Blackshattered ▪ H.S. #everli...

By maraanabeth

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❝Wir waren wie der zerstörerische Romeo und die gebrochene Julia, wie der todgeweihte Jack und die zu Tode be... More

V O R W O R T
O R I G I N A L S T O R Y S O U N D T R A C K
T R A I L E R
P R O L O G
O N E
T W O
T H R E E
F O U R
F I V E
S I X
S E V E N
N I N E
T E N
E L E V E N und #Wattys2016
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T H I R T E E N und Fan-Trailer
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S E V E N T E E N
➡ Christmascountdown ▪ A Harry Styles Christmas Fairytale
➡ Splitterherz

E I G H T

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By maraanabeth

Ich habe die Nacht darauf lange wach gelegen. Habe mich ununterbrochen gefragt, was er wusste. Was er gelesen hat und was vor seinen neugierigen Augen noch verschont geblieben ist.

Seine Worte sind mir im Gedächtnis haften geblieben. Ich solle kämpfen, das würde ich vielleicht, wenn ich wüsste, wo meine Reise hingehen soll. Ich will auch nicht daran denken, dass ich nur dieses eine Leben habe, dass es kein danach geben wird. Ich will nicht daran glauben, dass es das einfach gewesen sein soll. Ich will, dass nach meinem Ableben aus diesem Dasein noch eine zweite Chance auf mich wartet, die ich nutzen darf, um zu beweisen, dass ich es besser kann. Viel besser.

Ich will nicht, dass er recht hat. Und deshalb war das das Erste, was ich in meinem Tagebuch verewigte, was ich wegschloss, vor der Welt und vor mir selbst.

Und zwei Tage später denke ich nicht mehr daran zurück. Ich habe meinen eigenen Wunsch von einer zweiten Chance vergessen.

__

Ich höre, wie hinter mir die Türe zum Hörsaal aufgestoßen wird. Aber ich sehe nicht auf, und drehe mich schon gar nicht erst um. Mir ist es egal, wer 105 Minuten von Vertragsrecht versäumt hat und dreißig Minuten vor Vorlesungsende auf die dämliche Idee kommt doch noch aufzutauchen. Ich weiß nur, dass ich die / der Glückliche hätte sein können, die / der sich die drei Stunden hätte sparen können, wenn die- / derjenige mal schön ferngeblieben wäre.

Kopfschüttelnd wechsle ich in eine bequemere Sitzposition, strecke meine Beine aus, und bette meinen Kopf nun mit dem linken Ohr auf meine ineinander verschränkten Arme, die auf meinem Pult aufliegen. Ich schließe die Augen und schwelge tagträumerisch schon im wohlverdienten Feierabend, mit einem Joint, Zigaretten und einer Flasche eisgekühlter Spirituosen bewaffnet. Eine himmlische Vorstellung, oder?

„Ah, Mr. Wilson, wie schön, dass Sie uns in diesem fortgeschrittenen Stadium unserer heutigen Sitzung noch mit Ihrer Anwesenheit beehren."

Ich seufze und hebe stöhnend den Kopf. Aus und vorbei die Ruhe. Hobbs war der letzte, an den ich gedacht habe. Aber leider muss ich mir eingestehen, hätte ich ihn mal in Erwägung ziehen sollen. Mindestens jedes zweite Mal erscheint Hobbs überhaupt nicht zu Vertragsrecht – in anderen Veranstaltungen ist es um seine Motivation ähnlich bestellt, oder schlimmer noch -, und in den anderen Malen kommt er zu spät. Und das nicht nur fünf oder zehn Minuten, sondern so wie heute, mindestens eine geschlagene Stunde.

Jura interessiert ihn einen Scheißdreck. Aber seine Eltern, ähnlich wie meine, haben ihm nie eine Alternative geboten. Entweder Jura oder gar nichts. Und wenn er sich für gar nichts entschieden hätte, hätten sie ihn verstoßen. Nicht, dass es jetzt anders wäre, jetzt badet er schließlich in der Scheiße, und aus der kommt er nicht mehr ungeschoren heraus.

Das Gefühl ist mir alles andere als fremd.

„Ich wusste, dass Sie sich freuen würden, mich zu sehen", antwortet Hobbs grinsend. Wie immer markiert er den dicken Macker und hat eine große Schnauze. Er zeigt jedem, wie egal ihm das alles hier ist. Trotzdem schreibt er gute Noten. Wie er das macht, ist mir ein Rätsel. Er hat aber irgendwann einmal beiläufig in meiner Gegenwart die Existenz von 'Ghostwritern' fallen lassen.

