[Sci-Fi/Fantasy] Starfall - W...

By frowningMonday

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»Seine sieben Augenpaare waren auf sie gerichtet und alle vierzehn der menschlichen Pupillen nahmen sie ins V... More

- Vorwort -
- Prolog -
- I. -
- Kapitel 1: Neun Schuss -
- Kapitel 2: Trügerische Hoffnung -
- Kapitel 3: Falsche Jahreszeit -
- Kapitel 4: Vom Regen in die Traufe -
- Kapitel 5: Die Wahrheit bildet keine Derivate -
- Kapitel 6: Feind deines Feindes -
- Kapitel 7: Drinnen ist Draußen -
- II. -
-Kapitel 8: Die Unschuld stirbt als Erstes -
- Kapitel 10: Wiegenlied -
- Kapitel 11: Wo man singt, da lass dich nieder -
- Kapitel 12: Katzenlord -
- Kapitel 13: Dein Gott heißt Joska
- Kapitel 14: Startschuss -
- III -
- Kapitel 15: Gestrandet -
- Kapitel 16: Weil es Sinn macht; sinnbefreit -
- Kapitel 17: Engelsduft -
- Kapitel 18: Katzengold im Himmel -
- Kapitel 19: Verbotene Erinnerungen -
- Kapitel 20: In Sicherheit -
- Kapitel 21: Das Ende einer Ära -
- Kapitel 22: Hölle auf Erden -
- Kapitel 23: Makellos -
- Kapitel 24: Was im Muttergestein schlummert -
- IV. -
- Kapitel 25: Luna-Major -
- Kapitel 26: Gefallener Stern -
- Kapitel 27: Ironie des Sternenhimmels -
- Kapitel 28: Mondbetriebenes Solarkraftwerk -
- Kapitel 29: Verhandlungsmaterial -
- Kapitel 30: Die Krücken der Varai -
- Kapitel 31: Wunderhände und Traumtypen -
- Kapitel 32: Der Mond, der Tod und die Engel -
- Kapitel 33: Izabela, Joska und der Weltuntergang -
- Kapitel 34: Berg, Ade -
- Kapitel 35: Hallo, Schatz -
- Kapitel 36: Der erste von zwei Splittern -

- Kapitel 9: Eine Lektion im Gemüseschälen -

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By frowningMonday

Die Sonne kroch über den Himmel und einer von Joskas Männern machte eine Runde zwischen den Arbeitenden, um ihnen Wasser und Brot zu bringen. Das Gelächter der Soldaten erfüllte die schwüle Luft, die einen weiteren Gewittersturm ankündigte. Der Schatten des Küchenchefs fiel auf die beiden, aber Asavi wagte es nicht, aufzublicken.

Er reichte Csaba eine Wasserflasche und ein Sandwich, blieb jedoch zögernd stehen. »Hat sie die ganze Kiste alleine gemacht?«, wollte er wissen und beugte sich über Asavi.

»Hm«, brummte Csaba zustimmend und stand auf, um sich zu strecken.

Der Küchenchef pfiff durch die Zähne. »Kennst dich aus mit Waffen, was?«, fragte er sie direkt und Asavi hielt inne, die Rillen des Kolbens zu putzen.

»Mit Kippläufen eher als mit Vorderschaftrepetierern«, murmelte sie und hob schließlich den Kopf. Sie kniff die Augen gegen das späte Sonnenlicht zusammen, fand den Küchenchef aber grinsend vor. Seine wettergegerbte Haut war faltig und dunkel, seine drahtigen Locken unter der blassblauen Kappe hingegen die Farbe von reifem Korn.

»Ay, ich steh auch nicht so aufs Pumpen«, nickte er und Asavi lächelte schief.

»Ist so unpersönlich.«

Der Küchenchef lachte heiser und nickte zustimmend. »Ay. Hier.« Er reichte ihr eine Flasche Wasser und Asavi nahm sie zögerlich entgegen.

»Joska-«

»Csaba hat den Befehl längst missachtet. Wenn wer hängt, dann er«, unterbrach er sie mit einem schadenfrohen Grinsen und zwinkerte Csaba zu.

Asavi wandte den Kopf zu ihm um, aber er hob nur die Schultern. »Eh.«

»Hast du unerfüllte masochistische Wünsche, von denen ich wissen sollte?«, fragte sie und schraubte den Deckel auf.

Der Küchenchef lachte wieder und schüttelte amüsiert den Kopf. »Ich biete ihm jedes Mal an, ihn ein wenig mit dem Messer zu pieksen, aber das lehnt er ständig ab.«

Asavi lachte nervös und fragte sich plötzlich, wie ernst er das meinte.

»Witzig, Ed. Hau ab«, unterband Csaba das weitere Gespräch und winkte ihn weg.

»Danke für das Wasser«, beeilte sich Asavi, zu sagen, und Ed tippte sich an seine zerschlissene Kappe.

»Meint er das ernst?«, fragte sie mit gedämpfter Stimme, als Ed außer Hörweite war.

