Ace - guns, drugs and love

By Cupid42hearts

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... „Ich hätte ehrlich zu dir sein müssen" ... In Aces Leben herrscht Chaos. Überall, wo er hinsieht, erkennt... More

Vorwort
1 - A
2 - A
3 - A
4 - A
5 - A
6 - A
7 - A
8 - A
9 - A
10 - A
11 - A
12 - A
13 - A
14 - A
15 - A
16 - K
17 - A
18 - A
19 - A
20 - A
21 - A
22 - A
23 - A
24 - A
25 - A
26 - A
27 - A
28 - A
29 - A
30 - A
31 - A
32- A
33 - A
34 - A
35 - A
36 - A
37 - A
38 - A
39 - A
40 - A
41 - A
42 - A
44 - A
A- 45
46 - A
47 - A
48 - A
49 - A
50 - A
51 - A
52 - A
53 - A
54 - A
55 - A
56 - A
57 - A
58 - A
59 - A
Epilog

43 - A

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By Cupid42hearts

Es überrascht mich kein Bisschen, dass Karim verschwunden ist, als ich aufwache.

Es gibt keinen Grund für ihn, sich in meiner Wohnung aufzuhalten. Wir wissen beide, dass ich es nicht schaffen werde, ihn vorsätzlich umzubringen. Ich habe keine Ahnung wieso, aber ich schaffe es nicht. Ich kann nicht einmal darüber nachdenken, wie ich das Leben aus seinem Körper zerren würde. Ich kann mir nicht überlegen, was ich mit der Leiche machen würde. Ich kann mir nicht vorstellen, wie eine Welt ohne ihn aussehen sollte.

Es ist gut, dass er weg ist. Egal, ob es seine Anwesenheit war, die alles in mir durcheinandergebracht hat, oder sein Timing. Ich muss mich auf das Wesentliche konzentrieren: Anda.

Sie wird sich wundern, mich an zwei Tagen in Folge zu sehen. Und noch mehr über den enormen Blumenstrauß, den ich ihr mitbringe.

Ich erwische genau die Zeit zwischen Physiotherapie und Mittagessen. Die Therapeutin klärt mich darüber auf, dass Andas Muskeln weiterhin normal funktionieren und sie keinerlei Widerstand zeigt, die angeleiteten Bewegungen auszuführen. Obwohl das aus ihrem Mund positiv klingt, bin ich mir nicht sicher, ob das wirklich ein gutes Zeichen ist.

„Ach, und vorher war ein junger Mann hier. Ich musste ihn wegen der Behandlung des Zimmers verweisen, aber er meinte, er kommt in etwa einer Stunde wieder." Sie blickt kurz auf die Uhr, ehe sie hinzufügt: „Das dürfte etwa in zehn Minuten sein."

Ich bedanke mich für die Information und sehe dabei zu, wie sie das Zimmer verlässt.

Ich sollte mich langsam darum bemühen, mir ihren Namen zu merken. Sie kümmert sich jetzt schon seit fast zwei Jahren um meine Schwester. Jedes Mal, wenn ich ihr begegne, erklärt sie mir, was sie gemacht hat und was das bringen soll. Sie wirkt immer so zuversichtlich. Dabei weiß sie genauso gut wie ich, dass in Andas Fall wenig Hoffnung besteht. Das haben die Ärzte gesagt.

Manchmal frage ich mich, ob ich mich bei Jan melden sollte. Er hat immerhin dafür gesorgt, dass Anda behandelt werden kann. Wer genau dafür bezahlt, weiß ich nicht. Mir war bis jetzt nur wichtig, dass Anda gut untergebracht.

Nun, als ich die Zeit habe, bei ihr zu sein, erlaube ich mir den Gedanken, Jan zu fragen, ob er dafür sorgen kann, dass weitere Therapien für Anda finanziert werden. So, dass sie nicht mehr nur am Leben erhalten wird, sondern sich vielleicht zurück kämpfen kann.

„Karim ist mir gestern Abend über den Weg gelaufen", erzähle ich Anda, während ich mich neben setze. Ihr Stuhl steht wie so oft vor dem Fenster. Die Aussicht ist grottenhässlich – Der Parkplatz und dahinter unbewachsene Felder – aber vielleicht muss man nur lange genug hinsehen, um etwas darin zu erkennen. „Ich schätze, er wollte dich vorhin besuchen, bevor er sich wieder verpisst."

