Gefährliche Obsession

By mehr-rueckenwind

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"Ich platzte ins Zimmer und blieb wie angewurzelt stehen. Vor mir spielte sich eine Szene ab, die ich nicht s... More

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By mehr-rueckenwind

Kapitel 40 

"Give me love like never before, 'cause lately I've been craving more. And it's been a while but I still feel the same. Maybe I should let you go. You know I'll fight my corner and that tonight I'll call ya, after my blood is drowning in alcohol. No I just wanna hold ya..."

Es dauerte nicht lange, bis ich den Tumult um mich herum wahrnahm. Ohne es zu bemerken, setzte ich mich auf. Michael lag nackt auf dem Boden, eine Hand um seinen Hals.

Er keuchte, aber störte sich nicht an seiner Nacktheit. Über ihm kniete Daniel, sein Gesicht war von Wut verzerrt. Die Kraft, die er auf Michael ausübte, brachte seine Arme zum Zittern. "Du blödes Arschloch! Lass deine Finger von ihr!"

Doch Michael war wenig beeindruckt, schlug er ihm doch im nächsten Augenblick seine Faust gegen die Schläfe. Wie in Zeitlupe kippte Daniel zurück und suchte nach Halt. Sofort war mein ehemals bester Freund über ihm und versuchte, das zu Ende zu bringen, was sein Gegner zuvor begonnen hatte.

"Hast du noch was zu sagen?" Sofort wehrte Daniel sich. Ich schloss meine Augen und hört ihrem Kampf leise atmend zu. Schläge und Geschnaufe waren zu hören. Mein Körper fühlte sich seltsam fremd an. Ich konnte ihn spüren, die kalten Hände, die Gänsehaut auf meinen Armen, die Kälte, die sich von meinem Nacken ausbreitete.

Doch das alles wollte nicht so recht zu mir gehören. Der Schmerz zwischen meinen Beinen hatte bereits nachgelassen. Trotzdem war das der Bereich, den ich am deutlichsten wahrnahm. Das dringende Gefühl, mich waschen zu müssen, überkam mich.

Den Grund dafür verdrängte ich so gut es ging aus meinen Gedanken. Ich blieb kniend auf dem Bett und rührte mich nicht. Erst als ich unverständliche Rufe hörte, öffnete ich die Augen wieder.

Nicht, weil es mich etwas angegangen hätte, sondern vielmehr, weil mich die Geräusche beim Nachdenken störten. Michael und Daniel standen inzwischen und Daniel hielt den Nackten im Schwitzkasten fest.

"Wie kannst du ihr so einen Scheiß antun? Dafür wirst du bluten!" An seinem roten Gesicht konnte ich die Anstrengung erkennen, Michael fest zu halten. Zwar war er selbst trainiert und sportlich, doch Michael war bulliger und mit der Kraft gesegnet, die nur Menschen innehaben, die nichts mehr zu verlieren haben.

Immer wieder schlug er mit der Faust nach Daniel und traf ihn mal in die Rippen, mal am Bein. Jedes Mal verzog sich Daniels Gesicht vor Schmerz. Ich konnte ihm ansehen, dass er nicht mehr allzu lange aushalten würde.

"Amy!" Er wandte sich zu mir um. Sein Griff lockerte sich nicht. "Amy, sieh mich an! Du musst die Polizei verständigen! Amy, ich kann ihn nicht mehr lange halten, ich brauche jetzt deine Hilfe!"

Unbeteiligt starrte ich zurück. Meine Hilfe? Ich hatte seine Hilfe gebraucht! Hatte ich ihm nicht einen Hinweis gegeben? *Hat er mir geholfen?* Das konnte ich nur verneinen, schließlich hockte ich nun entkleidet auf dem Bett eines mir Fremdgewordenen. Die Diskussion nahm ich selbst nicht richtig wahr, sie lief eher am Rande ab.

Was ich dagegen spürte, war das Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein. "Amy, bitte, du musst Hilfe rufen!" Vor Schmerz heulte er auf, als Michael seine Hand packte. Ein Knacken war zu hören und Daniel hatte Mühe, seinen Gegner weiter fest zu halten.

Ich schlang meine Arme so fest es ging um meinen Oberkörper, über den das Shirt langsam zurück gerutscht war und wollte mich sinken lassen, wollte mich in mir selbst verstecken.

Vergessen, was passiert war, was nun folgen würde, wie alles ausgehen würde und an schönere Zeiten denken. Da hörte ich wieder ein lautes Krachen, als würde ein Alter mit seinem Stock immer wieder gegen die Tür hämmern.

Nicht nur mich, auch Daniel lenkte es für den Bruchteil einer Sekunde ab, die Michael zu nutzen wusste.

Kaum hatte er die Unaufmerksamkeit seines Gegners bemerkt, schlug er ihm kraftvoll in die Seite und löste sich aus der Umklammerung. Sofort flog seine Faust ein zweites Mal auf Daniel zu und landete mitten in dessen Gesicht. Beide bluteten aus den verschiedensten Stellen und nahmen immer mehr die Form rohen Fleisches an.

Sie sanken zu Boden und erneut war Michael über Daniel, presste ihn zu Boden und umfasste sein Ziel, Daniels Hals. Mit stählernen Händen drückte Michael zu. Still hockte ich auf dem Bett, die Hose an meinen Knöcheln hängend und starrte beide an. Ich wusste, es sollte mir etwas ausmachen, aber das tat es nicht.