»Mach dir den bloß nicht zum Freund«, warnte Csaba und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Das mit dem Messer meint er todernst.«

Asavis Hand stockte auf halbem Weg zu ihren Lippen. »Hat er es denn schon mal versucht?«

»Er fragt vorher. Andernfalls hätte Joska ihn längst aus der Stadt geworfen.«

»Du machst Witze«, stellte Asavi vorsichtig fest. »Du sagst zwar, du bist direkt, aber du verascht mich.«

»Nein. Er macht das wirklich. Deswegen meinte ich ja, mach ihn dir nicht zum Freund. Freunde lassen einander nämlich ab und zu mal zustechen. Wenigstens in die Zehen.«

Asavi hob beide Augenbrauen. »Und das wird nicht ... das wird einfach toleriert?«

Csaba zerriss sein Abendessen in zwei Hälften und hielt ihr eine davon hin. »Er macht überzeugend gute Sandwiches.«

»Das ist jetzt wirklich ein Witz.« Sie griff danach und beäugte es misstrauisch. »Er tut da aber keine Zehen rein, oder?«

»Das wäre unhygienisch, also nein«, dementierte Csaba ihre Frage und sie grinste nervös.

»Stimmt, die hängt er sich an den Gürtel wie Joska seine Zähne.«

Asavi klappte das Sandwich trotzdem auf. Sie fand zwar keine Zehen, dafür verdächtig frische Tomatenscheiben und Mayonnaise. »Sag mal«, fing sie andächtig an und verkostete das belegte Brot. »Als du mir beim Duschen zugesehen hast.«

»Ich habe dir nicht zugesehen. Es war dunkel. Mehr als deine Silhouette war nicht drin.«

»Tut mir wahnsinnig leid. Also, als du mich beim Duschen beobachtet hast, meintest du, dir liegt etwas an deinen Zähnen. Trotzdem brichst du Joskas Regeln und widersetzt dich seinen Befehlen. Ich schließe deine masochistische Ader nicht aus.«

Csaba vertilgte seine Sandwichhälfte schweigend. »Das ist nicht wirklich eine Frage.«

Asavi rollte mit den Augen. »Warum bist du nett zu mir, wenn das gegen alles verstößt, was du mir mitgeteilt hast?«

»Weil ich ein schlechtes Gewissen wegen deines Vaters habe. Und was Joska nicht weiß, kann er auch nicht verurteilen. Ich bin kein Sadist. Nichts gegen Sadisten, Ed ist im Grunde seines Herzens ein guter Kerl.«

»Na klar. Verleihen wir ihm eine Auszeichnung, dass er nur beinahe schlafende Leute absticht.«

»Was willst du hören, Asavi?« Er sah ihr dieses Mal direkt in die Augen und sie schaffte es nicht, seinem stechenden Blick zu entgehen. »Das wir hier in Luxus leben? Dass es uns Freude bereitet, jeden Tag um die wenigen Ressourcen zu kämpfen, die uns die Varai noch nicht gestohlen haben? Oder glaubst du, dass wir gerne Leute erschießen? Stellst du dir vor, dass Joska, seine Soldaten und Soldatinnen aus Spaß tagtäglich ihr Leben riskieren, um die Bedrohung der Engel abzuwehren?« Er schüttelte den Kopf und blickte frustriert gen Himmel, ehe er sie wieder mit stechenden Augen ins Visier nahm. »Du hast tatsächlich so wenig Ahung von der Welt, dass ich geneigt bin, dir zu glauben und gleichzeitig noch weniger glauben kann, dass du die vergangenen Jahre überhaupt da draußen überlebt hast, ohne erschossen oder gefressen zu werden.«

Sie öffnete den Mund, ließ es aber bleiben, darauf zu antworten.

Csaba schnaubte durch die Nase. »Diejenigen, die sich die Härte der Welt zu sehr zu Herzen nehmen, sind die ersten, die draufgehen. Irre wie Joska oder Ed überleben, weil sie nicht einknicken, wenn ihnen ein Unschuldiger vor den Lauf läuft.«

»Und du?«, zischte sie zurück. »Knickst du ein, wenn du einen Unschuldigen erschießt?«

Csabas Kiefermuskeln federten. »Nein«, sagte er dann entschieden. »Scheiße passiert andauernd. Man lebt damit oder stirbt damit. Deine Wahl.«

Asavi schluckte und wandte den Kopf schließlich ab. »Du hast leicht reden«, murmelte sie.

»Mag sein. Jetzt polier die Waffe fertig. Du brauchst dich nicht vor Ed fürchten«, fügte er hinzu.

Asavi schloss kurz die Augen und wischte sich mit der Schulter über die Wange. »Super.«

Sie sprachen für den restlichen Tag nicht mehr viel. Csaba brachte ihr eine weitere Kiste, als sie mit der ersten fertig war und enthüllte dieses Mal eine Ladung Sturmgewehre. Das Einzige, was sie austauschten, waren Fragen und Antworten zur Pflege dieser Waffengattung und Asavi war froh, in der stillen Monotonie der Arbeit zur Ruhe zu finden.

Als die stahlgrauen Wolken vor die Sonne zogen, beeilten sich die Soldaten, alles hinein zu bringen, und Asavi blieb an die Mauer gedrückt stehen. Csaba verließ ihre Seite und das brachte sämtliche Anspannung zurück in ihre Muskeln. Beinahe hätte sie darüber gelacht. Csaba war so etwas wie ihr Bodyguard und sie konnte gar nicht sagen, wem das eher missfiel.

