Suche Held, biete Phönix (FF...

Od QuillDee

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Wie kommt jemand zurecht, der nach siebzig Jahren Kälteschlaf in eine völlig neue, ja fremdartige Umgebung ge... Více

Vorwort
1 - Neue Ufer
2 - Erstens kommt es anders
3 - Erdbeer-Confit an Mandelschaum
4 - Von Kartoffelchips und anderen Errungenschaften
5 - Rache ist Blutwurst
6 - Wenn jemand eine Reise tut
7 - Manifestation
8 - Zwei Avenger sehen mehr als einer
9 - Home, sweet Home
10 - Lose Enden
11 - Der große Knall
12 - Zuflucht 2.0
13 - Was einmal war, verlässt uns nicht
14 - Ein Spätsommer in der Provence
15 - Oh what a Feeling this is
16 - Von alten Freunden, Halluzinationen und guten Ratschlägen
17 - Familiengeheimnisse
18 - Der Anker
19 - Von der Kunst des Nudelschlürfens
20 - Das perfekte Date
21 - Familienzusammenführung
22 - Rotes Blut, grauer Glibber und andere Körperflüssigkeiten
23 - Trouble in Paradise
24 - Im Netz der Hydra
26 - Die Hoffnung stirbt zuletzt
27 - Operation Feuersturm
28 - Heiß und Kalt
29 - Who am I
30 - Trigger und Reset
31 - Der fast normale Wahnsinn
32 - Weihnachten bei Bartons
33 - (K)ein Glückliches Neues Jahr
34 - Beziehungskisten und andere Probleme
35 - Zwischen den Stühlen
36 - Abrechnung
37 - Phönix aus der Asche
38 - Wer loslässt, hat beide Hände frei
Epilog

25 - Neukalibrierung

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Od QuillDee

Es war auszuhalten, sie hatte es sich schlimmer vorgestellt. Bis jetzt hatten sich die meisten Anweisungen darauf beschränkt, der Frau mit den roten Fingernägeln dorthin zu folgen, da zu warten, in ihrer Zelle dann zu essen oder zu schlafen, wenn man es ihr auftrug oder gestattete. So war es ein Leichtes gewesen, sich, wie abgemacht, widerstandslos in alles zu fügen, bis Yuki trotz mangelnden Zeitgefühls davon ausgegangen war, dass Steve wieder wach und in Sicherheit wäre.

Auch danach sah sie keinen Sinn darin, sich aufzulehnen, wenn sie die Frau so leicht zufriedenstellen und in Sicherheit wiegen konnte. Währenddessen versuchte, sich an den Weg in ihre Zelle zu erinnern, da man ihr bei ihrer Ankunft die Augen verbunden hatte, um bei einer Fluchtmöglichkeit nicht planlos herumzuirren. So tat sie weiterhin brav, was auch immer man anordnete, obwohl es, was das Schlafen anging so eine Sache war.

In einem etwa sechs Quadratmeter großen Raum, der in kaltem Weiß gehalten und fast vierundzwanzig Stunden am Tag hell erleuchtet war, konnte von erholsamem Schlaf nicht die Rede sein. Die ebenfalls weiße, pulverbeschichtete Einrichtung aus Metall, die aus einem einfachen Bettgestell, zwei Stühlen und einem kleinen Schreibtisch bestand, alles fest mit dem Boden verschraubt, tat ein Übriges, dass sie sich nicht einen Moment entspannen konnte. Sogar als Yukis Augen sich an die immerwährende Helligkeit adaptiert hatten, war es, als wäre sie ausgestattet mit einer Schneebrille Made-in-Taiwan zu einer Expedition zum Nordpol aufgebrochen. Doch wenn sie aufgefordert wurde, schlafen zu gehen, tat sie es trotzdem und fiel dann irgendwann in einen unruhigen Schlummer.

Ihr war bewusst, dass die Dauerbeleuchtung Teil einer Strategie war, sie zu zermürben und schlussendlich zu brechen. Sie erinnerte sich an Passagen aus dem Handbuch für angehende S.H.I.E.L.D. Angestellte, das ihr zusammen mit dem von Fury gegengezeichneten Arbeitsvertrag ausgehändigt worden war, selbstverständlich erst nachdem sie eine ellenlange Verschwiegenheitserklärung unterschrieben hatte. Dort wurden verschiedenste Verhör- und Foltermethoden beschrieben, mit denen man während der Tätigkeit für die Organisation konfrontiert werden konnte, ebenso wie Praktiken, wie man diese am besten durchstand.

