Woe is me, my love

FeyGalaxy द्वारा

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Das nächste Semester in Nevermore steht an. In der Zwischenzeit war kein Tag vergangen, an dem Wednesday nich... अधिक

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30

Kapitel 12

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FeyGalaxy द्वारा

„Wo zur Hölle seid ihr gewesen?“, Enid schrie sie förmlich an, „Ich hab kaum geschlafen…“ Wednesday hatte beinahe ein schlechtes Gewissen, als sie ihre Mitbewohnerin betrachtete. Die dunklen Augenringe, ihre chaotische Frisur und der fiese Ausdruck in ihrem Gesicht, der sie aussehen ließ wie eine Verrückte.

„Wir konnten uns nicht auf die Suche machen nach euch, wollten kein Aufsehen erregen… nur die Nachtschatten wissen davon…“, sie lief wie unter Strom durchs Zimmer, drehte sich immer wieder zu Wednesday um. „Ich hoffe doch sehr, dass sich euer kleiner Ausflug…“, sie machte mit ihren Fingern hektisch kleine Hasenohren in die Luft, „…gelohnt hat und ach ja, falls es dich interessiert, wir haben verloren…“. Wütend ließ sie sich auf ihr Bett fallen, um nun enttäuscht Wednesday zu Wort kommen zu lassen.

„Es tut mir leid, Enid. Ich wollte das nicht. Ich wollte dich nicht erschrecken… es ist nichts weiter passiert. Xavier hat mir Gesellschaft geleistet. Wir haben uns versteckt und sind eingeschlafen. Das wars auch schon.“, wie ein Roboter sprach sie die Worte aus. Wednesday brachte allen ihren Sanftmut auf und quälte sich sogar ein kleines Lächeln auf die Lippen. Sie dachte an Xavier, was er gesagt hatte. Dass sie Enid entgegenkommen soll.

Die war immer noch stinksauer: „Das mag vielleicht so stimmen, aber du kannst nicht einfach jede Nacht spurlos verschwinden, nach allem, was hier passiert ist… und dann redest du nicht mehr mit mir und…“ Wednesday unterbrach sie, in den Händen hielt sie ihr Smartphone und schaltete es ein: „Hör zu, ich gebe dir meine Nummer und verspreche, dass ich es immer wieder anschalte, in Ordnung? Ich werde antworten, ok?“ Enids Augen starrten ungläubig auf das Display und dann wieder direkt zu ihr. Sie war fassungslos.

„Du willst es benutzen und mir deine Nummer geben?“, sie konnte ihre eigenen Worte kaum glauben. Wednesday nickte und setzte sich neben ihre Mitbewohnerin aufs Bett, es war ungewohnt und fremd für sie, das Zimmer nun aus der anderen Perspektive zu sehen. Sie hielt so weit es ging Abstand und drehte sich dann zu Enid: „Es tut mir wirklich leid.“ Enid löste ihre verschränkten Arme und beruhigte sich. Innerhalb von wenigen Sekunden wechselte ihre Stimmung von wütend zu unerträglich aufgeregt und vorfreudig: „Das wird super… ich kann dir richtig coole Videos schicken und Memes und Gifs und…“ Wednesday schenkte ihr einen Todesblick: „Übertreib´s nicht…“ „Okay, ich gebe mein Bestes…“, versprach sie. 

Kurz schwiegen sie und dann wagte Enid eine weitere Frage: „Du und Xavier? Was ist da los?“ Wednesday sah auf ihr Telefon, polierte das Display mit ihrem Ärmel und gab zu: „Er ist akzeptabel… erträglich… er hilft mir, mit ein paar Dingen klarzukommen… mehr weiß ich auch nicht…“ Wednesday hatte die Wahrheit gesagt und Enid war mehr als glücklich über diese Antwort: „Okay, das ist gut.“ Enid nickte ihr zu und sah ihr zufrieden hinterher, als sie sich auf den Weg ins Bad machte.

