Slaves of War

By InkOfInspiration

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By InkOfInspiration

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Zarja war in ihrem Leben erst ein einziges Mal geheilt worden. Es war nach einem ihrer ersten Ausflüge ins Rattenviertel gewesen und der Mann, von dem sie Schulden eintreiben sollte, zeigte sich derart unwillig, dass er kurzerhand zu seinem noch blutigen Fleischermesser griff.

Sie war nur knapp mit dem Leben davon gekommen. Jaromir, nicht geneigt, seine neuste „Investition", wie er sagte, bereits wieder zu verlieren, holte einen Kresnik aus seiner Fabrik, dessen Dienste als Heiler er öfter in Anspruch nahm.

An jene Nacht erinnerte sich Zarja nur noch vage, doch an eines erinnerte sie sich noch sehr gut: Die Lehren, die sie daraus gezogen hatte, und den verfluchten Schmerz.

Als sie wieder zu Bewusstsein kam, verspürte sie denselben und befand sich in der demolierten Militärakademie, die kurzerhand in ein Krankenlager umfunktioniert worden war. Kresniki in schwarzen Uniformen mit blauen Schnüren heilten die Schwerverletzten, Ärzte versorgten die anderen. Die Zarewna konnte sie darunter jedoch nicht entdecken, wohl aber den Grafen und den Offizier aus dem Güldenen Bär. An beiden waren die Spuren des Kampfes unverkennbar.

Überall wimmelte es von Kresniknina und Militär, was Zarjas Herz einen erschrockenen Satz machen ließ. Was, wenn man sie enttarnt hatte?

„Du hast großes Glück, Bürschchen, dass die Zesarewna selbst mir befohlen hat, dich zu heilen", murrte der Kresnik vor ihr. „Um den Rest können sich aber die Ärzte kümmern."

Ihr Blick zuckte zu ihrem Bein und ihre Hand zu ihrer Wange – an beiden schien die Wunde ein wenig verblasster, als habe ihr Körper in den letzten Minuten einen Heilungsprozess von einer Woche hinter sich gebracht.

„Dan–", setzte sie an, doch der Magier war verschwunden, bevor sie die zweite Silbe hätte aussprechen können. Immerhin durfte sie das vermutlich als Zeichen werten, dass er nichts von ihren Kräften gespürt hatte.

„Du bist also derjenige, der die Zarewna gerettet hat?"
Zarja erstarrte. Sie kannte diese Stimme. So gut es ging ihren Schrecken hinter einer starren Miene versteckend, erhob sie sich und blickte dem attraktiven, blonden Offizier gerade ins Gesicht. Ausnahmsweise kamen ihr Schwindel und das Pochen in jedem ihrer Muskel gelegen, ertränkten jedes bisschen Schrecken, das man ihr an den Augen hätte ablesen können.

„Ich habe sie hierhergebracht, Gospodin", bestätigte sie.
Dass „gerettet" definitiv eine Übertreibung war, da das die junge Kronprinzessin ganz allein zu Wege gebracht hatte, sprach sie nicht aus.

„Und meinen treuen Sharkolija", fügte der Graf, der neben dem Blonden stand, hinzu, wobei sein Herz einen befremdlichen Satz machte. „Ich sagte doch, er findet zu mir zurück, Draganov."
Zarja erwiderte seine Worte mit der Andeutung eines Saluts.

„Soldat?", fragte eben jener Draganov. Vielleicht erkannte er sie wirklich nicht, doch seine zu Schlitzen verengten Augen ließen Zarja zweifeln.

„Anwärter der Shchetkin Akademie, Gospodin." Einer plötzlichen Eingebung folgend, setzte sie alle Hoffnungen auf eine Karte und nickte in Richtung des Portiers, der nun noch untätiger an seinem Platz saß als zuvor. „Wenn er mich lässt. Meine Zeugnisse scheinen nicht angekommen zu sein."

„Wie ist denn der Name? Sind wir uns schon einmal begegnet?"
Vermutlich lag es bloß an ihrer eigenen Angst, dem hektisch pochenden Hasenherz in ihrer Brust, dass ihr die Stimme Draganovs bedrohlich erschien.