Ich lege die Blumen auf das Fensterbrett, direkt in Andas Blickfeld.

„Er ist der letzte Name auf meiner Liste. Alle anderen sind tot."

Ich rutsche zu ihr auf, um ihre Hand in meine zu nehmen, spure keinerlei Wiederstand, als ich sie zu meinen Lippen führe, um ihre Finger zu küssen. „Ich habe sie leiden lassen, sowie ich es dir versprochen habe. Ein paar haben mich angefleht, sie endlich zu töten. Und Kaan hat sich selbst für ein paar Sekunden ohne Geschlechtsteile gesehen." Mir entkommt ein bitteres Lachen. „Ohne seine Wachhunde um ihn herum war er nur noch ein jämmerliches Stück Scheiße."

„Das klingt nach ihm."

Ich schrecke von meiner Schwester zurück, als ich eine Stimme höre. Sofort greife ich nach meiner Waffe und ziele auf die Person, die den Raum betreten hat.

Arian hält die Hände nach oben, während die Tür hinter ihm zufällt. „Ich bin nicht hier, um zu kämpfen"

Ich schnaube. „Du stehst zwar nicht auf meiner Liste, aber ich werde trotzdem nicht zögern, dich abzuknallen, wenn du noch einen Schritt weiter gehst."

Er bleibt stehen, hat weiterhin die Hände neben dem Kopf. Sein Blick huscht zwischen mir und dem Stuhl meiner Schwester hin und her. Er kann sie nur von hinten sehen, aber etwas in seinem Blick verändert sich, als seine Augen sie das erste Mal treffen.

„Du wirst mich nicht töten", sagt er nach kurzer Zeit. Es fällt ihm schwer, mich länger als eine Sekunde anzusehen. Ständig fällt sein Blick runter zu ihr.

Knurrend stelle ich mich vor sie. Jetzt hat er keine andere Wahl mehr als in den Lauf meiner Waffe zu schauen.

„Ach ja?"

„Nicht hier", spezifiziert er. „Und nicht ohne Grund."

„Ich habe genügend Gründe."

„Ich habe nichts getan."

„Vielleicht ist genau das das Problem."

Ich weiß nicht, warum ich ihm das vorwerfe. Er konnte sich genauso wenig wehren wie ich. Vielleicht bin ich sauer, weil er gehen durfte, nachdem er sich das erste Mal übergeben hat. Vielleicht bin ich sauer, weil es danach zwei Stunden gedauert hat, bis die Polizei das Haus gestürmt hat. Vielleicht bin ich sauer, weil sauer zu sein alles ist, was ich noch habe.

„Ace" Er lässt die Arme sinken. „Ich bin nicht hier, um dich zu provozieren."

„Nein", lache ich bitter auf. „Aber du willst zu meiner Schwester. Und das provoziert mich sehr."

Kaan hat Arian damals, als ich bereits an die Wand gemeißelt und Anda auf den Tisch gebunden war, in das Haus gezerrt und ihm gesagt, dass es nichts gebracht hat, seine Familie zu verraten.

Er hat zu ihm gesagt: „Ich habe dich lieb, Arian. Du warst mal so ein süßes Baby."

Arian schüttelte den Kopf und versuchte die Männer, die ihn festhielten, von sich zu schlagen. Ich hatte nicht gewusst, was Kaan vorgehabt hatte, doch Arian musste es bereits geahnt haben. Im Gegensatz zu Karim und mir hatte er seinen Onkel nicht unterschätzt. Er hatte genau gewusst, wozu dieser kranke Psychopath im Stande war.

„Ich weiß ja, dass dir die Kleine gefällt", sagte Kaan, während er Andas Klamotten von ihrem Körper schnitt. „Deshalb darfst du anfangen."

Kaans Männer stießen Arian auf den Tisch zu, aber, weil er die Augen zugekniffen hatte, als sein Onkel meine Schwester entblößt hatte, stolperte er und schlug sich den Kopf an der Tischkante.

Die Männer lachten. Alle von ihnen.

„Tollpatsch", schmunzelte Kaan, während er Arian am Kragen auf die Beine zog und vor Anda platzierte. Er beugte sich zu ihm runter, aber obwohl er seinen Mund direkt an Arians Ohr hatte, machte er sich nicht die Mühe zu flüstern. „Sieh sie dir an. Sie ist so unschuldig."

