12 | Serenity Bay

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Es dauerte beinahe drei Tage, bis die Wavedancer und die Sturmwind Serenity Bay erreichten. Die Strömungen zwischen Grünwald und der paradiesischen Insel, stellten die beiden Kapitäne vor große Herausforderungen. Immer wieder traten aus den Untiefen des Ozeans heimtückische Strudel auf, welche die Schiffe meilenweit in die entgegengesetzte Richtung abdriften ließen. Weder die wendige Wavedancer noch die schnelle Sturmwind konnten hierbei einen Vorteil für sich verbuchen.

Erst als am dritten Tag der Wind drehte, und sie endlich Fahrt aufnahmen, erreichten sie beinahe zeitglich den kleinen Hafen. Er lag geschützt in einer malerischen Bucht, umgeben von sanft geschwungenen Hügeln, die mit üppigem Grün bewachsen waren. Der lange Anlegesteg erstreckte sich wie ein Arm ins azurblaue Wasser, dessen ruhige Wellen sanft gegen die Pfähle plätscherten. Am Ende des Steges, der vom Salzwasser bereits ausgebleicht war und die Spuren von der Zeit und den Elementen trug, reihten sich mehrere, aus Holz und geflochtenen Palmwedelblättern provisorisch errichtete, Häuschen. Viele von ihnen hatten bunte Blumenkästen an den Fenstern, in denen exotische Blüten in voller Pracht erblühten, einen angenehmen Duft verströmten und somit dem Ort einen rustikalen und zugleich einladenden Charme verliehen.

Hannah bemerkte sofort die friedliche und ruhige Atmosphäre des Ortes, nur unterbrochen vom Rauschen der Wellen und dem gelegentlichen Ruf der Möwen, die über dem Hafen ihre Kreise zogen. Hannah und ihre Crew machten neben der Sturmwind fest und die Kapitänin ging dann mit Yan voran von Board. Nach der langen Überfahrt würden sie und die Besatzung ihres Schiffes einen Tag hier verweilen und neue Kräfte tanken. Darrel erzählte ihnen, dass er auch einen Tag hier verbringen würde, da er die Insel bereits von einem früheren Besuch kannte. Beim Anblick dieses Paradieses war Hannah froh, dass diese Information ihren eigenen Plänen so entgegenkam.

Hohe Palmen säumten den Strand und boten ihnen auf dem Weg zum nächsten Ort angenehmen Schatten, während das klare Wasser des Meeres leise an das Ufer rollte. In der Ferne war das dumpfe Läuten einer Turmglocke zu hören, begleitet vom kaum vernehmbaren Knarren der Boote, die sanft an den Anlegestellen schaukelten. Hannah sah sich angenehm überrascht um. Alles an diesem Ort strahlte eine Aura von Frieden, Sicherheit und unberührter Natur aus, die den Hafen zu einem wahren Zufluchtsort machte. Ob es hier einen Schatz zu entdecken gab, bezweifelte sie, doch einen nächsten Hinweis konnte sie sich gut vorstellen. Sie musste nur die Augen offenhalten.

Darrel folgte Hannah und dem Großteil der Seemänner und -frauen, denn sie alle hatten dasselbe Ziel. Zumindest in der Richtung waren sie sich einig. Während er jedoch vermutete, dass die Besatzungsmitglieder sich in der Taverne oder im Dorfkrug versammeln würden, führte ihn sein Weg zu einem Ort, etwas abseits der belebteren Straßen des Dorfes.

Bereits nach wenigen Minuten Fußmarsch näherte sich Darrel einem idyllischen Haus, das von einem liebevoll gepflegten Garten umgeben war. Es strahlte eine gewisse Wärme und Geborgenheit aus, die ihm aus vergangenen Tagen noch immer präsent war. Als er näherkam, öffnete sich die Haustür und eine Frau trat in den Garten hinaus. Die sanften Sonnenstrahlen ließen ihr Haar in einem goldenen Schimmer erstrahlen und ihre Augen funkelten lebhaft. Ihr Blick richtete sich auf einen Jungen, der im Garten gerade ein Beet mit einer Harke umgrub. Dieser Anblick ließ Darrel kurz innehalten. Ihr Sohn war nicht mehr der kleine Junge, den er in Erinnerung hatte; er war fast zu einem jungen Mann herangewachsen. War es schon so lange her, seit seinem letzten Besuch? Oder war der Junge einfach erstaunlich schnell gewachsen? Die Zeit schien wie im Fluge vergangen zu sein.

Darrel verlor sich für einen Moment in den Erinnerungen an die intensiven Gefühle, die er einst für diese Frau gehegt hatte. Er hatte sie beschützen wollen, genauso wie den Jungen. Deshalb hatte er sie nach dem Vorfall auf der Sturmwind auf diese Insel gebracht und sich um sie gekümmert. Er hatte sich gewünscht, einige Jahre hier mit ihr zu verbringen, den Jungen aufwachsen zu sehen und hatte sich beinahe eine Zukunft in diesem Paradies ausgemalt. Doch damals war er gerade erst erwachsen geworden; war fast selbst noch ein Kind gewesen.

Das gekaperte Herz (ONC 2024)Where stories live. Discover now