[Sci-Fi/Fantasy] Starfall - W...

By frowningMonday

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»Seine sieben Augenpaare waren auf sie gerichtet und alle vierzehn der menschlichen Pupillen nahmen sie ins V... More

- Vorwort -
- Prolog -
- I. -
- Kapitel 1: Neun Schuss -
- Kapitel 2: Trügerische Hoffnung -
- Kapitel 3: Falsche Jahreszeit -
- Kapitel 4: Vom Regen in die Traufe -
- Kapitel 5: Die Wahrheit bildet keine Derivate -
- Kapitel 6: Feind deines Feindes -
- II. -
-Kapitel 8: Die Unschuld stirbt als Erstes -
- Kapitel 9: Eine Lektion im Gemüseschälen -
- Kapitel 10: Wiegenlied -
- Kapitel 11: Wo man singt, da lass dich nieder -
- Kapitel 12: Katzenlord -
- Kapitel 13: Dein Gott heißt Joska
- Kapitel 14: Startschuss -
- III -
- Kapitel 15: Gestrandet -
- Kapitel 16: Weil es Sinn macht; sinnbefreit -
- Kapitel 17: Engelsduft -
- Kapitel 18: Katzengold im Himmel -
- Kapitel 19: Verbotene Erinnerungen -
- Kapitel 20: In Sicherheit -
- Kapitel 21: Das Ende einer Ära -
- Kapitel 22: Hölle auf Erden -
- Kapitel 23: Makellos -
- Kapitel 24: Was im Muttergestein schlummert -
- IV. -
- Kapitel 25: Luna-Major -
- Kapitel 26: Gefallener Stern -
- Kapitel 27: Ironie des Sternenhimmels -
- Kapitel 28: Mondbetriebenes Solarkraftwerk -
- Kapitel 29: Verhandlungsmaterial -
- Kapitel 30: Die Krücken der Varai -
- Kapitel 31: Wunderhände und Traumtypen -
- Kapitel 32: Der Mond, der Tod und die Engel -
- Kapitel 33: Izabela, Joska und der Weltuntergang -
- Kapitel 34: Berg, Ade -
- Kapitel 35: Hallo, Schatz -
- Kapitel 36: Der erste von zwei Splittern -

- Kapitel 7: Drinnen ist Draußen -

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By frowningMonday

Joska blieb verschwunden und Asavi lauschte vergebens, um herauszufinden, weshalb. Sie fühlte sich hilflos und ausgeliefert. Jedes Mal, wenn Stimmen laut wurden, versteifte sich alles in ihr, bis sie sich dazu zwang, ihre Muskeln zu entspannen.

»Sie trauen dir nicht, weil du eine Varai bist«, murmelte sie zu sich selbst, als sie unruhig auf und ab ging. Sie musste sich beschäftigen und ihre eigene Stimme zu hören, war erträglicher als ständig auf Geräusche zu lauschen, die jeden Moment kommen und ihr Gewalt antun könnten.

Csaba hatte Recht, wenn man sich nur lange genug in der Dunkelheit aufhielt, gewöhnte man sich daran, sich blind zu orientieren.

»Sie töten dich nicht, weil Joska Pläne hat«, überlegte sie weiter und ließ ihre Finger an der etwas kühleren Wand entlangstreichen. »Und vor allem wollen sie dich nicht da draußen haben. Du könntest ja entkommen und verraten, wo sie ihr fließendes Wasser herbekommen«, schlussfolgerte sie seufzend und blieb schließlich stehen. »Oder Sonnencreme.«

Wenn Joska es darauf anlegte, sie durch psychologische Folter zu zermürben, zeigte seine Taktik vollen Erfolg. Asavi presste die Handflächen flach auf die Mauerziegel, von denen an einigen Stellen der Verputz fehlte. Ihre abgekauten Nägel rieben über den bröckligen Zement und ließen ihn in der dunklen Stille auf den Boden rieseln.

»Warum bist du eine Varai?«, fragte Asavi und senkte ihren Kopf, bis ihre Stirn ebenfalls gegen die Mauer schlug. Sie suchte in ihrem Verstand nach einer Stimme, die ihr die Antwort auf diese Fragen gab, traf dort aber nur auf Leere. Sie blies die Backen auf und stieß die Luft langsam durch den Mund aus. »Weil ich mich an eine Zeit vor den Engeln erinnere. Was weniger für meine Verrücktheit spricht, sondern für die derjeniger, die sich nicht daran erinnern.«

Asavi seufzte. »Vielleicht«, mutmaßte sie mit Trotz in der Stimme und hob die Augenbrauen, »weil ich am Tag, an dem die ersten Engel fielen, auf der linken Seite geschlafen habe. Anfängerfehler auf den die Todesstrafe steht.«

»Die Theorie habe ich noch nie gehört«, antwortete ihr wie aus dem Nichts Csabas Stimme und Asavi zuckte heftig zusammen.

