Jade:
Es wurde immer schwieriger, mir ein schadenfreudiges Grinsen zu verkneifen. Dieses Mädchen machte es mir aber auch zu einfach... Und ich hatte ernsthaft gedacht, dass sie ein harter Brocken werden würde! Schon anhand ihres genervten Tonfalls, wie sie mir gerade eine Kirche zeigen wollte, merkte ich, wie gereizt sie im Moment war. Interessierte mich aber null die Bohne, ich fälschte nur kurz ein Lächeln, bevor ich auch wieder auf mein Handy schaute. „Und? Wie ist deine Deutsche so?"
Luke konnte es nicht lange hier aushalten, ohne wieder mit mir Kontakt aufzunehmen, aber ganz ehrlich, genauso ging es mir. Ein Glück, dass er ebenfalls an dem Projekt teilnahm, sonst würde ich es nicht in Deutschland aushalten. Nicht aushalten? Keine hundert Pferde würden mich hierher bringen! Oder waren es in dem Sprichwort doch zehn? Ach egal, ich hasste diese deutschen Sprichwörter genauso wie das Wetter hier! Kaum war ich aus dem Zug gestiegen, hatten mich schon die fetten grauen Wolken am Himmel vorgewarnt, dass ich hier in Langweilerhausen schlechthin gelandet war. Was hätte ich lieber getan? Lieber noch ein bisschen weiter nach Italien gefahren und dann unser Ferienhaus gesucht! Lieber ein Gelato am Pool gegessen als mit dem Möchtegernpunk hier vor der Kirche im Regen zu stehen. „Sie ist genauso langweilig, wie ich befürchtet hab. Aber es macht immerhin Spaß, sie zu ärgern. Wo wohnt dein Ausstauschfutzi gleich nochmal?"
„Geraldostraße 15, östliche Ecke hier." Leider kam die Info nicht wie erwartet per Nachricht. Macy stand neben mir, ihre Augenbrauen genervt hochgezogen und den Blick interessiert auf meinen aufleuchtenden Handyscreen gewandt. Ich schaltete es aus und blickte genervt zu ihr auf. „Und woher weißt du das?" „Ich weiß eben alles. Müssen langweilige Deutsche doch wissen." Shit, wie lange las sie schon mit? Und vor allem, warum war es mir nicht früher aufgefallen, dass sie neben mir stand? Die Deutsche ging raffinierter vor, als ich es von ihr erwartet hatte.
„Haha, sehr witzig. Wenn du es weißt, dann lass es mich doch höchstpersönlich selbst fragen: Wer wohnt dort?" „Eine Freundin von mir, Rebecca. Sie hat mir vor ein paar Wochen auch über ihren Austauschpartner Luke erzählt, der für einen Jungen vielleicht ein bisschen..." Ich lachte auf. „...ein bisschen zu sehr auf Gucci, Prada und den ganzen Mist versessen ist? Das ist halt Luke, wie er leibt und lebt! Und nein, er ist nicht der typisch Schwule, den du dir ausmalst!" Sie runzelte die Stirn, für einen Augenblick sah ich etwas Hoffnung in ihren Augen aufflackern, bis sie fragte: „Du meinst, er ist..." „Er ist schwul, zu hundert Prozent. Hast du etwas dagegen?" Wenn ja, würde sie es definitiv mit mir zu tun bekommen!
Denn ich hatte noch gar nicht mit meinem Tortur-Programm angefangen. Das, was ich bisher gemacht hatte, war, was ich immer tat: Den Menschen auf den Wecker gehen. Doch wenn mein vollständiger Zicken-Modus hochgefahren war...sagten wir es mal so, Mädchen wie Macy würden sich nicht mehr trauen, je wieder einen Fuß vor die Tür zu setzen. Oder in unserem Fall würde sie ihr eigenes Haus meiden müssen, da wir uns ja ihr Zimmer teilten. Klasse...ich hatte noch nie ein winzigeres Zimmer gesehen! Okay, es ging, aber es war nichts gegen mein Zimmer oder wie Luke und ich es nannten: Den Bitchpalast.
