Suche Held, biete Phönix (FF...

By QuillDee

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Wie kommt jemand zurecht, der nach siebzig Jahren Kälteschlaf in eine völlig neue, ja fremdartige Umgebung ge... More

Vorwort
1 - Neue Ufer
2 - Erstens kommt es anders
3 - Erdbeer-Confit an Mandelschaum
4 - Von Kartoffelchips und anderen Errungenschaften
5 - Rache ist Blutwurst
6 - Wenn jemand eine Reise tut
7 - Manifestation
8 - Zwei Avenger sehen mehr als einer
9 - Home, sweet Home
10 - Lose Enden
11 - Der große Knall
12 - Zuflucht 2.0
13 - Was einmal war, verlässt uns nicht
14 - Ein Spätsommer in der Provence
15 - Oh what a Feeling this is
16 - Von alten Freunden, Halluzinationen und guten Ratschlägen
17 - Familiengeheimnisse
18 - Der Anker
19 - Von der Kunst des Nudelschlürfens
20 - Das perfekte Date
21 - Familienzusammenführung
22 - Rotes Blut, grauer Glibber und andere Körperflüssigkeiten
23 - Trouble in Paradise
24 - Im Netz der Hydra
25 - Neukalibrierung
26 - Die Hoffnung stirbt zuletzt
27 - Operation Feuersturm
28 - Heiß und Kalt
29 - Who am I
30 - Trigger und Reset
31 - Der fast normale Wahnsinn
32 - Weihnachten bei Bartons
33 - (K)ein Glückliches Neues Jahr
34 - Beziehungskisten und andere Probleme
35 - Zwischen den Stühlen
36 - Abrechnung
Kapitel 38
Epilog

37 - Phönix aus der Asche

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By QuillDee

Die Gelegenheiten, zu denen Steve Rogers das Gefühl hatte, Natasha Romanoff nicht uneingeschränkt vertrauen zu können, ließen sich an einer Hand abzählen. Dieses Mal war eine davon, und er war das erste Mal mehr als ungehalten darüber. Mehr noch, als das Gefühl, dass sie etwas verheimlichte oder sogar selbst in Yukis aberwitzigen Angriff auf Kobayashi und ihre anschließende Flucht verwickelt war, ärgerte er sich darüber, dass Direktor Fury allem Anschein nach überhaupt keine Zweifel an Natashas Geschichte hatte, die mehr Löcher aufwies als ein Schweizer Käse. Aber allem Anschein nach kam Fury ein einfacher Abschluss mehr als entgegen: keine offenen Fragen, kein Handlungsbedarf. Aber Natasha konnte doch nicht ernsthaft von Steve erwarten, dass er glaubte, Yuki habe sich ganz allein auf das Gelände geschlichen, nacheinander sechs erfahrene Männer außer Gefecht gesetzt und sich auf wundersame Weise eine Schlüsselkarte organisiert, die ihr den Zugang in die Zelle gewährte.

All das hatte die Agentin während jeder der Befragungen bestätigt und sich nicht ein einziges Mal in offensichtliche Widersprüche verstrickt, was bei einer ehemaligen Spionin nicht verwunderlich war. Zuletzt vor einer Stunde, da hatte er sie allein befragt, weil Fury einen dringenden Anruf von ganz oben hatte entgegen nehmen müssen. Die Logiklöcher ließen Steve keine Ruhe, und er verstand nicht, weshalb Fury, die Aussagen einfach so hinnahm, obwohl dieser einen alles andere als naiven Blick auf die Welt warf. Es konnte nur bedeuten, dass der Direktor einfach einen Haken an das Kapitel Yuki Leclerc machen wollte.

Steve hielt sich ein eiskaltes Glas Whiskey an die Stirn, in der Hoffnung die pochenden Kopfschmerzen damit etwas zu lindern. Seit seiner Teilnahme am Supersoldaten-Programm hatte er selten unter so banalen Wehwehchen gelitten wie jetzt. Leider half die Kühlung nicht, ebenso wenig wie die innerliche Anwendung des Whiskeys. Er gäbe ein Vermögen für etwas von Natashas Schwarzgebrannten, damit er sich heute Abend abschießen konnte, aber er würde den Teufel tun und sie fragen. Er nahm es ihr übel, dass sie nicht nur Fury etwas verheimlichte, sondern auch ihm, obwohl er mehr als jeder andere ein Recht auf die Wahrheit rund um Yukis Tat hatte. Bevor sie nicht ehrlich mit ihm war, wäre ihm ein freundschaftlicher und ungezwungener Umgang mit ihr nicht möglich. Er konnte nicht einfach so tun, als wäre nichts geschehen und zur Tagesordnung übergehen.