Ich sah, dass Michael Daniels Hals so fest drückte, dass der langsam blau anlief, aber es rief bei mir keinerlei Reaktion hervor. Stattdessen registrierte ich, dass ich die beiden nun schon geraume Zeit ansah, ohne zu blinzeln. Es erstaunte mich.

Doch gleich darauf schwirrten meine Gedanken weiter, beobachtete ich uninteressiert, was vor mir geschah. Zu dem Geräusch, das uns abgelenkt hatte, das noch häufiger zu hören war, kam nun ein Röcheln aus Daniels Hals hinzu. Seine Arme suchten Halt an seinem Gegner und rutschten immer wieder ab.

Michaels Gesicht wurde immer weiter entstellt, als Finger blutige Spuren hinterließen. Plötzlich drehte Daniel mir den Kopf zu, seine Hände versuchten, die Hände an sich zu lösen.

Seine Augen tränten vor Anstrengung und er sah mich an, liebevoll, verzweifelt, als würde er um Verzeihung bitten wollen. Seine Lippen, seine schönen Lippen öffneten sich und formten das Wort 'Amy'.

Dann verkrampfte sich sein Körper, zitterte, bäumte sich auf, bevor er schließlich in sich zusammen sackte.

Als hätte man aus einem Affen mit Schellen die Batterien entfernt, hörte er einfach auf, sich zu bewegen. Seine Augen wirkten glasig. Irritiert drehte ich den Kopf, als Michael anfing, lauthals zu lachen. Übergeschnappt schlug er wieder auf den am Boden Liegenden ein.

Etwas in mir zog sich zusammen.

Ein Funke suchte sich seinen Weg von dem Gesehenen zu dem Teil meines Gehirns, das für das Verstehen zuständig ist, breitete sich dorthin aus, wo über die Reaktionen entschieden wird und löste eine Handlung aus.

*Er ist zurück gekommen! Er ist hier, weil er es verstanden hat. Er WOLLTE mir helfen!*

Mit wildem Schrei sprang ich auf und warf mich ohne Zögern auf ihn, den zu hassen ich gelernt hatte.

"Nimm deine Finger von ihm!" Seine nackte Haut war glitschig von Schweiß und ich fand kaum Halt, trotzdem krallte ich mich an ihm fest und zerrte ihn von Daniel herunter.

"Ich hasse dich! Ich hasse dich!!" Voller Wut und Hass biss ich ihm in die Schulter, meine Hände ballten sich zu Fäusten und prasselten auf ihn nieder. Das Oberteil behinderte meine Bewegungen, doch es war mir egal.

Alles, woran ich denken konnte, war der Moment, in dem mir bewusst geworden war, dass Michael nicht mein bester Freund ist. Wir stürzten auf den bewusstlos am Boden Liegenden und ich verlor den Halt.

In der Nähe der Tür richtete ich mich wieder auf und starrte auf Michael, der mich noch immer mit selbstbewusstem Grinsen ansah.

"Wie konntest du mir das antun? Ich dachte, wir wären Freunde!" Als mein Blick auf Daniel fiel, füllten sich meine Augen mit Tränen.

"Wie konntest du das nur tun?"

"Tu nicht, als wäre er dir wichtig! ICH bin der Einzige, für den du Gefühle haben darfst! Du gehörst mir!" Wieder ging ich auf ihn los, getrieben von Verzweiflung. Wie konnte ich Daniel helfen? War ihm noch zu helfen? Tränen liefen mir über das Gesicht, während ich Michael in die Weichteile trat.

Er beugte sich vor, musste Luft schnappen.

Von der Tür kam eine geschockte Stimme. "Was zum Teufel ist hier los?" Jonas, Michaels kleiner Bruder stand dort, sah von einem zum anderen und wusste nicht, wie er die Szene deuten sollte.

Sein Blick blieb auf Daniel haften, der reglos da lag und stürzte auf ihn zu. Er beugte sich über ihn und fühlte seinen Puls. "Hallo? Kannst du mich hören?" Sekunden später rief er erschrocken: "Oh mein Gott, er atmet nicht! Warum helft ihr ihm nicht?!"

Sofort begann er mit der Wiederbelebung. Er legte Daniels Kopf zurück, atmete in seine Nase und drückte dann auf seine Brust.

Ich wusste, dass er in seinen Ferien als Rettungsschwimmer arbeitete und wandte meine Aufmerksamkeit wieder Michael zu, denn Daniel konnte für den Moment in keinen besseren Händen sein. "Er hat dir nichts getan. Er wollte mir doch nur helfen. Warum konntest du ihn nicht in Ruhe lassen?"

Leise klang meine Stimme, trotzdem stark, denn ich war zu allem entschlossen. Michael starrte noch immer nach vorn gebeugt auf Jonas, der weiter versuchte, Daniel wieder zu beleben. Plötzlich richtete er sich auf und packte mich an meinen Armen.

"Ihn in Ruhe lassen? Er hat dich mir weggenommen! Er wollte, was mir gehört! Er hat es nicht besser verdient! Und jetzt hat er dafür gebüßt!"