Sie hatte das meiste nur überflogen, weil sie nie im Leben damit gerechnet hatte, dass sie im Innendienst einmal in so eine Lage kommen konnte. Jetzt ging ihr auf, wie furchtbar naiv sie gewesen war. Und doch war sie jetzt froh, dass sie von dem wenigen, das sie gelesen hatte, wiederum das meiste vergessen oder verdrängt hatte. Zu wissen, was noch auf sie zukommen würde, hätte ihre Furcht ins Unermessliche gesteigert. Dabei war sie jetzt schon krank vor Angst, denn dass es schlimmer werden würde, dessen war sie sich sicher. Spätestens dann, wenn Hydra zur Sache kam und das von Yuki verlangte, wofür sie ‚geschaffen' worden war.

Wenigstens wäre Steve dann schon weit weg, womöglich wieder in Washington, außer Reichweite dieser Irren. Wenn es so weit war, würde sie sich weigern, ihnen die Kontrolle über das Feuer in ihr zu überlassen. Sie durften nicht bekommen, wofür sie Maman, Papa und mindestens zwei Agenten ermordet hatten. Und Steve durfte als Druckmittel nicht mehr zur Verfügung stehen.
Was sie selbst anging, konnte sie nur hoffen, dass sie all dem würde standhalten können, was sie laut Handbuch noch erwarten mochte.

Im Moment kam sie jedenfalls noch klar, auch wenn sich selbstverständliche Dinge wie Toilettengang und Körperpflege bereits jetzt demütigend gestalteten. Mehrmals am Tag stellte ihr ein gesichtsloser und scheinbar stummer Hydra-Mitarbeiter Waschutensilien sowie zwei Eimer in die Zelle, der eine war mit Wasser gefüllt, der andere leer. Das Wasser im ersten war dafür da, dass sie sich wusch, in den zweiten sollte sie sich erleichtern. Der Mann hatte nie auch nur ein Wort gesprochen, sondern ihr nur mit Gesten gezeigt, was sie zu tun hatte. Yuki hatte sich gefragt, ob er wirklich nicht sprechen konnte, oder ob er den Befehl hatte, nicht mit ihr zu reden. Die ersten Male hatte sie sich rundweg geweigert, den leeren Eimer zu benutzen, weil sie ihre Notdurft nicht unter den wachsamen Augen zweier Kameras, die an der Decke montiert waren, verrichten wollte.

Dann war der Schweiger, wie Yuki ihn im Stillen nannte, wieder zurückgekommen und hatte, natürlich schweigend, alles wieder mitgenommen. Die Prozedur hatte sich in unregelmäßigen Abständen wiederholt, und es war nach einer Weile gekommen, wie es kommen musste. Sie hatte es nicht mehr ausgehalten und sich selbst beschmutzt. Es kam niemand herein, um sie zu disziplinieren oder ihr Vorhaltungen zu machen. Sie ließen sie einfach nur lange genug in ihrem eigenen Dreck sitzen. Sie hatte in einer Zimmerecke gehockt und abgewartet, ängstlich darauf bedacht, Steves Hemd zusammenzuraffen, dass wenigstens das sauber blieb.

Schließlich war nach einer gefühlten Ewigkeit in dem nach Schweiß und Exkrementen, ihrem Schweiß und ihren Exkrementen, stinkenden Raum endlich der Schweiger ein weiteres Mal mit beiden Eimern gekommen. Sie hatte ihm alles aus den Händen gerissen, um sich hastig und beschämt zu waschen. Sie war dankbar dafür gewesen, dass nur die Kameras Zeugen ihrer Erniedrigung waren, und der Schweiger zu keiner dieser Gelegenheiten auch nur den Versuch unternommen hatte, sich an dem Schauspiel zu ergötzen.

Yuki war fest entschlossen, es nie wieder so weit kommen zu lassen – wann immer der Schweiger vorbeikam, nutzte sie die Eimer und sagte sich, dass das noch gar nichts war und es noch viel schlimmer werden würde.

✮✮✮✮✮✮

Steve hatte noch nie in seinem Leben Schawarma gegessen, dieses Gericht bestehend aus gegrilltem Fleisch im Fladenbrot. Jetzt saß er hier, umgeben von neuen Kampfgefährten, mit denen vor gerade Mal einer Stunde noch erfolgreich eine außerirdische Spezies namens Chitauri sowie einen leibhaftigen Halbgott bekämpft hatte, und genoss den fremdartigen Geschmack nach arabischen Gewürzen und saftigem Fleisch. Das Bisschen Schutt und Geröll, das überall in der Imbissbude herumlag, störte ihn nicht, ebenso wenig die anderen, die ebenfalls in ihre Mahlzeit vertieft waren. Niemand sprach ein Wort, und das wohlige Seufzen und Schmatzen verursachten einen Druck, der sich schwer auf seine Brust und Kehle legte. Er erinnerte sich an eine junge Frau, die gutes Essen geliebt hatte und auch dieses Mahl ebenso genießen würde, wäre sie hier.