Er bestellte sich einen weiteren Drink und ging im Geiste wieder und wieder die Aufnahmen der Überwachungskameras rund um das Lagerhaus durch. Sie zeigten, wie Natasha mit den Wachen verschwunden war, um eine verdächtige Person auf dem Gelände aufzuspüren. Danach war nur zu sehen, wie Yuki Kobayashis Zelle betrat und zwei Stunden später die Flucht ergriff. Sonst war da nichts, überhaupt nichts. Jemand musste ihr verraten haben, wie sie die meisten Kameras umgehen konnte. Dass Natasha sich von den Männern getrennt hatte und jeder von ihnen einzeln in irgendeinem toten Winkel niedergeschlagen und betäubt worden war, kam ihm ebenfalls äußerst seltsam vor.

Noch seltsamer war es, dass sie stundenlang durch einen Betäubungscocktail schachmatt gesetzt worden waren, dessen Bestandteile auf den FSB, den russischen Geheimdienst hindeuteten. Das war der Beweis, dass Yuki Unterstützung gehabt hatte.

Aber wer hatte ihr geholfen, S.H.I.E.L.D. zu hintergehen, und was noch viel schwerer wog, ihn zu hintergehen? Und was für ein Interesse hatten die Russen an der ganzen Sache?

Natasha hatte sich bei jeder dieser Fragen in eisernes Schweigen gehüllt, während sie ruhig da saß und ihn mit einem unergründlichen Gesichtsausdruck bedachte, der seine Geduld auf eine harte Probe stellte. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass sie an diesem Komplott beteiligt war. Nur konnte er ihr das nicht nachweisen, mangelnden Enthusiasmus bei der versuchten Festnahme jedoch schon. Auf den Videoaufnahmen konnte er klar erkennen, dass die Widow nicht ihr Bestes gegeben hatte. Sie war eher lustlos hinter Yuki hergerannt, nicht halb so motiviert wie ein altersschwacher Boxchampion seinen Titel verteidigt hätte. Die Verfolgungsjagd war in seinen Augen eine reine Farce gewesen. Eine Farce, die trotzdem mit Yukis Tod geendet hatte.

Steve stürzte das vierte Glas auf einmal hinunter.

Der Gedanke, Yuki dieses Mal wirklich für immer verloren zu haben, wäre unerträglich gewesen, wenn er nicht schon die ganze Konstellation überhaupt in Zweifel gezogen hätte. Konnte sie wirklich tot sein? Das gesammelte Bildmaterial sprach eine deutliche Sprache: Er hatte gesehen, wie Yuki in wilder Flucht vor Natasha davon lief, als wäre der Leibhaftige hinter ihr her. Natasha hatte mehrmals daneben geschossen, wofür er sehr dankbar war, auch wenn es ihn bei der sonstigen Treffsicherheit der Agentin sehr wunderte. Doch dann hatte sein Herz einige Schläge lang ausgesetzt, als Yuki zielstrebig auf das Geländer der Highwaybrücke zu hielt, ohne auch nur ein bisschen abzubremsen, und fand erst dann wieder zu einem unregelmäßigen Rhythmus zurück, nachdem sie ohne zu zögern darüber hinweg geflankt und in die Tiefe verschwunden war. Danach war nur noch Natasha zu sehen, wie sie sich am Brückengeländer festhielt und so weit wie möglich nach außen lehnte, um ebenso fassungslos wie Steve nach unten zu starren.

Eigentlich eine eindeutige Sache also, doch in der Tiefe seines Herzens wollte er über Yukis Ableben getäuscht werden und begrüßte es, dass sein analytischer Verstand ihm verbat, die Augen vor anderen Tatsachen zu verschließen. Tatsachen wie derjenigen, dass keines der Teams ihre Leiche im Potomac unter der Brücke gefunden hatte. Auch nicht, nachdem die Suche kilometerweit flussabwärts ausgeweitet worden war. Und bei dem Gedanken, dass Natasha entgegen ihrer Gewohnheit wirklich keinen einzigen Treffer gelandet hatte, frohlockte Bucky in seinen Gedanken: „Geschickt eingefädelt, so wird niemand mehr nach ihr suchen!"

