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De QuillDee

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Wie kommt jemand zurecht, der nach siebzig Jahren Kälteschlaf in eine völlig neue, ja fremdartige Umgebung ge... Mai multe

Vorwort
1 - Neue Ufer
2 - Erstens kommt es anders
3 - Erdbeer-Confit an Mandelschaum
4 - Von Kartoffelchips und anderen Errungenschaften
5 - Rache ist Blutwurst
6 - Wenn jemand eine Reise tut
7 - Manifestation
8 - Zwei Avenger sehen mehr als einer
9 - Home, sweet Home
10 - Lose Enden
11 - Der große Knall
12 - Zuflucht 2.0
13 - Was einmal war, verlässt uns nicht
14 - Ein Spätsommer in der Provence
15 - Oh what a Feeling this is
16 - Von alten Freunden, Halluzinationen und guten Ratschlägen
17 - Familiengeheimnisse
18 - Der Anker
19 - Von der Kunst des Nudelschlürfens
20 - Das perfekte Date
21 - Familienzusammenführung
22 - Rotes Blut, grauer Glibber und andere Körperflüssigkeiten
23 - Trouble in Paradise
24 - Im Netz der Hydra
25 - Neukalibrierung
26 - Die Hoffnung stirbt zuletzt
27 - Operation Feuersturm
28 - Heiß und Kalt
30 - Trigger und Reset
31 - Der fast normale Wahnsinn
32 - Weihnachten bei Bartons
33 - (K)ein Glückliches Neues Jahr
34 - Beziehungskisten und andere Probleme
35 - Zwischen den Stühlen
36 - Abrechnung
37 - Phönix aus der Asche
Kapitel 38
Epilog

29 - Who am I

46 8 29
De QuillDee

Nicholas Fury verfügte über viel Geduld. Doch auch die hatte ihre Grenzen. Seit sie Ms. Yuki Leclerc zurückgeholt hatten und diese zu ihrer eigenen Sicherheit und der, anderer Leute auf dem Helicarrier untergebracht war, hatte er bemerkt, wie sich die Fälle von Disziplinlosigkeit und vermeintlich heimlichem Ungehorsam häuften. Vermeintlich heimlich, weil zwar niemand offen gegen seine, Furys, Anweisungen verstieß, jedoch verschiedene Vögelchen darüber berichtet hatten. Eigentlich war es nur eine einzige Person, die seine Anordnungen ignorierte, aber die anderen Mitglieder des Teams wussten davon und hielten es nicht für nötig, ihren Vorgesetzten in Kenntnis zu setzen. Ohne besagte Vögelchen, wie er seine Informanten nannte, wäre er noch immer ahnungslos.

Zum Beispiel wusste er, dass Captain Rogers mindestens zwei Nächte in der Woche bei Ms. Leclerc in der Arrestzelle verbrachte. Und das über die erste Nacht hinaus, in der die zusätzliche Körperwärme überlebenswichtig für die junge Frau gewesen war. Dr. Banner hatte dies bestätigt, und Fury sah keinen Anlass, an seiner Einschätzung zu zweifeln.

An die vorgegebenen Besuchszeiten hielt Cap sich sowieso nicht und zu guter Letzt hatte er versucht, ihr Erinnerungsvermögen auf eigene Faust mit Erzählungen und gezielten Fragen wieder herzustellen, ganz ohne Unterstützung eines Fachmannes. Jedenfalls hatte er das, bevor Dr. Sanders diese Aufgabe offiziell übernommen hatte, da dieser schlussendlich auch die emotionale Stabilität der Frau bescheinigen würde.

Fury fluchte lautstark, als der Bleistift, mit dem er herumgespielt hatte, zerbrach und er sich einen Splitter einzog. Der Ungehorsam und die Heimlichtuerei waren dabei nicht das einzige Problem. Was mindestens genauso schwer wog, war, dass sie ernsthaft glaubten, dass sie ihn so einfach zum Narren halten konnten. Er hatte nur deshalb nicht interveniert, weil er Cap als Mann respektierte, als einen, der seiner Frau beistehen wollte, was auch immer kommen mochte. Denn nichts anderes tat der Captain. Und wenn er ehrlich war, hatte er auch überhaupt kein Interesse daran, eine Meuterei durch den Anführer der Avengers zu provozieren.