Für mich wäre das keine Option. Meine Zensuren sind grottenschlecht. Aber ich gebe mir keine Mühe. Ich setze mich in die Prüfungen, schreibe die Formalien aufs Blatt, unterschreibe, stehe auf und gehe. Aber nichts ist bisher passiert. Meine Prüfungen wurden nie, auch nicht nur ein einziges Mal gewertet. Kein einziges, gottverdammtes Mal. Es ist, als hätte ich seit dem Wandel, den ich durchzogen habe, keine einzige, gottverdammte Prüfung mehr abgelegt.

„Außerordentlich, Mr. Wilson. Setzen", wurde Hobbs herrisch angewiesen. „Die nächsten Fragen dürfen Sie mir auch direkt beantworten, wenn Sie es sich auf ihrem Platz gemütlich gemacht haben."

Der Hörsaal verfällt in ein schallendes Lachkonzert, das nur so vor Spott trieft. Hobbs hat für das Geschehen nur ein schwaches Lächeln übrig. Ich weiß, dass er weiß, dass die Hälfte von den hier Anwesenden ihn auf kurz oder lang wieder wegen diverser Substanzen anpumpen werden. Ihre Abhängigkeit von ihm und seine Macht über diese ist ihm Befriedigung genug.

„Jawohl, Sir", äfft Hobbs den unterwürfigen Tonfall eines Soldaten nach, bevor er sich abwendet und in aller Seelenruhe die Treppen hinabschlendert. In meiner Reihe angekommen, quetscht er sich an meinen drei sichtlich genervt wirkenden Sitznachbarn vorbei.

„Wo hast du gesteckt?", frage ich, als er bei mir angekommen ist und halte mir gähnend die Hand vor den Mund, bevor ich ihm Platz mache, damit er sich auf einen der freien Plätze neben mir in der Reihe niederlassen kann.

Die abfälligen Blicke der Kommilitonen um uns herum beachte ich schon längst nicht mehr. Ich nehme sie ehrlich gesagt kaum noch mehr wahr. Sie können mich nicht mehr verletzen.

Wer schon am Boden liegt, kann nicht noch tiefer fallen, sage ich mir immer.

„Geschäfte", antwortet er mir beiläufig, während er gerade zwei Sitze für sich beansprucht, in dem er seine Beine zufrieden seufzend auf den links neben ihm befindlichen Sitz schwingt. „Ich bin ein vielgefragter Geschäftsmann."

„Klar", sage ich und verdrehe gespielt spöttisch die Augen.

„Mr. Wilson, haben Sie sich Ihr Nest für die letzte halbe Stunde eingerichtet, sodass wir starten können?"

__

„Bevor sie einpacken, lassen Sie mich Ihnen abschließend noch verkünden, dass die für kommende Woche ursprünglich angesetzte Lernkontrolle bereits morgen auf Sie zukommen wird. Ich gedeihe Ihnen an, den heutigen Tag sinnvoll zu nutzen. Die Ergebnisse werden zu 30 Prozent in Ihre Semesterendnote einfließen. Bedanken Sie sich herzlichst bei Mr. Wilson. Nun meine werten Damen und Herren", sagt er und setzt ein süffisantes Lächeln auf. „Ich freue mich, Sie alle morgen bestens vorbereitet wiederzusehen."

Er dreht sich von der vor Empörung wild durcheinanderrufenden Studentenschar weg. Unbeeindruckt vom Geschehen in seinem Rücken entfernt er das kleine Mikrofon von seinem Sakko und legt es zurück auf das Dozentenpult.

Ich drängle mich an den Kommilitonen in meiner Sitzreihe vorbei, nehme Treppenstufe für Treppenstufe abwärts. Er sieht auf, zieht misstrauisch die Augenbrauen zusammen, als er mich erblickt und registriert, dass ich kaum mehr als eine Armlänge von ihm entfernt stehe.

„Du wirst den Test mitschreiben, Stella." Er wendet sich ab, sammelt seine Unterlagen, die auf dem Pult liegen, zusammen. Ich rolle mit den Augen.