„Nikolajev. Kalin Gordejevich Nikolajev", erwiderte sie, als wäre sie tatsächlich dieser junge Mann, der keinerlei Ahnung von den Sorgen einer Zarja Mrazova haben konnte. „Und ich denke, Gospodin Draganov, ich hatte noch nicht die Ehre."

Zur Bestätigung reichte sie ihm ihre Dokumente, die der Offizier kurz überflog. Erkennen huschte durch sein Gesicht. „Sie sind verwandt mit Bojar Semjon Nikolajev."
Zarja schluckte. Woher, bei der Schlange, hat die Ratte die Papiere eines Adligen?
„Entfernt."

Zumindest war dieser Nikolajev kein Fürst, sonst hätte sie sich schon mit der Einschreibung in die Shchetkin verraten. Denn welcher Knjaz schickte sein Söhnchen schon dorthin, wenn es die prestigeträchtigere Kaiserliche Akademie gab, in der er nicht mit dem „einfachen Volk" zusammen leben und lernen musste? Für einen weniger vermögenden Bojar war sie vielleicht gerade noch gut genug.

„Ich wusste gar nicht, dass mein Freund Verwandte in Shirokov hat", erwiderte Draganov und fügte auf Zarjas gerunzelte Stirn hin „Ihr Dialekt" hinzu.

Beinahe wäre sie dem eindringlichen Blick seiner honigbraunen Augen ausgewichen. Sie hätte nie vermutet, dass eine derart warme Farbe so kalt erscheinen konnte.

Hab ich jetzt endgültig verloren? Aus den Augenwinkeln suchte Zarja bereits nach einem geeigneten Fluchtweg, denn keine Zeugnisse vorweisen zu können, war eine Sache, dabei erwischt zu werden mit der gestohlenen Identität eines Bojaren herumzulaufen, eine andere.

„Ich habe ein Internat in Shirokov besucht", antwortete sie dennoch wie seelenruhig, um zumindest das Überraschungsmoment auf ihrer Seite zu wissen, wenn es so weit war.
Zwar deutete der nachdenkliche Gesichtsausdruck darauf hin, dass er noch etwas fragen wollte, doch wurde der Offizier gerufen. Es gab hier eindeutig wichtigeres als Zarja – oder Kalin.

„Nun, ich werde sehen, was ich tun kann. Für meinen alten Freund", verabschiedete Draganov sich also höflich von ihr und Zarja konnte hören, wie er im Vorbeigehen mit dem Portier sprach: „Kümmern Sie sich um die Papiere für Nikolajevs Eintritt."

„Aber, Gospodin Polkovnik, seine Zeugnisse–"

„Wird er wohl nachreichen dürfen", beendete Draganov den Satz. „Ich bin mir sicher, er wird ausreichende besitzen. Immerhin stammt er von den Nikolajevs ab. Außerdem hat der junge Mann gerade der Zesarewna das Leben geredet. Sie hat befohlen, dass sich entsprechend um ihn gekümmert werden soll. Oder wollen Sie ihr persönlich erklären, warum Sie den Held des Tages nicht an die Akademie lassen wollen?"

„Ne-Nein, natürlich nicht, Gospodin Polkovnik. Ich werde sehen, was ich tun kann, Eure Exzellenz", nuschelte der Mann ergeben.

Zarja beobachtete die Szene ungläubig. Entweder hatten die Rozhanitsy sie gerade mit dem größten Glück ihres Lebens gesegnet oder – was viel wahrscheinlicher war – sie hatte sich ihr eigenes Grab geschaufelt. Blieb nur die Frage, wie lange es dauerte, bis sie in seine Tiefen stürzen würde.

„Na geht doch. Sie kümmern sich darum und schicken Gospodich Nikolajev alles erforderliche ...?" Der Offizier sah Zarja fragend an.
„In den Güldenen Bär."

Bevor Draganov verschwand, nickte er ihr ein letztes Mal mit einem kleinen Lächeln zu, das eine alberne Wärme durch ihr Inneres fluten ließ, die sie beinahe vergessen hätte lassen, dass sie all dieses Lob nicht verdiente und der Mann, der es aussprach, innerhalb eines Wimpernschlags ihr Feind werden könnte.

„Ausgezeichnete Wahl für eine Unterkunft. Sie sind an meinem Stammtisch jederzeit willkommen", mischte sich Lisitsyn ein, der sich im Gegensatz zum Polkovnik nicht von seinem Platz gerührt hatte.