»Wie lange sitzt du schon vor der Tür und lauschst?«, fragte sie und nahm den Kopf von der Mauer.

»Lange genug, dass mir dein geflüstertes Selbstgespräch eine Gänsehaut verpasst. Könntest du deine Gefangenschaft in Stille absitzen, wie eine normale Geisel?«

»Haa-haa«, machte Asavi und schleuderte die zerbröckelten Zementkörner unter leisem Prasseln gegen die Türe. »Warum kommst du nicht rein und lässt mich üben, was du mir so umsichtig beibringen wolltest?«

»Kein Bedürfnis.«

Asavi drehte sich um und rutschte mit dem Rücken gegen die Wand langsam zu Boden. Das frische Leinenhemd, das Csaba ihr gegeben hatte, war sowieso schon wieder völlig verdreckt und verschwitzt. »Hast du Angst, dass ich dich überwältigen könnte?«

»Nein.«

Asavi seufzte und fing an, mit ihrem Hinterkopf gegen den Verputz zu schlagen. »Kann ich dann wenigstens eine Lampe haben und etwas zum Lesen?«

Csaba blieb stumm.

»Ich werde hier drinnen noch wahnsinnig, okay? Schön, wenn ihr mir misstraut, nur zu, aber irgendwann habe ich meinen Verstand eigenständig zu Mus verarbeitet, dann bin ich auch keine gute Geisel mehr.«

Csaba sagte auch daraufhin eine Weile lang nichts. »Das fände Joska sicherlich nicht gut.«

Asavi wandte ihren Kopf zur Türe. »Armer Joska. Ich wünschte, du könntest mein Gesicht sehen, damit du auch Zeuge werden würdest, wie ich meine Augen verdrehe.«

»Allein deswegen würde ich dir eine Taschenlampe geben.«

»Dann haben wir eine Deal?«, bohrte Asavi mit einem halben Lächeln nach, aber Csaba ging nicht mehr darauf ein.

Asavi schloss die Augen und ließ ihren Kopf wieder zurückrollen. »Es muss euch doch seltsam vorkommen, dass in keinem Buch die Engel so erwähnt werden, wie sie seit sechs Jahren sind. So eine furchtbare Tatsache würde sicherlich nicht ungeachtet in die Geschichte eingehen. Oder eben nicht. Lest ihr denn gar nichts?«

Ihr Magen knurrte hörbar, aber vor ihrer Zelle blieb es still.

~

Es vergingen mehrere Stunden quälenden Schweigens, das Asavi mit dem leisen Singen von Kinderliedern verbrachte. Ihr Großvater hatte ihr gemeinsam mit ihrem Papa so viele beigebracht und sie sang sie alle murmelnd vor sich hin. Bis auf eines. An diese acht Zeilen wollte sie nicht denken, denn alles, was die sanfte Melodie begleitete, war die Stimme ihres Papas in seinen letzten, verzweifelten Sekunden vor dem Tod.

Das Loch in ihrem Magen verwandelte sich langsam in Übelkeit und Schwindel. Das Näherkommen von Schritten schreckte sie aus der erschöpfenden Rastlosigkeit.

»Csaba?«

»Nein«, antwortete ihr eine weibliche Stimme und Asavi spähte in die diffus erhellte Türöffnung. »Szloa. Ich bringe dir was zu essen.«

»Fantastisch, ich falle nämlich bald in Ohnmacht.«

Szloa machte sich nicht die Mühe in die Zelle zu kommen, sondern stellte ein Tablett auf den Steinboden und schob es dann in Asavis Richtung.

»Ich hoffe, da ist kein Fleisch dabei«, kicherte Asavi. »Ich bin Vegetarierin.«

»Gekochter Kukuruz mit Ziege, sorry«, antwortete Szloa und dann schloss sich die Türe wieder.

»Das war ein Scherz«, seufzte Asavi und kroch auf allen vieren vorwärts. Sie tastete nach dem Tablett, fand die Schüssel und einen Löffel.