Asavi dachte an Ed und Rero und dann an Joskas Verhör. Niemand hatte es in dieser neuen Welt leicht und vielleicht hatte Csaba recht. Er brachte sie die Treppe wieder nach oben in ihre Zelle. Sie spähte schweigend aus den Fenstern, vor deren Glas sich die Äste der Eichen im auffrischenden Wind bogen. Dann brachen die Wolken auseinander und ein dunkelgrauer Sturzregen ergoss sich auf die Erde. Die Tropfen prasselten gegen die Scheiben und Asavi rang ihren Instinkt nieder, nach draußen zu gehen, um diese Gelegenheit zu nützen, sich zu waschen. Csaba ließ sie austreten und führte sie dann zurück in ihre Zelle.

»Bekomme ich meine Schnur wieder?«, fragte sie, als Csaba drauf und dran war, sie erneut einzuschließen.

Er hielt tatsächlich inne und bedachte sie mit einem Zug um die Lippen, den Asavi nicht recht zu deuten wusste. Unzufriedenheit gepaart mit Resignation.

»Oder auch nicht. Ich wollte mich ohnehin mal so richtig mit meinem Feldbett bekannt machen. Da würde die Anwesenheit einer Sch-«

»Hör auf«, schnitt er ihr das Wort ab und Asavi klappte den Mund zu. Er stieß die Luft heftig aus und griff dann in seine Hosentasche. »Du machst mich wahnsinnig.«

Asavi beäugte seine Hand, welche die zusammengeknotete Schnur ihres Leinenshirts ans Licht beförderte. »Das hättest du jetzt nicht wirklich sagen müssen. Ist ja doch irgendwo klar.«

Csaba schüttelte kurz den Kopf und fuhr sich durch die Haare. »Wie spielt man das?«

Asavi hob ihre Augenbrauen. »Das Hexenspiel?«

Csaba nickte.

»Hmm«, brummte Asavi misstrauisch und machte dann einen vorsichtigen Schritt auf ihn zu. »Wickel sie um deine Handflächen und nimm die Schnüre mit dem jeweils anderen Mittelfinger auf«, wies sie ihn an und Csaba spannte die zusammengebundene Schnur.

»Und dann kann man eigentlich x-beliebige Muster damit formen. Ich kann das hier machen«, Asavi griff zwischen seine Hände und drückte die Schnüre zusammen, ehe sie diese überschlug und den Faden auf ihre eigenen übernahm. »Dann greifst du wieder zu und so weiter. Ich kenne nur ein paar simple Figuren, aber es ist besser als nichts.«

Sie sah, wie sich Csabas Kehlkopf senkte, er schluckte fest und nickte.

»Fahr da mit deinen Daumen rein.« Sie deutete mit ihrem Kinn auf das dreieckige Loch zwischen ihren Fingern. »Zeigefinger da hin, nein, ja, da.« Csaba zischte leise und Asavi entkam ein Glucksen. »Dann kannst du das Bild übernehmen. Dreh die Hände nach außen, genau so – yay! Jetzt haben wir eine Matratze erschaffen.«

Csaba blickte auf seine Hände. »Das soll eine Matratze sein?«

»Was denn? Sieht doch genauso aus wie die verschlissene Matte auf meinem Feldbett«, grinste sie und Csabas Mundwinkel zuckte.

»Du kannst sie behalten.«

»Danke, die Schnur auch?«

Csaba starrte sie für einen Augenblick bloß an und rollte dann mit den Augen, konnte aber selbst unter seinen Bartstoppeln und den vielen Haaren nicht verbergen, dass das krampfhaft unterdrückte Grinsen auf seinem Gesicht bis zu seinen Augen reichte.

~

Die nächsten Tage vergingen in ähnlicher Manier. Szloa brachte sie morgens zu den Toiletten und gab ihr dann zu essen und zu trinken. Asavi wartete meistens zwei Stunden, bis Csaba kam, um sie zu holen. Er ließ sie Kleinigkeiten abseits der Menschenmengen erledigen, schickte sie zum Auskehren sämtlicher, leerstehender Zimmer im Arkadengang und zum Toilettenputzen. Zum Waffenpolieren brachte er sie nicht mehr und Asavi hegte den Verdacht, dass es sich mittlerweile um etwas schickere Geschosse handelte, die gewartet wurden.

Fakt war, dass er sie außerhalb ihrer Zelle niemals alleine ließ und wenn dann nur an öffentlichen Schauplätzen wie dem Kirchhof oder dem zu einem Gesellschaftssaal umfunktionierten Hauptraum des ehemaligen Gotteshauses.

Heute brachte er sie zur Küche. »Ed wird ein Auge auf dich haben, während ich weg bin.«

»Soll mich das beruhigen? Ich dachte, ich soll nicht seine Freundin werden.«

Csaba massierte sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. »Sollst du auch nicht. Er mag dich aber und hat sich bereit erklärt, Leute wie Rero von dir fernzuhalten, wenn du ihm heute zur Hand gehst.«

Asavi verzog das Gesicht. »Ich hänge an meinen Zehen. Und Fingern. An meinem Blut im Generellen.«

»Du kannst auch zurück in deine Zelle. Wie nahe stehst du deinem Feldbett?«

»War das gerade Sarkasmus?«, fragte Asavi mit einem schelmischen Grinsen.

»Es war ein Scherz darüber, dass du hier vollkommen alleine bist«, erwiderte er tonlos.

»Wow. Autsch.« Asavi rümpfte die Nase.