Doch in dem Augenblick, als Dr. Sanders berichtete, dass er in einer Sackgasse steckte und eine Ursache dafür in der engen Bindung der Patientin an einen gewissen blonden und blauäugigen Supersoldaten andeutete, war ein Gespräch unter vier Augen mit eben jenem Soldaten unumgänglich geworden. Er hatte ihn umgehend in sein Büro beordert und wartete nun auf den Mann. Es würde nicht angenehm werden, doch was war schon jemals einfach gewesen?

Pünktlich, wie nicht anders zu erwarten war, klopfte es fünf Minuten vor der anberaumten Zeit an der Bürotür.

Captain Rogers trat ein, um einen Meter vor Furys überladenem Schreibtisch in militärischer Habachtstellung zum Stehen zu kommen – er wusste sehr wohl, dass es sich bei diesem Gespräch nicht um ein Kaffeekränzchen handelte, sondern um etwas Ernstes.

„Stehen Sie bequem, Captain."

Es war nicht nötig, die Situation durch überflüssige formelle Zwänge noch weiter aufzuladen. Fury blickte der Unterredung ein wenig beruhigter entgegen, als er sah, wie Rogers der Aufforderung Folge leistete, indem er den linken Fuß um etwa zwanzig Zentimeter nach links stellte, beide Hände hinter den Rücken nahm und insgesamt eine entspanntere Haltung einnahm.

Der Direktor hielt sich nicht lange mit Vorgeplänkel auf, sondern kam gleich zur Sache. Er schilderte die Sachlage aus Sicht des behandelnden Psychotherapeuten und war froh, dass er nicht ein einziges Mal unterbrochen wurde.

„Der Doktor betont, dass es nicht zuträglich ist, wenn Sie sie mit sanfter Gewalt auf bestimmte Erinnerung stoßen - auch wenn Sie das mit bester Absicht tun. Im Gegenteil, sie muss ihre Amnesie von ganz allein überwinden, wenn es von Dauer sein soll. Auch der Therapeut wird sie nur begleitend unterstützen. Vornehmlich mit Hypnose und einem Katalog aus unverfänglichen Fragen, die ohne jede Suggestion gestellt werden. Und das, mit Verlaub, können Sie nicht leisten, weil Sie befangen sind."

Rogers schwieg einen Moment und fragte dann nüchtern: „Und was erwarten Sie jetzt von mir? Dass ich mich von ihr fernhalte, bis sie ihr Gedächtnis wieder erlangt und Dr. Sanders sie für ‚unbedenklich' erklärt hat?"

„Das wäre am vernünftigsten. Doch Sie werden mir gleich sagen, dass Sie nicht einwilligen werden."

„Stimmt. Denn das wird nicht passieren."

Fury seufzte schwer.

„Ich habe gewusst, dass Sie das sagen würden, und es dem Doktor auch so mitgeteilt. Er hat von sich aus einen Kompromiss vorgeschlagen: Sie dürfen weiterhin mit Ms. Leclerc Umgang pflegen, wie es Ihnen beliebt. Aber nur unter der der Bedingung, dass – lassen Sie mich ausreden – dass Sie sich nicht über ihre Identität, ihre Vergangenheit oder die Zeit bei Hydra sprechen. Es ist positiv, dass sie Ihnen vertraut, und Sanders ist der Meinung, dass es von Vorteil ist, wenn Sie einfach nur für sie da sind. Aber nicht mehr. Er hat mir erklärt, dass Patienten, nach traumatischen Ereignissen ganz plötzlich ihre Erinnerung zurückerlangen und dann ebenso plötzlich zusammenbrechen können. Es ist unabdingbar, dass dies in einer kontrollierten Umgebung stattfindet, unter der Aufsicht eines Spezialisten. Besonders in Ms. Leclercs Fall."

Captain Rogers sah unglücklich aus.

„Das ist nicht alles, worin wir Ihnen entgegenkommen können. Sie sind bis auf Weiteres offiziell vom Dienst freigestellt, dass Sie, wann immer Ihnen danach ist, bei ihr sein können. Zusätzlich hat Dr. Sanders vorgeschlagen, dass Sie an jeder Sitzung teilnehmen. Allerdings ohne diese zu beeinflussen."

„Okay, das klingt fair. Und wann darf sie endlich raus?!"