„Darum geht es nicht." Ich sehe mich noch einmal um, die Mehrheit meiner Kommilitonen hat bereits die Kurve gekratzt. Nur Hobbs hat sich im hinteren Block noch immer nicht von seinem Sitz fortbewegt. Neugierig beobachtet er mich mit zusammengekniffenen Augen. Die Arme hat er lässig über die Sitze neben sich gelehnt, eine Zigarette hinter sein rechtes Ohr geklemmt.

Ich gehe einen Schritt näher auf Ethan zu, dämpfe meine Stimme. Ich weiß nicht, wieso ich doch noch dergestalt darauf bedacht bin, dass niemand unsere Unterhaltung belauschen kann. Es sollte mir gleichgültig sein. Alles, was ihn anbelangt. Uns verbindet nichts. Naja, fast nichts ...

„Hast du noch einmal über unser Gespräch von letztens nachgedacht?", hake ich nach.

Ethan dreht sich zu mir um. Sein Blick ist undurchschaubar. Er mustert mich eindringlich.

„Dein Vater wird das nicht zulassen."

„Das ist mir egal." Ich bleibe stur. Poche auf mein Recht.

„Das sehe ich", sagt er seufzend.

„Ethan, bitte." In diesem Augenblick gibt es für mich nichts Vergleichbares, das derart unter meiner Würde ist, wie ihn darum zu bitten, fast schon anzuflehen, etwas für mich zu erledigen, was ich selbst nicht in die Hand nehmen kann. „Du musst mir diesen einen Gefallen tun."

„Und weshalb genau, Stella?" Er lässt sich von mir nicht aus der Ruhe bringen. Ich bin noch immer nur eine Studentin seiner Vorlesung. Anfangs war ich noch so naiv zu glauben, zwischen uns wäre mehr. Es hat gedauert, bis ich begriffen habe, dass ich nur ein ansehnlicher Zeitvertreib für ihn bin.

Ich weiß, ich bin sicherlich die letzte Person auf diesem Planeten, die Katie Vorwürfe machen kann. Und es ist alles andere als nett, ihr noch immer damit zu drohen, Fotos öffentlich zu machen, die man auch leicht von mir schießen könnte, wenn man uns nur zusammen erwischen würde.
Aber ich bin nicht nett, ich habe aufgehört nett zu sein. Zu mir ist auch niemand nett. Ich sehe nicht ein, dieselben Fehler zu wiederholen, die mir dieses Dasein erst eingebrockt haben.

Deshalb werde ich auch nicht aufhören, denn ich habe damit etwas gegen Katie in der Hand, was mir meinen ersehnten Frieden beschert. Den gebe ich nicht leichtfertig auf. Nie und nimmer.

„Du weißt genau wieso. Du weißt es besser, als jeder andere." Ich verschränke die Arme vor der Brust. Es fällt mir schwer, mir meine Frustration nicht anmerken zu lassen. Ich fühle mich machtlos. Ausgeliefert. Benutzt. Nichts, woran ich nicht schon gewöhnt wäre. Aber das beengende Gefühl in meiner Brust, das mir regelmäßig die Luft abschnürt, schwächt auch jetzt wieder nicht im Entferntesten ab. Lässt etwas in meinem Inneren wieder schmerzhaft aufreißen. Ich bin überhaupt nicht abgebrühter geworden, kein Stück.

„Nein. Ich gefährde damit nicht meine Zukunft", hält er konsequent dagegen. Ich weiß, dass er nicht nachgeben wird. Er wird seinen Standpunkt unbeirrt weiter vertreten. Ich sollte mir eingestehen, dass ich verloren habe. Aber das würde nicht zu mir passen. Zumindest nicht in diesem Fall.

Ich spüre, wie eine heißbrodelnde Woge Wut in mir aufsteigt. Es kümmert ihn einen Scheißdreck. Ich kümmere ihn einen Scheißdreck. Aber ist das jemals anders gewesen? Höchstwahrscheinlich nicht.

„Und was ist mit meiner Zukunft?", werfe ich ihm vorwurfsvoll entgegen.

„Du willst es nicht verstehen." Ethan schwingt in einer ausladenden Geste zu mir herum, baut sich vor mir auf und wirft einen strengen Blick zu mir hinunter.

Er ist fast anderthalb Köpfe größer als ich, obwohl ich nicht gerade klein bin. Aber neben ihm mit seinen beachtlichen 1,98 m wirke auch ich mit meinen 1,73 m nicht wie die Größte.