„Vielen Dank, Eure Exzellenz." Mit pochendem Herzen deutete Zarja eine Verbeugung an. Draganov mochte sie nicht erkannt haben, aber er? Was, wenn er sich erinnerte, wie sie bei Nevena an der Bar gesessen hatte, wie er ihr zugezwinkert hatte, ... als Frau?

„Sie wollen also zur Armee – wieso?", fragte der Graf.
Zarja blinzelte überrascht und antwortete das, was sie vor Jahren, auf der Schulter ihres Vaters sitzend gesagt hätte: „Für meine Familie" – welche Familie? – und fügte schließlich hinzu, „Für Velija". Eine hohle Floskel, weiter nichts, von der sie hoffte, sie wäre überzeugend genug.

Vielleicht hätte sie ihm noch sagen können, dass sie das hier auch für sich selbst tat, um das Versprechen, das sie sich und ihrem Vater als Kind gegeben hatte, endlich zu erfüllen. Aber die ganze Wahrheit konnte sie ihm schwerlich erzählen. 

Was war diese „ganze Wahrheit" überhaupt? Dass sie untertauchen musste? Dass sie eigentlich nur hier war, weil das einer ihrer letzten Wünsche gewesen war, bevor sie das Wünschen verlernt hatte? Dass sie ihre Freiheit überforderte und ein Stückchen davon hier wieder abzugeben, ihr Sicherheit versprach?

Lisitsyn lächelte. „Nein, das ist nicht der Grund."
Er sprach die Worte sanft und leise aus, dennoch – oder gerade deshalb – trafen sie Zarja wie ein Schlag. In ihrem Inneren meinte sie, seine aufmerksamen grünen Augen zu spüren, wie sie in ihren Gedanken, ihren Gefühlen, ihren tiefsten verborgenen Begehren wühlten. Die Vorstellung, dass er auch nur eine Andeutung davon wirklich erkennen könnte, ließ ihr Blut gefrieren.

Ein wissendes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Ich kenne diesen Blick. Es ist der junger Menschen auf der Suche nach Ruhm und Macht."

Mit einer befremdlichen Schwere im Herzen schlich Zarja zum Güldenen Bär, dem einzigen Fleckchen auf dieser Welt, das sie so etwas wie Zuhause schimpfen durfte. Sie fürchtete sich vor der Stille, die sie dort empfangen würde, doch wohin sollte sie sonst? 

Es war abgeschlossen und die frischgebackene Rekrutin gedachte nicht, irgendeinen der übrigen Bewohner der oberen Etage aufzuscheuchen, um sich bohrenden Fragen zu stellen, die sie weder beantworten konnte noch wollte.
Wie sagte man auch all jenen, denen der Güldene Bär und die Arbeit für Nevena ein sicherer Hafen in diesem Haifischbecken geworden war, dass sie vielleicht nicht zurückkehren würde und sie wieder auf sich gestellt waren?

Statt den höflichen Weg des Anklopfens zu wählen, bediente sich Zarja also jenen Tricks, die Jaromir ihr gelehrt hatte, für den Fall, dass man seinem Schatten nicht öffnen würde: Sie brach ein und huschte in ihr Zimmer, ohne dem verwaisten Interior mehr als nur einen hastigen Blick zu schenken.

Der Frage, ob sie jetzt noch hier willkommen war, stellte sie sich nicht; bleiben würde sie ohnehin nicht lange. Bloß ihre Sachen packen, die Wunde noch einmal versorgen und dann weg hier – wohin auch immer.

Ohne Umschweife schälte sie sich aus ihrer blutigen, verschwitzten Kleidung und goss Wasser in die Schüssel des kleinen Waschtischs. Es war eiskalt, aber musste genügen.
Wie in guten, alten Zeiten, dachte Zarja bitter.

Bimuitko daj", durchbrach ein Flüstern die Stille.
Zarjas Blick zuckte zur Tür, deren Aufschwingen sie nicht bemerkt hatte, ihre Arme schützend vor ihren entblößten Körper.