"Du hast ihn umgebracht!" Jonas gab einen erschreckten Laut von sich. Michael lachte.

"Ja, Brüderchen.. Schön, dass du uns Gesellschaft leistest. Du könntest mir einen Gefallen tun und deine Pfoten von dem Arschloch lassen. Schaff ihn hier raus, ich war noch nicht fertig." Seine Worte waren wie Schläge.

"Wollt ihr mich auf den Arm nehmen? Das ist doch nicht euer Ernst! Michael, was hast du getan?" Jonas klang mehr als entsetzt. Ich konnte ihn verstehen. All die Jahre, die sie gemeinsam aufgewachsen waren.

Und nun so etwas. Als Michael mich an sich zog und mir wieder das Oberteil ausziehen wollte, wurde mir klar, wie nachlässig ich gewesen war. "Lass mich los!" Michael grinste mich mit seinem blutigen Mund an.

"Was geht bloß in deinem Kopf ab?!" Entgeistert schrie Jonas ihn an.

An mich gewandt fuhr er eindringlich fort: "Amy, du musst nach unten. Nimm das Telefon und wähl die 112. Sie sollen einen Rettungswagen und die Polizei schicken. Beeil dich und bleib unten! Michael lass sie los. Mach es nicht noch schlimmer, als es ist!"

Trotz der Situation klang er selbstsicher und seine Augen waren voller Vertrauen in mich.

Ich wusste, es blieb nicht viel Zeit und er setzte auf mich. Ich versuchte, mich los zu reißen. Mein Puls raste und ich konnte kaum atmen. "Du sollst mich loslassen!" Ich schlug und schrie auf Michael ein, versuchte, ihm wieder in die Weichteile zu treten, während Jonas ununterbrochen auf ihn einredete, um ihn zum Aufgeben zu bringen.

Plötzlich geschahen mehrere Dinge gleichzeitig.

Daniels Körper zuckte und er schlug seine Augen auf.

Wir schauten überrascht in seine Richtung.

Ich schrie erleichtert seinen Namen und Jonas legte ihm ein Kissen unter den Kopf.

Als er nach seinem Handy griff, stieß Michael mich zur Seite, gab einen grollenden Schrei von sich und stürzte sich auf seinen kleinen Bruder.

Genau in dem Moment kamen zwei Personen mit gezückten Waffen ins Zimmer und schrien los.

"Stehenbleiben! Ich will Ihre Hände sehen!"

Kommissar Vetter und seine Kollegin! Erleichtert heulte ich auf, doch dann sah ich, dass Michael Jonas beiseite gestoßen hatte und erneut über Daniel kauerte. Seine Hände schlossen sich um seinen geschundenen Hals.

"Stehen Sie auf! Ich will Ihre Hände sehen! Lassen Sie den Mann in Ruhe!"

Kommissar Vetters Stimme klang durchdringend und als wüsste er genau, was er tat. Seine Kollegin forderte er auf, Verstärkung und einen Krankenwagen zu rufen, was sie sofort tat. Leise sprach sie ins Funkgerät. Michael dagegen war wenig beeindruckt und grinste frech.

"So sieht man sich wieder. Und haben Sie endlich den Fall gelöst? Muss Ihnen wirklich schwer fallen, dabei einen Zivilisten zu verlieren, obwohl Sie es viel leichter hätten haben können." Jonas atmete schwer und hielt sich den Kopf.

Er war gegen die Bettkante gefallen und rappelte sich nun auf. Ungläubig wie ich verfolgte er das Geschehen.

"Ich fordere Sie ein letztes Mal dazu auf, aufzustehen und Ihre Hände zu heben. Ich warne Sie, ich scherze nicht!"

Michael drückte weiter zu, dann wandte er sich abrupt zu mir um. Das Blut aus seinem Gesicht tropfte ihm inzwischen auch auf den Oberkörper und er spuckte Tropfen aus, als er sprach. Sie landeten auf Daniels bleichem Gesicht.

"Es ist noch nicht vorbei! Du gehörst mir, vergiss das nie!"

Damit sprang er auf und rannte auf die Tür zu. Jonas, der in seinem Weg stand, stieß er zur Seite, direkt auf den Kommissar zu. Kurz ins Taumeln gebracht, rannte er hinter Michael her, der anscheinend die direkte Flucht gewählt hatte und laut die Treppe hinunter polterte. "Bleiben Sie stehen!"

Es ertönte ein Schuss, dann fluchte Kommissar Vetter. Kurz darauf ertönte ein weiterer Schuss.

Am ganzen Körper zitternd taumelte ich auf Daniels still am Boden liegenden Körper zu und sank neben ihm zusammen.

Er sah friedlich aus, die Augen geschlossen. Wäre die Blässe im Gesicht und das ganze Blut nicht gewesen, hätte man denken können, er schliefe.

Doch Jonas, der sich wieder gefangen hatte und sich erneut um ihn kümmerte, bestätigte nur, was ich schon lange befürchtet hatte.

Daniel war zum Opfer meines Stalkers geworden.

***

Tränenüberströmt saß ich auf dem Sessel und starrte gegen die weiße Decke. Die Erinnerung war so nah, ich konnte alles so deutlich vor mir sehen, als wäre es gerade erst passiert.