„Das, Captain, ist nicht verhandelbar. Jedenfalls nicht früher, als Sanders es sagt. Es hat in den letzten zwei Wochen mehrere kleine Zwischenfälle gegeben, was bedeutet, dass Ms. Leclerc sich zu hundert Prozent unter Kontrolle haben muss, bevor wir sie auf die Welt loslassen."

Das schmeckte dem Mann auch nicht, doch er nickte widerstrebend. Als Fury ihn an der Tür verabschiedete fragte der Captain beiläufig: „Was hätten Sie eigentlich getan, wenn ich dem Kompromiss nicht zugestimmt hätte?"

„Ganz ehrlich? Ich habe nicht die geringste Ahnung."


Yuki gähnte hinter vorgehaltener Hand. Die beinahe täglichen Sitzungen mit Dr. Sanders waren zwar immer eine willkommene Abwechslung in ihrem sonst tristen Alltag, der sich hauptsächlich in dem gläsernen Kasten abspielte, in dem sie unterbracht war, doch sie forderten sie immer. Sie rieb sich erschöpft über das Gesicht. Dabei war sie eigentlich nur hypnotisiert worden. Das Gesicht des Mannes, der sich ihr als Steve Rogers vorgestellt hatte und der sie fast auf Schritt und Tritt begleitet hatte, seit sie in diesem Glaskasten aufgewacht war, wies einen leicht grünlichen Schimmer auf, und auch der Doktor sah aus, als wäre er jetzt lieber wo anders.

Was für unappetitliche Details sie wohl schon wieder offenbart hatte? Sie war frustriert. Noch immer konnte sie sich nicht an die Person erinnern, die sie angeblich war. Der Name Yuki Leclerc klang noch immer fremd, als gehöre er nicht zu ihr, sondern zu einer Doppelgängerin, in deren Leben sie jetzt schlüpfen sollte. Dr. Sanders Fragen zu Yukis Eltern, Freunden und Mitbewohnern brachten kaum eine Saite in ihr zum Klingen, selbst die Eröffnung, dass ihre Eltern tot waren, von der Organisation ermordet, die sie mehr als ein halbes Jahr gefangen gehalten hatte, verursachte keine Reaktion, die über ein mildes Bedauern hinaus ging.

‚Und das sollte es doch, oder?', dachte sie niedergeschlagen. ‚Was bringt es, wenn ich unter Hypnose von Dingen erzähle, die man mir während meiner Gefangenschaft angetan hat, wenn ich mich nicht daran erinnere, nicht einmal an mein Leben vorher, und deswegen nicht einmal um meine Eltern weinen kann?'

Die beiden Männer hatten sich inzwischen wieder erholt, zumindest sah Steve nicht mehr so aus, als würde er sich gleich auf seine guten Halbschuhe übergeben. Seltsamerweise bestand er darauf, sich formell anzuziehen, wann immer ein Besuch Dr. Sanders anstand. Nicht, dass er sonst nicht auch gepflegt und gut angezogen auftrat, doch zu diesen Gelegenheiten erschien er meist im Anzug mit Krawatte und frisch gestärktem Hemd. Das fand sie liebenswert und irgendwie passte es zu ihm, auch wenn sie noch immer keinen Schimmer hatte, woher sie den Mann überhaupt kannte und warum sie trotzdem vieles über ihn wusste. Wie zum Beispiel, dass er Kraftausdrücke nicht mochte oder dass er sich noch auf die altmodische Art mit einem geradezu antiken Rasiermesser rasierte, das ihm sein Vater vermacht hatte. Und dass er alle Utensilien für eine ordentliche Rasur akkurat vor dem Badezimmerspiegel aufreihte, jede Unordnung an sich verabscheute und dafür eine Vorliebe für rote Beeren jeglicher Sorte hatte.