»Joska hat zwar gesagt, keine Nahrung, kein Wasser, bis ich die Wahrheit sage und so gesehen habe ich gerade gelogen, aber ratet Mal, wer nicht hier ist. Joska. Also gehört das hier alles trotzdem mir.«

Sie nahm die Schüssel auf und fing an den süßlichen Kukuruz samt weich gekochtem Ziegenfleisch in sich hineinzulöffeln. Es schmeckte leicht staubig, beinahe erdig, doch herb und roch köstlich. Unglücklicherweise verstärkte es den unangenehmen Gestank ihrer Zelle im Kontrast unerträglich.

Wenigstens kam die alte Frau und wechselte den Kübel im Eck. Dann war sie wieder alleine mit sich.

~

Asavi lag flach auf dem Rücken und kämpfte mit dem Gefühl von Tränen. Sie weinte nicht wirklich, aber ihre Kehle schmerzte, genauso wie ihr Kopf. Sie konnte gar nicht sagen, warum, sie war schon so aufgewacht. Vielleicht hatte sie sich mit irgendetwas infiziert. Vielleicht hatte man sie vergiftet.

»Blödsinn«, krächzte sie und fasste sich an die Stirn. »Man lässt dich hier nicht sterben.«

Die Stimme, die sie darauf hörte, war aber vom Gegenteil überzeugt. »Ist mir scheiß egal, was Joska sagt. Ich hab keine Lust, dass sie abhaut und wir von Varai überschwemmt werden.«

Asavi fuhr blinzelnd in eine aufrechte Position und kippte beinahe gleich wieder um vor Schwindel.

»Die haben uns noch nie direkt angegriffen. Nicht in der Stadt«, antwortete eine zweite Stimme etwas gedämpfter, sodass die wütenden Schritte diese beinahe übertönten.

»Die Zelle hat nicht Mal ein Schloss«, zischte der erste Kerl. »Hast du Lust, dass sies wie Ed macht? Nur sie macht den Deckel drauf. Oder ruft die Engel.«

»Du hast ja keine Ahnung!«

Die Konversation wurde durch kurzes Gerangel unterbrochen.

»Ich will sicher nicht schlaflos in meinem Bett hocken und warten, bis wirs rausgefunden haben«, grollte der Erste.

»Ich hab auch keine Lust, darauf zu warten, bis mich einer nachts absticht«, murmelte Asavi zu sich selbst und kam wankend auf die Beine.

Dann wurde die Türe aufgestoßen und ein hochgeschossener Schemen trat ein, gefolgt von einem zweiten, der jedoch versuchte, Ersteren aufzuhalten.

»Mach das nicht, wenn Joska das mitbekommt-«

»Was dann? Wir sterben doch alle sowieso, ich halts nicht aus.«

Der Irre knipste ohne Vorwarnung eine Taschenlampe an und leuchtete ihr damit direkt ins Gesicht. »Na, wie hast du vor mich zu töten, hm?« Er marschierte auf sie zu und Asavi wich zurück, bis sie mit dem Rücken gegen die Mauer stieß. »Mit dem Messer? Dem Löffel? Nem Stein? Willst du Rache nehmen?«

Asavi kniff die Augen aufgrund des grellen Lichts zusammen und sah nicht, wie er seine andere Hand ausstreckte und ihren Hals damit packte. »Urghs«, stieß sie aus und hob die Arme mit den Handflächen nach vorne gedreht.

»Hör auf«, versuchte sein Kumpel ihn von Asavi zu zerren, aber er machte sich los.

»Siehst du nicht, in was für einem Loch sie hockt? Wenn sie uns nicht aus Boshaftigkeit tötet dann aus Rache!«

»Würde ich nicht«, würgte sie hervor, wurde aber mucksmäuschenstill, als sich eine stumpfe, kühle Klinge an ihre Kehle drückte.

»Du lügst!«, spie der Mann und presste das Buttermesser oberhalb ihres Kehlkopfes in ihren Hals.

»Bitte«, röchelte sie mit erstickter Stimme und wagte es nicht, gegen das trockene Gefühl in ihrem Rachen an zu schlucken.

»Du bist eine Gefahr, kapierst du das nicht?«

Asavi wollte verneinen, schaffte es allerdings nicht. Sie war schließlich eine Gefahr. Aber genauso war jeder von ihnen eine Gefahr für sie und sie fing an, heiser zu lachen.