Meine Arme hatte ich um mich geschlungen, die Beine angezogen. Mein Atem ging zu schnell. Sekunden vergingen, eine Minute, eine weitere.

"Amy, ich weiß, wie schwer es dir fällt, darüber zu reden, aber anders kann ich dir nicht helfen. Du musst es irgendwann aussprechen, nur so kannst du es verarbeiten." Ich schloss meine Augen und atmete so regelmäßig, wie es mir möglich war. Die Bilder wollten nicht aus meinem Kopf verschwinden.

Und nun sollte ich es auch aussprechen. Wieder waren wir an derselben Stelle... "Ich weiß. Ich weiß, Frau Ehrmann. Aber ich kann es nicht. Ich will es nicht! Alles, was ich will, ist, es zu vergessen! Es soll nicht mehr in meinem Kopf existieren! Es soll ungeschehen gemacht werden!"

Frau Ehrmann schüttelte den Kopf. Wir waren schon oft an diesem Punkt angekommen, hatten ihn nicht überwinden können.

Stunde um Stunde kam ich hier her, um über das Geschehene zu reden, doch alles in mir zog sich zusammen, sobald ich nur daran dachte.

Ich wollte nicht über ihn nachdenken, über seine Hände, seinen Atem, all das, was er mir genommen hatte. Meine Sicherheit, mein Selbstbewusstsein, das Selbstverständnis, mit dem ich morgens aus dem Bett aufgestanden war. All das existierte nicht mehr.

Er hatte es mir genommen, mich gebrandmarkt, mich zerstört! Ich atmete tief durch und wischte mir die Tränen von den Wangen. So konnte es doch nicht ewig weiter gehen! Frau Ehrmann betrachtete mich regungslos und zeigte wieder ihr professionelles Gesicht.

Mit sanfter Stimme sprach sie ruhig weiter: "Ich bitte dich nicht darum, mir irgendwelche Einzelheiten zu erzählen. Es reicht, wenn du die Situation grob schilderst. Erzähl mir lieber, wie du dich in dem Moment gefühlt hast, was in deinem Kopf los war."

Bevor ich einen sarkastischen Kommentar über diese in meinen Augen unmögliche Aufforderung abgeben konnte, sprach sie weiter. Leiser noch als davor.

"Erzähl mir, ob dich diese Hilflosigkeit noch immer begleitet. Ob du Wege gefunden hast, dein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen." Als ich sie verwundert ansah, lächelte sie mich leicht an.

"Du bist nicht allein in dieser ausweglosen Situation. Vielen Frauen ergeht es wie dir. Viele können nicht darüber sprechen." Die Art und Weise, wie sie sprach, hinterließ in mir das Gefühl, sie wüsste, wie sich dieser Kontrollverlust anfühlte.

Ihre ruhige Stimme und ihr Blick reichten aus. In mir machte es Klick und ich wusste, es würde sich nie etwas ändern, wenn ich es nicht versuchen würde. Plötzlich schob ich meine Beine über die Sitzfläche hinaus, setzte mich langsam gerader hin und ballte meine Hände zu Fäusten.

Erst leise, dann immer deutlicher legte ich los: "Ich kann kaum noch in den Spiegel gucken. Jeden Morgen quäle ich mich aus dem Bett... Eigentlich nur, weil meine Mitbewohnerin mich immer zwingt, aufzustehen. Sie ist es auch, die mich vor die Tür zerrt, mir Aufgaben gibt. Etwas einkaufen zum Beispiel... Aber ich weiß, dass ich mich nicht ewig verstecken kann. Ich möchte nicht darüber nachdenken, was er mit mir gemacht hat, einiges ist zum Glück schwammig in meiner Erinnerung. Aber ich kann dieses Gefühl nicht abschütteln. Beobachtet zu werden, verstehen Sie? Ganz oft sehe ich mich um und habe Angst, dass er da steht. Dass er mich verfolgt. Und ich habe keine Chance, dem zu entkommen. Wie Sie schon gesagt haben, es ist, dass ich mich so hilflos fühle, als würde mein Leben mir nicht mehr gehören und ich könnte es nicht mehr kontrollieren. Der Trugschluss, der uns diese Sicherheit gibt, wir könnten unser Leben selbst bestimmen, ist einfach verschwunden. Selbst in meiner Wohnung bilde ich mir manchmal ein, seinen Atem zu hören..."

Meine Therapeutin nickte wissend und schrieb etwas auf ihr Klemmbrett. So abwegig war der Gedanke schließlich nicht. Sie wusste, dass er bei mir eingebrochen war. Dann saß sie wieder bewegungslos da und sah mich ermutigend an. Endlich sprach ich!

Als ich nicht wusste, wie ich weiter machen sollte, fragte sie: "Träumst du davon?" Ich zögerte. "Nicht von... davon. Nicht immer. Meistens verfolgt mich jemand, den ich nicht sehen kann. Oder... er packt mich völlig unerwartet."

Sofort folgte die nächste Frage: "Kannst du mal eine Nacht durchschlafen?" Wieder zögerte ich, bevor ich ihr eine Antwort hab. "Ja." Frau Ehrmann schenkte mir ein Lächeln.

"Gut. Das ist ein gutes Zeichen." Ich schaute auf meine Finger. Was war daran gut, wenn ich mal nicht schreiend aufwachte, wenn alle anderen Nächte so endeten? Mein Magen zog sich zusammen. "Wie ist es mit dem Essen? Gibt es da Probleme?"

