Woe is me, my love

By FeyGalaxy

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Das nächste Semester in Nevermore steht an. In der Zwischenzeit war kein Tag vergangen, an dem Wednesday nich... More

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30

Kapitel 21

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By FeyGalaxy

Ihre Nachricht hatte ihn getroffen. Mitten ins Herz. Wie ein unerwarteter Pfeil kam sie geschossen, direkt auf ihn, aus dem Nichts, aus der Dunkelheit und hatte ihn auf ewig gezeichnet. Aus Panik vor ihrer Reaktion, hatte er sein Telefon direkt nach seiner letzten Nachricht ausgeschalten und so ihre Worte erst am nächsten Morgen gelesen. Sonst wäre er sofort durch sein Fenster hinaus in die Kälte geklettert, er wäre wie ein Verrückter über den Schulhof gerannt, hinauf auf ihren Balkon gestiegen und dann, dann hätte er sie gestohlen, wie ein Dieb in der Nacht, in seinen Armen das Kostbarste, was er je gekannt hatte. So wurde der Tag zu einer Qual, eine nie enden wollende Katastrophe gefüllt von Sehnsucht und Frustration. Ihr ging es ähnlich.

Immer wieder, wenn sie versuchten, miteinander zu sprechen, irgendwie allein zu sein, hatte sie jemand unterbrochen. Ob beim Unterricht, im Speisesaal, auf dem Gang, in der Bibliothek oder auf dem Übungsplatz. Es war, als hatten sie sich alle gegen sie verschworen, einen Pakt geschlossen, Wednesday und Xavier auf ewig foltern zu wollen. Alles, was sie hatten, waren Blicke, kleine Berührungen, kurz und versteckt. Es war die Hölle und Xavier verlor fast den Verstand, während Wednesday versuchte, sich abzulenken. Sie entschied sich also dafür, Jolene auf die Probe zu stellen. Eine kleine Mission nach der letzten Stunde schien genau das Richtige, um den Kopf freizubekommen und Zeit rumzukriegen.

Im Gang zu Ophelia Hall setzte sie sich schließlich auf eine kleine Bank und wartete, beinahe 20 Minuten. Als sie Jolene erblickte, zuckte sie zusammen, wenn auch nur kurz. Sie stand auf, musterte sie und lief geradewegs auf sie zu.

Sie trägt keine Handschuhe… perfekt…

Jolene blieb erstarrt stehen, war sie es doch ganz und gar nicht gewohnt, dass Wednesday Addams mit ihr sprach. „Hallo“, Wednesday blieb eiskalt, „Ich wollte dich etwas fragen.“ Jolene tat es ihr gleich, ihre Stärke war nahezu identisch wie ihre, auch sie blieb eisern: „Hallo. Was willst du wissen?“ 

„Ich wollte fragen, ob ich deine Aufzeichnungen von gestern ausleihen kann? Ich kam nicht dazu, aufzuschreiben, welche Pflanzen wir auf der Lichtung gesehen haben. Fotografiert habe ich auch nicht alle.“ Wednesday zog ihre Augenbrauen nach oben, so als würde sie ernsthaft Interesse an diesen sicherlich fehlerhaften Notizen haben. „Kein Problem. Ich habe sie jetzt nicht dabei, aber wenn es ok ist, gebe ich sie dir später.“ Jolenes Grinsen war die reinste Qual für ihre Augen. Es bohrte sich in ihren Kopf und richtete dort größeres Unheil an als eine Lobotomie. „In Ordnung.“, also schenkte sie ihr ein weitaus gruseligeres Lächeln zurück.

„Achja und es tut mir leid, dass ich mich noch nicht wirklich bei dir vorgestellt habe. Wednesday Addams.“ Selbstbewusst hielt Wednesday ihr die rechte Hand hin. Für einen kurzen Moment starrte Jolene auf ihre Finger, um dann schließlich wieder in ihre Augen zu schauen. Beinahe erfreut und enthusiastisch griff Jolene nach der Hand. Nahezu im selben Augenblick erschienen weiter hinten im Gang Xavier, Ajax und ein paar weitere Mitschüler. Sie alle sahen, was geschah.