Mehrere Paar Stiefel kündigten weitere Schaulustige an und dann schallte Csabas Stimme durch das blendende Licht der Taschenlampe. »Hey!«

Der Mann zuckte zusammen und Asavi sog die Luft scharf durch die Zähne, als ihr die stumpfe Klinge die Luftröhre zudrückte.

»Du hast dir das hier nicht zur Gänze durchgedacht, oder?«, schnappte Csaba und kurz darauf stieß der Mann einen erstickten Schrei aus. Csaba riss ihn an seinem Kragen zurück und Asavi ließ die Luft erleichtert aus ihren Lungen strömen.

Die Taschenlampe landete mit einem Knirschen auf dem Steinboden und das Messer folgte mit einem Klirren.

»Sie wird uns verraten!«, schrie der Angreifer und versuchte sich, aus Csabas festem Griff zu winden. »Sie wird die Engel rufen und uns alle umbringen!«, kreischte er, als Csaba ihn am Kragen vor sich aus der Zelle stieß.

Im Lichtkegel erkannte Asavi, wie Csaba den Gurt seines Sturmgewehrs von der Schulter gleiten ließ.

»Warte«, hustete sie. Ihre Augen schmerzten immer noch von dem grellen Licht, sodass ihr zwei gleißenden Punkte vor der Netzhaut tanzten. Sie rieb sich die Tränen mit dem Saum ihres Shirts vom Gesicht und suchte sich geblendet einen Weg zur Türe, um Csaba aufzuhalten. Der zweite Mann, welcher den Angreifer zurückzuhalten versucht hatte, griff nach ihr und drückte sie grob zurück auf den Boden ihrer Zelle.

»Bleib hier«, beschwor er sie und verließ den Raum.

Weitere Stimmen wurden laut, als Csaba den Kerl unter irrem Gekreische durch den Korridor zerrte. Sie rappelte sich auf und folgte dem Schemen zur Türe. Mehrere Menschen spähten in den kurzen Durchgang von Kirchhof zu Kirchenschiff und einige liefen alarmiert dem Mann nach, der Asavi auf den Boden gestoßen hatte.

Asavi blieb wie angewurzelt stehen. »Csaba!«, schrie sie mit trockener Kehle und räusperte sich heftig.

»Ich habe gesagt, niemand geht in diese Zelle«, schallte Csabas wütende Stimme über den Kirchhof bis hin zu Asavi. Sie lehnte sich nach vorne und erkannte die Türe am Ende des Korridores als gleißendes Rechteck. Die Gruppe an Menschen, die Csaba und dem Kerl gefolgt waren, drängten sich in den Durchgang.

Das Geräusch eines Gewehrkolbens auf Knochen drang durch das Getuschel und Asavi zuckte zusammen. Einige der Bewohner blickten sie an und Asavi wich automatisch einen Schritt zurück.

»Is es Rero?«, fragte jemand und ein anderer antwortete mit einem Brummen.

»Tsk«, schnalzte die Frau neben Asavis Zelle mit der Zunge. »Der ist in der Birne so weich gekocht, sie hätten ihn gleich raus zum Ackerbau schicken sollen.« Es war Szloa, die Frau, die ihr Essen gebracht hatte. Sie war groß und muskulös und ihre dunkle Haut schimmerte im spärlichen Licht. Sie trug wie Csaba ein Maschinengewehr um die Schulter.

»Da wird er wenigstens niemandem zur Gefahr«, meldete sich jemand anderes.

»Vielleicht sollte wer einschreiten.«

Wieder fielen einige Blicke auf Asavi und sie hob die Hände. »Unbedingt, ich will nicht, dass er stirbt. Aber ich kann schlecht aus meiner Zelle raus. Sonst bestätige ich ja direkt seine Befürchtungen.«

Im Kirchhof ging das Geschrei weiter und von irgendwo her hörte Asavi das aufgeregte Meckern einer Ziege.

»He, Csaba!«, brüllte Szloa und der gesamte Gang voller Schaulustigen zuckte zusammen. Sie drängelte sich mit den Ellenbogen durch den schmalen Korridor und trat hinaus in den Hof, gerade, als ein ohrenbetäubender Schuss die Luft zerfetzte.

Sie schnappten kollektiv nach Atem, aber Szloa erschien im Eingang und hob die Hände. »Alles gut! War nur'n Warnschuss.«

Kurz darauf erklang das jammervolle Heulen eines Mannes, der nichts mehr außer Verzweiflung kannte. Asavi schluckte und bückte sich nach der Taschenlampe. Sie knipste sie aus und blieb in der schützenden Dunkelheit stehen. Es war immer ein sie und die anderen. Die Stimme ihres Papas hallte in der dröhnenden Stille in ihrem Kopf nach.