"Nein. Ich fühle mich nur immer unsicher und beobachtet. Das ist eigentlich alles..." *Und manchmal habe ich das Gefühl, fremde Hände auf mir zu spüren.* Mir wurde übel, sobald der Gedanke aufkam.

Ein Blick auf ihr Klemmbrett und die Uhr und Frau Ehrmann stellte mir die letzte Frage: "Hast du neben deiner Mitbewohnerin noch Kontakt zu anderen Menschen? Ich weiß, du siehst deine Eltern regelmäßig und dass sie vorbei kommen, wann sie können."

Meine Eltern... Seit dem Tag, an dem die Polizei bei ihnen angerufen und ihnen mitgeteilt hatte, dass ihre Tochter im Krankenhaus lag und Opfer eines Angriffs geworden war, hatte ich kaum eine ruhige Minute vor ihnen.

Sie hatten mich gebeten, zurück nach Hause zu ziehen, doch das konnte ich nicht. Was hätte ich die ganze Zeit über machen sollen? Hier konnte ich mich wenigstens mit dem Studium ablenken.

Widerwillig hatten sie es eingesehen, dafür kamen sie nun jede Woche mindestens einmal vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. "Ich meine eher Gleichaltrige?", sprach Frau Ehrmann weiter und holte mich so aus meiner Erinnerung. "Ja." Als ich wieder schwieg, nickte sie.

"Hast du noch immer Probleme mit körperlicher Nähe?" Mein zögerliches Nicken reichte ihr. "Gut. Wir sprechen uns nächste Woche wieder. Bitte denk weiter an die Atemübungen, die ich dir gezeigt habe. Auch wenn es dir besser geht, ist es wichtig, dass du sie weiter machst."

Mit einem echten Lächeln setzte sie hinzu: "Ich freue mich, dass du dich heute geöffnet hast. Du hast richtig Fortschritte gemacht und ich weiß, dass wir bald ganz in Ruhe über alles sprechen können."

Wir verabschiedeten uns und ich verließ ihre Praxis.

Sobald ich draußen war, kramte ich meine Kopfhörer raus und stellte mir ruhige Musik an, allerdings drehte ich sie laut auf. Oft half sie mir, mich in ihr zu verlieren und die anderen Sachen zu vergessen. Mit Blick auf die Uhr ging ich gedankenverloren die Straße entlang.

Heute hatte ich viel über das Geschehene bzw. meine Gefühle gesprochen und ich war innerlich unruhig. Sein Gesicht tauchte immer wieder vor mir auf und ich erinnerte mich an das, was danach passiert war.

Der Lärm, der mich wieder zur Besinnung brachte, nachdem ich zu begreifen versuchte, was geschehen war. Gesichter, Stimmen, eine Decke, die um mich gehüllt wurde.

Ich hatte eine Weile gebraucht, um Kommissar Vetter und seine Kollegin zu erkennen, um zu merken, dass es Jonas Hände waren, vor denen ich immer wieder weg schreckte. Es kostete noch mehr Zeit, um mitzukriegen, dass ich Daniel die Rettung verdankte.

Er hatte den Rückzug angetreten, war enttäuscht und verletzt, doch als er schon fast in die nächste Straße gebogen war, fiel der Groschen. Mein Hinweis hatte seine Wirkung getan und er war umgedreht, hatte an der Tür geklopft, meine Schreie sogar durch das dicke Holz gehört.

Aufgebracht hatte er versucht, reinzukommen und schließlich die Polizei gerufen. Es war ihm gelungen, noch vor der Polizei in die Wohnung zu kommen, war meinen Schreien gefolgt und hatte mich gerettet.

Dabei war er zum Opfer geworden. Jonas' Erscheinen war purer Zufall gewesen, auch ihn hatte der Tumult und die Schreie in die Wohnung gelockt.

Zum Glück war Kommissar Vetter bei der Meldung des Notrufs noch in der Nähe der Wohnung und hatte die Situation richtig eingeschätzt. Mit Gewalt hatten auch sie sich Zutritt zur Wohnung verschafft, Michael Einhalt geboten und ihn aus der Wohnung vertrieben.

Während ein Krankenwagen eintraf und die Leute sich so gut es ging um Daniel, Randy, Jonas und mich kümmerten, nahm Kommissar Vetter unsere Aussagen auf und leitete eine Fahndung ein. Denn beide abgegebenen Schüsse hatten ihr Ziel verfehlt.

Die Stunden verfolgten mich auf Schritt und Tritt, ließen sich nur selten abschütteln.

An einer Ampel blieb ich stehen und wischte mir über die Augen. Dass ich weinte, war mir nicht gleich aufgefallen, doch wann immer meine Gedanken sich um das Geschehene drehten, ließen sie nicht lange auf sich warten.

Die Stunden, Tage und Wochen nach dem unfreiwilligen Aufenthalt in Michaels Wohnung waren ebenso in meinem Gedächtnis verankert. Untersuchungen, wiederholt aufgenommene Zeugenaussagen, Beschreibungen der Tage und Wochen, die dem ganzen vorausgegangen waren...