»Ich sorge dafür, dass diejenigen, die schon am Boden liegen, auch dort bleiben, das weißt du doch.«

»Aha. Aha«, machte Asavi und nickte. »Ich erinnere mich. Trotzdem stehe ich jetzt hier und liege nicht in meiner Zelle. Ich kanns kaum erwarten, Ed zu treffen.«

Csaba starrte sie für einige Augenblicke bloß an, bis ein Muskel in seinem Kiefer federte und er ruckartig den Kopf abwandte.

»Ed!«, brüllte er in die Küchen.

»Wo fährst du eigentlich hin? Ein paar armselige Bürger zu Boden schlagen?«

Csaba würdigte sie keiner Antwort, sondern holte ein Funkgerät samt Spiralkabel aus seiner Hüfttasche. Demnach würde er weiter wegfahren, als ums Eck einkaufen.

»Ed!«, bellte er erneut und Asavi zuckte leicht zusammen. Sie betrachtete seine gebräunten Hände dabei, wie er das Kabel entwirrte und das Funkgerät an seine kugelsichere Weste an der Schulter heftete.

»Jagt ihr heute Engel, oder Varai?«, fragte sie leise.

»Weder noch. Ich treffe Joska beim Solar-Kraftwerk.«

»Bist du etwa heimlich auch noch Elektrotechniker?«

Csaba kniff die Lippen zusammen.

»Na, alles fit im Schritt?«, kündigte sich Ed an und erlöste Csaba davon, ihr weitere Antworten vorzuenthalten.

»Bei manchen weniger, wies scheint«, murmelte Asavi, doch Csaba ignorierte diese Bemerkung gekonnt.

»Ich bin über die Vier erreichbar. Sollte es länger dauern, als geplant, bring sie zu Szloa«, war alles, das Csaba dazu sagte.

»Geht klar«, zwinkerte Ed Asavi zu und sie lächelte zurück.

»Wenn ich auch nur einen Kratzer auf ihr finde, mach ich dich kalt«, warnte Csaba und Ed gluckste.

»Ay, nur, wenn sies will, kennst mich ja.«

Asavi warf Csaba ein herausforderndes Lächeln zu. »Wenigstens fragt er mich, was ich will.«

Csabas Nasenflügel bebten für einen kurzen Augenblick, dann drehte er sich um und ging.

»Was hat ihm denn die Laune so früh am Morgen verdorben?«, wollte Asavi wissen und blickte ihm nach, bis er um die Ecke bog und hinaus auf die Straße marschierte. Ein Ort, der Asavi mittlerweile genauso fremd war, wie das Meer.

»Is Csaba«, holte Ed sie aus ihren Grübeleien und deutete Asavi mit einer übertrieben eleganten Armbewegung, ihm zu folgen.

»Ich glaube der Begriff verschlossen wie ne Auster wurde für ihn erfunden«, murmelte Asavi und ließ sich von Ed in die Küche bringen.

Er lachte und nickte zustimmend. »Sein Problem ist Joska. Er kommt nicht von ihm weg.«

»Aww, wie romantisch«, ätzte Asavi. Sie schlängelten sich gerade durch einen dunklen Vorratsraum, ehe Ed die Holztüre zu einer großen Küche aufdrückte und sie eintreten ließ.

Ein schäbiger Torbogen verband die Küche mit einem Kantinenraum, der früher der Kirche als Gemeinschaftssaal gedient hatte. Jetzt war das natürlich nicht länger notwendig, da das Kirchenschiff nicht mehr für Gottesdienste, sondern Billardrunden herhielt. Die wenigen Leute, die an den Theken direkt beim Torbogen standen, spielten Würfel und unterhielten sich, ignorierten Ed und Asavi jedoch.

»Romantisch würd ichs nicht beschreiben«, meinte Ed und führte Asavi um die Thekenreihen in der Mitte der Küche ans gegenüberliegende Ende. Das Equipment sah gegen alle Erwartungen sauber und gepflegt aus. Weder Rost noch Dreck klebte am Edelstahlherd oder an den Frittösen. »Ich finds ja auch nicht romantisch, jemandem wehzutun.«

Asavi beäugte Ed misstrauisch. Er deutete auf einen niedrigen Küchentisch mit zerkratztem Lack und mehreren Kisten Wurzelgemüse daneben.

»Tu ich nich«, wiederholte er und hob die Schultern. »Also wir schälen heute Gemüse fürs Mittagessen. Kam vorgestern frisch von der Farm.«

Asavi ließ sich auf einen der wackligen Stühle sinken. »Csaba erwähnte Farmen. Wie funktioniert das?«

Ed starrte sie für einige Augenblicke verwirrt an. »Aussaat und ...?« Er lupfte seine zerschlissene Kappe und strich sich die strähnig gewellten Haare nach hinten. Sie wucherten im Gegensatz zu seinem glattrasierten Kinn in alle Richtungen.

»Nein«, meinte Asavi rasch, »ich meine, wie kommt ihr mit den Engeln klar?«

Ed griff in seine Gürteltasche und holte ein Paar Handschellen hervor, die mit einer langen Kette verbunden waren. »Aussichtstürme und Wachen. Oh, und Raketenwerfer.« Er hielt die Fessel in die Höhe. »Sorry, die muss ich dir anlegen.«

Asavi verzog den Mund. »Csaba?«

»Ay.«

Sie seufzte und hielt ihm ihre Hände hin, doch er ließ bloß eine Handschelle um ihr Gelenk schnappen und befestigte die zweite an den Verstrebungen ihrer Sessellehne. Sie setzte sich und ließ sich von Ed einen Gemüseschäler geben.

