[Sci-Fi/Fantasy] Starfall - W...

By frowningMonday

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»Seine sieben Augenpaare waren auf sie gerichtet und alle vierzehn der menschlichen Pupillen nahmen sie ins V... More

- Vorwort -
- Prolog -
- I. -
- Kapitel 1: Neun Schuss -
- Kapitel 2: Trügerische Hoffnung -
- Kapitel 3: Falsche Jahreszeit -
- Kapitel 4: Vom Regen in die Traufe -
- Kapitel 5: Die Wahrheit bildet keine Derivate -
- Kapitel 6: Feind deines Feindes -
- Kapitel 7: Drinnen ist Draußen -
- II. -
-Kapitel 8: Die Unschuld stirbt als Erstes -
- Kapitel 9: Eine Lektion im Gemüseschälen -
- Kapitel 10: Wiegenlied -
- Kapitel 11: Wo man singt, da lass dich nieder -
- Kapitel 12: Katzenlord -
- Kapitel 13: Dein Gott heißt Joska
- Kapitel 14: Startschuss -
- III -
- Kapitel 15: Gestrandet -
- Kapitel 16: Weil es Sinn macht; sinnbefreit -
- Kapitel 17: Engelsduft -
- Kapitel 18: Katzengold im Himmel -
- Kapitel 19: Verbotene Erinnerungen -
- Kapitel 20: In Sicherheit -
- Kapitel 21: Das Ende einer Ära -
- Kapitel 22: Hölle auf Erden -
- Kapitel 23: Makellos -
- IV. -
- Kapitel 25: Luna-Major -
- Kapitel 26: Gefallener Stern -
- Kapitel 27: Ironie des Sternenhimmels -
- Kapitel 28: Mondbetriebenes Solarkraftwerk -
- Kapitel 29: Verhandlungsmaterial -
- Kapitel 30: Die Krücken der Varai -
- Kapitel 31: Wunderhände und Traumtypen -
- Kapitel 32: Der Mond, der Tod und die Engel -
- Kapitel 33: Izabela, Joska und der Weltuntergang -
- Kapitel 34: Berg, Ade -
- Kapitel 35: Hallo, Schatz -

- Kapitel 24: Was im Muttergestein schlummert -

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By frowningMonday

Asavi wandte sich nach den Milchglastüren um, die Juraj hinter ihr wieder zudrückte und fühlte sich merkwürdig an ihr Verhör mit Joska erinnert. Wenn Joska und Csaba so ein Dorn im Auge der Varai waren, dann empfand Asavi doch einen leisen Funken an Erleichterung, dass Csaba, Jazmin und Helene nicht hier waren. Sie wollte nicht wissen, was man mit ihnen anstellte wenn doch.

Das Klappern von Stiefeln kündigte Izabela an und Asavi wandte sich zurück in den Raum. Es war ein kleiner, komplett weißer Warteraum mit niedrigen Glastischen und weißen Kunstledermöbeln. Die einzige Farbe rührte von bunten Magazinen auf den Tischen und einer knallroten Kaffeemaschine her, die mit ihren verchromten Zierplatten eher an eine futuristische Drohne erinnerte.

»Asavi, Schatz!«, rief Izabela und zog sie ohne Vorwarnung in eine feste, parfümierte Umarmung. »Du siehst einfach wundervoll aus. Wie fühlst du dich?«

»Sauberer«, gestand Asavi und brachte es nach wie vor nicht über sich, die Umarmung ihrer Mutter zu erwidern. Sie duftete nach Freesien und Zimt und Asavi hielt augenblicklich die Luft an. Irgendetwas an diesem Duft störte sie, er wirkte so banal, so unberührt und ... großkotzig. Beleidigend für jemanden, der die letzten vier Jahre nur im eigenen Dreck und Staub gelebt hatte, um sich dem Tod zu entziehen, der sie auf der Suche nach dieser Duftnote mehrere Male bereits beinahe mit kalten Klauen ins Nichts gedrückt hatte. Wie konnte Izabela es wagen, Parfüm zu tragen, während man versuchte Asavi mit einem Kabel den Garaus zu machen, und sie für die eigennützigen Verbrechen ihrer Mutter zur Rechenschaft zog?

»Na komm, setz dich.« Izabela führte Asavi geschäftig durch den Warteraum und bugsierte sie in ein Büro, hinter dessen dickwandiger Scheibe, die von Decke bis Boden reichte, das Alpenmassiv in die Höhe wuchs.

Asavi nahm in einem Stuhl vor Izabelas Schreibtisch Platz, der ebenfalls wie alles andere hier in strahlendem Weiß gehalten war.