Doch sie war es nicht.

Seit Fury ihm das Zugeständnis gemacht hatte, dass sie die Suche nach Yuki wieder aufnehmen würden, wenn auch nicht aktiv, hatte er sich monatelang tagtäglich in der Kommunikationszentrale eingefunden und auf Neuigkeiten gewartet, die unweigerlich kommen mussten. Doch es war vergeblich gewesen. Er hatte zunächst noch verzweifelt gehofft, sich dann damit abgefunden, dass sie nicht wieder zurückkehren würde, und schließlich getrauert. Wie es schien, war es ihm dieses Mal etwas leichter gefallen, loszulassen, als zuvor. Das musste an Natasha gelegen haben, die sich geweigert hatte, ihn alleine vor sich hin brüten zu lassen, und, wann immer es ihre eigenen Missionen erlaubten, mit ihm um die Häuser gezogen oder einfach nur mit einer Party-Pizza und mehreren DVDs bewaffnet bei ihm aufgeschlagen war.

Sie hatte es auch geschafft, ihn zu überreden, sich auf den ersten Avengers-Einsatz einzulassen. Ihrer Meinung nach gab es nichts Besseres, als eine ordentliche Portion Action, um den Kopf von jeglichem Kummer zu befreien. Zumindest für die Zeit des Einsatzes.

Am Anfang hatte es nicht einmal danach ausgesehen, dass sie alle als Team würden zusammenarbeiten können. Zu groß war der Unterschied zwischen den einzelnen Persönlichkeiten gewesen. Doch dann war Coulson, Furys erster Mann, kaltblütig von diesem Halbgott Loki ermordet worden. Der Mann, Phil, wenn er sich richtig erinnerte, hatte als einer von wenigen unerschütterlich an Furys Idee eines Heldenbündnisses geglaubt. Und er hatte Captain America vergöttert, sogar alte Sammelkarten wie einen Schatz in der Schreibtischschublade gehütet. Coulsons Blut auf den vergilbten Captain-America-Sammelkarten hatte die Einzelkämpfer zusammengeschweißt, wie es keine Motivationsmaßnahme der Welt geschafft hätte.

Steve lächelte traurig. Es hatte erst den Tod eines guten Mannes bedurft, ihn aus seiner Lethargie zu reißen und alle Zweifel fahren zu lassen. Doch ab dem Zeitpunkt, an dem er sich seiner Verantwortung gestellt und beinahe wie von selbst in seine Führungsrolle zurückgefunden hatte, fühlt er sich wieder wohl in seiner Haut. Nicht ganz so, wie in der Zeit mit Yuki, als sie noch auf einer unbeschwerten Europareise gewesen waren, aber annähernd. Romanoff hatte wie so oft recht behalten, dachte er und prostete ihr mit einer Coke zu. Sie erwiderte seine Geste mit ihrem Mineralwasser, sah ihn jedoch zweifelnd an. Irgendwie hatte sie ein Gespür dafür, wenn er sich wieder zu sehr mit der Vergangenheit beschäftigte. Doch nie hatte sie ihn in Gegenwart anderer damit konfrontiert. Er rechnete ihr hoch an, dass sie seine Privatsphäre respektierte und ihn höchstens unter vier Augen darauf ansprach.

Es hatte gutgetan, zu erleben, dass er noch immer gebraucht wurde, und dass es heute wie damals zu Zeiten des Howling Commandos Menschen gab, die ihm vertrauten und denen er vertraute. Und dass sie zusammen Großes bewirken konnten. Nur dass dieses Mal ein Gott zu der Truppe gestoßen war und dass die Menschen erfahren hatten, dass da noch viel mehr in den Weiten der Galaxie lauerte.

Steve stopfte sich den Rest seines Schawarmas in den Mund und nahm sich vor, auch in der Zeit zwischen zwei Avengers-Sondereinsätzen das zu tun, was er am besten konnte. Den Menschen zu dienen. Dabei fühlte er sich nicht mehr allein den Vereinigten Staaten verpflichtet, und hoffte, dass Fury ihm die Entscheidung überließ, wo er sich engagierte und wo nicht. Anderseits würde dem Direktor nicht viel anderes übrig bleiben – immerhin hatte er einen voll einsatzfähigen Captain America bekommen. Das musste doch etwas wert sein.