Randy hatte lange im Krankenhaus gelegen und auch ich war wieder zusammen geflickt worden. Doch meine jetzige Stimmung, das Unwohlsein, war nun mein ständiger Begleiter. Ich sah Daniels blasses Gesicht vor mir, das Blut, das aus den Wunden kam.

Doch ich schüttelte es schnell ab, vergrub es tief in mir und schloss es hinter einer Tür ein. Bevor ich über die Straße ging, sah ich mich genau um. Erst dann folgte ich dem Gehweg und näherte mich dem Café von Randys Vater.

Das vertraute Bimmeln der Glocke wurde von meiner Musik übertönt, doch der Anblick von Randy hinter dem Tresen war vertraut.

Sobald er aufsah und mich entdeckte, kam er leicht unstet dahinter hervor und auf mich zu. Eine sanfte, kurze Umarmung ließ ich über mich ergehen, dann setzten wir uns zusammen an unseren Stammplatz.

"Der Kakao ist gleich fertig." Randy hielt sich recht gut, man sah ihm kaum an, dass er noch immer Schmerzen hatte.

Die Wunde an seinem Kopf war zu einer wütend scheinenden Narbe geworden. "Danke." Randy lächelte wie eh und je gut gelaunt, doch seine Lippen waren noch nicht wieder ganz die alten.

Die Ärzte hatten erst versucht, mit einem Skalpell gegen den Kleber vorzugehen. Randys Gezerre hatte schon einigen Schaden angerichtet, so dass ihre Arbeit nicht unbedingt erleichtert worden war.

Doch mit sehr viel Geduld, warmem Wasser und Öl hatten sie es geschafft, seine Lippen voneinander zu lösen. Nun tat sein Körper seine Arbeit und sorgte für die Heilung.

"Wie lief es?" "Wie immer..."

Ich kam nach jeder Therapiesitzung vorbei und stattete ihm einen Besuch ab. Jedes Mal sprachen wir über das Geschehene. Versuchten es zumindest.

"Wie geht es dir?"

"Da darfst du nicht den kleinen Schwindler hier fragen, der behauptet immer, er könnte Bäume ausreißen!"

Ich musste lachen und lächelte Lukas an. Seine blonden Haare waren verwuschelt und es war schön, sein Gesicht nicht misstrauisch oder wütend zu sehen, wie es bei unseren ersten Begegnungen der Fall gewesen war.

Er nickte mir zu, denn er wusste, wie ich auf seine Berührung reagieren würde. Er setzte sich neben Randy und gab ihm einen sanften Kuss auf die Schläfe, genau auf die Narbe.

Da ich regelmäßig an Randys Krankenhausbett gesessen hatte, hatten wir die Gelegenheit gehabt, uns kennen zu lernen und festzustellen, dass wir uns sympathisch waren. Nun saßen sie mir beide gegenüber und ich konnte das Strahlen in Randys Augen sehen.

Ich war froh, dass er Lukas hatte, denn mit ihm an seiner Seite erholte er sich erstaunlich schnell.

"Aber ehrlich, mir gehts gut. Die Seite tut halt weh, aber der Arzt ist durchweg positiv." Nach der Aussage wurde er plötzlich ernst und sah hinter mich.

"Hast du schon von Kelly gehört...?" Ich verzog leicht das Gesicht. "Ja. Aber sie kann tun und lassen, was sie will."

Vor einigen Tagen hatte Mara, mit der ich mich zum Glück sofort ausgesöhnt hatte, als sie im Krankenhaus aufgetaucht war, mir erzählt, dass Kelly nun mit Stefan zusammen war.

Tatsächlich störte mich die Nachricht nicht wirklich, ich freute mich für Kelly. Auch wenn es schnell gegangen war, sollte sie doch mit jemandem zusammen sein, der es ernst meinte.

Wobei ich mir bei Stefan noch nicht ganz sicher war, ob das auf ihn zutraf. Als Tom mit meinem Kakao auftauchte, bedankte ich mich. Mein Geld versuchte ich allerdings vergebens, an den Mann zu bringen.

"Wie oft soll ich es dir noch sagen? Du wirst hier in Zukunft nie wieder zahlen. Wer sich so um meinen Sohn gekümmert hat, verdient nicht weniger!" "Danke." Peinlich berührt steckte ich das Geld wieder ein und nahm einen kleinen Schluck vom Kakao.

Meine Laune wurde ein wenig aufgehellt, als ich die drei Strahlemänner vor mir sah. Tom hatte sofort akzeptiert, dass Randy schwul ist und Lukas sofort als Schwiegersohn in sein Herz geschlossen.

Zu dritt schafften sie es, die Ereignisse zu verarbeiten. Besser als ich es konnte. Wir unterhielten uns über Banalitäten und ich bemühte mich, bei den Scherzen mitzuhalten. Kurz nachdem ich meinen Kakao ausgetrunken hatte, saßen Randy und ich wieder allein am Tisch.

"Gibt es Neuigkeiten?" Natürlich wusste ich, worauf er anspielte, musste aber den Kopf schütteln.

"Ich frage mich wirklich, wie er das macht..." Fragend sah ich Randy an.

"Na betrachte es mal von außen... Wie kann ein nackter, blutüberströmter Mann untertauchen, ohne dass jemand aufmerksam wird?"