Was dann passierte, spielte sich in nur wenigen Sekunden ab. Wednesday fiel nach hinten um, ihr Körper erstarrte wie eine Statue. Sie fiel hart auf den Boden auf und Jolene folgte ihrer Bewegung, hielt sie doch immer noch ihre Hand.

Es war dunkel. Nur ein paar wenige Fackeln erhellten die Sicht. Vor ihrem inneren Auge eröffnete sich ihr eine kurze Szene. Xavier stand vor einer Staffelei, daneben eine Zweite, sein Gesicht war schweißnass, er hatte Angst. Wo er sich befand, konnte sie nicht erkennen. Doch nicht weit entfernt war Jolene zu sehen. Sie sah nur ihre Umrisse, ihren Körper. Er hob seine Hand und konzentrierte sich auf seine Finger. Schließlich änderte sich die Perspektive. Es ging so schnell, dass ihr beinahe schlecht wurde. Dann sah sie die Gemälde. Es waren die Bilder, die er von Mr. Moody und Jolene anfertigen sollte. Ihr Puls stieg immer höher und schließlich sah sie nur noch, wie Xavier das Bild von Jolene zum Leben erweckte. Er war immer noch angespannt, irgendwie in Eile, aber auf seinem Gesicht erschien augenblicklich ein breites Grinsen. Ein Grinsen, welches Wednesday mit voller Wucht und schier unerträglichen Schmerzen zurück aus ihrer Vision riss.

Als sie ihre Augen öffnete, blickte sie in Jolenes Gesicht, das über ihr zu schweben schien. Noch immer hielt sie ihre Hand. Xavier rannte auf sie zu: „Wednesday!“ Er fiel sofort neben ihnen auf die Knie, er sah auf die Hände der beiden und schrie so laut, dass Jolene schlagartig ihren Griff löste. „Was hast du gemacht?“, Xaviers Sorge war bittersüß.

Wednesday zitterte noch immer, doch konnte sie ihren Blick einfach nicht von ihrem Gesicht lösen. Jolene, die zwar geschockt aussah, schenkte ihr dennoch ein Lächeln. Es war, als hätte sie den Hauptpreis auf einem Jahrmarkt gewonnen. Sie schien glücklich, auf ihre eigene kranke Art sah sie glücklich aus. Sie stand auf, blickte hinab auf das ungleiche Paar und dann verriet sie sich. „Ich wusste doch, dass er Talent hat.“, sie sah sanft zu Xavier und eilte dann geradewegs in die Richtung der Zimmer.

Xavier ignorierte ihren Spruch und wandte sich zu Wednesday. Er half ihr auf, hielt sie am Kopf und stützte ihre Schultern. „Ist alles in Ordnung?“, er untersuchte nervös ihren Kopf, ihren Nacken und schließlich auch ihr Gesicht. Sie blickte ins Nichts und versuchte, ihre Gedanken zu sortieren. Ihr Körper zitterte in seinen Händen und er konnte nicht mehr tun, als sie nur noch fester zu halten. Er umarmte sie und legte sein Kinn auf ihren Kopf. Wednesday genoss seine Umarmung. Das Gefühl der Sicherheit, seine starken Arme halfen ihr, nicht davon zu driften, weg in die Dunkelheit ihrer Vision.

„Du bist geradewegs nach hinten auf den Boden geknallt… ich habe es gesehen. Es war wie ein Schlag… ich bringe dich sofort zum Krankenzimmer. Es könnte sein, dass du eine Gehirnerschütterung hast. Wir müssen…“

Dann fiel sie ihm ins Wort, ihre Augen feurig und wahnsinnig, hatte sie doch jetzt endlich das Geheimnis gelüftet: „Sie kann Gedanken lesen.“ Xavier löste seinen Griff ein klein wenig und sah sie an: „Was? Du meinst Jolene?“ Nun sah sie ihn auch an. Sie erblickte seine riesigen Augen, die voller Sorge glänzten. „Ja. Sie hat sich verraten. Sie hat meine Vision gesehen…“, Wednesday setzte sich nun ganz auf und wollte aufstehen und weitersprechen. Doch Xavier fuhr ihr ins Wort, als er sah, was sie vorhatte, als er sah, wie sie schwankend versuchte zu stehen: „Erzähl mir alles… aber im Krankenzimmer, okay?“ Er griff sanft mit seinen Händen nach ihrem Gesicht, zog sie zu sich heran und versank in ihrem Blick. So verblieben sie, bis sie ihm endlich zunickte.