Wednesday schloss eilig die Tür und starrte in den Spiegel. Sie fühlte sich anders, irgendwie repariert. Wenn auch nur ein bisschen. Xavier hatte ihr die Angst genommen, ihre gezeigt, dass sie ihm vertrauen kann, dass sie Enid vertrauen kann. Ihre Finger kribbelten, als sie daran dachte, wie sie heimlich und im Dunkeln der Kammer seine Hand gehalten hatte. Sie konnte sich ihm öffnen und das bedeutete alles für sie und auch für ihn. Das hatte sie ihm angesehen.

Er sah so glücklich aus… so, wie auf dem Foto…

Als sie sich die Zöpfe entwirrte, dachte sie zurück an die Beerdigung, an den Tag, an dem sie sich zum ersten Mal getroffen hatten. Sie dachte an sein entwaffnendes Grinsen, seine lustige und direkte Art. Damals schon hatte sie Schwierigkeiten, ihre Fassade aufrecht zu erhalten ihm gegenüber. Und heute war es nicht anders. In dieser Hinsicht hatten sie sich beide nicht wirklich verändert und aus irgendeinem Grund fühlte sie sich merkwürdig wohl bei diesem Gedanken. Als sie sich die Haare kämmte, schoss es durch ihre Glieder wie ein Blitz. Die Bürste fiel zu Boden.

Nein… Nein… Nein… das Foto…

Mit einem Mal wurde ihr unglaublich schlecht und sie musste sich am Waschbecken festhalten, um nicht die Balance zu verlieren.

Das Foto… ist in dem Buch… es ist in dem Buch…

Immer wieder wiederholte sie die Worte in ihrem Kopf, der beinahe zu platzen schien.

Ich brauche einen Plan. Ich muss es zurückholen, bevor er es liest… bevor er es entdeckt…

Wednesday setzte sich auf die kalten Fliesen und durchdachte alles. Sie hatte das Foto immer als Lesezeichen verwendet, egal was sie las, sie hatte es immer dabei. Und dieses Mal steckte es in dem albernen und viel zu kitschigen Gedichtband, den sie ihm gerade eben in die Hand gedrückt hatte. Sie hatte es ihm geschenkt. Sie hielt sich mit beiden Händen die Schläfen und versuchte sich zu konzentrieren.

Ich muss in sein Zimmer… ich muss das Foto holen… aber wie?

Empört über ihre eigene Dummheit schüttelte sie wie wild den Kopf.

Wenn er es findet… 

Sie beschloss, ihn zu besuchen, das Bild heimlich zu stehlen und schnell wieder zu verschwinden. Sie hatte den gesamten Vormittag Zeit, um sich Gedanken zu machen. Zur Mittagspause würde sie ihn besuchen, komme was wolle.

----

Xavier, der immer noch beflügelt war von der Nacht, kam ins Zimmer, ließ sich auf sein Bett fallen und hielt das Buch, was Wednesday ihm geschenkt hatte, fest auf seiner Brust. Ganze fünf Minuten lang lag er so da und starrte ins Nichts. Ajax kam aus dem Bad und musterte seinen Mitbewohner. Als er sah, dass er nahezu versteinert da lag und ein schelmisches Grinsen sein Gesicht zierte, konnte er nicht anders: „Hey, hattest du eine gute Nacht?“

Xavier ignorierte ihn, legte das Buch sicher auf seinen Nachttisch und zog sich nach und nach die Klamotten aus. Ajax sprach immer weiter: „Wir wissen, dass ihr zusammen gewesen seid… du und Wednesday… was ist passiert?“ Er war mehr als neugierig, lief ihm sogar ein Stück hinterher. Xavier schwieg. „Sag schon! Habt ihr rumgemacht, wollte sie dich killen, was ist passiert?“, Ajax verlor fast den Verstand. Xavier war still und leise. Er hatte es ihr versprochen, zwar nicht direkt. Aber er würde es für sich behalten. Bevor er im Bad verschwand, steckte er noch einmal den Kopf ins Zimmer, um seinen Freund anzustacheln: „Das war die beste Nacht meines Lebens…“ Und dann war er hinter der Tür verschwunden.