Michael war noch immer nicht gefasst worden, was mein Leben nicht gerade erleichterte. Doch die Polizei tat ihr Möglichstes. Sogar eine bundesweite Suche mit Hilfe des Fernsehens hatte es gegeben.

"Er wird sich sicherlich inzwischen etwas angezogen haben..." Randy lachte und ließ das Thema, das nicht mein Lieblingsthema war, fallen. Bevor er weitere Themengebiete ansprechen konnte, wie er es gerne tat, stand ich auf.

"Ich werd mal wieder... Danke für den Kakao und bis nächste Woche." Er legte mir kurz die Hand auf die Schulter.

"Der Kakao geht auf meinen Vater... Pass auf dich auf." Dankbar, dass er seine Hand schnell wieder zurück zog, ging ich raus und atmete dort tief durch.

Ich freute mich sehr für Randy und Lukas und darüber, dass Tom so locker mit allem umging. Ganz anders, als Randy lange befürchtet hatte. Doch es machte mich auch traurig. Die Nähe, die die beiden ganz natürlich miteinander teilten war für mich wie ein Brandeisen auf meiner Haut.

Jede kleinste Berührung ließ mich zusammen zucken und ich hatte Angst, dass es für immer so blieb. Um nicht wieder deprimiert durch die Gegend zu gehen, dachte ich an Mara und unseren letzten Kochversuch. Erstaunlicherweise hatten wir es hinbekommen, Nudeln mit Fertigsoße absolut genießbar zu kochen.

Wir hielten es beide für ein gutes Zeichen und wollten morgen einen weiteren Versuch starten. Doch jetzt hatte ich ein anderes Ziel vor Augen.

Der Weg führte eine gerade Straße entlang direkt auf den Park zu, an dessen Ende einige grüne Parkbänke standen.

Besonders eine von ihnen war mir sehr vertraut und auch heute steuerte ich auf sie zu.

Sie war bereits besetzt, was mein Herz zum Rasen brachte.

*Er ist es!* Ich ging die letzten Schritte und blieb neben ihm stehen. Langsam wandte er mir den Kopf zu.

Ein schiefes Lächeln zwischen zwei Grübchen, grüne funkelnde Augen mit braunem Ring um die Iris und lange Haare, die ständig gebändigt werden mussten, begrüßten mich. Daniel. Mein Herz machte einen sehnsüchtigen Satz, bevor ich mich neben ihn setzte.

"Hi."

"Hallo."

Wir schwiegen und sahen uns an. Der Tumult in mir beruhigte sich und meine Aufregung wurde kleiner.

Seine Augen huschten über meine Wange, auf der Narben zeigten, wo die Wunde gewesen war, die ich bei Michaels Überfall auf mich davon getragen hatte. Die Ärzte sagten, es verheile gut, doch wahrscheinlich würde ich auf der Wange immer eine hellere Stelle behalten.

Ich erwiderte Daniels und betrachtete die Narbe auf seiner Stirn, seine Hand. Die Narbe würde bleiben, seine Hand war zerstört.

Michael hatte sie so ungünstig gebrochen, dass Daniel vermutlich nie wieder Klavier spielen konnte. Sowohl ihn als auch mich hatte die Nachricht runter gezogen.

Doch bei allem, was geschehen war, konnte ich meine Dankbarkeit nicht in Worte fassen, die ich Jonas gegenüber fühlte. Dank ihm saß Daniel jetzt mit mir auf der Bank. Dank ihm lächelte er, lachte er, atmete er.

Kurz nachdem Michael aus dem Schlafzimmer, aus seiner Wohnung und fürs erste wohl auch aus meinem Leben verschwunden war, hatte Jonas sich über Daniel gebeugt und festgestellt, dass seine Atmung erneut ausgesetzt hatte.

Während ich alle Hoffnung aufgegeben hatte, hatte er unbeirrt alles daran gesetzt, ihm das Leben zu retten. Dank seiner Hartnäckigkeit hatte er diese Aufgabe erfolgreich gemeistert.

Daniel wusste, was in mir vorging, er verstand mich besser als sonst jemand. "Fort mit den dunklen Gedanken." Ich lächelte ihn an und seufzte dann.

"Sie sind alles, was mir den ganzen Tag durch den Kopf geht..." In seiner Gegenwart ging es mir besser.

Ich sah nicht immer sein Gesicht, seine toten Augen vor mir. Hier, jetzt bei ihm konnte ich mich vergewissern, dass er tatsächlich noch lebte.

Oft wachte ich nachts auf und war der Überzeugung, dass sein Überleben nur Einbildung war. Mit einiger Überwindung hatte ich ihm davon erzählt und wir arbeiteten daran, es zu ändern.

Um das Thema zu wechseln, stellte ich die erste Frage, die mir in den Sinn kam: "Wie läuft es mit der Wohnung?" Sein Vater und er waren bei den letzten Arbeiten, dann sollte die Wohnung neben ihm fertig gestellt sein und bereit, vermietet zu werden. Er lächelte sein schiefes Lächeln.

"Gut. Nach der Überschwemmung haben wir jetzt alles wieder behoben. Das Wasser fließt wieder ab und wir wollen morgen mit Streichen beginnen. Möchtest du vorbei kommen und helfen?"

Seine Hand hob sich und strich sanft mit den Fingerspitzen über meine Wange.