Für einen Augenblick dachte sie, einen Wiedergänger zu sehen, einen Upyr oder mulo, wie die Ridavy sie nannten, denn dort im Türrahmen stand ganz ohne Zweifel Nevena Tsirinskaja. Scheinbar unversehrt, ohne auch nur die geringste Spur des Attentats auf ihrem dunkelgrünen Alltagskleid und mit kritisch vor der Brust verschränkten Armen.

„Was fällt dir ein, dich hier einfach reinzuschleichen, einzubrechen, ohne ‚Guten Tag' zu sagen?"

Fassungslos starrte Zarja diese befremdliche Erscheinung an. Ein Teil von ihr wollte sie daran erinnern, dass sie es doch gewusst hatte: Natürlich hatte es Nevena wohlbehalten nach Hause geschafft! Doch keine Vermutung, keine Hoffnung hätte sie auf diesen Anblick vorbereiten können.

Nachdem sie auch einige Momente später noch keine passende Antwort gefunden hatte, ließ Nevena das aufgesetzt strenge Gebaren fallen und lief auf sie zu. „Meine Güte, Zarja, du bist verletzt. Bist du denn nicht in der verfluchten Akademie geblieben, wo es sicher ist?"

Zarja schluckte. „Ich hab' dich gesucht."
„Und dich verletzt und offensichtlich überanstrengt. Du zitterst wie Espenlaub."

„Meine Kräfte ... ich muss etwas falsch gemacht haben." Mit Schaudern dachte Zarja an den Schmerz in ihrem Herzen. Das Nachbeben dieses Fehlers saß ihr immer noch in den Knochen. 

Ein ernsthaft besorgter Ausdruck huschte über Nevenas hübsches Gesicht. „Das ist gefährlich, Dummkopf! Weißt du, nicht, was passieren kann, wenn du Magie überstrapazierst? Du hättest dich verletzen können ... oder schlimmer."

Die Krevnitsa schüttelte den Kopf. Woher auch? Niemand hatte ihr solche Dinge beigebracht.
Ein Seufzen entkam der anderen, doch es folgten keine weiteren Rügen. „Weißt du, wie viele Sorgen mir gemacht habe?"

Die Worte sanken nicht mit wohliger Wärme in ihren Verstand, sondern vielmehr wie ein Schlag, der ihr die Orientierung raubte.

„Wie ... wie hast du es da rausgeschafft?", fragte die Krevnitsa, um sich der Situation zu entwinden.

Die Illusionistin schenkte ihr einen langen Blick. „Ich habe gelernt, wie man in dieser Stadt verschwindet – Und jetzt, lass mich das mal ansehen", befahl sie sanft und Zarja gab, immer noch die Arme bedeckend um ihren Körper geschlungen, den Blick auf ihren Oberschenkel frei. 

Diskret blieb ihr Blick auch an nichts anderem haften als an diesem und Zarjas Gesicht. Nevena konnte nicht wissen, dass sie derartige Scham in Sveti Medard verloren hatte und das, was sie verbergen wollte, vielmehr der markante Abdruck ihrer Rippen war. Die Exponiertheit ihrer Schwäche ließ sie nackter fühlen, als das bloße Fehlen von Stoff.

Als die Kresnitsa sich darüber beugte, streifte ihr warmer Atem die blasse Haut. „Das wurde geheilt, nicht?"
Zarja nickte stumm.

„Hm, sieht so aus als gäbe es da vorerst nichts zu machen. Aber ich weiß, was du vertragen könntest."
Sie zog fragend eine Augenbraue hoch.
„Ein entspannendes Bad", antwortete die Ridavka grinsend.

Es war wohl das schönste Bad, das Zarja bisher gesehen hatte. In Sveti Medard gab es nichts außer Eimern kalten Wassers. Bei Jaromir musste sie sich, während er vermutlich noch in weitaus mehr Luxus schwelgte, mit einem Holzbottich begnügen oder erhielt Geld, um einmal in der Woche in eines der öffentlichen Badehäuser zu gehen. Freilich nicht genug für die schöneren. Aber immerhin war das Wasser immer sauber und warm gewesen.

Das hier hingegen wirkte wie ein Palast – mit bunten Fliesen, einem an die Wand geschmiegten Becken und einer an kleinen traditionellen Dampfbad aus edlem Holz. Inmitten dieses Luxus' einen von Nevenas feinen Morgenmänteln von den Schultern gleiten zu lassen und die drei Stufen zu einem ganzen, milchig-rosa schimmernden Teich emporzusteigen, fühlte sich beinahe verboten an.