Ich hatte geschrien, Kaan beleidigt, den Männern klargemacht, dass ich jeden von ihnen töten würde. Zu Arian hatte ich gesagt: „Fass sie nicht an! Wag es nicht, sie anzufassen. Du bist tot! Ich werde dich töten!"

Aber Arian hatte nicht einmal die Augen geöffnet. Also hatte Kaan ihn geschlagen.

„Deine Mutter will nicht, dass du für mich arbeitest." Kaans Rückhand traf mit einem weiteren Knall auf Arians Wange. „Aber gegen Erziehung hat sie nichts." Er schlug ihn wieder und wieder.

Anda brüllte, dass er aufhören sollte.

Kaan lachte darüber. „Schau mal, die Kleine mag dich auch. Ist ja süß."

Er schubste Arian zum Tisch, sodass er mit dem Gesicht in Andas Bauch landete. Als er den Kopf hob, hatte er die Augen noch immer zusammengekniffen.

Anda weinte, sie wimmerte seinen Namen.

„Sie bettelt ja richtig um dich", lachte einer aus der Reihe darum herum.

Sie standen da, gierigem Blick auf meine Schwester. Einige von ihnen rieben sich bereits über den Schoß, andere traten ungeduldig von einem Bein auf das andere. Kaan hatte sich genau die Männer ausgesucht, sie dazu bereit waren, sowas abzuziehen. Keiner von denen zeigte auch nur das geringste Bisschen Mitgefühl, Scham oder Reue.

„Komm schon, hör auf dich so anzustellen", sagte Kaan schließlich zu Arian. „Du tust so als hättest du noch nie eine nackte Frau gesehen."

Arian schüttelte den Kopf. Er murmelte etwas, aber keiner konnte etwas verstehen.

„Nochmal?!", forderte Kaan.

„Sie ist keine Frau!", brüllte er ihm also ins Gesicht. „Du perverses Arschloch!" Er stürzte sich auf ihn, aber schon bevor er einen Schlag landen konnte, hatten ihn mehrere Typen zurückgezerrt und hielten ihn an den Armen fest.

„Es verletzt mich, dass du sowas zu mir sagst." Kann hielt sich die Hand auf die Stelle, unter der jeder andere Mensch ein Herz besaß, und versuchte Arian traurig anzusehen. Aber selbst dabei musste er grinsen.

Er zog sich die Hose aus und sagte zu Arian, dass er gut hinsehen sollte. Er könne etwas dabei lernen. Dann zog er Anda an die Tischkante.

Meine Schwester schrie nach Arian. Sie flehte ihn an, ihr zu helfen. Aber alles, was er tat, war auf den Boden zu reihern und sich danach rauszerren zu lassen.

Zugegeben, es ist mutig von ihm, sich hier blicken zu lassen. Viel mehr interessiert mich aber, wie er uns gefunden hat.

„Ich bin nicht hier, um Anda zu sehen", behauptet er.

„Oh, dann bist du zufällig in dieses Zimmer spaziert?"

Er schüttelt den Kopf. „Ich wollte mit dir reden. Und ich wusste, dass du mich überall sonst sofort umbringen würdest."

„Du bist genauso berechnend wie dein Onkel", spucke ich ihm verhasst entgegen. Muss wohl in den Genen liegen.

Arian macht einen Schritt zurück. Kurz sieht es so aus, als hätte ich auf ihn geschossen. Aber er blutet nicht.

Er braucht einige Momente, um sich wieder einzukriegen. Dann schluckt er und gewinnt an Haltung zurück.

„Ich bin hier, um dir zu sagen, dass du durch eine Racheaktion die Aufmerksamkeit von sehr vielen Arschgesichtern auf dich gezogen hast. Die, die Kaan gegenüber wirklich loyal waren. Die, die nicht einfach zu einem anderen Clan überlaufen können. Die werden dich jagen. Scheiß egal, ob Interpol hinter dir aufräumt... Wer weiß, vielleicht gerade deswegen."

Das ist das zweite Mal innerhalb von zwei Tagen, dass jemand von früher auftaucht und Interpol erwähnt. Erst Karim. Jetzt Arian. Dabei habe ich mit denen nichts zu tun.