»Du musst mir einfach alles erzählen«, forderte Izabela sie mit einem wehmütigen Lächeln auf und goss ihr prickelndes Wasser in ein hohes Glas mit Zitronenscheibe.

»Wo bin ich hier«, murmelte Asavi und wurde das beunruhigende Gefühl nicht los, dass sie immer noch träumte.

»Schatz«, sagte Izabela mit einem traurigen Zögern in der Stimme. »Das muss alles wahnsinnig viel für dich gewesen sein. Du bist bei den Varai, dem letzten Bollwerk vor dem Grauen der Neuen Wahrheit. Hat Gergő dir nichts erzählt?«

Asavi vermied es, ihr in die Augen zu sehen. »Papa hat mir nichts gesagt.«

Izabela seufzte tief und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die Nasenwurzel. »Mein Gott. Dann wundert es mich nicht, dass du völlig verstört bist!«

Izabela ließ sich auf ihren Stuhl sinken und verschränkte die Finger ineinander. Ihre kinnlangen Haare sahen in dem einfallenden Licht aus wie dunkelbraune Seide. Sie trug einen marineblauen Anzug aus makellos gepresstem Stoff, als würde sie Aktien verkaufen und nicht in Militärhubschraubern Monstern hinterherjagen.

»Die Varai sind diejenigen, die sich an die Erste Wahrheit erinnern, diese bewahren und nach einer Erlösung aus dem Leid suchen. Denn wir wissen, warum die Engel auf die Erde gefallen sind und was wir finden müssen, damit wir die Erste Wahrheit wieder herstellen können.«

Asavi blinzelte Izabela stumm zurück an. Sie interessierte mehr, ob Csaba sie angelogen hatte, doch schwieg dazu. Sie wollte ihn aus irgendeinem dümmlichen Grund nicht unter den Bus werfen.

»Joska behauptet, ihr hättet die Engel auf die Erde geholt«, rutschte es ihr stattdessen heraus und für einen Augenblick blähten sich Izabelas Nasenflügel. Von der strahlenden Frau auf dem Mitarbeiterausweis war nichts mehr zu erkennen.

»Joska«, spuckte sie und ihr Mund verzog sich angewidert. »Er betreibt die schlimmste Art von Propaganda seit dem Niederfall. Aber was kann man von den Enoui anderes erwarten? Leute wie er bringen die Varai eher um, als dass sie Vernunft walten lassen.«

»Ich verstehe kein Wort von dem, was du sagst«, sagte Asavi mit kalter Stimme, die ihr selbst fremd vorkam. »Papa hat uns eines Morgens einfach aus den Betten geworfen«, fing sie abgehackt an und ein nicht zu unterdrückendes Zittern quälte sich durch ihren ganzen Körper. »Großvater war neunundsiebzig«, fuhr sie mit erdrückter Stimme fort. »Er hat sich selbst erschossen, weil er der Meinung war, uns aufzuhalten.«

»Asavi, Liebling-«

»Wir haben fast eineinhalb Jahre auf der Farm gelebt, in dem Glauben, dass sich die Lage wieder beruhigen würde. Eineinhalb, Izabela«, fauchte Asavi ungeachtet der beschwichtigenden Tonlage, die ihre Mutter angeschlagen hatte.

»Ich habe keine Ahnung, wer du bist, oder warum es eineinhalb verfluchte Jahre gebraucht hat, bis dir eingefallen ist, dass du da draußen eine Familie hast! Du hast nicht nach mir gesucht! Wir mussten uns vier Jahre lang völlig hilflos durch eine Welt kämpfen, die keine Menschlichkeit mehr besitzt. Und dann regnet es Feuer auf mich nieder, ich wache in deinem Hotelzimmer auf, das du dir wohl mit irgendeinem superschicken Wissenschaftler teilst, nachdem du meinen Freund, der mich bereits mehrmals vor dem Tod gerettet hat, vermutlich hinter deiner Berg-Suite erschossen hast, weil-«

»Es reicht«, fuhr ihr Izabela derart autoritär dazwischen, dass Asavi tatsächlich perplex den Mund zuklappte. »Du hast jedes Recht, wütend auf mich zu sein«, sprach sie weicher weiter und ein ebenso irritierend versöhnliches Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, wie das auf Jurajs Zügen. »Ich habe so schnell gehandelt, wie ich konnte, nachdem ich wusste, was die Engel wollen. Aber es hat gedauert, bis wir irgendetwas Greifbares herausgefunden haben. Bitte glaub mir, dass es niemals meine Intention war, euch im Stich zu lassen. Und selbstverständlich habe ich nach euch gesucht.«

Und warum, dachte Asavi mit Tränen der Wut in den Augen, hast du dann nicht einmal angerufen, während ich alleine mit Papa und Opa aufgewachsen bin?