»Das müssen aber viele Felder sein«, murmelte sie, als Ed eine Kiste voll gemischten Wurzelgemüses neben sie stellte.

»Gar nicht. Wir haben hier vier große Äcker.«

Asavi runzelte die Stirn, als sie durch erdige Kartoffeln, Karotten und Pastinaken wühlte. Sie schnupperte an einigen knolligen Sorten. »Petersilie, Rettich und Selleriewurzel?«

Ed hob seine Augenbrauen. »Das wächst alles auf einem Feld zusammen.«

Asavi sah ihn stumm an, bis sie sich erinnerte, dass ihr Wissen über den Ackerbau vermutlich längst obsolet war. »Richtig, der ewige Sommer Selbst die Pflanzen spielen verrückt.«

Ed lachte nervös und blickte sich kurz um. »Und deswegen sitzt du mit Handschellen da.«

Asavi warf ihm einen erbosten Blick zu, den Ed nur mit einem Schulterzucken quittierte. Er setze sich zu ihr und fing an mit dem Schälen, also tat Asavi das auch.

»Glaubt ihr echt, dass Leute wie ich aus Bosheit heraus versuchen euch zu töten? Weil ihr an eine andere Wahrheit glaubt?«, fragte sie nach einiger Zeit der Stille.

Ed hob summend die Schultern. »Naja. Die Varai sind ja deutlich genug. Hetzen uns die Engel auf'n Hals und so weiter.«

»Das verstehe ich nicht«, sagte sie gerade heraus und verzog die Brauen.

Sie musste an Zar denken und dass er sie beschuldigt hatte, hinter dem Mond aufgewachsen zu sein. Aber den Mond gab es gar nicht mehr. »Darf ich dich etwas fragen?«

Ed nickte und schob sich die durchgewetzten Ärmel seines Karohemdes ein Stück weiter nach oben. »Ay.«

»Wie war es für euch? Nachdem die Engel aufgetaucht sind?«

Ed spitzte die Lippen und warf ihr unter dem Schirm seiner Kappe einen vielsagenden Blick zu. »Du meinst, als sie hier in Mischkolz eingefallen sind?«

»Nein«, murmelte Asavi. »Nein, ich meine ... Ja, schon? Aber sie waren ja nicht immer-«, sie stockte und traf Eds Blick über den Tisch hinweg.

Er grinste. »Ay?«

Asavi seufzte frustriert und formulierte ihre Frage um. »Ich meine, wie war es für dich vor sechs Jahren. Du hast schließlich nicht immer hier gelebt, oder?«

»Genau genommen, doch. Ich bin hier geboren, aufgewachsen und eingesperrt worden.«

Asavi beäugte ihn unbehaglich. »Du hast den Ort hier nie verlassen?«

Ed lachte rau. »Ay. Bevor Joska herkam saß ich sicher hinter Schloss und Riegel, in Zwangsweste und Einzelhaft. Ich schätze, wir hatten Glück.«

Asavi wünschte sich, sie wäre nicht an den Sessel gefesselt und überschlug, ob es sich lohnte, samt diesem Reißaus zu nehmen. »Glück?«, fragte sie mit einer Stimme, die ein paar Oktaven zu hoch klang.

Ed grinste und wackelte mit den Augenbrauen. »Ay. Hat den Ort hier sondiert und beschlossen hierzubleiben. Ist ein toller Mann. Hat sich seinen Klan aufgebaut und versucht uns allen ein Leben zu schenken. Wäre Izabela nicht so hartnäckig, uns alle umzubringen, würde ich mirs nicht anders wünschen.«

Asavi wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. »Wusstest du von den Engeln?«

Ed nickte und rieb sich das Kinn. »Klar. Alle wussten davon. Deswegen war der Schutzwall hierum schon errichtet, bevor Joska kam. Das war ja erst vor vier Jahren.«

»Ich habe einfach Schwierigkeiten, mir das vorzustellen«, murmelte Asavi. »Dass es für euch einfach von heute auf morgen immer schon so gewesen ist.«

Ed legte sein Messer zur Seite und Asavi konnte nicht verhindern, dass sie jede seiner Handbewegungen skeptisch verfolgte.

»Es ist schwer für uns, sich vorzustellen, dass es für euch nicht so ist«, meldete sich eine weitere Stimme aus der Türöffnung her und Asavi zuckte zusammen.

Sie erkannte hinter den Theken in der Küchenmitte Szloa eintreten.

»Was Szloa sagt«, stimmte Ed zu und deutete mit dem Daumen auf sie.

»Du solltest gar nicht mit ihr sprechen«, gab sie zurück und ging zu einem der Schränke im Eck.

»Aber du schon?«, fragte Asavi irritiert und blickte zwischen Ed und Szloa hin und her.

»Sie darf das«, erklärte Ed mit einem wohlwollenden Lächeln und ignorierte Szloas Anmerkung dabei vollkommen. »Weil sie zum Führungskader gehört. Ich bin ein einfacher Arbeiter, ein äh ... Schützling. Du bist eine Gefahr für uns.«

Szloa schenkte sich einen Whiskey ein und beobachtete Ed mit gehobenen Augenbrauen. »Nur zu«, grinste sie schief. »Fahr fort.«

Ed erwiderte das Grinsen. »Du musst verstehen, dass es unter Joska, eigentlich nur zwei Hierarchieebenen gibt.«

»Führungskader und Arbeiter?«, fragte Asavi skeptisch und versuchte sich Joska, wie den Helden vorzustellen, wie ihn hier jeder feierte.