Sein alter Freund ließ sich jedoch nicht dazu herab, sich zu materialisieren. Steve hätte erleichtert über diesen Hoffnungsschimmer sein müssen, doch stattdessen türmten sich nur noch mehr Fragen auf, die seinen Kopf zum Zerbersten bringen wollten: Wo war sie jetzt? Sie konnte nicht spurlos verschwunden sein, wie vom Erdboden verschluckt. Warum hatte sie sich vom FSB helfen lassen, und was, in Gottes Namen, musste sie als Gegenleistung dafür tun?! Was kein Whiskey der Welt zu bewerkstelligen vermochte, erledigte der Wust an losen Fäden: Ihm schwindelte, und alles drehte sich. Am schlimmsten war, dass die Person, die ihn aufklären und dem ein Ende setzen konnte, keine Anstalten dazu machte und sich weiter verschlossen gab wie eine Auster.

So oder so, der Laden hier schloss in wenigen Minuten, und er musste sich der Leere in seinem Quartier stellen. Was die kommenden Tage anging, würde er sie, einen nach dem anderen hinter sich bringen, weil ihm gar nichts anderes übrig blieb, als weiter zu machen. Die Welt brauchte ihn, mehr denn je. Spätestens seit Aliens auf der Erde gelandet waren, brauchte er sich in dieser Sache gar nicht erst etwas vor machen.


Alles hatte wie am Schnürchen geklappt, sodass Yuki sich wie geplant als Jenna Kimura eine Bleibe auf Phuket suchen konnte. Sie hatte sich entschieden, dort leben, wo sie einen der schönsten Familienurlaube mit Maman und Papa verbracht hatte, an einem Ort, der einerseits so umtriebig war, dass ein neues Gesicht kaum Aufsehen erregen würde, und der andererseits nicht komplett überlaufen. Sie hatte seit Silvester mit Menschenmengen und Lärm massive Probleme. So war es nicht verwunderlich, dass ihre Wahl auf einen kleinen Bungalow bei Kamala Beach gefallen war. Der Strand war geringfügig weniger gut besucht als Patong, und das Häuschen stand ein gutes Stück abseits der Hauptbucht und bot ein bisschen Ruhe. Auf Meerblick musste sie trotzdem nicht verzichten. All das hatte zusammen mit dem erschwinglichen Preis den Ausschlag gegeben. Dass die Ausstattung dafür schlicht gehalten war, hatte sie nicht gestört – fließend Wasser und eine einfache Sanitäreinrichtung, das war genug. Sogar ein klappriges, aber fahrtüchtiges Fahrrad hatte sie in einem Schuppen hinterm Haus gefunden. Sie hatte ihr neues Zuhause mit einem Teil des Bargelds angezahlt, das sie mitgenommen hatte, und dem Himmel insgeheim dafür gedankt, dass sie damit durch den Zoll gekommen war. Heute wollte sie mit dem Rad nach Patong zur Bank fahren und den noch ausstehenden Betrag abheben. Ein Gehalt hatte sie zwar noch nicht, doch die Stiftung hatte ihr bei der Siam Commercial ein Konto eingerichtet und eine kleine Summe darauf hinterlegt, die der neuen Geschäftsführerin als einmaliger Zuschuss für Wohnstatt und erstmalige Einrichtung derselben Verfügung stehen sollte.

Es war für alles gesorgt, und sobald ihre Wohnsituation geklärt wäre, und noch viel wichtiger die Aussprache mit Steve stattgefunden hätte, konnte sie sich ihrer Hauptaufgabe für die Leclerc'sche Stiftung widmen. Es würde im Wesentlichen darum gehen, die Elefanten-Auffangstationen der Insel zu unterstützen. Die Tiere sollten nicht mehr als Touristenattraktionzum Reiten oder Fütterung zur Verfügung gestellt werden müssen. Diese Herausforderungwar genau das Richtige, ganz egal, wie Steve und sie auseinandergehen würden. Zuversichtlich machte sie sich auf den Weg und trat voller Tatendrang in die Pedale. Nach wenigen Kilometern auf der nach Süden führenden Küstenstraße musste sie sich jedoch mehr und mehr auf den Verkehr konzentrieren. Die Straße war stark befahren und kurvenreich, es gab keine Spur von einem befestigten Randstreifen, geschweige denn von einem anständigen Radweg. Mehrfach war sie knapp einem Zusammenstoß mit dem einen oder anderen Fahrzeug entronnen, und der Schweiß stand ihr nicht nur wegen der Temperatur von knapp dreißig Grad auf der Stirn.
Sie war erleichtert, als es ein Stück bergab ging und die Straße wieder ein wenig breiter wurde. Ihre Gedanken schweiften ab, drehten um die Stiftung, deren Ziele, und wie sie diese am besten erreichen konnte. Sie drehten sich ebenso, wie sollte es auch anders sein, um Steve. Ob er ihr überhaupt zuhören würde, wenn sie ihn nach dem Termin in der Bank anrief? Würde er ihre Beweggründe am Telefon verstehen? Vielleicht sollten sie sich treffen, denn Yuki hatte es früher schon unmöglich gefunden, wenn eine Beziehung auf so unpersönliche Weise beendet wurde. Es war besser, sich dabei in die Augen zu sehen, beschloss sie. „Aber was mache ich, wenn er das nicht will?", fragte sie sich und wurde jäh durch lautes Hupen in die Realität zurück katapultiert.