»Und gäbe es nicht Joska und seine Farce von militärischer Machtfantasie, hätte ich die Farm noch erreicht, ehe ihr verschwunden wart. Und Balthazar? Keine Sorge, ich habe genügend Gerüchte von ihm gehört, da würden dir deine sentimentalen Gefühle rasch vergehen.« Izabela seufze und rieb sich die Schläfen. »Ich versuche dich hier nicht zum Widerstand aufzuwiegeln, Asavi. Ich versuche, dich zu schützen. Und deinem Zustand nach zu urteilen, war seine Hilfe unterirdisch.«

»Das war Joska«, verteidigte Asavi Zar schwach. Und du, fügte sie in Gedanken an. Und Juraj. Sie spürte irgendwo, dass Izabela Recht hatte. Sie war auffallend gereizt und das praktisch ohne Grund. Sie sollte sich vermutlich glücklich schätzen, dass ihre Mutter überhaupt daran gedacht hatte, sie zu verständigen.

»Balthazar macht Geschäfte mit Joska«, informierte Izabela mit ausdruckslosem Gesicht. »Alleine aus diesem Grund misstraue ich ihm.«

»Er hilft euch aber genauso.«

Izabela schnalzte mit der Zunge und verdrehte die Augen. »Er mag sich zwar für ein oder zwei Dinge als nützlich erweisen, aber du darfst nicht vergessen, dass er ein Enoui ist. Menschen, welche die Erste Wahrheit leugnen, sind gefährlich. Sie drohen unsere gesamte Spezies in den Abgrund zu stürzen.«

Asavi öffnete den Mund, um Izabela entgegenzuschleudern, dass Zar sehr wohl an die Erste Wahrheit glaubte, doch stockte. Zar hatte sie dringlichst gebeten, dieses Detail nicht gegenüber Izabela zu erwähnen.

»Also rettet ihr die Menschen, die zufällig das Glück hatten, sich an die Zeit vor dem Niederfall zu erinnern? Was für eine Moral ist das!«

Izabela schloss die Augen, ersichtlich um Fassung bemüht. »Asavi«, fing sie mit einer Stimme an, die in Asavi den unbestimmten Drang auslöste, aus Prinzip zu widersprechen. »Wir haben die Menschheit nicht verurteilt. Das war Gevatter Tod höchstpersönlich.«

Asavi starrte Izabela stumm zurück an. Ihre Hände, die sich in Gegenwehr immer fester um die Lehne des Stuhls gekrallt hatten, wurden schlagartig schlaff.

»Gevatter Tod?«, fragte sie tonlos zurück und konnte sich des Gefühls nicht erwehren, das sie beschlich. Erschöpfung gemischt mit Enttäuschung und dem unguten, bitteren Gefühl, gerade nach Strich und Faden verarscht zu werden. »Der Sensenmann?«

Izabela atmete durch die Nase aus und streckte ihr Rückgrat. »Er hat über den Lauf der Zeit viele Namen erhalten. Gevatter Tod, Sensenmann, Thanatos, Osiris, Yama ... du kannst es dir denken. Er hat unserer Welt etwas Essenzielles gestohlen, das wir nun zurückgewinnen müssen.«

Asavi nickte automatisch, nicht, weil sie Izabela zustimmte, sondern weil sie das Gefühl hatte, das dies die einzige Reaktion war, die sie tolerierte.

»Denn das, was die Engel wollen, sind die Seelen der Menschen. Es sind keine Aliens, nicht mehr als du und ich. Nicht mehr als Gevatter Tod. Sie sind ein Teil dieses Weltengefüges, wie die Sonne und der Mond.«

Asavi kniff die Lippen zusammen, da sich ihr mit Inbrunst die Worte auf die Zunge legten, Izabela als verrückt abzustempeln, doch sie brachte kein einziges davon hervor.

