annabell wiederzufinden.

Es sind noch ein paar Plätze frei. Die Stühle stehen in Reihe zur Bühne gerichtet. Ich überfliege die Menschen und überlege, wer mir sympathisch sein könnte. Mit der Gesichtserkennung des Lifves finde ich schnell etwas über sie heraus. Je nachdem, wie viel sie Außenstehende sehen lassen. Aber auch die Profile kann ich nur im Schnelldurchlauf betrachten. Außerdem ist es sinnvoller, die Gesichtserkennung in meiner neuen Klasse zu machen.

Doch dann sticht mir der Name einer Person ins Auge. Jameson ... Wer war nochmal ... Aubrey Jameson! Meine Ausbilderin.

Ich hätte mir Mrs. Jameson's Profil ansehen können. Immerhin haben wir unsere Lifves sogar verbunden. Aber ich war gehemmt, hatte anderes im Kopf und war noch nicht vollends bereit, mich mit meiner neuen Zukunft zu befassen.

Hätte ich es getan, wüsste ich schon, dass sie einen (oder vielleicht auch mehrere) Enkel hat.

„Hübsch", murmle ich anerkennend, als ich das Profil von Ryland Timothy Jameson anschaue. Über seinen Zweitnamen muss ich schmunzeln. Gut, dass meine Eltern auf so etwas verzichtet haben. Er ist ein Jahr jünger als ich. Mich wundert allerdings, wie wenig Bilder und Inhalt sein Profil hat. Ist das als Disposersohn üblich?

Ich sehe auf und entdecke ihn am Rand einer Stuhlreihe. Und er entdeckt mich. Überrascht mustert er mich für vielleicht zwei Sekunden, bevor er sich wieder abwendet. Da ich alle zwei Wochen für zehn Tage bei ihm zuhause wohnen werde – oder wenigstens bei seiner Familie – wäre es womöglich schlau, mich mit ihm anzufreunden. Außerdem wird er als Disposersohn auch von seiner Familie unterrichtet.

Entschlossen kämpfe ich mich durch die enge Reihe, um den freien Platz neben ihm zu ergattern. Dummerweise muss ich dafür an ihm vorbei gehen. Das ist deshalb dumm, weil ich über sein Bein stolpere. Ich gebe einen erschrockenen Laut von mir und halte mich im Sturz an seiner Schulter fest. Er umfasst reflexartig meine Körpermitte oberhalb der Hüfte. Ich sinke auf den Stuhl neben ihm, nachdem ich mich leise bedankt habe. Dann überlege ich, wie man so eine peinliche erste Begegnung überspielen kann.

Mein Körper ist schneller als mein Gehirn: Ich muss lachen. „Tut mir leid, dass ich deine Distanzzone bereits überschritten habe, ohne ein Wort mit dir gewechselt zu haben."

Rylands schockierter Blick irritiert mich. Er mustert scheinbar jede Stelle meines Gesichtes, bis seine Augen hinab wandern und ... Ich erschrecke. Seine Augen! Verwundert recke ich den Hals und lege den Kopf schief.

„Hast du verschiedenfarbige Iren?", frage ich fasziniert.

Er löst den Blick von dem Loch meines T-Shirts unterhalb der Brust, wo mein kleines Herz-Tattoo hervorschaut. Seine Miene ändert sich. Aus Schock wird Missbilligung.

„Ist dein T-Shirt kaputt?", stellt er genervt eine Gegenfrage.

Ich zucke mit einer Schulter und verstehe seinen Wink. „War meine Frage zu offensichtlich?" Ich lächle schief. Automatisch befinde ich mich im Flirt-Modus. Das hat man davon, wenn man in einer Ü18-Bar arbeitet. „Aber ich war mir nicht sicher. Darf ich näher heran kommen?"

Ich muss nicht näher an ihn heran, um zu erkennen, dass ich mich nicht getäuscht habe. Das eine ist graublau und das andere hellbraun. Mir ist noch nie ein Mensch mit zwei unterschiedlichen Augenfarben begegnet. Ein wahres Kunstwerk der Natur. Aber ihm geht es wohl auf die Eier, ständig deswegen angestarrt zu werden.

„Kennen wir uns?", fragt Ryland desinteressiert. Meine Frage ignoriert er.

„Monja Dearing. Schau dir gerne mein Profil an. Habe ich bei dir auch schon getan." Ich warte, ob mein Name irgendeine Assoziation in ihm ausruft. Nichts. Dann hat seine Großmutter wohl nicht von mir erzählt oder zumindest meinen Namen nicht erwähnt.

„Ich werde zukünftig meine Ausbildung bei deiner Großmutter verrichten", füge ich deshalb hinzu.

„Ah, ich erinnere mich", meint Ryland. Dann lächelt er erzwungenen. Es gleicht eher einem Lippen aufeinander pressen. Seine Begeisterung hält sich offensichtlich stark in Grenzen. „Grandma hat das erwähnt. Schön, das freut mich."

Natürlich. Das merkt man.

Während der gesamten Begrüßungsrede beachtet Ryland mich nicht mehr. Ich höre nur mit halbem Ohr zu und scrolle auf meinem Armreif durch die Profile der Anwesenden, um vielleicht jemanden zu finden, der nicht so verkniffen ist wie Ryland.

Zum Schluss müssen wir auf unseren Lifves eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben, da wir ja unter anderem in den Familien tiefen Einblick erhalten werden. Und wir dürfen weder darüber noch über den Inhalt, der uns beigebracht wird, mit Außenstehenden reden.

Die Menge löst sich langsam auf. Ryland erhebt sich, aber ich halte ihn zurück. „Sollen wir nicht unsere Lifves verbinden?"

Mit grimmiger Miene dreht er sich zu mir herum. Zögernd blickt er auf mein Handgelenk. Ich will ihm gerade auffordernd meine Hand hinhalten, als er urplötzlich meinen Unterarm ergreift. Ich zucke zusammen und schaue überrascht zu ihm auf. Langsam umfasse auch ich seinen Unterarm. So habe ich mich noch nie mit jemandem verbunden. Ein einfacherer Handschlag reicht mir vollkommen. Das hier ist irgendwie intimer. Und deshalb passt es so gar nicht zu dem ersten Eindruck, den ich von Ryland habe.

Unter meinen Fingerkuppen fühle ich seine raue Haut. Der Lifve vibriert, als Zeichen der erfolgreichen Verbindung.

„Danke", sage ich leise. Wieso eigentlich bedanken? Dafür, dass er mich nicht wegen meiner Bitte angeschnauzt hat?

Spielt sowieso keine Rolle. Er geht bereits davon und hat meinen Dank nicht mehr gehört.

Continue Reading

You'll Also Like

163K 10.4K 55
Jahr 330 seit der Gründung Senecas: Die gesamte Welt ist bereits erforscht, allein das Reich Seneca ist seit der Krönung König Abilions noch immer vo...
295K 17K 60
"Selbst der beste Kämpfer braucht manchmal jemanden an seiner Seite." Nora, ein durchschnittliches Mädchen, das sich des Öfteren einfach nur Abwechsl...
56.5K 6.4K 33
„Bring mir eine Klangschale mit", sagt der Sunhunter todernst, „Ich muss meine Chakren in Einklang bringen, sonst rollen hier gleich Köpfe." Jemand w...
359K 20.8K 79
Ein großer Teil der Menschheit wurde von einem Virus ausgelöscht. Die wenigen die übrig sind leben meist in Armut und können sich die Medizin nicht l...