Sie war in einer Linkskurve auf die Gegenfahrbahn geraten und konnte dem hupenden Kleinwagen gerade noch so ausweichen. Noch während sie den Linksverkehr und ihre eigene Unachtsamkeit verfluchte, sah sie das nächste Fahrzeug wie in Zeitlupe auf sich zukommen.

Der Fahrer des Geländewagens war nicht mehr als ein wild gestikulierender Schemen hinter einer spiegelnden Windschutzscheibe. Sie befand sich wohl immer noch ein Stück weit auf der falschen Spur und riss den Lenker weiter herum, der daraufhin quietschend protestierte. Sekundenbruchteile später war sie wieder über den Mittelstreifen auf die eigene Fahrbahn zurückgekehrt und sah sich nach dem dunkelgrünen Jeep um.

„Puh, nochmal Glück gehabt!"

Doch bevor sie diesen Gedanken noch zu Ende denken konnte, spürte sie einen Ruck, der von einem blechernen Krachen begleitet wurde, gefolgt vom Geräusch quietschender Bremsen. Der Jeep musste inletzter Sekunde ihr Hinterrad gestreift haben. Noch immer lief alles starkverlangsamt ab. So sah sieihrem hinteren Schutzblech dabeizu, wie es über den dicht bewachsenen Steilhang bis in das tiefblaueMeer darunter segelte.

Als es gegendie gleißenden Reflexionen der Wellen kaum noch auszumachen war, vergingen die Minuten wieder inder ihnen angestammten Geschwindigkeit. Das Unterholz rasteauf sie zu. Mehr instinktiv als bewusst schütztesie mit den Unterarmen das Gesicht und rollte sich gleichzeitig zu einer Kugelzusammen. Es tatnicht weh, als sie als sie durch das Gebüsch brach, krachte nur ohrenbetäubend.Merkwürdigerweise blieb sie während der ganzen Zeit vollkommen ruhig. Banners Pulsmessgerät,würde wenig mehr als fünfzig Schläge pro Minute anzeigen, eine vorbildlicheSelbstkontrolle, auf die erwäre stolz wäre. Dannjagte nur noch ein der Überreizung geschuldeter Gedankenfetzen über ihren Horizont: Da war sie Hydraentkommen, hatte Kobayashi, Carpenter und die Blues Brothers überlebt, nur umhier durch einen banalenVerkehrsunfall zu Tode zu kommen, weil sie mit den Gedanken wo anders gewesen war.

‚Klasse gemacht, Leclerc. Große Klasse.'

Ein harter Gegenstand traf sie am Kopf.

Um genau zu sein, traf sie mit dem Kopf auf etwas sehr Hartes.

Den Aufprall auf die Wasseroberfläche, der ihr die Atemluft aus der Lunge presste, bekam sie schon nicht mehr mit.

✮✮✮✮✮✮

Natasha Romanoff war sauer. Nicht auf Fury oder auf Steve, nicht einmal auf Yuki, die der Auslöser für den ganzen Ärger war. Sie war wütend auf sich selbst, weil sie Hanzo angewiesen hatte, Yukis neue Identität und ihren Aufenthaltsort auch vor ihr geheim zu halten. Was ihr anfangs wie eine gute Idee erschienen war, weil sie so gar nicht erst in Versuchung geführt wurde, Fury etwas zu verraten. Doch jetzt, wo Yuki es nicht für nötig hielt, sich an den wichtigsten Teil ihrer Abmachung zu halten, und Steve in der Luft hängen ließ, hätte sie sich für ihre Gutgläubigkeit ohrfeigen können. Und sie wollte diesem Gör den Arsch versohlen.