»Ich kenne diesen Zug um deine Lippen«, lächelte Izabela und verzog auch ihren Mund in Belustigung. »Das hast du von Gergő.«

Asavi schnaubte. »Hast du ihn deswegen verlassen? Weil er dir nicht blind alles geglaubt hat?«

Izabela wurde ein wenig blass um die Nasenspitze. »Für dich mag das ein Witz sein, aber das liegt daran, dass du allem Anschein nach als eine Enoui aufgewachsen bist.«

»Diese Worte haben keine Bedeutung für mich, da hast du Recht. Für mich gibt es nur die Menschheit und die Engel. Die übrigens erfolgreicher sind zur Auslöschung der Menschheit beizutragen, als Joska je könnte.«

Sie dachte an Jazmin, die ihr zwar widersprochen, aber keineswegs fanatisch geklungen hatte. Helene, die sie nicht einmal kannte und die dennoch bei dem Versuch, sie zu schützen schwer verwundet worden war. Csaba, der wohl eindeutig ein Enoui sein musste, aber dennoch der Auffassung war, dass es wenig Sinn machte, sich für eine Wahrheit zu entscheiden. Joska mochte eine Ausnahme sein, doch für Asavi war das alles nicht einfach schwarz und weiß. Das konnte es auch gar nicht sein. Durfte nicht. Csaba hatte beteuert, dass es ihm leid um ihren Vater tat und wo Mitleid eine Rolle spielte, konnte man nichts schwarz und weiß sehen.

Izabela räusperte sich und nahm einen Schluck aus dem Wasserglas vor sich. »Natürlich. Entschuldige. Vielleicht hörst du eher auf jemanden, der Gevatter Tod persönlich kennt. Na komm.«

Sie stand auf und streckte die Hand nach Asavi aus, als wäre sie immer noch ein bockiges Kind und keine zwanzig. Widerstrebend erhob sich Asavi, schlug die familiäre Geste allerdings ohne mit der Wimper zu zucken aus.

Izabela ließ dies unkommentiert und führte sie zu einer weißen, glatten Tür an der linken Seite des Büros. Dort legte sie die Hand auf die spiegelnde Oberfläche und unter dem weißen Glas erschien der Bildschirm eines Touchscreens. Das Lesegerät fuhr über Izabelas Handfläche und schaltete mit einem sanften Piepen von Rot auf Grün. Der Sperrmechanismus wurde entriegelt und die Tür glitt mit einem Zischen auf.

Der Gang dahinter war bis auf einen dumpfen Leuchtstreifen an der Decke, welcher den Weg wies, komplett dunkel.

»Wohin gehen wir?«, fragte Asavi nun doch ein wenig nervös, aber Izabela marschierte einfach drauf los. Ihre Stiefel hallten in dem leeren Korridor wider, der sie in der Dunkelheit bis hin zu einem Aufzug führte. Izabela holte eine Schlüsselkarte unter ihrem blütenweißen Hemd hervor und steckte sie in den Schlitz neben den metallenen Aufzugtüren. Diese öffneten sich altmodisch rasselnd und rasteten ratternd ein.

»Nach dir, Schatz.«

Asavi blickte zu Izabela nach oben und in dem trüben Licht des Fahrstuhlkorbes wirkten ihre Augen wie zwei schwarze Kohlen in dem sommersprossigen Gesicht.

»Wohin gehen wir?«, wiederholte Asavi.

Izabela lächelte schmal. »Du glaubst mir nicht«, sagte sie und schob Asavi bestimmend in den Aufzug. »Deswegen möchte ich dir jemanden vorstellen, dem du mit Sicherheit Glauben schenken wirst. Ich habe keine Zeit zu vertrödeln.«

Asavis Magen rumorte und alles in ihr drängte mit einem Mal dazu, diesen Aufzug zu verlassen und davonzulaufen, so lange sie noch konnte. Doch die Türen schlossen sich, Izabela steckte ihre Karte wieder in den einzigen Schlitz im Metallkasten und dann ging es abwärts.

Asavi hatte gedacht, dass der Berg in dreiundzwanzig Stockwerke unterteilt war, so wie Juraj es gesagt hatte. Doch sie fuhren eine beunruhigende Ewigkeit tiefer und tiefer. Es gab keinerlei Anzeige, die Asavi bestätigte oder widerlegte, wie tief sie unter die Erde sanken, und die plötzliche Furcht ließ ihre Gliedmaßen schwer wie Blei werden.

Izabela würde sie nicht umbringen, das wäre zu absurd. Asavi zwang sich, die aufsteigende Panik im Zaum zu halten. Ihre Mutter würde sie kaum über den halben Kontinent schicken, wenn sie Asavi am Ende einfach erschoss.

Es wurde kaum merklich aber doch kühler und dann endlich hielt der Aufzug mit einem kurzen Ruck an. Die Fahrkorbtüren öffneten sich rasselnd und gaben den Blick auf einen komplett in Dunkelheit getauchten Korridor frei. Die Stille war hier so vollkommen, dass Asavi das Gefühl hatte, ihre Ohren dröhnten.