Arian sieht mir an, dass ich ihn nicht verstehe. „Du hast Kaan aus dem Gefängnis befreit, nur, um ihn zu verstümmeln und in Einzelteilen vor das Gerichtsgebäude zu schleppen. Emir hast du abgeknallt, während seiner Verhandlung... Glaubst du echt, dass niemand geahnt hat, dass du das warst? Nein, Mann, du hast irgendjemanden, der den Arsch für dich hinhält. Aber wir wissen beide, dass so eine Behörde nicht allmächtig ist."

„Wie kommst du auf Interpol?" Ich lasse meine Waffe langsam sinken.

Arian sieht das als Zeichen, einen Schritt auf mich zuzumachen. „Die haben den Mord meiner Mutter untersucht."

Sein Gesicht zeigt keine Regung. Ich kann nicht erkennen, ob er die Wahrheit sagt.

„Ich war das nicht."

„Ich weiß." Arian lässt sich am Ende der Matratze vorsichtig auf der Bettkante nieder, hat somit nach wie vor genügend Abstand zu uns. Während er spricht, dreht er den Ring an seinem Finger hin und her und schaut auf seine Hand herab. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass es jemand von Kaans alten Leuten gewesen sein muss. Wahrscheinlich jemand, der durch seinen Tod schlechtes Geschäft gemacht hat."

„Warum sollten die deine Mutter töten?"

„Nachdem wir erfahren haben, dass Kaan tot ist, hat meine Mutter mir klargemacht, dass ich untertauchen muss. Sonst hätte ich keine andere Wahl gehabt als da weiterzumachen, wo Kaan aufgehört hat. Er hat eine riesen große Lücke in dem Business hinterlassen. So viele Leute machen kein Geld mehr deswegen und noch mehr wurden verhaftet, weil Kaans Einfluss auf die Cops alles war, was sie geschützt hat. Die Leute sind richtig wütend." Er schluckt und sieht zu mir auf. „Sie haben meine Mum gefoltert. Sie hatte so starke Schmerzen, dass ihr Körper in einen Schockzustand verfallen ist und..."

Ich umklammere die Waffe in meiner Hand fester. Ich darf mich nicht von seinen emotionalen Geschichten beeinflussen lassen. Ich muss das zur Seite schieben und mich auf die Informationen dahinter konzentrieren.

Innerlich verfluche ich Karim dafür, dass er durch die wenigen Stunden mit mir, irgendetwas in mir erweicht hat. Dass ich meine Gefühle nicht einfach abschalten kann, sondern mich tatsächlich bemühen muss und mir selbst klarmachen, warum sie mein Urteilsvermögen trüben werden und mich beeinflussen.

„Sie haben deine Mutter gefoltert, um herauszufinden, wo du bist?"

Arian nickt. „Aber sie wissen, dass Kaan mich nie als Nachfolger vorgesehen hat. Er wollte dich. Deshalb sind sie sehr sicher auch hinter dir her."

Arian ist also hier, um mir zu vor einer tobenden Meute zu warnen, die mich entweder tot sehen will oder meine Führungsqualitäten auf Probe stellen.

„Ich glaube, dabei geht es hauptsächlich um Informationen über Kaans Kontakte und Dinge, die er gegen hochrangige Justizleute in der Hand hatte. Kaan muss die jemandem anvertraut oder möglich gemacht haben, an sie ranzukommen. Und die glauben, wenn ich das nicht bin, bist du es."

Arian legt seinen Ellenbogen auf den unteren Rahmen des Bettes und stützt so seinen Kopf auf der Hand ab. Er sieht richtig fertig aus. Nicht nur erschöpft, sondern auch traurig. Und wütend. Ich sehe einen Teil von mir selbst in ihm.

„Hast du die Informationen?"

Arian schüttelt den Kopf. „Selbst, wenn er mir mal Hinweise gegeben haben sollte... Ich habe ihm die meiste Zeit über nicht zugehört."

Mir geht es genauso. Kaan war gut darin, überflüssige Reden zu schwingen und sich in seinen Monologen selbst zu verherrlichen. Da hat niemand gerne zugehört.

Ich weiß nichts von Informationen oder Kontakten. Und, wenn ich etwas wüsste, dann würde ich es lieber mit ins Grab nehmen, als Kaans Geschäfte weiter zu führen.

„Glaubst du, Karim weiß was?" Ich schaffe es, neutral zu klingen.