Ed nickte. »Genau. Der Führungskader hat Rechtsgewalt in jeglicher Hinsicht. Judikative, Legislative und Exekutive. Deswegen kann Csaba auch Leute wie Rero verprügeln oder erschießen, ohne von Joska eins auf den Deckel zu bekommen. Aber wenn ich das mache, naja.«

Szloa stürzte sich den Whiskey in einem Zug hinunter. »Dann landet er bestenfalls unter der Erde oder dient unseren Fallen als Köder.«

Asavi schaute sie schockiert an. »Fallen für wen?«

Ed lachte rau auf. »Engel. Natürlich kann man auch einfach ein Radio aufs Feld stellen und warten, aber Joska überzeugt gerne mit Skrupellosigkeit.«

Szloa räusperte sich und Ed warf ihr einen raschen Blick zu. »Ich sag nur, wie's ist. Ist ja nichts zu bekriteln.«

Asavi biss sich auf die Zunge und Szloa lachte laut auf. »Joskas System funktioniert, es gibt keine Kriminalität unter ihm.«

Auch daraufhin verschwieg Asavi ihre Meinung. Der Aufbau des Klans mochte locker sein, aber Joska war immer noch ein Diktator, der mit Gewalt erreichte, was er erreichen wollte.

»Na schön«, beendete Szloa das Gespräch und stellte das leere Glas in die Abwasch. »Ich meins aber ernst. Du solltest nicht mir ihr sprechen. Das ist gefährlich. Wenn sie auch so ein Dingsbums«, Szloa deutete sich an die Schläfe und malte kleine Kreise in die Luft, »im Kopf hat, dann könnte sie sämtliche Info weiterschicken.«

Asavi verzog verärgert das Gesicht. »Ich sagte doch, ich bin nur ein Mensch.«

Szloa nickte und zückte ein Klappmesser, um sich damit die Nägel zu putzen. Dabei blickte sie nicht auf und Asavi ließ ihren Blick neidisch an ihr auf und ab wandern. Szloa sah in ihren abgerissenen Cargohosen und dem schwarzen Tanktop unheimlich gut aus. Ihre muskulösen Schultern und die kräftigen, in klobige Stiefel gekleideten Beine erweckten in Asavi den Drang nach ihrem Fitnessprogramm zu fragen, ehe sie sich erinnerte, dass dieses sehr wahrscheinlich aus dem weniger gemütlichen Alltag von Verfolgungsjagden und Schießereien bestand.

»Es kommt aber sehr günstig gelegen, dass gerade jetzt Izabelas Tochter auftaucht«, fuhr Szloa mit einem Schulterzucken fort. »Ich traue dir nicht, auch wenn ich dich witzig finde. Du bist wie Zar eine Unbekannte in der ziemlich simplen Gleichung, Varai plus Engel gleich Tod unsereins.«

»Was hat Zar denn gemacht?«

Ed brummte etwas Unverständliches und Asavi widmete sich wieder dem Gemüseschälen.

»Mal pauschal nichts schlimmes«, grinste Szloa und zwinkerte ihr kokett zu. »Meinetwegen hätte er ruhig hierbleiben können. Aber seine Person kommt eben auch einfach ... gelegen. Er bringt uns Kadaver, die Joska sezieren lässt und bekommt dafür Munition oder kleine Gefallen. Verstehst du?«, hakte Szloa nach und breitete ihre Arme aus.

»Nein, sorry«, murmelte Asavi.

»Jemand, der so zuvorkommend charmant und talentiert ist, kann nur dilettantisch sein.«

Asavi runzelte die Stirn. Auch ihr war Zars sonnige Art merkwürdig vorgekommen. Willkommen, aber eben unverständlich. »Naja«, meinte sie daher, »ich bezweifle, dass es seit dem Niederfall irgendjemanden gibt, der aus reiner Nächstenliebe handelt.«

Ed gluckste und Szloa lachte. »Gerade eine Varai würde das nicht tun.<

»Ich hab mir das ja genauso wenig ausgesucht«, versuchte Asavi zu erläutern. »Ich bin aufgewacht und die ganze Welt stand in Flammen. Metaphorisch betrachtet.«

Szloa schüttelte den Kopf und seufzte.

»Die Engel waren echt nicht immer hier«, beteuerte Asavi missmutig.

Ed lachte. »Das is echt Wahnsinn. Normalerweise hält Joska die Varai von uns fern und lässt sie lieber im-«

Szloa unterbrach ihn. »Fein, das reicht.«

»Im?«, fragte Asavi nach, aber Ed räusperte sich nur und nahm sein Messer wieder in die Hand.

»Nichts für ungut«, meinte Szloa verschmitzt »Du bist der Feind.«

Asavi rollte mit den Augen. »Bin ich so gesehen nicht. Ich bin so ahnungslos wie eine Kaulquappe im Ozean. Ich hab ja nicht mal was verbrochen.«

Ed nickte. »Stimmt. Eigentlich hat sie nichts gemacht.«

»Sie ist Izabelas Tochter«, hielt Szloa schulterzuckend dagegen und schüttelte den Kopf. »Ich finde es ja schon hirnrissig, dass Csaba sie hier durch die Gegend schleppt.«

Asavi hob ihren Arm und rasselte untermalend mit den Ketten. »Wovor habt ihr Angst? Dass ich euch erzählen könnte, wie romantisch der Mond gewesen ist?«

»Der was?«, fragte Ed und ignorierte Szloas pointierten Blick.