Jede Sekunde des prickelnden Schmerzes als das Wasser ihre kühle, wunde Haut berührte, bevor sie sich daran gewöhnte, hieß Zarja willkommen.

Er erinnerte sie daran, dass sie nicht träumte – und dass das hier dennoch so wenig echt war, wie die Rosenblüten, die Nevena über die zart bewegte Oberfläche schweben ließ. Eine hübsche Illusion, weiter nichts.

Mit dem Wasser an ihrem Oberkörper schwappte plötzlich eine Welle kalter Angst gegen sie. Ihre Füße fühlten sich wie an den Fliesen festgefroren. Alles in ihr sträubte sich gegen die Vorstellung, sich wie Nevena bis zum Hals ins Becken sinken zu lassen.
Ich ertrinke.

„Na komm schon", neckte Nevena, „oder brauchst du noch mehr Rosenblüten?"

Vielleicht hätte Zarja stolz sein sollen. Schließlich stand sie bis zur Hüfte im Wasser, ohne ganz in Panik zu ertrinken. Zu ihrem ersten „Bad" nach dem Erlebnis am Teich hatte Marija Alexeijevna sie noch gewaltsam zwingen müssen, nachdem sie sich immer wieder verweigert hatte.

 Zusammen mit einer eisigen Flut Wasser hatten die Erinnerungen über sie hinweggespült und sie erstarrt, zitternd und weinend zurückgelassen. Jedes Mal danach hatte sie mit dem Gefühl gekämpft, ersticken zu müssen.

Die Welt hatte nicht die Gnade, sie sanfter mit ihren Ängsten leben zu lernen.

Doch alles, was Zarja jetzt empfand, war Scham und Zorn, die unter ihrer Haut kochten. Du stehst vor einer Frau, die es mit der ganzen Altingrader Unterwelt aufnimmt, während du dich nicht einmal einem verfluchten Bad stellen kannst. Das ist erbärmlich.

Ihre Lippen öffneten sich zu einer stummen Antwort, doch Nevenas Gesicht hatte das Schmunzeln längst verlassen. Langsam erhob sie sich, der Torso aus dem Wasser gleitend und Zarja schlug hastig den Blick nieder.

„Tut mir leid", hauchte Nevena.
In Zarjas Sichtfeld schob sich eine nasse Hand, die sich ihr anbot.
„Wenn du es versuchen willst. Vielleicht hilft es. Ich kann das Wasser auch verschwinden lassen."

Ohne auch nur eine Frage zu stellen, schien sie genau zu wissen, was in Zarja vorging. Unter anderen Umständen hätte ihr das noch mehr Scham bereitet, jetzt war sie bloß dankbar.
„Aber du musst das nicht tun."
Instinktiv schlug Zarja die Hand zur Seite, nur damit sich ihre Finger Sekunden später fest um Nevenas schlossen. „Doch, muss ich."

Langsam ließ sie sich tiefer gleiten. Ihre Kehle schnürte sich zusammen. Nevenas Hand. Der Boden. Alles andere zwang sie sich auszublenden, da waren nur diese zwei Dinge, die ihr das gaben, was sie brauchte: Sicherheit. Sie konnte nicht fallen, nicht ertrinken. Das hier war kein bisschen wie der Tag am Teich.

Dennoch mischte sich die Kälte in das heiße Wasser und den Dampf.
Früher hat man Hexen noch ertränkt.

Sie konzentrierte sich auf Nevenas beruhigende Stimme, die sie durch die Panik führte, während sie ihre Hand in ihrer fast zerquetschte.

„Genug", keuchte sie irgendwann. „Genug."
Das Wasser stand ihr bis zur Brust. Weiter konnte sie nicht. Nicht heute.

„In Ordnung." Dennoch ließ Nevena ihre Hand nicht los und den Rozhanitsy sei Dank, stellte sie nach wie vor keine Fragen. 

Für den Bruchteil einer Sekunde erlaubte sich Zarja die kleine Euphorie, die in ihr aufstieg, diesmal nicht Gefangene ihrer Vergangenheit zu sein und wenn es nur für ein paar Momente war und sie morgen für jeden Schritt vorwärts zwei zurück machen müsste. Das wollte sie jetzt nicht denken.