Aber halt mal...diese Art, wie sie den Namen dieses Mädchens ausgesprochen und ihre Augen dabei gefunkelt hatten, kam mir nur zu bekannt vor. Ja, natürlich! Jetzt wusste ich, warum sie so auf meinen Flirt eingegangen war. Mein Gegenüber war zu hundert Prozent lesbisch. Ich glaubte manchmal, dass ich fast schon so ein Radar für das Aufspüren von homosexuellen Menschen hatte, als wäre ich die erste Hetero mit Gaydar! Glaubt es mir oder nicht, es war jedes Mal wieder eine Überraschung, aber auch irgendwie offensichtlich.
Hmm, wenn das so war, würde das mehr als interessant werden... „Dann lass uns doch dorthin gehen!" Macy blickte mich verblüfft an. „Du willst dorthin?" „Luke ist mein bester Freund seit wir im Kindergarten die Erzieherin mit Wachsmalstiften angemalt und an einen Laternenpfahl gefesselt haben. Jetzt verständlich?" Schon bei meiner Erzählung wurde ihr Gesichtsausdruck von verwirrt zu etwas ängstlich, bis sie stotterte: „O-okay, dann folge mir." „Tss...was soll ich auch anderes tun, wenn ich da hin will? Ist ja nicht so, als hätte ich die Fähigkeit Google Maps in meinem Hirn zu installieren!" Zu meinem scharfen Kommentar sagte sie nichts, aber wenn Blicke töten könnten, hätte ich mir schon hundert Male mein eigenes Grab schaufeln müssen!
Erst nach ein paar Minuten erwiderte Blondie: "Du hast mit Sicherheit Google Maps aber auf deinem Gehirn installiert." Ich blickte sie verwirrt an, bevor ich ihrem Blick folgte und die Augen rollte. "Das ist mein Handy, Dummkopf!" Kurzerhand fälschte Macy einen überraschten Gesichtsausdruck und meinte mit einem Grinsen: "Oh, das sind bei dir auch zwei verschiedene Dinge?" "Natürlich! Ohne das da oben..." "...hättest du nicht die Fähigkeit, zu laufen? Stimmt, mein Fehler." Ich versetzte ihr daraufhin nur einen Schlag in die Seite, bevor ich weiter lief und gedankenverloren den Himmel über mir musterte. Wieso hatte ich nichts darauf geantwortet? Wieso hatte ich stattdessen den klassischen Kindergartentrick mit Hauen genommen? War mir wirklich nichts darauf eingefallen? Angestrengt kramte ich in meinem Kopf nach Kontersprüchen, wurde aber leider nicht fündig. Hm. Sie parierte besser als alle Dumpfbacken aus Quebec, das musste man ihr lassen.
***
Kaum waren wir an dem Haus angekommen, hatte ich schon bereits einen angewiderten Gesichtsausdruck angenommen. Was sollten die vielen Statuen davor? Wollte sich da jemand seinen eigenen Friedhof mit Engelchen oder eine Ausstellung mit dem Titel „Scheußlichkeiten aller Art" schaffen? Iiiih, wie kitschig konnte jemand seinen Garten gestalten? Und dieses Grün des Hauses... Entschuldige mich, ich musste mal kurz kotzen gehen! Denn genau so würde auch mein Erbrochenes aussehen! Ja, ich musste mich auf eine Wohnung mit genauso viel Geschmacksverirrung einstellen, denn schon der erste Blick auf Rachels, Ritas...wie hieß die nochmal? Na ja egal, ich hoffte nur, sie war nicht so wie ihr Haus oder so langweilig oder punkig wie Macy. Sonst würde mir Luke wohl wirklich eine Kotztüte holen müssen.