Zum ersten Mal seit Yukis Verschwinden sah Steven Grant Rogers wieder mit so etwas wie Zuversicht in die Zukunft. Er würde einfach weiter machen. Und er würde wieder täglich in der Nachrichtenzentrale vorbeischauen, egal wie irrational es für Aussenstehende wirkte: Seine Hartnäckigkeit hatte sich schon vor siebzig Jahren bezahlt gemacht, und, was noch viel wichtiger war – er war es ihr schuldig, nicht aufzugeben.

✮✮✮✮✮✮

Die Frau mit den roten Fingernägeln hatte ihre zivilisierte Maske abgelegt. Sie war der Ansicht, die Kleine hatte lange genug Gelegenheit gehabt, vollständig zu kooperieren. Es war an der Zeit, die Schrauben weiter anzuziehen, denn mit jedem Besuch Kobayashis, bei dem sie ihm keinen Fortschritt berichten konnte, kroch die Angst vor Degradierung und Bestrafung ein bisschen höher. Vor einer Woche hatte sie ihren Leuten befohlen, Leclerc mit wohldosierten Schmerzen zu überreden. Wenn sie sie darüber hinaus dazu provozieren konnten, ihre Kräfte freizusetzen, wäre das ein positiver Nebeneffekt. Sie hatte jede der Sitzungen persönlich überwacht, um sicherzustellen, dass die Instrumente nur an Stellen zum Einsatz kamen, wo Verletzungen und Narben durch Kleidung verdeckt wären. Kobayashi hatte betont, dass es eine Schande wäre, die ansehnliche Verpackung zu beschädigen, wenn sie doch zum Zwecke der Verführung zukünftiger Zielpersonen noch überaus nützlich sein konnte.

Leider hatte sich herausgestellt, dass sie es mit lauter Stümpern zu tun hatte. Denn sie schafften es nicht, ihr Opfer lange genug bei Bewusstsein zu halten. Viel zu oft mussten sie abbrechen und warten bis es wieder zu sich kam. So konnten die Maßnahmen keine Wirkung entfalten, weil sie jedes Mal von null anfangen mussten, bevor sie die Intensität für den größtmöglichen Effekt wieder steigern konnten. Deshalb hatte sie Hilfe aus der Zelle in Osaka angefordert, dort waren sie „Meister der „Überredungskunst" in all ihren Spielarten. Sie erwartete jeden Moment Bescheid, ob und wann sie mit Unterstützung durch die Kollegen rechnen konnte.

Es klingelte, und die Frau hob gleich beim ersten Signal ab. „Carpenter hier ... wann könnt ihr loslegen?" Sie lächelte aufgeräumt und legte auf.

Jetzt würde Bewegung in die Sache kommen. Sie überlegte noch, ob sie die Neuen noch vorwarnen sollte. Denn die Berichte über das Ende der zwei Agenten in Paris, hatte sie gelesen, und sie nahm sie sehr ernst. Doch sie entschied sich dagegen. Sie, als Abteilungsleiterin, konnte sich einen Stuhl in sicherer Entfernung aufstellen lassen, die Arbeit am Objekt selbst konnte nur in unmittelbarer Nähe durchgeführt werden. Alle Hydra-Agenten wussten um das Risiko, im Rahmen ihrer Arbeit verletzt oder getötet zu werden, und so sah die Frau keine Notwendigkeit, den Erfolg der Unternehmung durch übertriebenes Verantwortungsgefühl gegenüber den Kollegen zu gefährden.

✮✮✮✮✮✮

Selbst als sie begonnen hatten, ihr wehzutun, hatte sie geglaubt, durchhalten zu können. Denn dankbarerweise verlor sie zu Beginn schnell das Bewusstsein und begrüßte jedes Mal die willkommene Schwärze, die kam, bevor sie die Kontrolle über sich verlieren konnte. Doch das war Vergangenheit.

Heute waren ihr von der Frau, die von ihren Untergebenen ‚Carpenter' genannt wurde, zwei neue Folterknechte vorgestellt worden. Sie sahen aus wie die japanische Variante der Blues Brothers: Die gleichen Anzüge, Hüte und riesigen Sonnenbrillen. Sie sahen nicht sehr furchteinflößend aus, aber Yuki wurde schnell eines Besseren belehrt.

Jetzt, Stunden (oder Tage?) später war sie heiser, so lange hatte sie geschrien, gefleht und gebettelt. Und nicht einziges Mal hatte sie Zuflucht in gnädiger Finsternis gefunden. Dafür hatten die Blues Brothers gesorgt.

Schnitt.