Es war seltsam, dass sie mehr über ihn wusste als über sich selbst. Nicht einmal die Sitzungen bei Sanders hatten Abhilfe geschafft, denn noch immer fühlte sich der Name Yuki falsch an. Sie reagierte zwar darauf, aber es fühlte sich immer noch an, als steckte sie in der Haut einer fremden Person, an die sie sich noch gewöhnen musste. Nur wenn sie mit Steve allein war, stellte sich so etwas wie Normalität ein. Sie sprachen viel, aber einiges an Kommunikation lief auch über Körperkontakt ab. Sie hielten sich dabei an den Händen, saßen Arm in Arm auf ihrem Bett in der Glaszelle und lagen eng umschlungen auf eben diesem Bett. Es hatte rein gar nichts sexuelles, er hielt sie einfach nur fest, so wie er es in ihrer ersten Nacht auf dem riesigen, schwebenden Flugzeugträger getan hatte. Seit er offiziell bei ihr bleiben durfte, tat er das jede Nacht und hatte sich zu diesem Zwecke auch ein Feldbett neben ihrem aufgestellt. Zu zweit war es in dem schmalen Bett, das eine bessereLiege war, zu unbequem. Wenn er sich auf sein Bett zurückzog und seine tiefen Atemzüge ihr dann verrieten, dass er schon weit ins Land der Träume vorgedrungen war, hielt sie weiter seine Hand und fühlte sich trotzdem nicht allein. Sie schlief seitdem besser ein und wachte nicht mehr wie so oft wie in der ersten Zeit schweißgebadet mit Albträumen auf, deren Inhalt sie sich nie entsinnen konnte.

✮✮✮✮✮✮

Ein lautes Räuspern brachte sie wieder in ihre Gefängniszelle zurück. Auch der Therapeut hatte seine Fassung wieder gewonnen und verabschiedete sich mit einer gespielten Leichtigkeit, die seine Erschütterung nicht ganz übertünchen konnte. Wieder fragte Yuki sich, was in aller Welt diese Hypnose-Sitzung da ans Tageslicht gezerrt hatte.

Steve begleitete den Mann nach draußen, unterhielt sich kurz mit ihm und kam dann wieder zu ihr herein. Betont fröhlich fragte er: „Was hältst du von ein bisschen frischer Luft? Wir könnten uns an Deck ein bisschen die Beine vertreten." Sie sah, wie sich ihre Freude darüber, endlich hier herauszukommen, wenn auch nur für wenige Minuten, in seinen Augen widerspiegelte.

„Frische Luft klingt fantastisch. Wie hast du das bloß angestellt, dass sich die anderen nicht in die Hosen machen?"

„Gar nicht. Sie haben immer noch Angst vor dir. Aber ich habe hier nach Fury die höchste Befehlsgewalt und angeordnet, dass alle das oberste Deck für zwanzig Minuten räumen und versprochen, dass ich die ganze Zeit auf dich aufpasse. Das genügt Fury als Sicherheitsgarantie und so muss es allen anderen auch genügen."

Er entriegelte die Tür, öffnete sie und trat hindurch, um ihr die Hand zu reichen. Das war das erste Mal, seit sie hier war, dass sie diesen Raum verlassen durfte, und so nahm sie sie dankbar und ließ sich hinausführen.

Auf dem Weg nach draußen begegnete ihnen keine Menschenseele, und Steve hatte nichts anderes erwartet. Seit er in New York seine Führungsqualität bewiesen hatte, stellte niemand seine Anweisungen infrage. Und so würde es auch niemand wagen, auf dumme Gedanken zu kommen und ihr etwas antun zu wollen, Angst genug schienen Teile der Besatzung schon zu haben. Wie sie schweigend mit hängenden Schultern neben ihm her ging, wurde ihm das Herz schwer.

Wenn ihm eines deutlich vor Augen führte, dass dies eine vollkommen andere Frau war, als er sie vor fast einem Jahr kennengelernt hatte, dann war es ihre Teilnahmslosigkeit. Diese ungewohnte fatalistische Haltung, mit der sie alles klaglos hinnahm, was mit ihr passiert. Sie war blass und farblos geworden, nur ein Schatten ihrer selbst. Nicht ein einziges Mal hatte sich Widerspruch in ihr geregt. Selbst als er ihr nach Tagen endlich alltagstaugliche eigene Kleidung mitgebracht hatte, war ihr außer einem leisen „Danke" nicht der Hauch einer Beschwerde über die Lippen gekommen. Auch nicht, wenn ihr Banner wieder einmal Blutproben entnahm und sie von Kopf bis Fuß durchcheckte.

Ihr früheres Selbst hätte sich dagegen verwahrt, wie eine Laborratte gehalten zu werden, oder sich zumindest darüber lustig gemacht. Doch von dieser Persönlichkeit war nichts mehr übrig geblieben. Neben ihm ging ein Mensch, der so dankbar dafür war, dass man ihm keine Schmerzen zufügte, dass er alles andere nur zu gerne ertrug.