„Nicht dein Geschmack?" Macys Augen funkelten amüsiert auf. Dieses Graublau ihrer Augen war schon irgendwie schön auf seine Art und Weise, nicht so direkt glänzend und doch... Was dachte ich denn jetzt schon wieder? „Ist das so offensichtlich? Sag mir bitte nicht, wir besuchen Disneyland! Denn sogar Micky Maus hätte mehr Ahnung von Dekoration!" Macy fuhr sich durch ihre blonden Haare und lachte. Eine Geste, die ich vielleicht zu lange betrachtete, bis ich wieder ihren Worten folgte: „Das hier hat alles ihre Mutter gestaltet und ja, es ist scheußlich, aber bitte sag es nur nicht Rebecca, sonst fühlt sich ihre Mutter in ihrer Floristenehre gekränkt." „Die Frau ist Floristin? Alles klar, jetzt weiß ich, wen ich nie an mein Haus oder Garten heranlassen werde. Ich mach das selbst. Auch wenn das zukünftige Haus riesig sein wird. Ich weiß jetzt schon, dass ich bei meinem riesigen Garten eine Armee an Gärtnern benötigen werde."
Macy schaute von ihren Fingern auf, stieg die Treppenstufen zur Tür hinauf, bis sie mir wieder gegenüber stand. „Du hast schon Pläne für die Zukunft?" Ich grinste und schaute verträumt in den Abendhimmel über uns, meine Augen versuchten, jeden Stern zu sehen und zu zählen, bis ich aufgab und sie wieder anschaute. „Jeder hat Träume oder auch Pläne. Man muss sich eben entscheiden, ob der Traum ein Plan wird oder immer ein Traum bleiben wird." Macy spielte nervös mit ihren Haarsträhnen und lehnte sich vor, um zu klingeln. „Ich weiß nicht, was ich später sein werde oder wo ich sein werde. Ich lasse mich einfach überraschen." "Du willst also dem Schicksal vertrauen?" Sie nickte, bevor sie fragte: „Wieso? Du nicht?" Ich lachte leise auf. „Die neuen Leute oder Dinge in deinem Leben kommen nicht immer zu dir, Schätzchen. Manchmal musst du auch zu ihnen kommen."
Macy:
Schon alleine ihre Art und Weise, die Dinge zu betrachten, faszinierte mich. Wie konnte eine so nervige Zicke so tiefe Gedanken hegen? Vielleicht steckte doch mehr hinter dem, was Menschen vorgaben zu sein. Zumindest ließ Jade mich nur vermuten, wie ehrlich sie wirklich zu mir wahr. Denn ehe ich mich versah, stand auch schon Rebeccas älterer Bruder Oliver in der Tür und musterte uns fragend: „Kann ich irgendetwas für dich tun, Cookie Monster?" Ich rollte nur mit den Augen. „Ja, du könntest aufhören, mich so zu nennen!" Das Verhältnis zwischen Oliver und mir war freundschaftlich und teils nervte er doch. Besonders mit dem „originellen" Spitznamen, den er mir, seit dem ersten Tag, an dem ich Rebeccas Haus betreten hatte, gegeben hatte.
Okay für die Verwirrten unter euch erklärte ich erst einmal, welches Ereignis dafür gesorgt hatte, dass Oliver mich mit einem Charakter der Sesamstraße verglich: Ich hatte am ersten Tag dort vor der Tür gestanden, ihre Oma hatte gerade Kekse gebacken und mein erster Blick war natürlich auf das Tablett gefallen. Als es auch noch hieß, dass ich mir so viele Kekse nehmen dürfte, wie ich wollte, war das der wahre Jackpot für mich gewesen! Ich hatte geplant, höflich wie ich war oder versuchte, zu sein, erst nur einen Keks zu nehmen. Aber natürlich hatte mir keiner gesagt, wie toll ihre Oma backen konnte! Also verlor ich nach wenigen Minuten die Beherrschung und stopfte mir „unauffällig" drei Kekse in den Mund. Und ja, irgendwie kam Oliver auf die tolle Idee, einen Witz zu erzählen, der auch noch zum Überfluss wirklich lustig war. Daraufhin lachte ich los und die Hälfte der „Cookies" landete auf ihm. Pech gehabt, er hatte ja den Witz erzählen müssen!