Ajax wusste, dass er nicht mehr aus ihm herausbekommen würde und akzeptierte seine Niederlage. Er nahm sich vor, Enid auszufragen. Doch die Chancen standen eher schlecht, dass sie mehr erfahren hatte, war Wednesday doch ein Buch mit sieben Siegeln. 

---

Xavier hatte an diesem Vormittag keinen Unterricht. Mr. Daniels, Lehrer für Naturwissenschaften hatte sich krankgemeldet. Wahrscheinlich war er zu müde und zu faul nach der langen Nacht und der Suche nach den Schülern und wollte sich einfach nur einen Tag Ruhe gönnen. Jedenfalls hatte Xavier Zeit. Jede Menge und er wollte seine Pause mit etwas Nützlichem füllen. Er lief über den Schulhof, in seinen Händen Pfeile und Bogen und machte sich auf den Weg zum Übungsplatz. Wednesday würde er dort nicht finden. Sie saß nicht weit entfernt in einem der Kursräume und lauschte den Worten ihres Lehrers für Literatur und Sprachwissenschaften. 

Er zielte auf die Scheibe, starrte auf die Mitte, den roten Punkt. Er versuchte, langsam zu atmen, um seinen Schuss nicht zu verreißen. Doch mit einem Mal dachte er an Crackstone. An diese chaotische und verrückte Nacht, an den Moment, in dem sich Wednesday vor ihn geworfen hatte. Er senkte den Bogen wieder hinab.

Er hätte ihn getroffen. Crackstone. Sein Pfeil hätte ihn durchbohrt. Sein spontaner Schuss, mit dem er Wednesday retten, ihre helfen wollte, war nach hinten losgegangen. Und Xavier würde es sich nie verzeihen, dass sie verletzt wurde. Noch immer verwunderte es ihn. Jedes Mal aufs Neue kam es ihm wie ein Traum vor, dass Wednesday ihn gerettet hatte. 

Jolene Moody. Sie hatte ebenfalls keinen Unterricht. Ihre Stimme war laut, schrill und erinnerte ihn an seinen Alptraum: „Kannst du nicht schießen?“ Er sah nach rechts und erblickte sie, wie sie auf ihn zukam. Dieses Mal trug sie Handschuhe, sie waren knallrot und aus Leder. Er blickte nur kurz auf ihre Hände. „Ich darf nicht daneben schießen… darf mir keinen Fehler erlauben. Also setze ich immer wieder neu an…“ Er wusste genau, warum er es so handhabte. Er wollte nie wieder sein Ziel verfehlen, einen Fehler machen. Jolene kam näher: „Das klingt, als hättest du eine Mission… steht dir jedenfalls gut der Bogen. Ich bin gespannt…“ Sie wartete darauf, dass er schoss. Ihr inspizierender Blick, ihre unruhige Aura ließen ihn kalt. Er setzte neu an und traf die Scheibe genau in der Mitte. „Wow… du hast viele Talente… was mich gleich zu deinem Anderen bringt… weshalb ich hier bin.“ 

Xavier stellte den Bogen beiseite und sah sich um. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich unwohl, beobachtet und Jolenes Art half nicht wirklich dabei. Sie musterte ihn, als wäre er eine Mensch gewordene Attraktion, eine Herausforderung: „Was willst du?“ „Mein Vater weiß, dass du heute Vormittag frei hast… er will, dass du zu ihm kommst, mit den Portraits beginnst. Ich soll dich holen…“ Xavier stützte seine Hände in die Hüfte und starrte auf den Boden vor seinen Füßen. Ernst und genervt blickte er wieder hinauf zu ihr: „Und woher weiß er, dass ich Zeit habe?“ Jolene, die sich keiner Schuld bewusst war, antwortete selbstsicher: „Naja, ich habe es ihm gesagt… komm…“ Sie nickte in Richtung des Torbogens, der links von ihnen war, welcher sie direkt zum Büro des Direktors führen würde. Xavier schnappte sich seinen Bogen und marschierte los, ließ sie eiskalt stehen. So hatte er sich seine freie Zeit nicht vorgestellt und Jolene tippelte triumphierend hinter ihm her.