Einzig ihr Vertrauen in ihn war ungebrochen, und das war es, was ihm Hoffnung machte, dass sie eines Tages wieder zurückfinden würde, auch wenn sie nach allem, was sie bisher unter Hypnose preisgegeben hatte, eigentlich ein seelisches Wrack sein müsste. Er war dankbar, dass sie noch das Sonnenlicht genießen konnte, so wie jetzt auf dem Deck, wo sonst die Jets starteten und landeten. Ganz so als wären all die schlimmen Dinge nicht geschehen. Sie hatte die Augen geschlossen, das Gesicht der Sonne zugewandt und stand ruhig da, die nackten Füße in absurd bunten Flipflops schulterbreit fest gegen den Untergrund der Startrampe gestemmt, als könnte sie nichts erschüttern.

Er konnte fast so tun, als hätten sie beide nur an einer weiteren Sehenswürdigkeit auf ihrer ursprünglich geplanten Reise haltgemacht. Fast. Aber es gelang ihm nicht. Die neueste Enthüllung als sie noch vor wenigen Minuten unter Hypnose gestanden hatte, machten es ihm unmöglich.

Wie konnte sie nur so ruhig und unbeteiligt dort stehen, in der Sonne baden und ihrem unverstellten Staunen über die Aussicht über eine lückenlose, weiße Wolkendecke Ausdruck verleihen? Er wusste auf Verstandesebene, dass sie all das verdrängt hatte, das ihre geistige Gesundheit bedrohen konnte. Das hatte Sanders ihm vor Aufnahme der ersten Sitzung erklärt.

Sein Verstand konnte trotzdem nicht verhindern, dass ihm die Bilder nicht mehr aus dem Kopf gingen. Bilder, die ungebeten wie kleine Schachtelteufel aufgeploppt waren, als Yuki mit flacher und teilnahmsloser Stimme von den Testpersonen gesprochen hatte.

Es hatte sich genau genommen um Personen gehandelt, mit denen man testen wollte, zu welchen Untaten man Yuki zwingen konnte. Er sah sie vor sich, wie sie an einen Stuhl gefesselt vor einem Monitor saß, auf dem ihr nacheinander die Testpersonen gezeigt wurden. Männer, Frauen, alte und junge, Kinder in beliebiger Reihenfolge. Sie musste aus je einem Satz Aufnahmen von zehn Personen jeweils eine bestimmen, die hingerichtet werden sollte. Er fühlte beinahe, wie sie sich krümmte und wand, sobald sie sich weigerte. Das war der Stimulator, den man ihr implantiert hatte und mit dem man sie höchst effizient quälte, bis sie schließlich doch bei einem beliebigen Bild den Schalter in ihrer rechten Hand drückte. Bei dem Gedanken daran, dass diese Unmenschen das Spiel so weit getrieben hatten, dass Yuki die Urteile selbst vollstrecken musste, ließ Steve erneut würgen.

Mal musste sie einen kleinen Jungen mit einem Kissen ersticken, mal einen alten Mann erschießen. Doch jedes Mal mussten sie sie erneut mit dem Stimulator an ihre Grenzen treiben und darüber hinaus, bis sie furchtbaren Anweisungen endlich ausführte. Und das hatte sie getan – ausnahmslos alle.

Dann war der Augenblick gekommen, an dem Sanders die Sitzung abgebrochen hatte. Die Schilderung, wie Yuki die Eingeweide einer jungen Frau, die sie mit einer Handgranate in die Luft hatte sprengen müssen, eigenhändig mit einer Kehrschaufel hatte wegräumen müssen, war für beide Männer zu viel gewesen.

Vielleicht wäre es besser für Yuki, sie würde sich nie mehr an all das erinnern. Doch das würde auch bedeuten, dass sie auf ewig diese leere Hülle blieb, die durch ihn und S.H.I.E.L.D. mit Inhalt gefüllt werden musste.

Für Steve war das keine Option.

„Es ist schön hier draußen", sagte sie. „In welcher Höhe befinden wir uns hier eigentlich?"

