Das gekaperte Herz (ONC 2024)

By Bobby_Andrews

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|ABENTEUER| Hannah Morgan ist clever, furchtlos und die wahrscheinlich jüngste Piratenkapitänin mit einem eig... More

Was hier entsteht
Widmung
Prolog
1 | Mahaifa - Zuflucht der Free
2 | An Board der Wavedancer
3 | Doppelter Verrat auf der Sturmwind
4 | Aarochelle - Insel der Vesthalien
5 | Celestiale Couture
6 | Der erste Hinweis
7 | Aufbruch
8 | Grünwald
9 | Im Dschungel
10 | Der geheime Tempel
12 | Serenity Bay
13 | Ein Sturm zieht auf
14 | Kampf der Titanen
15 | Der Bienenkönig
16 | Die wandelnde Insel
17 | Der Schatz
Epilog
Nachwort

11 | In der Bucht

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By Bobby_Andrews

Darrel fühlte sich müde und erschöpft, als sie bei Einbruch der Nacht nach einem anstrengenden Fußmarsch am Strand ankamen. Die Dunkelheit hatte die Bucht bereits in Schatten gehüllt, und er spürte, wie seine Augenlider schwer wurden. Die letzte Nacht hatte er kaum geschlafen, und die Kletterei hatte ihren Tribut gefordert.

»Ihr könnt euch in einer der Kabinen im Bauch des Schiffes ausruhen, bevor wir euch morgen zur Sturmwind bringen«, schlug Hannah vor, während sie das Beiboot mit Mühe über den Sand zum Wasser schob, um zur Wavedancer zu gelangen.

»Danke, dass ihr uns mitnehmt«, sagte Ronan und gab dem Boot einen kleinen Stoß, bis es leicht ins Wasser glitt. Hätte Hannah das Seil nicht festgehalten, wäre es wohl noch weiter in die See hinausgetrieben.

»Keine Ursache«, erwiderte Hannah und konnte sich einen Seitenhieb nicht verkneifen: »Ich habe Darrel versprochen, auf ihn aufzupassen.«

Darrel verzog sein Gesicht zu einem hämischen Grinsen, zu mehr war er nicht mehr in der Lage. Der Biss der Trötkröte schmerzte nach dem langen Marsch durch das Unterholz und seine Beine fühlten sich an, als wären sie mit Blei gefüllt. Der Abstieg vom Tempel hatte sich als anstrengender erwiesen als der Aufstieg. Mit Hilfe von Lianen hatten sie sich vorsichtig von der steilen Wand abgeseilt, um nach einer gefühlten Ewigkeit endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Nach einer kurzen Verschnaufpause hatten sie den Rückweg antreten müssen, damit sie nicht in der völligen Dunkelheit beim Schiff ankamen.

Zum Glück hatten Yan und Ronan vorgeschlagen, gemeinsam zur Wavedancer zu gehen, da ihr nächstes Ziel sowieso in der Nähe des Ankerplatzes der Sturmwind lag. Dadurch konnten sie Darrel und Ronan ein Stück mitnehmen.

Zu Darrels Überraschung hatte Hannah diesem Vorschlag zugestimmt, und gemeinsam hatten sie sich durch das Dickicht bis zum Strand geschlagen.

»Wir sind da«, meinte Hannah neben ihm, und Darrel schreckte aus seinen Gedanken auf. Oder hatte er bereits geschlafen? Die bleierne Müdigkeit machte ihm zu schaffen; nur mit Ronans Hilfe schaffte er es über die Strickleiter aufs Schiff und ließ sich nur wenig später auf einer schmalen und recht harten Pritsche in einer Kabine im Unterdeck nieder. Trotz des spartanischen Komforts des Raumes versank Darrel innerhalb von Sekunden in einem unruhigen Schlaf, in dem ihn wilde Träume sofort gefangen nahmen.

Das gleichmäßige Schnarchen riss Darrel mitten in der Nacht aus dem Schlaf. Ohne ein Fenster in der Kabine konnte er nicht sagen, wie spät es war, doch sein Körper schien zu wissen, dass es noch nicht Zeit zum Aufstehen war. Trotzdem schwang er die Füße über die Kante der harten Pritsche und streckte sich kurz. Seine Knochen waren weichere Liegeplätze gewöhnt, und er konnte bereits erahnen, dass er am nächsten Morgen mit Nackenschmerzen aufwachen würde. Eine kleine Öllampe spendete minimales Licht, und er erhöhte die Flamme um eine Stufe. Auch wenn er noch müde war und am liebsten liegen geblieben wäre, musste er an Deck. Seine Blase drückte erbarmungslos. Eilig machte er sich auf den Weg nach oben.