---

Wednesday gähnte, als sie die kuriosen Ansichten und übertriebenen Analysen ihrer Mitschüler zu Edgar Allen Poes Gedicht „Der Rabe“ hörte. Diese Interpretationen langweilten sie, war sie doch felsenfest der Meinung, dass man die wahre Intention eines Autors oder Dichters bezüglich eines seiner Werke nur erfahren könnte, würde man ihn höchstpersönlich dazu befragen. Gedichtanalysen waren für sie Zeitverschwendung und sie ließ ihren Blick schweifen, starrte hinaus aus dem Fenster und begann die Bäume zu zählen, die die Schule umringten. Dann sah sie ihn.

Augenblicklich setzte sie sich auf, um noch mehr zu erkennen. Xavier stand mit gezücktem Bogen auf dem Übungsplatz, der sich direkt unter den Fenstern des Kursraumes befand. Er zielte auf die Scheibe, die einige Meter von ihm entfernt stand. Sie musterte ihn, sah wie er zitterte, zweifelte und schließlich den Bogen wieder senkte. Sein Blick war ernst, beinahe enttäuscht starrte er ins Nichts, als würde er in seinen Gedanken verloren gehen.

Was ist los mit ihm? Warum schießt er nicht?

Und dann sah sie, wie die Tochter des Direktors näherkam. Jolene Moody. Noch nie hatte ein Name, eine Person, ein Mädchen sie so sehr gereizt. Sie krallte ihre Finger in das Holz ihres Tisches und ließ sie keine Sekunde aus den Augen. Sie redeten miteinander, Xavier sah nicht begeistert aus und Jolene war ganz im Gegenteil hocherfreut über irgendetwas. Schließlich sah sie, wie Xavier davonlief und sie ihm hinterher. Die Tatsache, dass er kaum gesprochen hatte und Jolene einfach so stehenließ, war nur ein kleiner Trost für Wednesday.

Sie fühlte, dass etwas nicht stimmte. Sie dachte augenblicklich zurück an den Moment vor dem Versteckspiel, als Jolene wie versteinert Xavier am Arm gehalten hatte. Ihr Blick wie der einer Verrückten. Wednesday war sich sicher, für den Tag hatte sie zwei Dinge, um die sie sich kümmern musste. Sie musste das Foto holen und mehr erfahren über Jolene Moody, die für ihren Geschmack ein viel zu großes Interesse an Xavier hatte.

Als die Stunde vorüber war und Mittagspause auf dem Plan stand, entschied sich Wednesday dazu, endlich tätig zu werden, über ihren Schatten zu springen. Mitten im Gang begann sie auf ihrem Smartphone herum zu tippen. Die vielen Schüler, die sich ihre Wege suchten, schuppsten sie immer wieder an. Doch es war ihr egal, sie musste handeln. Hier und jetzt.

Hallo Xavier. Bist du zum Mittag im Speisesaal? Vielleicht sehen wir uns. Wednesday.

Ajax und Enid würden beim Mittag zusammen essen, so viel stand fest. Und Xavier würde sie mit Sicherheit begleiten. Und die Bahn war frei.

---

Xavier und Jolene betraten das Büro des Direktors. Noch immer war er genervt und er wusste, seine Laune würde sich auch nicht so schnell ändern. „Ah da seid ihr ja… gut seht ihr aus.“, Moody musterte seine Tochter und Xavier. Dieser sah fragend hinüber zu Jolene, wollte wissen, ob sie sich genauso über die Begrüßung ihres Vaters wunderte, wie er selbst. Doch sie zeigte keine Regung, sah normal aus, beinahe glücklich.

Mr. Moody ging direkt zu Xavier und zog ihn am Arm in die Mitte seines Büros. Dort standen zwei Staffeleien, Leinwände waren aufgestellt, daneben befand sich ein kleiner Rollschrank mit Pinseln, Farben, Tüchern, Stiften und anderen Utensilien. Erstaunt blickte er über alle diese Dinge. „Ich möchte, dass du heute mit den Portraits beginnst… und wie du siehst, sind wir gut vorbereitet.“ Xavier staunte über die Auswahl an Materialien und nickte ihm nur zu. „Du kannst das alles gern behalten. Wie ich erfahren haben, hat die Polizei alles Nötige für deine Kunst einkassiert… als Beweismaterial… wirklich schlimme Sache, diese Festnahme und dabei warst du doch unschuldig.“ Er klopfte ihm beherzt auf die Schulter, sodass er beinahe umfiel. 