„Niemals, Cookie Monster!" Und natürlich betonte er den Nicknamen besonders, sodass ich ihm nur in den Arm knuffte, um mich mit Jade an ihm vorbei zu drängeln. „Wer ist denn eigentlich die Schönheit neben dir?" „Sie heißt „Nein", so viel wie „nicht interessiert an billigen Flirts oder Typen wie dir". Können wir jetzt bitte weiter gehen?" Ich musste mich beherrschen, nicht bei Olivers verdutzen Gesicht loszulachen. Echt, ich wusste nicht, ob ich meinen Kumpel in Schutz nehmen oder lauthals losprusten sollte. Irgendwie war Jades direkte Art nicht so meins, aber irgendwie fand ich es auch lustig. Mit ihr würde es bestimmt nie langweilig werden!
Ich entzog mich der Entscheidung, indem ich Jade am Arm griff, Oliver nur ein Zucken mit den Schultern als stille Antwort gab und die Treppen hinaufstürmte. Kaum waren wir oben, klopfte ich zweimal an Rebeccas Tür, es war nach den vielen Jahren, seit denen wir uns schon kannten, wie ein Erkennungszeichen. „Kommt rein!" Kaum hatten wir die Tür geöffnet, sahen wir vor uns ein Bild, wobei ich schallend loslachen und Jade, wie wäre auch anders, die Augen rollen musste. „Ernsthaft? Twilight?" Rebecca schaute grinsend zu uns hoch. „Der erste Junge, der meine Sucht an Bella und Edwards Liebesgeschichte teilt! Oliver nervt das normalerweise." „Und mich." Ergänzte ich, immer noch kichernd. „Ich kenne es dank dir schon auswendig und Jade sieht auch nicht so aus, als ob sie auf..." „Ich stehe garantiert nicht auf Filme, in denen Kerle bei dem Anblick der Sonne sich in eine Diskokugel verwandeln oder bleich herumrennen. Noch dazu nicht auf Kerle, die sich in Köter verwandeln, die man nicht einmal in seinen Albträumen sehen will!"
Innerlich brachte mich Jade schon zum dritten Mal zum Lachen, während der andere Junge neben Rebecca, den ich als Luke vermutete, nur mit dem Kopf schüttelte. Rebecca flüsterte mir nur zu, als ich mich neben sie setzte: „Na, die ist ja auch nicht auf den Mund gefallen..." Ich grinste. „Du sagst es. Kaum eine halbe Stunde ist vergangen und ich bin schon davor, mir entweder in die Hose zu pinkeln vor Lachen oder Amok zu laufen!" „Ich bin auch in der Lage zu hören...und ebenfalls zu sehen. Das Top passt definitiv nicht zur Hose, Becky." Kommentierte Jade nur scharf in Rebeccas Richtung, bevor sie sich neben Luke auf das Sofa fallen ließ. Dieser flüsterte ihr etwas ins Ohr, worauf sie beide kicherten und aus der Tür in Richtung Küche verschwanden.
„Nicht schon wieder zu viele Cookies futtern oder meine Mutter bringt mich um!" Schrie Rebecca ihnen noch hinterher, bevor sie sich wieder zu mir wandte. „Ich schwöre, dieser Junge ist noch verfressener als du! Kaum ist er hier und schon kann ich meinen Notvorrat an Gummibärchen und Chips nirgends finden!" Ich kicherte leise. „Und ich dachte, das sei unmöglich." „Tja, da sieht man mal, was für verrückte Leute per Austausch kennen lernt!" Kommentierte Rebecca und ich gab ihr Recht. Luke und Jade waren schon ein Völkchen für sich...
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
A/N: Und hier muss ich auch mal wieder das Kapitel beenden, aber keine Sorge, nach meinen Prüfungen kommt mehr! Meine Frage bis jetzt: Wen mögt ihr von den Charakteren am meisten? Also bei mir ist ja wohl nicht zu übersehen, dass ich Jade am meisten mag XD
-xoxo Alyson_Raventhorn