Erleichterung durchströmte Darrel, nachdem er seine Notdurft über den Rand der Reling verrichtet hatte. Nun blieb ihm noch etwas Zeit, das beeindruckende Schauspiel am Himmel zu bewundern. Der Frühmond hatte bereits seinen Zenit erreicht und schimmerte in einem blassrosa Farbton. Seine Position kündigte den bevorstehenden frühen Morgen an. Da jedoch der Spätmond noch knapp über dem Horizont schwebte und seine silbergrauen Strahlen auf der glatten Wasseroberfläche verteilte, wusste Darrel, dass er noch gute zwei Stunden schlafen konnte, bevor sie bei Tagesanbruch aufbrechen würden. Ihr Ziel, das sie in der Spiegelung des hochglanzpolierten Messings und mithilfe des Fernrohrs und der Karte ausgemacht hatten, kannte er nur zu gut. War es wohl Zufall, dass ihre Reise sie ausgerechnet dorthin führte? Vielleicht war es auch Schicksal!

So oder so, Darrel freute sich darauf, die Insel und ihre Bewohner erneut zu besuchen. Es war viel zu lange her, seit er das letzte Mal dort gewesen war. Seit ihrer letzten Begegnung waren zahlreiche Mondzyklen vergangen, und der Junge war sicherlich ein gutes Stück gewachsen.

Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht - nicht nur voller Vorfreude auf das Wiedersehen mit dem kleinen Jungen - es war gleichsam durchzogen von dem Schmerz der Erinnerung an diesen besonderen Menschen. Diese tief verankerte Erinnerung, verborgen in den verschütteten Winkeln seines Gedächtnisses, drängte sich stets nach vorne, wenn die Insel in Sicht kam. Er konnte und wollte ihr nicht entkommen, denn sie war ein unauslöschlicher Teil seiner bewegten Vergangenheit.

Die Mischung aus Freude und Melancholie ließ Darrel zurückblicken auf ihre gemeinsamen Augenblicke – Momente des Lachens ebenso wie Zeiten des Kummers und der Trennung. Jede dieser Erinnerungen schnitt wie ein zweischneidiges Schwert in sein Herz, brachte sowohl Glück als auch Schmerz. Dennoch konnte er die bevorstehende Rückkehr kaum erwarten, hoffnungsvoll auf neue Einsichten und vielleicht sogar auf eine Art Heilung.

Ein letzter Blick auf das Rund des Mondes, der nun über den Rand des Horizonts wanderte, sollte ihm genügen, um ein wenig Ruhe in seine Gedanken zu bringen, bevor er wieder in die Kabine zurückkehren würde. Sanftes Plätschern der Wellen am Rumpf des Schiffes und das ferne Rauschen der Brandung am Ufer begleiteten seine Gedanken, während eine salzige Brise ihm leicht durch die Haare strich. In dieser friedlichen Nacht schien die Welt weit entfernt von Orten wie Aarochelle und Menschen wie dem Bienenkönig.

Darrel schüttelte den Kopf; wollte er doch eigentlich von solchen Gedanken Abstand nehmen. Eilig wandte er sich ab, seine Gedanken an die Vergangenheit in dem Ausblick auf das Meer zurücklassend. In diesem Moment, den sein Blick zum Bug des Schiffes wanderte, sah er, dass er nicht der Einzige war, der zu so später Stunde noch hier draußen war. Da lag jemand in einer Hängematte, die nahe der Reling mit zwei Haken befestigt zu sein schien. Wer, bei Nephrim, würde freiwillig an Deck schlafen?

Darrel zögerte einen Moment, doch seine Neugier war zu stark. Langsam näherte er sich der schlafenden Person.