„Du kannst das alles hier stehenlassen… und wenn du möchtest, bekommst du noch eine Ausstattung für dein Atelier… na was meinst du?“ Xavier wusste nicht, ob er jubeln oder weinen sollte. Dieses Theater schien ihm merkwürdig und völlig unnötig. Seine Angst, zu versagen, nicht liefern zu können, stieg ins Unermessliche.

Andererseits freute er sich auch auf die Aufgabe und die Geschenke ebenso. Doch alles in allem wusste er, irgendwo war ein Haken. Versteckt, verschleiert und dazu bestimmt, von ihm entdeckt zu werden. Also sagte er zu. Nur so konnte er herausfinden, was die Moodys wirklich im Schilde führten: „Ich danke ihnen sehr für diese Gelegenheit. Wenn sie wollen, können wir gleich beginnen.“ Xavier zeigte in Richtung des Sessels und bat ihn mit einer Geste darum, dass er sich setzten sollte. „Nein nein, nicht mit mir… ich muss jetzt los. Wichtiges Meeting, wenn du verstehst. Aber du kannst gern mit meiner Tochter beginnen.“

Xavier schluckte und sah zu, wie sich Jolene beinahe in Zeitlupe auf den Sessel setzte. Mr. Moody schenkte ihnen ein Grinsen und machte sich in Windeseile auf den Weg. Xavier begann nervös alles genau unter die Lupe zu nehmen, bereite Farben und Pinsel vor und würdigte Jolene keines Blickes. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis er den ersten Pinselstrich machte. „Warum die Handschuhe?“, fragte er. Es interessierte ihn nicht wirklich. Jolene war überrascht und starrte auf ihre Finger. Ihre Antwort kam schnell: „Aus Angst vor Keimen…“

Xavier beließ es dabei, denn auf eine ausgelassene Unterhaltung mit ihr hatte er nun wirklich keine Lust. Er begann die Konturen zu malen, grob und krakelig. Immer wieder sah er zu ihr und es war die Hölle. Wednesday, sein Motiv, seine Komfortzone, seine Muse. Er dachte die ganze Zeit nur an sie, ihre starren Augen, die manchmal, wenn auch nur ganz kurz, aufflammten. Ihre weiße Haut, die im Mondlicht wie Glas schien. Ihr schwarzes Haar. Er würde sterben dafür, sie nur ein einziges Mal mit offenen Haaren zu sehen.

Jolene bemerkte, dass er abwesend war: „Du denkst an sie oder?“ Xavier, der nicht wirklich damit gerechnet hatte, dass sie mit ihm sprechen würde, konzentrierte sich auf seinen Pinsel, hatte kaum wahrgenommen, was sie gesagt hatte: „Wen meinst du?“ „Na Wednesday Addams…“, Jolene sprach den Namen mit einem Unterton aus, der Xavier ganz und gar nicht gefiel. Er senkte den Pinsel, der in seiner Hand zitterte. „Wie kommst du darauf?“ „Ihr habt euch doch zusammen versteckt oder nicht? Zumindest haben alle davon erzählt…“, sprach sie etwas zu laut.

Xavier wurde immer ernster: „Wenn das so erzählt wird, muss es wohl stimmen…“ Er wollte ihr nicht die Genugtuung geben und schwieg daraufhin. Die Stille wurde gestört, sein Smartphone vibrierte in seiner Tasche. Jolene bemerkte es auch. Er legte den Pinsel beiseite und sah nach. Aufgeregt las er ihre Nachricht. „Und ich bin sicher, dass sie dir gerade geschrieben hat…“, Jolenes Stimme, die immer unerträglicher wurde, störte ihn beim Lesen. 