---

„Ich hoffe nicht, dass es zur Tradition wird…“, Xavier versuchte seine Sorge mit einem Schmunzeln zu verstecken. „Was meinst du?“, Wednesday lag auf dem Krankenbett, er saß neben ihr auf einem Stuhl und hielt ihr ein Kühlkissen an den Hinterkopf. „Naja… wir beide. Hier in diesem Raum und du mit einer riesigen Beule. Ich meine, ich genieße zwar sehr deine Nähe, aber nicht hier… nicht so, so langsam verfluche ich dieses Zimmer.“ Wednesday verstand nun: „Naja, der Geruch von Desinfektionsmittel kann schon sehr romantisch sein.“

Er konnte nicht über ihren Witz lachen und wurde ernst: „Du bist mit Wunden übersäht… Wednesday … wenn das so weitergeht, dann…“ Er schluckte und entschied sich dazu, den Satz nicht weiter auszusprechen. Die Angst war zu groß. Er legte das Kühlkissen resignierend auf den Tisch und wechselte das Thema: „Erzähl es mir … was hast du gesehen, was ist passiert?“

Ohne mit der Wimper zu zucken, erzählte sie ihm von der Vision. Sie versuchte ihm jedes Detail zu beschreiben. Die Fackeln. Die Bilder. Seine Hand. Jolene und auch, wie er das Bild zum Leben erweckt hatte. Sie klang wie eine Maschine. Schließlich beschrieb sie auch das riesige Grinsen auf seinem Gesicht. „So habe ich dich noch nie gesehen.“, gab sie zu, ihre Stimme kalt und distanziert.

Er war überrascht, der Gedanke an seine Gabe ließ ihn aufleuchten und Wednesday hatte es genau gesehen. Er sah glücklich aus. „Und Jolene hatte deine Hand gehalten… die ganze Zeit über…“, sprach er mit sich selbst. Wednesday nickte: „Und dann hatte sie sich verraten… ich habe es genau gesehen, in ihren Augen… sie hat meine Gedanken gelesen, meine Vision gesehen…“.

Xavier stand auf und fuhr sich mit den Händen durch die Haare. „Okay… sie kann also Gedanken lesen… das heißt, wir halten uns von ihr fern, so gut es geht.“, stellte er fest. „Ja“, Wednesday stimmte ihm zu. „Und ich bekomme meine Gabe wieder zurück.“, stellte er ebenso fest. „Sieht so aus.“, ihre Miene glich die einer Leiche, ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. „Und das wird wahrscheinlich spätestens dann passieren, wenn ich die Gemälde fertiggestellt habe… am Ende des Schuljahres…“, auch er wurde leiser, als er ihr trauriges Gesicht sah. „Wohl möglich.“, mehr fiel ihr nicht dazu ein.

Sie war wie gelähmt. Die Eifersucht brannte in ihrem Innersten und brachte eine unerträgliche Übelkeit zu Tage. „Was ist los?“, nun setzte er sich neben sie auf das Bett. Und da war sie wieder, ihre kalte Schulter, ihre Ignoranz, ihre Kälte. Sie drehte sich weg von ihm und starrte auf ihre Finger. Xavier fühlte sich zurückgeworfen, er hatte das Gefühl wieder am Anfang zu stehen. „Sieh mich an!“, flehte er sie an, „Wednesday! Sprich mit mir! Bitte!“ 

Und dann platzte es aus ihr heraus. Sie wagte nicht, ihn anzusehen: „Was soll ich denn sagen, Xavier?“ Ihre Stimme überschlug sich. „Na was los ist zum Beispiel, wie du dich fühlst? Keine Ahnung!“, gab er etwas zu laut zurück.