Sie schluckte hart und rieb sich die Arme gegen die Kälte, die nicht nur von außen auf sie eindrang.

»Wo sind wir?«, hauchte sie und ihr Atem materialisierte sich in sanften, weißen Wolken vor ihrem Gesicht.

Izabela lächelte selbstgefällig und mit der Andeutung eines beinahe grausamen Zuges um ihre Lippen. »Wir sind in der Halle desjenigen, der uns die Augen öffnete.«

Izabela ging voran in die Dunkelheit und Asavi folgte ihr, weil sie keine Alternative hatte. Die Aufzugtüren schlossen sich hinter ihr und sperrten das spärliche Licht des Fahrkorbs aus. Asavi fluchte und schloss so knapp zu Izabela auf, wie sie es wagte. In der Dunkelheit erkannte sie entlang der Bodenkanten kleine Lichter in ein Meter Abständen leuchten und ihnen den Weg weisen.

Der Korridor war leicht abschüssig, bis sie an eine Gittertür kamen, die ebenfalls von den kleinen Lichtern entlang des Türrahmens erleuchtet wurde. Izabela zückte einen rostigen Eisenschlüssel und schob ihn ins Schloss, um es mit einem grässlichen Quietschen zu öffnen.

»Er kam mit den Engeln auf die Erde«, fing Izabela wieder an zu sprechen und drückte die schwere Eisentür auf. »Denn was Gevatter Tod der Menschheit gestohlen hat, hat er auch ihm gestohlen.«

Die Kälte wanderte bis tief in ihre Knochen und Asavi zitterte am ganzen Leib. Etwas in ihr sträubte sich vehement, den nächsten Schritt zu nehmen, als wäre dies die Schwelle zu einem Ort, der gar nicht existieren sollte. Ein Ort, der eine Wahrheit für sie bereit hielt, der sie vielleicht gar nicht gewachsen war.

Izabela führte sie über einen Steg aus Metallgittern, der an beiden Seiten ein hohes Stahlgeländer besaß und mit einem Mal wurde sich Asavi einer Weite um sich herum bewusst, die ihr den Magen umdrehte.

Sie gingen tiefer in die Dunkelheit, die nur durch einen fernen Schimmer an hellem Licht durchbrochen wurde. Der Steg nahm eine Biegung und dann traten sie aus der Schwärze hinaus in den Raum dahinter.

Asavi stockte der Atem in schockiertem Entsetzen.

Vor ihr öffnete sich ein gigantischer, undefinierbarer Raum und sie stellte fest, dass der Steg aus gutem Grund ein hohes Geländer besaß. Unter ihr befand sich gähnende Leere und vor sich erkannte sie eine riesige Gesteinsstruktur, von deren Mitte das helle Licht herrührte. Alles jenseits des Lichtkreises verlor sich erneut in diese alles schluckende Leere.

Dunkles Gestein wand sich in unmöglich natürlich entstandenen Kreisen, Bögen und Platten um den hellen Lichtfleck in ihrer Mitte, durchzogen von milchig weißen Kristalladern, die von innen heraus glühten und schimmerten wie Perlmutt. Wie Mondlicht.

Und in dem Lichtfleck ruhte eine gigantische Gestalt. Sie sah aus wie ein Mensch, jedoch war sie kolossaler als jegliches Tier. Es sah aus wie ein Mann, der nackte Oberkörper war ebenso milchig weiß, wie die Gesteinsadern um ihn herum. Das schimmernde Perlmutt in den monumentalen Felsringen erhellte seine schneeweißen Haare, die um die massigen Gesteinsstrukturen flossen wie stille Wasserfälle, bis auch seine Strähnen in der Dunkelheit unter ihm ihre Form verloren und von der Schwärze verschluckt wurden. Seine Arme ruhten reglos auf seinen angewinkelten Beinen, als wäre er tief in Gedanken versunken und Asavi wurde das grauenvolle Gefühl nicht los, dass er ihr irgendwie bekannt vor kam.

Die massiven Steinwindungen und Platten formten sich in Asavis Geist langsam zu zwei größeren, definierbaren Strukturen, Flügeln gleich und als sich schließlich die vierzehn Augen mit ihren farblosen Iriden in einer anmutigen Trägheit auf sie richteten, musste sich Asavi an dem Geländer aufrecht halten, um nicht in den bodenlosen Abgrund dieses Albtraums zu stürzen.

»Darf ich dir Luna-Major vorstellen?«, fragte Izabela mit einem Funken an Schalk und Selbstzufriedenheit in der Stimme. »Körper des Mondes.«

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