Nichts desto trotz weigere ich mich, mich von ihm einschüchtern zu lassen. Über seine natürliche autoritäre Stellung als Dozent gegenüber seiner Studentin sind wir bereits längst hinaus.
Außerdem, ich habe nicht wirklich viel zu verlieren. Wenn unsere Beziehung an die Öffentlichkeit gelangen würde, würde ich nur erreichen, was ich mir sowieso schon sehnlichst wünsche; das Ende meiner juristischen Laufbahn.

Ich habe nicht den leisesten Schimmer, was ich stattdessen machen wollen würde. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich überhaupt fähig bin, in irgendetwas ambitioniert zu sein, was meine Zukunft betrifft. Aber ich würde auch nicht sonderlich deprimiert sein. Im Gegenteil. Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen, als ein Ende dieses Albtraums.

„Nein, ich will es auch gar nicht."

Ethan übergeht meinen Kommentar geflissentlich. Stattdessen wendet er sich wieder geschäftig von mir ab. Besuch ist im Anmarsch. Doch noch bin ich hier nicht fertig!

„Du hast doch-", setze ich an. Ethan fährt mir jedoch mit gebieterischem Tonfall über den Mund.

„Stella, ich habe Frau und Kind zuhause, die auf mich zählen." Er verstaut auch die letzten Unterlagen in seiner Aktentasche, schließt sie und schultert sie, bevor er sich umdreht und ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen an mir vorbeigeht. Für ihn ist diese Unterredung eindeutig beendet. „Jetzt entschuldige mich, ich muss meiner Tätigkeit nachgehen, für die ich bezahlt werde."

Ich schnaube entrüstet, sehe überhaupt gar nicht ein, das jetzt einfach so unkommentiert auf mir sitzen zu lassen.

„Denkst du denn dann das nächste Mal an deine Frau und dein Kind, wenn du mich wieder in deinem Büro auf dem Schreibtisch flachlegst?", zische ich ihm hinterher und er wirft mir einen vernichtenden Blick über die Schulter zu.

Doch er erwidert nichts mehr, kann er auch gar nicht mehr, denn er wird schon in Beschlag genommen. Touché.

Mein Blick fängt Steven Jennings Gestalt ein, den aufstrebenden, von allen Dozenten in höchsten Tönen gelobten Bestnotenkandidat unseres Semesters. Auch mein Vater sieht in ihm bereits jetzt eine gewinnbringende Einnahmequelle für seine Wirtschaftskanzlei. Ich muss nicht erst erwähnen, dass er ihn sich als studentische Hilfskraft in seine Kanzlei geholt hat, als sich die Chance dazu ergab, oder?

Steven erwidert meinen Blick für einen geschlagenen Augenblick, und wirft mir aus den Augenwinkeln ein selbstgefälliges Lächeln zu, bevor er Ethan in ein Gespräch über den in der Vorlesung besprochenen vertragsrechtlichen Fall einwickelt.

Das ist der Augenblick, der mir die Entscheidung leichtmacht, bleiben und zwei Fachidioten zuhören, die sich ihr Wissen gegenseitig an den Kopf knallen, zwei Quarterbacks, die ihre Positionen im gegenseitigen handfesten Duell klarstellen wollen, oder die Düse machen. Ihr dürft dreimal raten, wofür ich mich ohne zu zögern entscheide.

Ich hasse juristisches Geschwätz. Und ich kann partout nicht nachvollziehen, wie man bei diesem Studiengang nur annähernd Befriedigung empfinden kann. Ich nicht. Obwohl ich die entsprechenden Leistungen bringen könnte, wenn ich wollte, und ich habe sie auch schon erbracht. Aber mir fehlt dieser Wille, er ist mir auf halber Strecke verloren gegangen und nie wieder auf der Bildoberfläche aufgetaucht. Was gut so ist, denn ich habe endlich begriffen, dass ich das alles nicht will, dass ich frei sein kann. Zumindest für den Augenblick. An die Zukunft will ich keinen einzigen Gedanken verschwenden, denn sie sieht nicht rosig aus. Was erwartete mich denn schon?

Hobbs ergeht es in diesem Fall nicht anders wie mir. Ich kann in seinem Gesicht die pure Langeweile ablesen, als ich endlich wieder bei ihm im oberen Sitzblock angelange. Er holt die Zigarette hinter seinem Ohr hervor und schiebt sie sich schon einmal provisorisch zwischen die Lippen.