Da es so unerwartet kam, zuckte ich zurück. Daniel tat, als sei nichts gewesen und legte seine Hand zurück auf die Bank.

Mit etwas belegter Stimme antwortete ich: "Helfen? Ich glaube, wenn ich da einen Pinsel schwinge, müsst ihr hinterher nochmal neu renovieren."

Er grinste wieder und schüttelte den Kopf. "So viel kann man da gar nicht falsch machen. Probier es doch mal. Ganz zur Not entführ ich dich zum Essen und wir lassen meinen Dad alleine."

Kaum hatte er es ausgesprochen, fiel ihm die etwas unglückliche Wortwahl auf und er verzog das Gesicht.

"Entschuldige.."

Ich schloss meine Augen. Wie oft hatte er sich nun schon bei mir entschuldigt? Es war nicht das erste Mal, dass so etwas passierte. Ob es nun Worte oder eine Berührung war.

Am Anfang hatte es mir etwas ausgemacht, doch war ich nicht inzwischen so weit, damit umzugehen? Auch Frau Ehrmann sprach mir immer Mut zu, wollte, dass ich unempfindlicher wurde. Wieder setzte Daniel an, als er sah, dass ich verkrampft auf meinem Platz saß.

"Amy, entschuldige, es war nicht meine Absicht..." Ich unterbrach ihn wütend.

"Nein! Ich habe keine Lust mehr dazu! Du sollst dich nicht immer entschuldigen müssen!" Daniel sah mich überrascht an, bereit, sich erneut bei mir zu entschuldigen. Doch ich war es leid, so leid.

"Es ist nun mal passiert, das lässt sich nicht ändern, aber ich will doch nicht mein Leben lang daran erinnert werden! Scheiße, ich will das nicht mehr!" Leiser fuhr ich fort: "Ich war vorhin bei Randy. Lukas macht ihn so glücklich. Das will ich auch! Wieso kann ich seine Hände nicht vergessen? Ich mochte Berührungen doch immer!"

Wild entschlossen griff ich nach seiner Hand und hielt sie fest, legte sie mir aufs Bein und sah ihm fest in die Augen.

"Das sollte doch schön sein? Wieso..." Es war nicht schlimm. Doch wohl fühlte ich mich trotzdem nicht. Wie viel Zeit musste noch vergehen? Nach einer langen Pause, in der Daniels Hand unbewegt auf meinem Bein lag, lächelte er mich traurig an.

"Du bist nicht Julia." Völlig aus dem Konzept gebracht, sah ich ihn verdattert an.

"Wie meinst du das?"

"'Ein unbefleckt Herz lässt sich nicht so leicht erschrecken.' Ein Zitat Shakespeares. Aber du hast kein 'unbefleckt Herz' mehr. Dir wurde immens weh getan. Da ist es doch klar, dass du Zeit brauchst. Du brauchst Zeit, um mit dem, was passiert ist, abzuschließen und vor allem Zeit, um Neues zuzulassen."

*Spielt er damit auf uns an?* Nicht nur einmal hatte ich mich gefragt, was Daniel sich von der Zukunft erhoffte. Wollte er mit mir zusammen sein?

Immerhin hatte er sein Leben für mich aufs Spiel gesetzt. Eine größere Liebeserklärung konnte es gar nicht geben. Doch war ich bereit, mich auf ihn einzulassen?

Ich wollte ihn nicht enttäuschen, ihn nicht verletzen.

"Einen Schritt nach dem anderen."

"Ich weiß nicht, ob ich das kann, Daniel. Ich weiß nicht, ob ich diese... Nähe zulassen kann."

Meine Proteste hörte er nicht. Langsam, ganz langsam richtete er sich auf der Bank auf und legte seine Arme um meine Schultern. Er zog mich an sich und nahm mich in seine starken Arme, hielt mich aber sanft und vorsichtig, jederzeit bereit, mich wieder gehen zu lassen.

Ich dachte an die Worte von Frau Ehrmann, an Mara, die mich immer wieder antrieb und ermutigte. Ich dachte an Randy, der das Zurückliegende mit Lukas an seiner Seite vergaß und an Stefan, der nun mit Kelly neu anfing.

Und ich dachte an Daniels Arme, die ich schon häufiger um mich gespürt hatte, wann immer ich Halt und Schutz gebraucht hatte. Oder einfach eine Schulter zum Ausweinen.

Sein Duft stieg mir in die Nase und ich atmete tief ein.

"Daniel?"

Sofort machte er Anstalten, mich loszulassen, doch ich hielt ihn fest.

Überraschung lag in seiner Stimme. "Ja?"

Mit einem Lächeln atmete ich nochmal seinen Geruch ein. Er roch wie nach Hause kommen. "Können wir ein anderes Lied singen?"

Es dauerte eine Sekunde, dann lachte er auf und ich spürte, wie seine Arme mich fester hielten. "Wie wärs mit den Rolling Stones?"

Auch als das angenehme Gefühl nachließ und ich wieder den Drang hatte, mich von ihm zu lösen, hielt ich mich an Daniel fest. "Dann musst du aber singen."

Und ich wusste, es konnte funktionieren.

Es würde funktionieren.

Einen Schritt nach dem anderen.

"Alles, was du willst."

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