Er nannte ihr die Zahl, die er meinte, aufgeschnappt zu haben, und legte einen Arm um ihre Schultern. Er nahm sich vor, sie öfter hier heraufzubringen. So lange er die Sicherheit der restlichen Besatzung persönlich garantierte, konnte Fury nichts dagegen haben, und selbst wenn doch: Steve würde es gegen alle Widerstände durchboxen und ihr dadurch kleine Fluchten aus ihrem Gefängnis ermöglichen, die Realität würde sie beide noch früh genug einholen.

✮✮✮✮✮✮

Dr. Sanders letzter Bericht hatte es in sich gehabt. Nicht nur, dass sie keinerlei Fortschritte erzielt hatten, was Ms. Leclercs Amnesie anging – jetzt war ein weiteres Problem aufgetaucht, das Nicholas Fury angehen musste. Und zwar in Form eines Implantates, dessen Funktion schließlich enthüllt worden war. Schon Dr. Banner hatte es auf den ersten Röntgen- und CT-Bildern gesehen, doch niemand von ihnen konnte sich erklären, wofür es gut war. Dass es keine versteckte Bombe war und auch anderweitig die Gesundheit der jungen Frau nicht gefährdete, hatte erst einmal genügt. Aber nun stellte sich die Lage ganz anders dar.

Obwohl Ms. Leclerc einigermaßen stabil wirkte, was Dr. Sanders bestätigen konnte, bestand die Möglichkeit, sie ganz ohne Gewaltanwendung durch Schmerzen gefügig zu machen. Zwar war die Steuerung des Gerätes aller Wahrscheinlichkeit nach mit der Hydra-Basis zerstört worden. Doch sie konnten nicht ganz sicher sein, dass nicht doch noch eine Bedieneinheit existierte. Sie mussten unter anderem beraten, ob die operative Entfernung des Stimulators gefahrlos möglich war. Dr. Banner wartete bereits im Vorzimmer, und Grace hatte die Anweisung noch auf Dr. Sanders und Cap zu warten und sie dann zu ihm vorzulassen, sobald sie beide eingetroffen waren.

Gerade als Direktor Fury schon einen ungeduldigen Blick auf die Wanduhr über der Tür zu seinem Büro werfen wollte, klopfte es und Grace steckte den Kopf herein.

„Jetzt wären alle da, Direktor."

Dann zog sie sich zurück und Cap trat mit beiden Doktoren im Schlepptau ein.

„Was gibt es, Direktor?"

Captain America kam gleich zur Sache, und Fury war das mehr als recht.

„Wie Sie alle wissen, hat man Ms. Leclerc ein Gerät implantiert, mit dem man sie durch starke Schmerzen kontrollieren kann. Bin nur ich besorgt darüber?"

Die Frage war rein rhetorischer Natur, und so bekam er wie erwartet auch keine Antwort darauf.

„Dr. Banner, können Sie mir sagen, ob dieses Ding operativ entfernt werden kann? Mir wäre um einiges wohler, wenn Hydra sie nicht manipulieren kann."

„Ich habe mir nochmal die Computertomographien angesehen und mir gefällt das ganz und gar nicht. Dieser sogenannte Thalamus-Stimulator sitzt zwar weit genug über dem Stammhirn, und wir könnten den Hauptteil davon gut heraus lasern. Aber ..." Banner machte eine Pause und startete eine Simulation, um es Laien wie Cap und Fury selbst zu erklären, was er genau meinte.

„... sehen Sie hier diese dünnen Fäden oder Tentakel, die sich gebildet haben?"  Er zeigte auf die entsprechenden Stellen in der Simulation. Der Stimulator hat sich mit diesen Tentakeln auch mit dem Stammhirn verbunden. Genau dort gestaltet sich jede Operation als schwierig und risikobehaftet."

„Warum das? Und von was für einem Risiko sprechen Sie, Doc?" Das war der immer besorgte Captain.

„Na ja, wir würden da in der Nähe des Herz-Kreislaufzentrums und des Atemzentrums arbeiten. Da dürfen wir uns keinen Fehler erlauben."

„Aber es ist machbar?", hakte Fury nach.

„Alles ist machbar." Und mit einem beruhigenden Seitenblick auf Steve Rogers fuhr der Doktor fort: „Je besser die computergesteuerte Bildgebung ist, und je größer das Operationsfeld dargestellt werden kann, desto sicherer ist die OP. Ich denke mit Tony Starks Unterstützung können wir eine ausreichend sichere Umgebung schaffen. Ein Restrisiko ist natürlich immer gegeben."