Sie schob ihn beiseite, damit sie aufstehen konnte und suchte nach ihrem Schulblazer. Er verfolgte ihre Bewegungen nervös und erkannte, dass sie fliehen wollte. „Du willst wissen, wie ich mich fühle?“, schrie sie ihn an. Sie zog sich hektisch ihren Blazer über und schimpfte weiter: „Ich fühle mich miserabel. Mein Kopf schmerzt. So sehr, es fühlt sich an, als würde er explodieren. Mir ist übel. Meine Beine sind taub und so wie es aussieht, wird dir Jolene wohl eine weitaus größere Hilfe sein als ich. So wie es aussieht, motiviert sie dich ein bisschen mehr bei der Aufgabe, deine Fähigkeit zurückzubekommen. Und so wie es aussieht, wirst du dich wahnsinnig darüber freuen.“

Sie wollte aus dem Zimmer stürmen, doch er hielt sie auf, stellte sich zwischen sie und die Tür: „Darum geht es?“ Er zog die Brauen zusammen und hakte nochmals nach, nun schrie auch er: „Du bist eifersüchtig!?“ Es war vielmehr eine Feststellung als eine Frage.

Stille. Wednesday sagte kein Wort, ihr Schweigen war Antwort genug. „Du kannst mich nicht für etwas verantwortlich machen, was noch nicht passiert ist… ich habe dir gesagt, wie das mit den Visionen läuft… du siehst nur einen Teil, du weißt nicht, was vorher passiert ist…“ Wednesday wollte an ihm vorbei, doch er stellte sich in den Türrahmen. Sie begann zu stottern, leise und zerbrechlich, sie schnappte nach Luft: „Ich… Ich kann nicht… ich kann…“

Er wurde immer wütender: „Was kannst du nicht? Das hier?“, er zeigte mit dem Finger auf sich und auf sie, „Meinst du uns?“ Noch immer konnte sie ihm nicht in die Augen sehen: „Ich kann nicht sprechen… ich kann nicht…“

„Du kannst dich jetzt nicht hinter deinem Telefon verstecken… jetzt nicht mehr…“ Es traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Xavier war aufgebracht, doch ihr Anblick und ihre Hilflosigkeit ließen ihn beinahe nachgeben. Am liebsten hätte er sie einfach in den Arm genommen und den Rest der Welt vergessen, doch er blieb hart und war in seinem eigenen Gefühlschaos gefangen: „Was ist geworden aus „Wie eine heiße Klinge durchbohrt mich das Gefühl. Lässt mich gänzlich ausbluten, sodass jeder die Spuren auf dem Boden sehen kann. Der Beweis, dass Wednesday Addams auch nur ein Mensch ist. Das Blut rot, nicht schwarz, nicht weiß!“ Wo sind deine Worte jetzt?“

Mit offenem Mund stand sie da, sie war fassungslos. Die Bewunderung darüber, dass er jedes Wort ihrer Nachricht auswendig konnte, hielt nicht lange an. Ihre Lippen zitterten und dann sah Xavier, wie kleine Tränen hinabliefen, über ihre Wangen, hin zu ihrem Kinn. Und er konnte nicht mehr tun, als geschockt über seine eigenen Worte beiseitezutreten und sie gehen zu lassen. Sie rannte geradewegs zur Tür hinaus.

Er sackte auf dem Bett zusammen, vergrub das Gesicht in seinen Händen und stellte mit Bedauern fest, dass er zu weit gegangen war. Doch der Fehler war begangen, die Worte gesagt und Wednesday verletzt. Wahrscheinlich mehr als jemals zuvor.

Ich habe sie zum Weinen gebracht… Wednesday Addams hat geweint, weil ich die Beherrschung verloren habe…

Sein Tag hatte wundervoll begonnen, die Hoffnung war nie größer gewesen, dass Wednesday sich ihm irgendwann gänzlich öffnen würde und dann hatte er ihre kostbaren Worte genommen und sie ihr wie kleine Messer in die Brust gerammt. Jedes einzelne, Stück für Stück, langsam und brutal. Er wusste, selbst jemand wie sie könnte das nicht einfach so wegstecken, ihre Tränen waren Beweis genug. Er wusste, er hatte verspielt, er hatte zu viel riskiert und verloren und dafür würde er sich auf ewig hassen.