Der Schneesturm, der New York seit einigen Tagen fest im Griff hatte, trug nicht dazu bei, ihren Gemütszustand zu verbessern. Die Agentin betrat denkbar missgelaunt den Schießstand, schüttelte ein Kilo Schneeflocken aus den Haaren und blieb auf dem Absatz stehen. Steve Rogers war schon dort und feuerte eine grimmige Salve nach der anderen auf die harmlose Schießscheibe ab, und ihre Laune erreichte ihren Tiefpunkt. In der letzten Woche hatte er sich die ganze Zeit über gut gehalten, sogar ihr gegenüber verhielt er sich normal, obwohl sie wusste, dass er sich quälte und ihr zumindest eine Teilschuld an dem Schlamassel gab. Selbst jetzt, wo er sich unbeobachtet wähnte, war seine innere Unruhe fast nicht zu bemerken. Nur die schmalen Lippen und die verkrampfte Steifheit in seinen breiten Schultern verrieten ihr, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie drückte den Rücken durch, so ging es einfach nicht weiter.

„Hey! Hast du einen Moment? Wir müssen reden!"

Er entsicherte die Waffe, legte sie ab und verzog einen Mundwinkel zu einem verunglückten Grinsen.

„Ich hatte immer damit gerechnet, dass Yuki diesen Satz eines schönen Tages sagt und Schluss mit mir macht. Das von dir zu hören, ist irgendwie komisch." Er lachte freudlos, und sie krümmte sie sich innerlich, hoffte, dass niemand von den anderen Trainierenden sah, wie sehr er sie damit traf. Der glatte Durchschuss durch die Hüfte von vor sechs Jahren hatte nur unwesentlich mehr geschmerzt.

„Komisch komisch oder merkwürdig komisch?"

Das brachte ihr nur ein entnervtes Augenrollen ein. Der Versuch, die Stimmung aufzulockern, war kläglich gescheitert.

„Ich meine es ernst, da ist etwas, das ich dir sagen muss. Lässt du mich jetzt endlich, oder soll ich mich auf den Boden werfen und um Verzeihung bitten, bevor du weißt, wofür?"

Steve seufzte ergeben und deutete auf die kleine Sitzgruppe im Vorraum zum Schießstand, wo sie schließlich Platz nahmen. Er forderte sie mit einer Handbewegung dazu auf zu sprechen, und sie erzählte ihm alles: Von dem Tag, an dem sie Yuki dabei ertappt hatte, wie diese versucht hatte im Hauptquartier herum zu schnüffeln, und wie sie beschlossen hatte, diesem Greenhorn zu helfen. Sie erläuterte ihm, dass es der einzige Weg war, den sie beide gesehen hatten, wie Yuki sich mental aus Kobayashis Griff befreien konnte, und schilderte ihren Plan bis ins Detail. Als sie zu dem Teil kam, an dem ihr Kontaktmann Hanzo vermeldet hatte, dass Yuki sicher in ihrem neuen Leben angekommen war und es ihr jetzt aller Wahrscheinlichkeit nach gut ging, freute sich insgeheim zu sehen, wie Steves Schultern sich entspannten.

„Wer ist dieser Hanzo eigentlich, und will ich das überhaupt wissen?", fragte er leise.

„Das willst du nicht. Aber ich versichere dir, dass er mir eine Menge Gefallen schuldet und dass ich ihm genauso vertraue wie jedem von uns Avengers."

Er begutachtete die Maserung des Tisches so konzentriert, als hinge sein Leben davon ab, und Natasha hielt sich zurück. So erleichtert er sein musste, endlich Klarheit zu haben, die neue Sachlage musste auch ein Supersoldat erst einmal sacken lassen. Als die Minuten sich zu Stunden auszudehnen schienen, hielt sie es nicht mehr aus und hakte nach: „Verstehst du, warum sie das tun musste? Dass sie gar keine andere Wahl hatte?".

„Schon irgendwie. Aber warum hat sie nicht mit mir darüber gesprochen? Sie hat wohl nicht geglaubt, dass ich ihr helfen kann." Er schwieg und blauen Augen schimmerten verdächtig feucht.

,Blyat, fang bloß nicht an zu weinen, Kumpel', beschwor ihn Natasha in Gedanken. ,Ist voll okay, wenn ihr Kerle auch Gefühle zeigt, aber ich bin mies im Trostspenden.'

„Ich war wohl nicht genug." Als er das sagte, klang er zwar heiser, doch ansonsten blieb alles trocken, keine Überschwemmungin Sicht. Eine Absolventin des roten Raums war auch für kleine Gaben dankbar.

Trotzdem fühlte sie sich genötigt, darauf zu antworten: „Es liegt nicht an dir. Manchmal sind die seelischen Narben so schlimm, dass alles andere dagegen verblasst. Sie liebt dich, Mann. Aber das ..."