„Willst du auch eine?", fragt er und hält mir die aufgeklappte Zigarettenschachtel einladend entgegen. „Du siehst so aus, als könntest du eine vertragen."

Ich kann mich dazu durchringen, meiner Gesundheit zu Liebe abzulehnen – und mal ehrlich, die ist sowieso schon im Eimer, oder zumindest auf dem besten Wege ins dunkle Kellergeschoss -, also zucke ich nur mit den Achseln und greife beherzt zu.

„Immer."

Hobbs steht auf, verlässt die Sitzreihe und wir steigen die Stufen hinauf Richtung Ausgang. Er wirft mir von der Seite einen fragenden Blick zu. „Was wolltest du schon wieder von dem Penner?"

„Meinen Lohn eintreiben oder sowas in der Art." Hobbs lacht.

Ich stecke mir schmunzelnd die Zigarette in den Mund, und zünde sie an, als wir das Hörsaalgebäude endlich hinter uns gelassen haben und hinaus ins Freie getreten sind.

„Ich wusste schon immer, dass in dir ein verdorbenes Luder steckt."

„Wundert dich das wirklich?"

„Ehrlich gesagt nicht", gesteht er und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Aber sein Gesicht nimmt wieder einen ernsten Gesichtsausdruck an, als er mich am Arm zurückhält und sich mir in den Weg stellt.

„Aber mal Spaß beiseite. Was sollte das gerade? Willst du euch beide ans Messer liefern?" Er holt geräuschvoll Luft. „Außerdem, du solltest es besser wissen, bist schließlich nicht die einzige Studentin, mit der er seine Frau betrügt."

„Mach jetzt aber mal 'nen Punkt, scheiße verdammt", sage ich barsch und entziehe ihm meinen Arm. „Und überhaupt, ich wüsste nicht, was dich das angehen sollte."

Ich ziehe an meiner Zigarette, schultere meine Tasche und gehe ohne weiteren Kommentar in die entgegengesetzte Richtung davon.

„Stella, warte doch mal, verdammt", ruft Hobbs mir noch nach, aber ich sehe gar nicht ein, einzulenken. Ich bin schon wieder tierisch genervt. Was nimmt er sich eigentlich heraus, ich kann mich nicht annähend an einen Moment erinnern, in dem ich ihm erlaubt haben könnte, meinen Vormund heraushängen zu lassen. Wenn Hobbs nicht überlebenswichtig für mich wäre, wirklich, glaubt mir, ich würde längst einen hohen Bogen um ihn machen.

Jaja, I know, ich bin eine miese Schlampe, ich nutze ihn nach Strich und Faden zu meinen Gunsten aus. Aber wisst ihr eigentlich, wie absolut scheißegal mir das ist?

Ja? - Dann terrorisiert mich nicht weiter mit euren vorwurfsvollen Blicken!

Nein? - Dann kann ich euch auch nicht mehr helfen! Euer Problem, nicht meines!

Kawumm.

Rumms.

Ich kann in Zeitlupe meinen Büchern, die keinen Platz mehr in meiner vollgestopften Umhängetasche gefunden haben, dabei zusehen, wie sie aus meinem Arm auf den schmutzigen Boden segeln.

Ich hätte es wissen müssen. Es war so klar, dass das Schicksal wieder hemmungslos zuschlägt, mich von den Füßen reißt und mit dem Schlagstock brutal auf mich einschlägt. Ich stöhne ungehalten auf.

„Verdammte Drecksscheiße, kannst du nicht aufpassen, du dämlicher Penner?", fluche ich in einer Lautstärke, die vorbeigehende Kommilitonen prompt dazu veranlasst, sich empört nach mir umzudrehen. Ihren Blicken lese ich eindeutig ab, in welche Richtung ihre Gedanken wandern. Wie sie mich als 'die Alte, die keinerlei Erziehung genossen hat' oder 'die hässliche Alte aus der Gosse' abstempeln. Doch da muss ich sie leider enttäuschen.

Und trotzdem, niemand, der über meinen Hintergrund Bescheid weiß, interessiert es wie unterirdisch ich mich benehme. Alle halten die Füße still. Mein Vater kleidet eine solch hohe Position, dass er die Macht besitzt, eine gewisse Kontrolle ausüben zu dürfen – nicht nur Zuhause, sondern auch hier. Als ehemaliger überdurchschnittlich erfolgreicher Absolvent und spendabler, großzügiger Gönner der juristischen Fakultät von Cambridge ist es ein Leichtes für ihn, die Fäden zu ziehen. Vor allem in Bezug auf mich, seinem eigenem Fleisch und Blut.