Sie fragt, ob ich zum Essen komme?

Seine Augen blinzelten nervös auf die Uhrzeit. Es war bereits Pause, stellte er besorgt fest. Er stand urplötzlich auf und legte Farben und Pinsel ordentlich zurück in den Rollschrank. Das Gemälde ließ er einfach stehen. Jolene war alles andere als begeistert. „Aber wir haben doch gerade erst angefangen.“, schimpfte sie beinahe. „Tut mir leid, aber meine Pause lass ich mir nicht nehmen…“, gab er selbstbewusst zurück. „Das nächste Mal, wenn wir uns sehen, machen wir einen Zeitplan aus, in Ordnung?“, Xavier war heilfroh über die Nachricht. Sie hatte ihn aus dieser Misere gerettet. Und die Tatsache, dass Wednesday ihm geschrieben hatte, versetzte ihn in Hochstimmung. Jolene konnte nicht mehr tun, als ihn eilig davonlaufen zu sehen.

---

Nicht lange später leuchtete das Display ihres Handys auf.

Hey. Ich bin gleich da. Bitte warte auf mich. Xavier.

Ein schlechtes Gewissen machte sich in ihr breit. Es kroch aus ihrem Bauch hinauf in ihre Mitte. Wednesday spielte erneut ein Spiel mit ihm, das war ihr schmerzlich bewusst. Doch dieses Mal ging es nicht um Leben und Tod. Dieses Mal ging es um was weitaus Wichtigeres, ihre Gefühle. Die Gefühle, die fest verankert waren, in Stein gemeißelt, aber dennoch so schwer zu lesen, dass sie fast den Verstand verlor. Sie musste sich beeilen, nur so könnte sie das Foto zurückholen und danach noch schnell zum Speisesaal rennen, um ihn zu sehen. Und niemand würde es bemerken.

Als sie am Zimmer ankam, blickte sie hektisch nach links und rechts. Niemand war zu sehen. Kurz lauschte sie an der Tür, um sicherzugehen, dass auch wirklich niemand da ist. Sie öffnete schnell die Tür und ging hinein. Die Koffer waren allesamt ausgepackt und unter den Betten verstaut. Mittlerweile hingen auch schon ein paar wenige Skizzen auf Xaviers Seite an den Wänden. Ajax hatte ein Poster von einer Band über seinem Bett hängen, der Schriftzug des Namens war so verworren, dass sie es nicht einmal lesen konnte. Doch dafür war nun keine Zeit.

Sie huschte hinüber zu Xaviers Bett, kontrollierte den Nachttisch, das Bücherregal darüber. Schließlich ging sie hinüber zu seinem Schrank und dem Schreibtisch. Doch nirgends war das Buch zu sehen. Sie hob Kunst Magazine, Bücher und Papier an, um den Gedichtband darunter zu suchen. Schließlich erblickte sie einen Notizblock. Sie griff danach und drehte ihn zu sich. Die schwarzen, feinen Linien und nebelartigen Verwischungen zeigten ihr eine Schreibmaschine. Auf ihr lagen weiße, knochige Hände mit schwarzen Fingernägeln. Ihr Herz machte einen Aussetzer, nur um dann wie wild weiterzuschlagen. Sie sah auf ihre Hände und dann wieder zurück auf die Zeichnung.

Sogar den kleinen Leberfleck auf meinem Handrücken hat er gezeichnet…

Stellte sie berührt fest. Am liebsten hätte sie die Zeichnung mitgenommen, um endlich eines seiner Werke ihr Eigen nennen zu können. Der Gedanke daran ließ sie hinabsinken, ihre Augen waren immer noch fokussiert auf das Bild ihrer Hände. Sie ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Ihr wurde schmerzlich bewusst, was sie da tat. Wieder spionierte sie. Sie hatte ihn weggelockt, nur um wieder in sein Zimmer einzubrechen, in sein Leben einzudringen. Dieses Mal war es anders. Sie fühlte sich im Unrecht und unglaublich miserabel deswegen. Sie sprang auf und eilte zur Tür hinaus.

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