Diesmal zuckt Arian mit den Schultern. „Keine Ahnung. Karim wollte damit eigentlich auch nichts zu tun haben. Er hat in den Clubs getanzt und da auf Kaans Anweisung hin gezielt Leute verführt und erpresst, aber sonst hat es bei ihm meistens gereicht, Kaan schöne Augen zu machen, damit er sich nicht die Hände schmutzig machen muss."

Arians Schnauben reizt mich. Wie er von Karim spricht, reizt mich.

Arian hatte immer seine Mutter, um ihn vor Kaan zu beschützen. Karim hatte niemanden. Er war sich nie zu schade, sich die Hände schmutzig zu machen. Aber er wusste auch, was er tun kann, um nichts machen zu müssen, das sich für ihn nicht richtig angefühlt hat.

Karim ist für sowas wie Menschenhandel, Auftragsmord oder gezielte Einschüchterung nicht gemacht. Dafür ist er viel zu schlau. Wenn dann, wiegt er sein Opfer in Sicherheit, spielt mit ihm, und reißt ihm, wenn der Moment gekommen ist, das schlagende Herz aus der Brust, während er dabei lieblich lächelt. Das ist Karim. Keine billige Nutte, die sich für die groben Sachen zu schade ist.

„Woher soll ich wissen, ob ich dir ein Wort glauben kann?"

Arian hebt den Blick von der Wand ihm gegenüber und richtet ihn auf mich. „Ich habe keinen Grund zu lügen."

„Keinen offensichtlichen."

Er zieht die Augenbrauen zusammen. „Wir stehen auf der selben Seite."

„Nein, tun wir nicht", mache ich ihm deutlich. „Ich traue dir nicht."

„Wieso solltest du mir nicht trauen? Ich war immer ehrlich zu dir!" Arian springt auf. Er will auf mich zugehen, aber stockt sofort und reißt die Hände nach oben, als ich meine Waffe wieder auf ihn richte.

„Warum? Weil du so gutherzig bist?"

Er schüttelt den Kopf. Ich sehe ihm an, dass er etwas zu sagen hat, aber er spricht es nicht aus. Stattdessen richtet sich sein Blick auf meine rechte Seite, hinter der er Anda erahnen kann.

„Verschwinde, Arian. Und stell sicher, dass ich nicht nochmal die Gelegenheit bekomme, dir ein Magazin in die Fresse zu ballern."

Er sieht zurück zu mir, unschlüssig.

Ich beiße die Zähne zusammen und gehe einen Schritt näher zu ihm. Ich könnte so vieles sagen, um ihn einzuschüchtern. Ihn auf alle möglichen Arten bedrohen. Aber ich weiß, dass mir Jemand gegenübersteht, der alles verloren hat. So jemand hat keine Angst vor ein paar Kugeln.

„Ich werde gehen", teilt er mir dann mit. „Aber davor will ich mit Anda reden."

Ich lache bitter auf. „Du kannst nicht ernsthaft denken, ich würde das erlauben."

„Nur ein Satz."

„Vergiss es!"

Er lässt die Hände runterfallen. „Mann, Ace! Ich will nur mit ihr reden!"

„Sie kann nicht reden", erwidere ich kalt. „Sie hat seit zwei Jahren kein Wort mehr gesagt-"

„Aber sie ist trotzdem noch da!"

Er verstummt, als mit warnendem Blick auf ihn zugehe.

Er schließt kurz die Augen, um sich zu sammeln und spricht dann ruhiger weiter. „Sie sitzt direkt vor mir. Ich... Ich muss es ihr sagen."

„Was?", lache ich. „Dass du sie liebst? Mach dich nicht lächerlich."

Er presst die Lippen zusammen.

Wir starren einander an, für etwa 10 Sekunden. Dann macht er einen Schritt auf mich zu. „Du wirst mich nicht erschießen."

„Willst du es wirklich drauf ankommen lassen?" Nur noch wenige Meter trennen uns voneinander. Dann kann ich ihm den Abzug direkt auf die Brust setzen.

„Bleib stehen!"

Aber er tut es nicht.

„Du wirst mich nicht erschießen, weil du weißt, dass ich Anda wichtig bin. Deshalb stehe ich nicht auf deiner Liste, obwohl du mich zu gern ausweiden würdest. Alles, was ich Anda getan habe, war, sie von mir fernzuhalten."

Ich lasse zu, dass er an mir vorbeigeht, ziele aber weiterhin auf seine Brust. Er kann keinen Schritt tun, ohne, dass aus meinem Visier zu treten, bereit dazu, jederzeit den Abzug zu drücken.