Ich sehe nur nicht ein, mich davon beeindrucken zu lassen. Ich mache weiter, solange bis sich etwas verändert. Vielleicht sogar solange, bis niemand mehr mein Verhalten ignorieren kann. Bis er trotz Einfluss, keinen Einfluss mehr nehmen kann.

Glaubt mir, wenn ich sage, du bist nie das, was du hast, sondern immer das, was du aus dem machst, was du hast.

Und ich war das hier, ob es ihnen gefällt, oder nicht. Ich bin von Grund auf verdorben. Es gibt reichlich Gründe, mich nicht zu mögen. Und ich liefere am laufenden Band doch immer wieder überzeugende Gründe dafür, oder etwa nicht?

„Ich muss schon sagen, das nenne ich mal eine verdammt freundliche Begrüßung."

Erst glaube ich, mich verhört zu haben, denn das Schicksal kann mich einfach gar nicht so sehr hassen, dass es sich genötigt fühlen müsste, mich wieder so dermaßen zu demütigen. Aber da liege ich wohl grundlegend falsch.

Denn ich sehe auf und sehe geradewegs in dieses unangenehm vertraute Augenpaar, das mich prompt ablehnend das Gesicht verziehen lässt. Auf seine Lippen schleicht sich ein Grinsen und ich sehe pures Vergnügen in seinen smaragdgrünen Augen aufblitzen, die mir schelmisch zuzwinkern.

„Wieso, das ist doch die passende Begrüßung für einen Dieb."

Harry lacht auf, und fährt sich durch das lockige, braune Haar.
„Ich dachte, das Thema hätten wir abgehakt", sagt er mit einem Unschuldsdackelblick, den er garantiert für sich perfektioniert hat, um blonde Dummchen auszuknocken, die ihm sabbernd vor die Füße fallen. Da ist er bei nur leider an der falschen Adresse. I'm so sorry.

„Nein, die Frage steht immer noch im Raum, was du mit meinem Tagebuch wolltest", sage ich, lasse mich nicht von ihm abwimmeln.

„Schade, denn leider wirst du darauf wohl nie eine Antwort bekommen", sagt er achselzuckend. Er lässt sich offensichtlich nicht aus der Ruhe bringen. Aber ich will nicht klein beigeben. Auch in diesem Fall nicht. Sagt mal, was läuft hier eigentlich überhaupt? Hat sich die ganze Welt etwa gegen mich verschworen?

„Abwarten, Penner."

„Waren wir nicht vorgestern noch bei Harry stehen geblieben?", will er von mir wissen. Ich verspüre die große Lust, ihm das blöde Grinsen aus der hässlichen Visage zu schneiden.

Lüge, Lüge, Lüge. - Sei still! – Du findest ihn ganz bestimmt nicht hässlich. – Aber sicher ganz bestimmt!

„Du wirst dich daran gewöhnen müssen, dass ich meine Meinung öfters mal ändere." Definitiv. Ich wechsle meine Meinung öfters als Socken. Also öfters als jeden Morgen. Manchmal morgens, vormittags, mittags, nachmittags, abends, nachts. Kommt ganz auf meine Laune an. Jaja, ich bin sprunghaft, launisch und niemand mag zickige Diven. Aber who cares, ganz ehrlich?

„Das heißt, wir sehen uns jetzt öfters?"

„Nein, das heißt es ganz bestimmt nicht", erwidere ich augenverdrehend.

Ich trete den qualmenden Zigarettenstumpf aus und laufe schnurstracks an ihm vorbei Richtung Wohnheime. Wieder einmal renne ich mehr, als dass ich mich im Schritttempo von ihm wegbewege. Ich meine, checkt er denn nicht, dass ich nicht von ihm belästigt werden will?

„Abwarten, Diva", ruft er mir lachend hinterher.

„Fick dich."

Ich werde den Teufel tun und es darauf ankommen lassen, ihm wieder über den Weg zu laufen. Von heute an werde ich Augen und Ohren offen halten. Wollen wir doch mal sehen, wer von uns beiden zuletzt lacht.

Nur leider gäbe es da noch die Sache mit meinem Tagebuch, die ich nicht einfach auf sich beruhen lassen kann. Es versteht sich von selbst, dass ich ihn nicht ungeschoren davonkommen lassen darf.


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