---

Sie lief wie der Wind, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und suchte in ihrem Kopf vergeblich nach einem Ausweg aus ihrer miserablen Lage. Auf ihr Zimmer konnte sie nicht, da wartete schließlich Enid, die sie nur mit Fragen gelöchert hätte. Eugene hätte sicherlich sofort Enid informiert, ihn konnte sie also auch nicht besuchen. Weglaufen kam auch nicht in Frage. Also entschied sie sich für das Einzige, was jetzt noch helfen konnte. Der wärmende Trost von Dunkelheit und Einsamkeit. Sie rannte zur Bibliothek, schob mit einem harten Schwung die Holztür auf, dass sie gegen die Wand krachte. Niemand war in dem Raum. Sie eilte zu dem Bücherregal, klettere hinauf und öffnete die Kammer. Die süße Erinnerung an ihre Nacht in diesem Versteck machte es ihr bei Weitem nicht leichter, doch es war der einzige Ort, an dem sie jetzt noch sein wollte. 

Sie ging hinein, verschloss die Tür und kauerte sich in die Ecke. Sie zog ihre Beine fest an ihren Körper heran und legte ihre Stirn auf ihre Knie. Bei der Bewegung bemerkte sie erst einmal, wie sehr ihr Kopf eigentlich wirklich schmerzte. Es war ihr egal, der Schmerz hielt die Tränen nicht auf, lenkte sie nicht ab. Sie drückte mit ihrer Hand auf die Narbe an ihrer Schulter, dort wo der Pfeil sie getroffen hatte. Auch dieser Schmerz hielt die Tränen nicht auf. Die kleinen bitteren Tropfen wollten einfach nicht aufhören zu fließen.

Ihre Augen brannten und der Kummer über ihr erbärmliches Leben wurde immer schlimmer und so weinte Wednesday allein für sich, versteckt vor den Augen der anderen. Versteckt vor ihm. Sie wusste ganz genau, dass er recht hatte, dass sie ihm Unrecht getan hatte, wieder einmal. Sie hasste sich dafür, dafür, dass sie wohl niemals in der Lage dazu sein wird, normal mit ihm zu reden. Wie ein normales Mädchen mit einem normalen Jungen.

Doch vielleicht sind wir einfach nicht normal… wir beide…

Sie weinte und schniefte so laut, dass sie es beinahe nicht gehört hätte. Ihr Telefon piepte, es piepte immer wieder. Als sie es schließlich bemerkte, griff sie danach und entdeckte die Nachrichten. Sie konnte es kaum lesen, so sehr verschwommen war ihre Sicht.

Wednesday, es tut mir leid. Wo bist du?

Ich hätte das nicht sagen sollen. Es tut mir leid. So sehr.

Ich komme zu dir. Sag mir einfach, wo du bist. Bitte.

Ich mache mir Sorgen. Ich will nicht, dass du allein bist.

Deine Nachricht von heute früh war das Schönste, was ich je gelesen habe. Ich hätte das nicht gegen dich verwenden dürfen. Das war nicht fair. Es tut mir leid. Wenn es dir hilft, ich werde mich selbst auf ewig dafür hassen. Es ist die pure Folter. Du folterst mich, du bist die Einzige, die das kann und das muss doch etwas bedeuten oder? Bitte, sag mir, wo du bist.

Sie beruhigte sich ein wenig beim Lesen. Ihre Sicht wurde klarer, die Buchstaben schärfer und ihr Herz immer schwerer. Der Gedanke daran, was sie antworten sollte, ließ sie eines erkennen. Wednesday war dafür geboren, melodramatisch zu sein. Sie war dafür bestimmt, entweder eiskalt oder heiß wie Feuer zu sein. Sie kannte nur Extreme. Xavier brachte beide Seiten in hier hervor und es war wie eine Achterbahnfahrt, ein Rauf und Runter der Gefühle. Sie steckte das Telefon zurück in ihre Tasche. Sie hatte sich dazu entschlossen, ihn zappeln zu lassen. Sie wollten ihn leiden lassen, foltern, genauso wie er es beschrieben hatte. Das Telefon piepte erneut und beinahe war sie erleichtert, dass sie noch eine Nachricht von ihm bekommen hatte. 