»Der Mond«, meinte Asavi trotzig. »Ein Gesteinsball, der um die Erde rotiert und das Sonnenlicht reflektiert.«

Ed fing an zu lachen.

»Ich lüge nicht«, verteidigte sich Asavi und legte ihren Gemüseschäler zur Seite. »Vor sechs Jahren stand er fast jeden Tag und jede Nacht am Himmel und hat teilweise, wenn er voll war, so hell geschienen, dass es fast an Tageslicht grenzt.« Sie deutete an die Decke.

»Jetzt treibst dus echt zu weit«, lachte Szloa und stieß sich von der Küchentheke ab. »Hör lieber auf, von diesen Dingen zu sprechen«, riet sie Asavi auf dem Weg nach draußen. »Ist nur ein gut gemeinter Rat. Manche, ich will nicht sagen Rero, sind noch misstrauischer, als Joska oder ich. Ich will nicht sagen, dass sie dich für keinen Menschen halten aber, ich will das auch nicht nicht sagen.«

Asavi schluckte und nickte. »Danke für die Warnung, schätze ich.«

»Gerne.«

Sie schälten für eine Weile in Stille und gingen dann dazu über, das Gemüse kleinzuschneiden, und in große Töpfe zu werfen.

»Hey, Ed«, sagte sie mit gedämpfter Stimme.

»Ay?«

»Haltet ihr die Varai für Aliens?«

Ed prustete. »Keine Ahnung. Vielleicht. Wahrscheinlich. Immerhin stimmt ja sichtlich was nicht mit euren Köpfen.«

»Aber wir waren ja auch schon immer da.«

»Schläferzellen. Die Engel haben euch geweckt.«

»Aber Joska sagt, die Varai haben die Engel auf die Erde geholt. Das geht ja gar nicht, wenn wir Schläferzellen waren.«

Ed schürzte die Lippen und dachte nach. Dann lachte er wieder. »Ay. Addiert sich nicht auf. Aber Izabela zieht die Fäden ja schon seit Jahrzehnten im Hintergrund. Alles ist möglich.«

Asavi seufzte. »Wenn ich ein Alien wäre, würde ich zurück zu meinem Mutterschiff fliegen und diesem Planeten Lebewohl sagen.«

Ed grinste. »Wir könnten es prüfen. Ob du ein Alien bist«, meinte er und Asavi warf ihm einen belustigten Blick zu.

»Ach ja?«

Ed nickte und hob sein Messer in die Höhe. »Wenn es bluten kann wie du, dann ist es auch von hier.«

Asavis Grinsen fiel ihr vom Gesicht, als sie die Schneide betrachtete. »Ähm«, machte sie und rutschte auf ihrem Stuhl ein Stück von ihm weg. »Du machst Witze?«

»Nein, ich meins Ernst«, lächelte Ed.

»Lass nur«, meinte Asavi nervös. »Csaba hat ja gemeint, er macht dich kalt, wenn er auch nur einen Kratzer auf mir findet.«

Ed lachte und nickte. »Stimmt. Es ist süß, wie du dich um mich sorgst! Wie meine Tochter damals.«

Asavi wurde seltsam zu Mute, als sie diesen Mann mittleren Alters betrachtete, der sein Messer anstarrte, als wäre es etwas völlig normales, andere damit zu schneiden.

»Deine Tochter?«, rutschte es ihr heraus, ehe sie sich zügeln konnte.

Ed nickte und sein Lachen verblasste. »Rita. Sie war so ein süßes Mädl. Ich hab sie nie wieder gesehen.«

Asavi schluckte beklommen. »Hat sie dich gar nicht im Gefängnis besucht?«

Ed strich sich die Haare unter der Kappe nach hinten. »Ay. Wollte die Enttäuschung, die ihr Vater war, nicht sehen.«

»Was warst du denn?«, fragte Asavi kleinlaut.

Ed summte nachdenklich und drehte das Messer in der Hand, ehe er es bestimmend zurück auf den Tisch legte. »Ich hab wen aus Versehen abgestochen.«

»Shit.«

»Ay«, stimmte Ed zu und seufzte. »Ich wollts echt nicht.«

Asavi schluckte und konnte mit einem Mal nicht mehr in diesem Gespräch navigieren. »Und dann?«, fragte sie, weil sie nicht wusste, wie sie darauf emotional reagieren sollte.

Ed stützte sein Kinn in die Hand. »Naja, ich wurde eingesperrt. Als abnormer Triebtäter. Darum gings aber nicht. Konnte nur schlecht für mich argumentieren. Aber Joska ist da knallhart. Keine Gewalt und ich will ja keine Gewalt verüben. Oder rausgeschmissen werden. Ich arbeite gerne in der Küche. Deswegen frage ich ja, bevor ich schnitze.«

»Nur ein bisschen pieksen, hm?«, murmelte Asavi und versuchte, die Anspannung aus ihren Gliedern zu treiben.