Sie wurde von einem unmelodischen Getöse unterbrochen. „... genügt vielleicht nicht", vervollständigte ihren Satz, während sie nach der Lärmquelle Ausschau hielt. Steve angelte sein Handy aus seiner Hosentasche, und sie zog eine Augenbraue hoch. Niemand, den sie kannte, verzichtete darauf, sein Mobiltelefon zu personalisieren, und beließ es bei dem Standardklingelton. Mit diesem alten Mann musste sie bei Gelegenheit einmal darüber sprechen, wie absolut unzeitgemäß er unterwegs war.

Das bleiche Gesicht ihres Gegenübers war ein untrügliches Zeichen dafür, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür war. Wenn Yuki sich am anderen Ende der Leitung befand, hatte diese sich verdammt lange Zeit gelassen, und Natasha setzte sich auf ihre Hände, um Steve nicht das Telefon zu entreißen und ihrem Ärger Luft zu machen. Das stand ihm allein zu.

Stattdessen hörte er ungefähr zehn Minuten lang nur zu, ohne auch nur einen Muskel zu rühren, bis er mit einem unterdrückten Fluch auf den Lippen auflegte.

„Und, war sie das?" Sie bemühte sich nach Kräften, gleichgültig zu klingen.

„Ja, und sie hat sich nicht früher gemeldet, weil sie... ähm... verhindert war."

„Na, wenn sie das sagt."

„Spar dir den Sarkasmus, ich sehe dir doch an, dass du auch erleichtert bist. Ich sag's auch nicht weiter, wenn du mir jetzt den Rücken deckst."

Natasha verschränkte demonstrativ die Arme, lachte aber dabei.

„Dass ausgerechnet du versuchst, mich zu erpressen. Ich habe wohl einen schlechten Einfluss auf dich. Worum geht es?"

Da war es wieder, das Lächeln das alle Frauen ab sechzehn Jahren aufwärts, anwesende Agentinnen ausgenommen, in sabbernde Halbidiotinnen verwandelte.

„Sie will mich treffen. Schätze, was sie zu sagen hat, erfordert ein persönliches Gespräch, und ich muss sie unbedingt sehen."

„Und ich soll Fury hinhalten, falls er nach dir fragen sollte."

„Du hast es erfasst."

Natasha knuffte Steve in die Schulter und schob ihn zur Tür hinaus.

„Dann mal los, Tiger. Und bestell ihr schöne Grüße von mir." Er schnappte sich seine Jacke von der Garderobe und wandte sich zum Gehen, kam jedoch nicht weit, weil sie ihn mit all der ihr zur Verfügung stehenden Kraft am Ärmel zurückhielt.

„Bevor ich es vergesse: Dir ist doch klar, dass ihr nicht mehr zum Status quo zurückkehren könnt – und dass Fury auf gar keinen Fall von dieser Sache erfahren darf?"

Das Lächeln von vor wenigen Minuten war wie weggewischt. Natasha Romanoff bereute trotzdem nicht, das Wort noch einmal an ihn gerichtet zu haben. Aus irgendeinem Grund lag ihr Yukis Wohl am Herzen, und sie wollte ganz sichergehen.

Steve antwortete nach einer kurzen Pause.

„Klar, er könnte gar nicht anders, als sie einzusperren. Ich bin vielleicht von vorgestern, aber kein völliger Trottel."

Als Captain America endgültig das Gebäude verließ, salutierte Black Widow. „Jawohl, Captain. Halt die Ohren steif!", rief sie, wusste aber in der gleichen Sekunde, dass er sie nicht mehr hörte, weil der Blizzard, der durch die Straßenschluchten des Big Apple fegte, ihr jedes ihrer Worte direkt von den Lippen stahl und verschluckte.

✮✮✮✮✮✮

Wie die meisten Menschen hasste Yuki es, in einem Krankenhaus festzusitzen, mit reichlich Zeit, aber ohne die Möglichkeit, das zu erledigen, was wichtig war. Umso mehr, als sie in einer kleinen Klitsche gelandet war, in der kaum jemand englisch sprach. Kaum zu glauben, auf einer Urlaubsinsel, doch leider wahr. Aber sie wusste auch, dass sie verdammt viel Glück gehabt hatte, weil sie so schnell nach ihrem Unfall von einem Ausflugsboot aufgelesen und in ein Krankenhaus gebracht worden war. Ohne Ausweispapiere, die wahrscheinlich samt Umhängetasche noch irgendwo im Unterholz oberhalb des Strandabschnitts herum lagen, war sienatürlich nicht in einerder schicken privaten Einrichtungen gelandet, sondern in eine kleinere öffentliche Klinik. Wo man sehr bemüht und liebenswürdig war, aber nur wenig mehr als die Landessprache beherrschte. Sobald sie hier raus war, stand Thailändisch zu lernen ganz oben auf Yukis Prioritätenliste.