Genauso wenig wie daran, dass sie all das und mehr vielleicht verdiente, das Schicksal zu gnädig mit ihr gewesen war. Schließlich war sie eine von jenen, deren Namen man als Fluch aussprach, die ihre Kräfte von der Schlange erhalten hatten und die alle, ob Zar oder einfacher Waisenjunge, lieber tot als lebendig sahen. 

Früher einmal hatte sie noch geglaubt, die einfache Dienerin aus Jelisavetas Märchen zu sein, eine Statistin. Von der Paljenitsa Nastasja Mikulishna, der Prinzessin Marja Morevna oder Vasilisa der Schönen hatte sie nicht einmal zu träumen gewagt. Heute wusste sie, dass sie in den Schauergeschichten diejenige war, die die einfache Dienerin tötete und von diesen Heldinnen überlistet und ihrerseits getötet wurde. Das Monster.

Dieser winzige Erfolg, diese wenigen Zentimetern, brachten all das zum Verstummen. Jetzt, mit Nevenas Hand in ihrer, die sie über Wasser hielt, war sie unbesiegbar.

Ein leises Kichern, das ihre Kehle hochkriechen wollte, hielt sie jedoch zurück – diese Blöße wollte sie sich nicht auch noch geben.

„Solltest du nicht unten sein? Der Güldene Bär öffnet jetzt", nuschelte sie stattdessen, als die abklingende Freude dem Schweigen seine Schönheit raubte.

„Ach, das kriegen die anderen schon alleine hin. Wofür hat man Angestellte? Ich bezweifle sowieso, dass wir heute viel Geschäft machen", erwiderte Nevena. „Ich spare meine Kräfte für ein größeres Publikum."

„Fühlt es sich nicht manchmal komisch an, auf die Bühne zu gehen und–" Gerade im letzten Moment hinderte sie sich daran, ihre Frage zu vollenden, aus plötzlicher Sorge, sie damit zu verärgern. Das wäre nun denkbar der falsche Zeitpunkt für einen Zwist.

„Die Märchen zu bestätigen? Eine tanzende, zaubernde Ridavka mit einer Zirkusbärin – viel klischeehafter geht es nicht, oder?", kam ihr Nevena allerdings zuvor und sprach aus, was Zarja nicht mehr über die Lippen kommen wollte. In ihrem Ton schwang Bitterkeit mit, die sie dort nicht kannte.

Die Rothaarige nickte zögerlich und ließ beschämt kleine Wellen durch ihre Finger gleiten. Doch Nevena schien nicht wütend.

„Manchmal tut es das. Wenn ich darüber nachdenken, was andere in mir sehen müssen. Wenn ich darüber nachdenke, was meine Eltern jetzt von mir halten würden. Deshalb denke ich auch lieber nicht darüber nach, wie sehr ich meine Seele verkaufen muss." Ein trauriges Lächeln spielte um ihre geschwungenen Lippen.

Von unten drang der sehnsüchtige Gesang einer Balalaika zu ihnen hoch, die irgendjemand für die heutigen Besucher des Lokals angestimmt hatte. Das Lied erzählte von der tragischen Liebe eines Mannes zu einer Kresnitsa.

„Aber weißt du", gedankenverloren spielte sie mit einem der falschen Rosenblätter zwischen den Fingern, als wäre es nicht nur eine Kreation ihrer eigenen Magie, „es hat auch seinen Vorteil, dass manche so stur an ihre Vorurteile glauben. Dadurch sehen sie nie richtig hin. Für diese Menschen wirst du nie mehr sein als die Lüge, die in ihr Weltbild passt. Wozu sich die Mühe machen, sie von etwas anderem zu überzeugen? Gib ihnen, was sie sehen wollen – und lache über ihre Ignoranz."

Verwundert blinzelnd blickte Zarja von dem rosigen Wasser zu ihr auf. Tat sie nicht dasselbe? Kaum jemals hatte sie ihre Kräfte aktiv gegen irgendjemanden benutzt, doch sie trug sie, dieses Geheimnis, das niemand recht zu entschlüsseln vermochte, wie einen Schild vor sich her, der bei der anderen Angst weckte. Sie fürchteten sie nicht für das, was sie konnte, sondern das, was sie glaubten, das sie konnte. Vielleicht waren Nevena und sie sich ähnlicher, als sie bisher vermutet hatte.