»Du kommst immer an erster Stelle, merk dir das, mein kleiner Teufel.«

Aber Asavis Knie waren nicht weich wie Butter, weil sie selbst beinahe getötet worden war, sondern weil dieser eine Schuss aus dem Lauf einer Pistole um Haaresbreite ein Leben beendet hatte, das keine Minute zuvor mit ihrem eigenen verflochten worden war. Damit war dieser Schuss persönlich. Csaba nahm das persönlich.

Und Csaba bahnte sich nun einen Weg durch den Korridor zu ihr. »Was steht ihr da so rum? Bringt Rero ins Lager und dann haut ab«, schnitt seine Stimme durch die Menge, die sich vor ihm hektisch und beinahe ehrfürchtig teilte. »Benno, du solltest längst im Jeep sein und zu den Farmen rausfahren. Die Sonne geht bald unter. Und du?«, schnauzte er an Asavi gewandt. »Raus da.«

Er packte sie am Oberarm und bugsierte sie vor sich her über die Schwelle ihrer Welt der letzten Woche. Asavi war versucht zu protestieren und drehte sich entsetzt nach der stinkenden, dunklen Kammer um.

Csaba hielt aber nicht an, damit sie ihr Lebewohl sagen konnte, und führte sie in die entgegengesetzte Richtung, weg vom Kirchhof. Hinter sich hörte sie Szloa weitere Befehle brüllen. Asavi kniff die Augen gegen das helle Licht zusammen und stolperte vor ihm in ein stickiges Stiegenhaus. Sie fiel praktisch die schiefen Granitstiegen nach oben und wurde von Csaba den langen Gang oberhalb der Arkaden entlang geschoben.

Asavi blinzelte durch die staubigen Fenster und erkannte hinter dem Glas die beiden Eichen, die sie beim Duschen als Schemen bemerkt hatte. Ihre dunklen, sommergrünen Blätter flatterten in einer Brise, die sie hier drinnen nicht spürte, und malten Sonnenflecken auf den abgenutzten Steinboden.

Csaba öffnete die Türe zur Kammer am Ende des Ganges und stieß sie grob hinein.

»He, warte, was-«

Csaba bedachte sie mit einem angefressenen Blick und schlug die Türe vor ihrer Nase ins Schloss.

»Was denn!?«, rief sie in Ermangelung einer eleganteren Weise, sich auszudrücken, bekam aber nur das energische Schnappen eines Schlüssels im Schloss zur Antwort.

~

Wieder steckte Asavi in einer Zelle, doch dieses Mal hatte sie zumindest ein Feldbett, dessen Polyesterfläche unter der zerschlissenen Matte halbwegs intakt war. Fenster gab es trotzdem keines.

Der Türspalt ließ ihr genügend Licht, um zu erkennen, dass es in dem Zimmer nicht einmal einen Kübel gab. Es roch zwar nicht nach Schweiß, ungewaschener Kleidung und Ausscheidungen, dafür nach Hühnerstall und Lampenöl. Zwei Gerüche, die sie von der Farm gewohnt war.

Sie ließ sich zögerlich auf dem Feldbett nieder und starrte auf den schmalen Lichtschlitz, der unter der Tür hindurch fiel. Beinahe erwartete sie, dass ihr das frische Heu in der Nase kitzelte und von irgendwo jenseits der Scheune die Stimme ihres Großvaters nach ihr rief.

Die Henne gackerte eingeschüchtert in ihren Armen und Asavi spürte den heftigen Herzschlag des Vogels durch das weiche Federkleid. Ihr Großvater wollte sie köpfen und rupfen, weil sie alt war. Sechs Jahre lebte Pilpi, wie Asavi die staubbraune Henne getauft hatte, schon im Hühnerstall. Eier legte sie kaum noch. Sie war sich bewusst, dass das zum Leben dazugehörte.

Ihren Hühnern ging es gut. Sie lebten in einem Freigehege, das von allen Seiten mit Maschendraht eingezäunt war, um sie vor Goldschakalen und Habichten zu schützen. Aber sie waren trotz allem nur ein Teil der Nahrungskette.