Als sie nach zwei Tagen zum ersten Mal das Bewusstsein wieder erlangte, hatte die vierschrötige Oberschwester ihr jedenfalls auch ohne ausreichend Thaikenntnisse deutlich gemacht, dass sie noch einige Tage zur Beobachtung bleiben müsse. Anfangs hatte sie ihr sogar untersagt, das Bett zu verlassen, auch wenn Yukis bescheidener Meinung nach, nichts dagegen gesprochen hätte. Sie hatte nur mäßige Kopfschmerzen, leichten Schwindel und einige Prellungen davongetragen, kaum der Rede wert, doch Schwester Charunee, war nicht zu erweichen gewesen.

Nach weiteren zwei Tagen war wenigstens eine junge Ärztin zur Visite erschienen, die sie in fast akzentfreiem Englisch darüber aufklärte, dass sie aller Voraussicht nach nur unter einer leichten Gehirnerschütterung litt und eigentlich schon entlassen werden könnte. Doch Dr. Nakpradith wies sie darauf hin, dass sie zuvor die Krankenhausrechnung begleichen müsse.

„Da man bei Ihnen keinen Ausweis gefunden hat, akzeptiert dieses Haus nur Barzahlung. Können Sie nicht jemanden herbestellen, der bezahlt oder Ihre Identität bestätigt?"

Yuki schüttelte entmutigt den Kopf.

„Dann bleibt nur der Weg über die Botschaft oder die Polizei, die den Unfall vielleicht aufgenommen und ihre persönlichen Sachen gefunden hat", sagte Dr. Nakpradith. „Sie können gerne von meinem Apparat aus anrufen. Aber das hat ja noch etwas Zeit."

,Na toll', dachte Yuki. ,Wenn ich mich Hanzos Rat entsprechend bedeckt halten will, kann ich da nicht anrufen. Merde, aber wahrscheinlich komme ich nicht drum herum.' Sie hoffte inständig, dass der Verkäufer des Häuschens über ausreichend Geduld verfügte. Nicht dass er es sich anders überlegte, nur weil er die noch ausstehende Summe noch nicht wie geplant erhalten hatte. Missmutig stocherte sie in einer Art Pudding herum und zwang sich schließlich, ihn ganz aufzuessen – Schwester Charunee hatte zwar Zigarettenpause, beobachtete sie aber vom Innenhof aus mit Argusaugen.

Diese Frau verstand keinen Spaß, wenn es darum ging, über ihre Schutzbefohlenen zu wachen. Zu deren Wohl war ihrer unumstößlichen Meinung nach erstens Bettruhe und zweitens regelmäßige und ausreichende Nahrungsaufnahme unabdinglich, egal wie unappetitlich besagte Nahrung war. Yuki hob den letzten Löffel des Glibbers, lächelte der Frau gequält zu und kultivierte ihre schlechte Laune. Sie hatte keine Ahnung, dass nur eine halbe Stunde später jemand in das Sechs-Bett-Zimmer kommen und ihre Karten neu mischen würde.

Wie sich herausstellte, war dieser Jemand niemand anderes als der Unfallfahrer, der sich furchtbare Vorwürfe machte. Er war ohne Führerschein gefahren und hatte deswegen nicht die Polizei gerufen. Er sprach ausreichend gut Englisch und entschuldigte sich unentwegt, obwohl Yuki ihm mehrmals versicherte, dass sie ja eigentlich selbst schuld war und ihm nichts nachtrug.

„Außerdem haben Sie da etwas für mich, das meine Rettung ist!", rief sie aus und deutete auf ihre Tasche, die er achtlos auf dem Schoß liegen hatte.

„Oh, das hätte ich fast vergessen. Ich habe sie auf der Straße gefunden, das Fahrrad ist leider Schrott. Aber ich habe die Teile aufgesammelt, falls Sie noch etwas damit anfangen können."