In deren ernste, hübsche Miene kehrte das Lächeln zurück, das ihre Augen schelmisch funkeln ließ. „Ist übrigens ein ziemlich ergiebiges Geschäft und Liebesbriefe eignen sich hervorragend als Brennstoff im Winter."

Zwar mochte Nevena scherzen, doch es täuschte nicht ganz über die bittere Wahrheit hinweg. Unter all dem Schein trug sie die Ketten einer unsichtbaren Sklaverei und wenn sie es auch mit Stolz und dem Willen tat, anderen ihre eigenen etwas leichter zu machen, blieb es doch Unfreiheit.

„Weißt du, jetzt wo ich dich so ansehe, finde ich, passt dieses neue Aussehen gut zu dir", wechselte Nevena abrupt das Thema, sie nachdenklich musternd.

„Wie meinst du das?" Zarja fürchtete sich davor, dass die Antwort keine schmeichelhafte wäre und vielleicht umso mehr, dass sie es doch sein könnte. Manchmal waren Komplimente schrecklicher als jede böse Spitze; auf das eine wusste sie immerhin zu reagieren.

„Es ist unkonventionell wie du." Nevenas goldene Augen verharrten nun auf Zarjas. „Und außerdem finde ich diesen Kalin sehr gutaussehend."

Mit einem Mal war sich die Blutmagierin jedes winzigen Details der Situation erdrückend bewusst: Der Hand in ihrer, dem Blick auf ihrem, der Nähe des Körpers zu ihrem – und dem kleinen, schelmischen Zwinkern, das Nevena ihr jetzt schenkte. Blut schoss Zarja in die Wangen.

Und unten ertränkte man seine Sorgen und Ängste in Alkohol und sang begeistert über König Markos Heldentaten mit.

Bereits am nächsten Morgen flatterte ein Brief der Akademie ins Haus – Kalin Nikolajev sollte sich am 27. Tag des Heidemonds melden, verkündete Nevena, und obwohl Zarja es nicht lesen konnte, gab sie das Stück Papier den ganzen Tag über nicht aus der Hand.
Selbst dann nicht, als sie mit Nevena feierte, mit freudetanzendem Herz einen Tee mit Unmengen Warenje schlürfte und dabei einem jungen Ridavets auf der Bühne lauschte. Er gab eine Sage derart packend zum Besten, dass sie ihr Glück darüber fast vergaß.

Erst in ihrem Bett, als es im Güldenen Bär schon wieder leiser zu werden begann, holte Zarja das ganze Gewicht der letzten Tage wieder ein. Die endlose Erschöpfung und die Angst. Neben ihr lagen immer noch der Brief und das Buch des Asenkijs, dessen Titel sie nicht entziffern konnte.
Vor ihren Augen verschwammen die Buchstaben, die sie schon seit einer Ewigkeit schlaflos mit den Fingern nachzeichnete, als würde ihr das irgendeine Antwort liefern.

Irgendein Teil von ihr, der letzte Rest des kleinen Mädchens vielleicht, wollte all das hier nicht. Es wollte einfach weglaufen, die neue Identität und Freiheit wieder wegwerfen, die Zeit zurückdrehen, dorthin, wo alles noch sicher und geordnet war.

Tränen strömten, als wäre irgendwo in ihr ein Damm aufgebrochen worden, ungehindert ihre Wangen hinab. Und unter die der Trauer mischten sich jene des Zorns, als ihr klar wurde, warum sie eigentlich weinte: Sie wollte zurück nach Hause, oder zu dem, was ihr etwas Vergleichbares gewesen war.
Sie wollte zurück zu Jaromir.

Bei ihm kannte sie ihren Wert. Er ließ sich in ihre Nützlichkeit und Kruna messen; Richtwerte, die vertrautes Terrain waren. Sie wusste, wie sie sich ihren Schlafplatz und Essen verdiente, und wie einen Tag Hunger. In dieser einen Hinsicht war Jaromir vorhersehbar – Kalkül, damit jedes Rädchen in der Maschinefunktioniere.