»Genau«, lächelte Ed versöhnlich und griff wieder zu seinem Messer. »Ich machs echt nicht aus Bosheit heraus. Aber manchmal fühlt es sich gut an. Und in dieser Welt muss man sich eben manchmal gut fühlen, sonst endet man wie Rero.«

Asavi lachte nervös. Sie wusste gar nicht, wie es in ihr Weltbild passte, dass sie hier mit jemandes Vater saß, der einen Menschen getötet hatte, weil er sich gut fühlen wollte und jetzt aber versicherte, dass er sich geändert hatte. Ausgerechnet durch Joska.

Dann fing sie an, grunzend zu lachen, und sank in ihren Stuhl zurück. Irgendwie hatte Ed Recht. Asavi wusste gar nicht mehr, wie es war, sich gut zu fühlen, und wischte sich Lachtränen aus den Augen.

Es war mittlerweile nach Mittag. Ed ließ sie alleine im Eck sitzen, um mit seinen Kollegen das Essen zu kochen. Ed hatte ihr erklärt, dass Haushaltsküchen Geschichte waren, der Strom reichte nicht für alle Häuser und der Großteil der Stadt war ohnehin unbewohnt. Nur die höchsten Gebäude, die hier höchstens vier Stockwerke maßen, wurden als Wachtürme genutzt. Durch die Gespräche zwischen den Köchen und Köchinnen bekam Asavi einen passiven Einblick in die Welt der Städte, denen sie sich aufgrund ihres Papas immer ferngehalten hatte.

Jeder empfand die Varai und die Engel als ebenbürtiges Problem, die lediglich ein Ziel verfolgten: alle nicht-Varai zu töten. Rero und Szloa waren nicht die Einzigen, die davon ausging, dass sie als Varai die Fähigkeit hatte mit den Engeln in Kontakt zu treten und ihnen Befehle zu erteilen.

Laut mancher Ansicht war das nämlich schon passiert. Als trieben die Kampfhubschrauber der Varai die Engel in gewisse Richtungen, um gezielt Stützpunkte auszulöschen.

Asavi dachte wieder an Csaba und daran, dass er heute zu einem Solar-Kraftwerk gefahren war, das diese Stadt hier mit Strom versorgte. Was, wenn etwas kaputt ging? Asavi hatte keine Ahnung von Elektrotechnik, vermutete aber, dass zur Wartung einer Solar-Anlage mehr dazugehörte, als ein paar Schrauben festzuziehen, wenn was schief lief. Vergaßen Wissenschaftler ihr Wissen, wenn sie sich nicht an die Erste Wahrheit erinnerten? Oder blieb dieses Wissen entwurzelt in ihren Köpfen, bloß die Umstände, in denen sie es gesammelt hatten, waren verwaschen? Dass der Mond nicht mehr am Himmel stand, war keine Kleinigkeit und ein Astronom konnte ja schlecht weiterbestehen, wenn sein Wissen über die Sterne nicht mehr existierte.

Asavi seufzte. Wenigstens betrieben sie hier kein Atomkraftwerk.

Sie beäugte die Leute um sich herum unter halb geschlossenen Lidern und ließ die misstrauischen und offenkundig feindlichen Blicke schweigend über sich ergehen.

Die Mittagszeit verging, das gekochte Essen wurde aus der Kirche auf den Platz gebracht, auf dem Zar sie bei ihrem ersten Aufenthalt hier in sein Auto gesperrt hatte und die Küche leerte sich allmählich.

Szloa kümmerte sich um die Ausgabe vor der Kirche. Während Eds Küchencrew sauber machte, kam Ed selbst zu ihr und stellte ihr eine angeschlagene Tasse mit Wasser und ein Teller mit dampfendem Wurzelgemüse vor die Nase. »Hast's dir verdient.«

»Danke«, sagte Asavi und ließ sich eine Gabel reichen.

Ed nickte und Asavi betrachtete seine von Wetter und Alter gezeichneten Gesichtszüge. Er könnte ihr eigener Vater sein. Sie senkte den Blick auf ihr Essen, das sie gar nicht haben sollte, und beeilte sich, es zu verschlingen.

Szloa brachte sie auf die Toilette in dem abgelegenen Gang und dann anschließend zurück in die Küche. Da es nur einmal am Tag etwas Warmes zu essen gab, war Asavis Arbeit somit zu Ende. Sie holte die Schnur aus ihrer Tasche und fing an, weiter Figuren zu formen. Dabei sang sie leise Wiegenlieder vor sich hin.

»Ich bin zu meinem Tore rausgegangen?«, fragte Ed, als sie die letzte Strophe vor sich hinmurmelnd beendet hatte und dann mit einem Seufzen ihre Hände auf die Tischplatte fallen ließ.

»Ja. Hätten wir aber wohl lieber sein lassen, oder?«

Ed lächelte und nickte. »Anastasia spielt wunderbar Koboz. Vielleicht begleitet sie dich nächstes Mal.«

Asavi hob die Schultern. »Ich weiß nicht, ob die Texte so gut ankommen.«

Ed grinste. »Solang du nicht Cíja Búja singst.«

Asavi schmunzelte. »Keine Sorge. Die Zeile der Engel möge dich in den Schlaf wiegen, klingt mehr wie eine Drohung.«

»Und könnte aus deinem Mund falsch aufgefasst werden.«

Asavi gestattete sich ein Lachen und widmete sich wieder ihrer Schnur.


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