Hannah hörte die Schritte, noch bevor sie die fremde Person sah. Ihr Schlaf war leicht und ihre Sinne mit einem Mal hellwach. Schnell und instinktiv griff sie unter ihr Kopfkissen und zog ihren Dolch hervor. Ihre Klinge stoppte nur Zentimeter vor dem Gesicht ihres Angreifers. Dieser sprang erschrocken zurück und stolperte dabei fast über seine eigenen Füße. Im fahlen Licht des Mondscheins erkannte Hannah ihren Angreifer sofort.

»Darrel? Was machst du hier?«, fragte sie überrascht. Darrel schien ebenfalls überrumpelt und hob beschwichtigend die Hände.

»Okay, nicht so stürmisch, damit habe ich nicht gerechnet«, gab er zu. »Ich war nur neugierig, wer so verrückt ist, an Deck zu schlafen, wo es hier doch so unsagbar bequeme Kojen gibt«, neckte er.

Hannah ließ den Dolch sinken, ihre anfängliche Abwehrhaltung wich einer Mischung aus Verwirrung und Erleichterung. Sie steckte ihren Dolch zurück unter das Kissen und setzte sich auf. »Auch wenn dir mein Schlafangebot nicht gefällt, solltest du nachts nicht so herumschleichen, Darrel. Besonders nicht auf einem Schiff voller Seefahrer und Abenteurer«, sagte sie mit einem leicht tadelnden Ton, doch ihre Stimme klang auch amüsiert. »Was machst du hier oben?«

»Ich musste mal«, gab er zurück und rieb sich verlegen den Nacken. Bei dieser Geste musste Hannah lachen.

»Und ich dachte schon, du kannst auch nicht schlafen«, schmunzelte sie.

»Du kannst nicht schlafen?«, hakte Darrel interessiert nach und ging einen Schritt auf Hanna zu. »Mir geht es ähnlich. Wenn es Nacht ist, und alle anderen schlafen, muss doch wenigstens einer wach bleiben und aufpassen. Und da ich ohnehin am Steuer stehe, fällt meine Wahl meistens auf mich.« Darrel lachte gequält. Er schien nicht so genau zu wissen, warum er Hannah diese Information anvertraut hatte, doch Hannah empfand fast so etwas wie Erleichterung, dass er so offen zu ihr war.

»Das Gefühl kenne ich«, gab sie zu und setzte ein Bein aus der Hängematte. In einem gleichmäßigen Rhythmus begann sie, den gewählten Schlafplatz leicht hin und her zu schaukeln. »Ich bin nicht gerne in geschlossenen Räumen. Und wenn alle anderen abends in ihre Kabinen gehen, überkommt mich schon beim Gedanken daran, mich auf so engem Raum auszuruhen, Unbehagen. Ich habe gerne den Sternenhimmel über mir und das Schaukeln des Schiffes unter mir. Manchmal schaffe ich es sogar, dabei durchzuschlafen. Außer natürlich, ein verrückter Dieb kommt mitten in der Nacht auf mich zu und weckt mich.«

»Das war keine Absicht«, entschuldigte sich Darrel, wobei sein Blick Hannah traf – ein Blick, der bei weniger starken Frauen sicherlich für Verlegenheit gesorgt hätte. Doch Hannah war alles andere als schwach. Ein leichtes Schmunzeln zeigte sich auf ihren Wangen.

»Darrel, du bist einfach nicht zu ändern«, bemerkte sie tadelnd. Dennoch konnte Darrel spüren, dass er eine Reaktion bei ihr hervorgerufen hatte. Ihre Blicke verharrten einen Moment zu lange, um die aufkeimende Anziehung zwischen ihnen zu verbergen. »Du solltest zurück ins Bett gehen«, riet Hannah, wobei sie den Blickkontakt zuerst abbrach. Es war, als würde Darrel ihr direkt in die Seele schauen.

Genervt schüttelte sie diesen sentimentalen Gedanken ab. Sie war nicht bereit, jemanden so weit in ihr Herz zu lassen, dass er darin wohnen konnte. Nicht, seit sie ihre Herzensmenschen vor Jahren an die See verloren hatte. Ronan und Diyanne waren die einzigen, die sich einen Platz darin erkämpft hatten. Und das auch nur, weil sie alle gegenseitig auf sich aufpassten. Darrel jedoch war so ungestüm und leichtsinnig, dass er sich irgendwann noch einmal selbst über Bord werfen würde. Und noch einen Verlust würde sie nicht verkraften.

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