Doch in der Akademie? Bei Nevena? Welchen Wert besaß Zarja für sie? Womit verdiente sie sich ihre Hilfe und Loyalität?
Ein leises Klopfen kündigte ein Eintreten an. Man musste Zarjas Schluchzen gehört haben.
Wie oft musste sie denn noch gezwungen werden, ihre verfluchte Schwäche zu präsentieren?
Zumindest war ihr Gesicht der Tür abgewandt.

„Darf ich reinkommen?", fragte Nevena vorsichtig.
Zarja wollte den Kopf schütteln, nickte aber. Selbst, wenn sie nicht wusste, ob Nevena es sah.
Schritte und ein sanfter Herzschlag näherten sich und unter ihrem Gewicht gab die Matratze ein wenig nach, als sie sich setzte.

„Ist es wegen ihm?"
Wieder nickte Zarja. Zu ihrer Schande. Es fühlte sich an, als hätte Jaromir Genadiev letztendlich doch gewonnen, als hätte er recht behalten, wenn er glaubte, dass sie ihn brauchte.

Ein Schatten, das war sie. Und nicht einmal der ihrer selbst. Ein Nichts.
Jetzt, ohne ihn, war sie sogar noch weniger als das.

„Was hat dieser Widerling getan? Wenn ich ihn in die Finger kriege", die Ridavka unterbrach sich selbst; ihr Herz zog sich spürbar zusammen. „Hat Jaromir... Ich meine, ist er dir jemals zu nahe gek–"
„Nicht auf die Art", unterbrach Zarja sie sofort. Sie wusste, worauf Nevena hinauswollte.
Sie hatten ihren Körper und ihre Seele auf so viele erdenkliche Artengeschändet, hatten sie ausgeweidet bis nichts mehr von ihr blieb und diese leere Hülle nach ihrem Belieben neu gefüllt, aber in dieser Hinsicht nicht. 

Damit hatte man sie gnädig verschont und doch war auch dies nicht ihr Wille, ihre Entscheidung gewesen, sondern Jaromirs Laune, aus der heraus sie nicht in Natalja Filippovnas Bordell, sondern eben bei ihm gelandet war. So, ganz im Stillen, hatte man ihr also auch das Recht, über diesen Teil ihres Körpers zu verfügen, genommen und sie durfte sich nicht einmal darüber beschweren, denn schließlich hatte Jaromir sie doch vor dem schlimmeren Schicksal bewahrt.

Ich habe schon mehr verloren, erinnerte sich Zarja. Ihre Eltern, Kolja, Dima, Jelisaveta, ... und jedes Mal hatte sie es überstanden.
Den Verlust von diesem Schlangensohn werde ich doch noch verschmerzen können.

Sie wusste, dass es so war, dass diese irrlichternden Gefühle vorbei gehen würden, doch im Moment trauerte sie um den Mann, den sie hasste.

Er war das ähnlichste, das sie einem Vater hatte. Ein strenger, zuweilen grausamer; gerade gnädig genug, sodass sie in den dunkelsten Stunden all das Schlechte vergessen und sich nach den paar Körnchen des Guten sehnen musste.
Schrecklich, aber eben doch so etwas wie ein Vater.


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𝐀 𝐍 𝐌 𝐄 𝐑 𝐊 𝐔 𝐍 𝐆 𝐄 𝐍


Meine Produktivität wird erschreckend. Zwei Wochen ein Kapitel und jetzt hab ich auch noch genug vorproduziert für die nächste.

Dieses Kapitel war echt ein harter Brocken beim Schreiben, besonders das Ende. Und doch war es mir unfassbar wichtig, um noch einmal zu zeigen, dass Missbrauch nicht nur auf die offensichtlich schrecklichen Arten passieren kann und dass gerade, wenn es so ist,  Opfer selbst Probleme damit haben können, all das einzuordnen.

Abgesehen davon kam wieder einiges betreffend Zarjas PTSD und an der Stelle wäre mir auch wahnsinnig wichtig, Feedback zu bekommen. Ich war mir lange nicht sicher, ob meine Schilderungen ihrer Angst so realistisch sind und noch viel weniger, ob der Fortschritt, den sie macht, zu viel oder falsch dargestellt ist.

Ansonsten bleibt mir nur zu sagen, dass ich mich wie immer auf Kommentare zu allem freue ^^


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