Yuki unterdrückte den Drang, sich die Tasche zu schnappen und nach Geld und Ausweis zu suchen, und wartete, bis er sie ihr nach einer gefühlten Ewigkeit endlich reichte. „Wie haben Sie mich überhaupt ausfindig gemacht, wenn sie gar nicht bei der Polizei waren?", fragte sie beiläufig. Dass sie ganz froh über seine Entscheidung war, weil sie auf keinen Fall auf irgendeine Weise aktenkundig werden wollte, musste er ja nicht wissen.

„Ich habe gesehen, wie der Bootsführer Sie aus dem Wasser gefischt hat. Leider hat die Reederei ihren Sitz auf dem Festland, und ich konnte nicht gleich nachfragen. Aber meine Frau hat mir abends erzählt, dass der Schwager ihrer Kollegin dort arbeitet, und ich konnte mich über ihn durchfragen bis zu dem Skipper, der sie hier hergebracht hat."

Manchmal meinte das Universum es wirklich gut mit ihr, ungeachtet aller Steine, die es ihr im letzten Jahr in den Weg gelegt hatte. Der Mann verabschiedete sich, und Yuki durchwühlte ungeduldig ihre Tasche. Es war alles da: Ausweis, Smartphone und Bargeld, das für die Krankenhausrechnung ausreichen würde. Als sie realisiert hatte, dass ihre Zukunftsaussichten sich weitaus weniger düster darstellten, wie es noch vor wenigen Stunden den Anschein hatte, fiel ihr auf, dass sie den Mann gar nicht nach seinem Namen gefragt hatte.

✮✮✮✮✮✮

Das Erste, was Yuki nach dem unerfreulichen Zwischenspiel in Patong erledigte, war, sich das Geld zu besorgen, das sie für den Abschluss des Hauskaufs benötigte, und sich beim Verkäufer zu melden. Dieser hatte sich verständnisvoll gezeigt und war einverstanden, sich am gleichen Nachmittag mit ihr zur Geld- und Schlüsselübergabe zu treffen. Gleich als Zweites hatte sie allen Mut zusammengenommen und einen längst überfälligen Anruf zu getätigt, für den sie sich eigens eine ruhige Ecke eines Parks ausgesucht hatte, wo sie unbeobachtet würde telefonieren können. Es lastete schon genug Druck wegen des bevorstehenden Gesprächs auf ihr, da konnte sie auf fremde Zuschauer gut und gerne verzichten. Im Nachhinein waren ihre Bedenken jedoch ganz umsonst gewesen. Sie hatte aus Steves Stimme nichts außer grenzenlose Erleichterung heraus gehört, und er war sofort mit einem Treffen in Thailand einverstanden gewesen. Sie hatte sich trotz anfänglicher Zweifel dafür entschieden, ihn direkt nach Kamala Beach einzuladen, anstatt einen neutralen Treffpunkt in sicherer Entfernung vorzuschlagen. Es war ihre tiefe Überzeugung, dass er sie nie an Fury verraten würde. Natashas Paranoia hatte nicht auf sie abgefärbt, jedenfalls nicht was Steve anging.

Nachdem die wichtigsten Punkte abgehakt waren, hatte sie noch etwas Zeit, in der sie in verschiedenen Möbelhäusern in und um Patong ihre neue Einrichtung zusammenstellte. Nicht alles war gleich lieferbar, doch ein gemütliches Bett samt Matratzen, Kissen und Bettwaren würden noch am Abend nach Kamala gebracht werden. Um eine Küche würde sie sich ein anderes Mal kümmern müssen, wenn sie rechtzeitig zur Schlüsselübergabe zurück sein wollte.

Die Rückfahrt gestaltete sich reibungslos, was daran lag, dass sie sich eine Mitfahrgelegenheit auf einem Tuktuk organisiert hatte. So war sie erstens schneller und zweitens sicherer unterwegs, als mit einem Fahrrad. Nicht für Geld und gute Worte würde sie sich hier je wieder auf einen Drahtesel schwingen. Das Geschnatter der anderen Fahrgäste nahm sie wie Hintergrundrauschen wahr und sah ruhig zu, wie Kokospalmen und Bananenstauden am Straßenrand vorbei zogen. Doch die zur Schau gestellte Ruhe täuschte. Auch wenn an diesem Vormittag alles glatt gelaufen war, so richtig entspannen konnte sie erst, wenn der Kaufvertrag unter Dach und Fach war. Nein, das stimmte so nicht ganz. Der Moment, vor dem sie sich am meisten fürchtete, rückte in Gestalt eines sehr menschlichen Superhelden näher. Erst wenn klar war, wie sie zueinander standen, würde sie endgültig mit der Vergangenheit abschließen können. Vielleicht nicht einmal dann.

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