Je näher er Anda kommt, desto weniger will ich das. Ich will ihn schlagen, ja. Ich will ihn verprügeln, warten, bis er wieder heil ist, und ihn wieder verprügeln. Ich will, dass er blutet und sich vor Schmerzen krümmt. Ich will mich zwischen ihn und Anda stellen und ihm klarmachen, dass er sie niemals anfassen wird. Ich will, dass er sein Leben lang um meine Gunst kämpfen muss. Dass er sich mir immer und immer wieder beweist. Dass er Anda für immer so ansieht, als sei sie das schönste Wesen auf dieser Erde. Dass er immer wieder diese glasigen Augen bekommt und anfängt zu heulen, weil er ihr ins Gesicht sehen darf. Ich will, dass er jeden Tag vor ihr auf die Knie geht und weint, weil er so glücklich ist, bei ihr zu sein. Das will ich. Und deshalb lasse ich zu, dass er genau das tut.

Er beißt sich auf die bebende Unterlippe, während er Anda mustert und Tränen an seinen Wangen hinablaufen.

Seine Hand bewegt sich auf sie zu, aber nach meinem warnenden „Ah-ah-ah", zieht er sie wieder zurück und legt sie sich stattdessen auf den Mund. Nur kurz. Dann streicht er sich die Tränen weg und versucht fröhlich auszusehen.

Sein Lächeln erinnert mich an Karims. So voller Trauer, dass es so wirkt, als wäre er noch nie in seinem Leben glücklich gewesen.

„Hei, kleine Nervensäge." Er holt tief Luft, als er hört, wie sehr seine Stimme zittert. „Ich wollte dich nur daran erinnern, dass ich dir noch einen ‚ich darf nicht nein sagen'-Nachmittag schuldig bin." Er schnieft und versucht nochmal, sein Gesicht von seinen Tränen zu befreien. Dabei kommen ständig neue nach. „Ich bin bereit, mich quälen, foltern, schminken, umstylen und bequatschen zu lassen. Um ehrlich zu sein, freue ich mich schon darauf."

Er schluckt fest und rutscht ein bisschen näher an sie heran. Durch einen kleinen Seitenblick fragt er mich, ob das in Ordnung ist. Ich halte noch immer die Waffe auf ihn, nicke aber.

Er setzt sich knapp vor ihr in den Schneidersitz. Sie sieht starr über ihn hinweg. Aber das hält ihn nicht davon ab, ihr alles Mögliche zu erzählen. Zuerst über die Schule. Alles, was es an Gossip aus seiner alten Jahrgangsstufe gab, dann, was sie in ihrer verpasst hat. Dann über Fußball. Dann über irgendwelche Promipaare. Dann über neue Erkenntnisse über die Wahrnehmungsstrukturen von Personen mit multilingualen Gehirnen.

Arian erzählt Anda von Dingen, von denen ich nie zuvor gehört habe. Ich weiß nicht, ob er es so rüberbringt, als würde sie das interessieren, damit ich ihn nicht wegzerre oder, ob ich echt keine Ahnung davon hatte, worüber sich meine Schwester so Gedanken macht.

Nach mehreren Stunden habe ich meine Waffe weggesteckt und stehe nur noch überprüfend dabei, während Arian an seiner Position nichts geändert hat und ohne Punkt und Komma redet. Das ist das erste Mal, dass ich das Gefühl habe, nicht mehr in diesem Raum allein zu sein. Seine Worte prallen nicht an den leblosen Wänden ab, sondern wirken so als würden sie irgendwo ankommen. Oder zumindest hoffe ich das.

Am Ende des Tages werden wir so freundlich wie möglich rausgeworfen. Ich verabschiede mich von Anda, indem ich ihre Stirn küsse und ihr verspreche, ihr morgen wieder die Haare zu machen. Arian lächelt sie an und wünscht ihr eine gute Nacht.

Als wir schließlich zusammen aus dem Gebäude gehen, habe ich zum ersten Mal nicht das Bedürfnis, zurück zu rennen. Es kommt mir nicht so vor, als würde ich Anda hilflos zurücklassen. Es kommt mir so vor, als hätte ich heute etwas erreicht. Dabei hat sich gar nichts verändert.

Bis auf die Tatsache, dass ich diesmal nicht alleine bin, als ich die Tür zu meiner Wohnung aufsperre.

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