Nicholas Fury wusste, dass er sich gleich bei Amerikas Liebling unbeliebt machen würde, doch er nahm kein Blatt vor den Mund: „Na dann, ist ja alles geklärt: Raus mit dem Ding. Je eher, desto besser."

„Nein."

Der Direktor hob eine Augenbraue.

„Wie bitte, Captain?"

„Nein, nichts ist geklärt. Sie können das nicht einfach so entscheiden. Sie trägt das Restrisiko, also sollte sie diese Entscheidung schon selbst treffen."

Der Mann hatte Scheuklappen auf, so groß wie Scheunentore, und der Direktor musste an sich halten, um weiterhin in einem unverbindlichen und neutralen Ton zu kontern. „Sie mögen es vielleicht für amüsant halten, dass jemand mit der entsprechenden Steuerung in den Händen Kontrolle über eine momentan sehr unsichere und gleichzeitig gefährliche Person erlangen könnte. Ich tue es nicht. Wir tragen hier eine Menge Verantwortung für eine Menge Leute."

„Und ich trage auch Verantwortung für Yuki. Sie ist gerade in diesem Zustand sehr verletzlich. Das Wohl von vielen mag mehr wiegen als das Wohl einzelner Personen. Aber wir dürfen nicht aufhören, im Einzelfall noch einmal abzuwägen. Und versuchen Sie es mal mit Vertrauen, Direktor. Ich vertraue nämlich darauf, dass sie sich richtig entscheiden wird, zumal es in ihrem eigenen Interesse liegt, wenn wir dafür sorgen, dass niemand sie jemals wieder fremdsteuern kann. Sie weiß vielleicht nicht, wer sie ist, aber sie ist nicht dumm!"

Fury atmete zweimal tief durch und wandte sich an den Arzt und den Wissenschaftler, die sich beide sichtlich schwertaten, Stellung zu nehmen.

„Dr. Banner, Dr. Sanders, Sie denken doch auch, dass der Schutz der Allgemeinheit absoluten Vorrang hat?"

Keiner der beiden machte Anstalten zu antworten, und so fragte er mit Nachdruck noch einmal nach. „Dr. Banner, wie stehen Sie dazu? Vielleicht können wir den Captain, davon überzeugen, dass er sich aufgrund emotionaler Befangenheit da in etwas verrennt."

Der Wissenschaftler rang nach Worten und stotterte beinahe, als er endlich zu sprechen begann. „Ähm ... das mit dem Wohl der Allgemeinheit versus dem, Einzelner ... das ist ein hoch philosophischer Disput, ja, der äh ... nicht so einfach beizulegen ist. Was ich damit sagen will: So lange die Möglichkeit besteht, dass Ms. Leclerc aus freien Stücken einer Operation zustimmt, sollten wir sie einfach fragen. Ich vertraue außerdem Captain Rogers Gespür, auch wenn er da gefühlsmäßig stärker involviert ist."

Das hatte Fury nicht kommen sehen, und er traute sich fast nicht, in Sanders Richtung zu schauen. Dieser blickte ihn unbehaglich durch seine randlose Brille an. Er hatte auch aus dieser Richtung keine uneingeschränkte Zustimmung zu erwarten.

„Mr. Fury, ich sehe das ähnlich wie Dr. Banner. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass wir so lange warten, bis die Amnesie vollständig geheilt ist, bevor wir sie fragen, ob sie dieses Ding entfernen lassen will. Das ist eine Entscheidung, die Yuki Leclerc betrifft, und sie sollte deswegen auch von ihr gefällt werden – sobald sie wieder vollumfänglich sie selbst ist."

Nicholas Fury fehlten selten die Worte, doch heute war eine dieser seltenen Gelegenheiten. Ja, hatten sich denn alle gegen ihn zusammengetan? War er etwa das einzig rational denkende Lebewesen in diesem Raum?! Er wollte gerade seinem Unmut Luft machen und an die Vernunft der Männer appellieren, da piepte es wie wild und Agent Romanoffs Gesicht erschien als Hologramm, als er die entsprechende Taste drückte. „Direktor, ich glaube Sie und Steve sollten sofort hier heraufkommen! Yuki hat ... einen Anfall oder so. Oh, Hi Bruce, Dr. Sanders, das trifft sich gut. Bringen Sie die beiden am besten mit, Sir. Aber Pronto!"

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