»Ohne uns hätten sie gar kein Leben«, sagte ihr Großvater immer. »Ohne uns wären sie längst ausgestorben.«

Vielleicht stimmte das. Vielleicht hätten natürliche Fressfeinde das Huhn, wie viele andere Nutztiere, bereits ausgerottet und hätten ohne menschliche Regulation gar nicht bis in die Neuzeit überdauert. Eine Frage, die jetzt und für immer unbeantwortet blieb.

Asavi fühlte sich jedenfalls gerade wie Pilpi, die Henne, die sie schlussendlich aufgegeben hatte. Csaba mochte sie zwar hinter Schloss und Riegel verfrachtet haben, wo ein Irrer mit Messer nicht an sie herankam, aber wenn es nicht Rero war, dann war es garantiert ein anderer Schakal. Ein anderer Habicht, ein anderer, hungriger Magen. Sie hatte die Henne ja auch gegessen, mit ihren Federn ein Polster gestopft und aus den übrigen Knochen Zahnstocher geschnitzt.

Rero handelte aus Überlebensinstinkt. Entweder sie starb, oder er. Die wenigen Minuten, die sie mit ihm verbracht hatte, reichten aus, um zu erkennen, dass es in seinem Verstand keine Alternative dazu gab und Asavi war ihm nicht einmal böse. Schockiert alle mal, aber nicht beleidigt. Sie fragte sich, ob die Klanstadt ihrer Zelle ähnlicher war, als zuvor angenommen. Was bedeutete schon Sicherheit, wenn man hinter Gittern saß?

~

Als Asavi bereit war, sich in die Hose zu pinkeln, erklang endlich das Kratzen eines Schlüssels im Schloss.

Szloa betrat das dunkle Zimmer, den Finger am Abzug ihres Maschinengewehrs, und Asavi sprang auf die Füße.

»Ich soll dich zum Klo bringen«, sagte Szloa und hielt eine Kette mit Handschellen in die Höhe.

»Oh, gottseidank«, stieß Asavi aus und streckte ihre aneinanderliegenden Hände bereitwillig aus. »Ich dachte schon, ihr lasst mich hier in meinen eigenen Körpersäften marinieren.«

Szloas Mundwinkel hob sich ein kleines Stück und sie ließ die Schellen aus Stahl um Asavis Handgelenke schnappen. »Für ne Varai bist du ziemlich witzig«, kommentierte sie und führte sie den kurzen Gang entlang in das Zimmer am Ende, vor der Biegung.

»Gibt das etwa Bonuspunkte?«, murmelte Asavi, wartete auf keine Antwort und beeilte sich, durch die Türe zu schlüpfen.

Die ehemalige, öffentliche Toilette beherbergte neben den vier Ställen ebenso vier Waschbecken an der gekachelten Wand. Die beigen Fliesen waren an den Ecken angeschlagen oder abgebrochen.

Szloa ließ Asavi in einen Stall treten und schloss die Türe hinter ihr. Wenigstens bestand sie nicht darauf, ihr in den Nacken zu atmen, während sie sich erleichterte. Von schüchternen Blasen hatte hier wohl keiner gehört.

»Bonuspunkte?«, wiederholte Szloa und Asavi fixierte den Schatten ihrer Beine unter dem Türspalt. »Ich werds Joska näherbringen, klingt nach Spaß.«

Asavi wusste nicht, welcher Teil davon Joska Spaß bereiten könnte, war aber nicht unbedingt erpicht darauf, in Erfahrung zu bringen, was diesen humorlosen Typen zum Lachen brachte.

»Was sind meine Pinkelzeiten?«, wollte sie wissen, als Szloa sie zurück in die dunkle Kammer führte. »Damit ich mir einteilen kann, wann ich trinke. Wenn ich etwas bekomme.«

Szloa seufzte. »Streng genommen soll sich eigentlich niemand in deiner Nähe aufhalten. Das musst du also Csaba fragen.«

Asavi verzog den Mund. »Er gibt mir ja sogar die Schuld dafür, dass man mich beinahe getötet hat.«

Szloa strich über den Lauf ihres Sturmgewehres und hob die Schultern. »Sorry.« Sie sperrte Asavi ein und verschwand.

»Ihr wisst schon, dass ich keinerlei telepathischen Fähigkeiten habe, mit denen ich mich in eure, oder in die Gehirne der Engel schleichen kann, oder?!«, schrie sie gegen die zerkratzte Holztüre, bekam aber nur sich entfernende Schritt als Antwort. »Ich bin nur ein Mensch!«


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