Sie sah nach. Doch da war keine neue Nachricht von ihm. Der Stalker wusste anscheinend immer ganz genau, wann zwischen ihr und Xavier die Luft brannte. Dieses Mal kam ein neues Foto. Darauf zu sehen waren sie und Xavier, wie sie gemeinsam unter dem Pavillon gesessen hatten am Tag zuvor bei der Wanderung. Sie seufzte, hatte sie nun überhaupt keine Kraft für dieses Spiel. Sie schaltete ihr Telefon aus und packte es erneut zurück. Sie legte ihren Kopf zur Seite an die Wand. Sie schloss ihre müden Augen und versuchte, es zu ertragen. Die Stille und die Dunkelheit waren treue Freunde und so fand sie sogar genügend Ruhe, um erschöpft einzuschlafen.

---

Fast eine Stunden war bereits vergangen. Sie schlief immer noch tief und fest. Nicht einmal das laute Knarren des Regals konnte sie aufwecken. Erst sah er ihre Hände, wie sie schlaff und erschöpft neben ihr auf dem Boden lagen, dann sah er ihr Gesicht. Die Erleichterung darüber, dass seine Intuition ihn nicht getäuscht hatte, dass er sie dort gefunden hatte, ließ ihn beinahe zusammensacken. 

Xavier ging in die Hocke und griff nach ihrem Knie, rüttelte leicht daran. Er säuselte ihren Namen: „Wednesday…“ Doch sie reagierte nicht. Er musterte ihren kleinen Körper, die leicht zerzausten Haare, das durch die Tränen verschmierte Make-Up unter ihren Augen. Nie hatte sie schwacher und verlorener ausgesehen und nie hatte er sich mehr gehasst.

Er ging in die Kammer, fuhr mit seinen nervösen Händen über seine Hosenbeine und hob sie schließlich hoch. Seine Ritterlichkeit gehörte zu ihm, wie seine Sturheit und sein schräger Humor. Er konnte sie nicht dort schlafen lassen, er konnte sie nicht allein dort aufwachen lassen, also trat er mit ihr auf den Armen aus der Kammer. Sie schmiegte sich kurz an ihn und öffnete schließlich ihre immer noch unglaublich müden Augen. Sie blieb ruhig, ließ es geschehen und griff nach seiner Jacke, um sich noch mehr an ihm festzuhalten. Er sah sie nicht an, er hatte das Gefühl, er würde es nicht verdienen, also lief er einfach los. Geradewegs in Richtung Ophelia Hall. Wednesday schlief wieder ein, der Sturz auf ihren Kopf hatte ihr sämtliche Kraft genommen. 

Es war schon spät. Zu dieser Zeit waren nicht mehr viele Schüler in den Gängen unterwegs. Doch die, die sie trafen, starrten ihnen ungläubig hinterher. Einer der Schüler kramte in seiner Tasche nach seinem Smartphone und wollte ein Foto machen. Xavier blickte ihn hasserfüllt an, als er an ihm vorbeilief, seine Worte wie ein Fluch: „Wenn du das machst, bringe ich dich um!“ Das Handy war so schnell verschwunden, wie es erschienen war und Xavier lief hektisch weiter. 

Er öffnete die Tür des Zimmers und dahinter stand bereits Enid mit riesigen Augen und zittrigen Händen. Sie sah, dass Wednesday schlief, also schwieg sie. Sie folgte Xavier zum Bett ihrer Mitbewohnerin. Er legte sie sanft darauf ab und trat sofort einen Schritt zurück, so als wäre er nicht mehr erwünscht. Enid flüsterte: „Was ist passiert?“ Xavier sah hinab auf den Boden und schüttelte den Kopf, auch er flüsterte: „Wir haben uns gestritten… kümmerst du dich um sie?“ Enid nickte, ihr Blick war besorgt. Er ging in Richtung Tür und Enid sah ihm hinterher. „Schreib mir bitte, wenn sie aufwacht. Sie ist schwer gestürzt. Eigentlich muss sie die ganze Zeit unter Beobachtung bleiben.“ Noch einmal sah er zu ihr und dann war er auch schon wieder  verschwunden. 


Notiz: Wow. Das ging schnell, die Muse hat es gut mit mir gemeint. Entschuldigt bitte meine endlosen Kapitel, aber ich kann nicht anders. Ich bin besessen von den beiden, der Angst und dem Drama. Ich hoffe, ihr langweilt euch nicht. Schreibt mir einfach, was ihr von meinen Ideen haltet.

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