Eines war sicher. Sie hatte Aussetzer. Wie oft und wie lange die jeweils andauerten, konnte sie ohne eine Uhr oder Anhaltspunkte durch Tageslicht nicht sagen. Wie in einem Film wurde ihr Bildschirm plötzlich schwarz und für die nächste Einstellung wieder aufgeblendet, in der sie sich zuerst nur schwer orientieren konnte. Die wachen Phasen waren auch unterschiedlich lang. Das war ein schlechtes Zeichen.

Sie öffnete mühsam ein Auge und erschrak. Dieses Mal kniete Carpenter vor dem Bett, das Gesicht so nahe an ihrem, dass sich die Nasenspitzen fast berührten. Das Weibsstück beobachtete sie bestimmt schon seit einer Weile und lächelte jetzt zufrieden.

„Fahr zur Hölle."

Das Lächeln wurde breiter. „Nein, ich denke nicht. Es reicht, dass du schon auf dem Weg dahin bist."

Schnitt.

Sie hatte geträumt. Von Maman, wie sie im Garten die Rosen zurückschnitt. Sie freute sich, wieder zu Hause zu sein und und hob die Hand, um sie zu begrüßen. Und plötzlich standen ihre Fußsohlen in Flammen und sie schrie.

Ein Blues Brother hielt ihr triumphierend ein bluttriefendes Skalpell ganz nah an das Auge.

„Die zwei können auch oldschool arbeiten." Carpenter, das Miststück. „Heute wollten sie eigentlich eine Art Lötkolben verwenden, aber du bist – welch Überraschung – hitzeresistent."

Schnitt.

Die Blues Brothers wechselten die Bandagen am Rücken und an den Füssen, nicht ohne zuvor Salbe auf die Wunden gegeben zu haben.

„Warum plötzlich so fürsorglich?" Ihre eigene Stimme klang fremd, so schwach und kaum hörbar. Doch sie transportierte das Bisschen Sarkasmus, das Yuki noch aufbringen konnte. Sie gaben keine Antwort. Das tat Carpenter an deren Stelle:

„Weil wir sehr viel in dich investiert haben und wir unser Kapital schonen wollen, wir haben nichts davon, wenn du an einer Infektion stirbst. Außerdem musst du für die nächste Runde fit sein. Also, warum beendest du die Quälerei nicht einfach? Zeig uns das Feuer, wir wissen, dass du es kannst."

„Nein!"

„Das ist sehr, sehr dumm." Carpenter strich ihr mit zwei Fingern zart über die Bandagen und Yuki unterdrückte vergeblich, das Wimmern, das diese Berührung auslöste. „Sie haben dir bisher nur die Haut in feinen Streifen vom Rücken gezogen, aber die Jungs sind erfinderisch."

Schnitt.

Carpenter hatte ihr wieder gut zugeredet, doch loszulassen. Sie hatte sich geweigert. Es war immer dasselbe Spiel. Aber dann hatte das Miststück angefangen, Maman und Papa zu verhöhnen. Wie sie nach langer Folter an ihrem eigenen Blut erstickt waren, nur um in die Luft gesprengt zu werden und jetzt festzustellen, dass sie gescheitert waren in ihrer Absicht die Tochter vor Hydra zu beschützen.

Es war vermutlich alles gelogen, nur um sie bis auf das Äußerste zu provozieren. Aber warum eigentlich nicht? Wieso nicht loslassen, das Feuer entfesseln wie in Paris? Sie konnte alle in diesem Raum verbrennen. Und dann könnte sie hier raus marschieren und wäre frei.

Ihre Ohren begannen zu dröhnen und sie sah, wie in Paris, ein grell-weißes Licht. Und sie hieß es Willkommen, wie einen Freund. Als sie ihre Augen erwartungsvoll wieder öffnete, war sie enttäuscht. Carpenter stand noch immer unversehrt an der Tür. Doch einer der Blues Brothers hielt sich eine Hand mit der anderen schützend an die Brust gepresst, wiegte sie dort wie ein Baby. Und während er vor sich hin jammerte, stiegen kleine Rauschwaden auf. Es roch nach Grillfleisch.

Verdammt. Es war nicht genug gewesen, doch für einen weiteren Versuch hatte sie keine Kraft mehr. Das triumphierende Grinsen in Carpenters Gesicht störte sie nicht. Dem Miststück würde das Grinsen noch vergehen. Bald.

✮✮✮✮✮✮

Was machte sie hier in diesem Raum? Bisher waren alle ‚Anwendungen', wie Carpenter sie nannte, in ihrer Zelle erfolgt. Yuki hatte schnell begriffen, weshalb der Boden dort gefliest und ein Ablauf beinahe mittig im Raum installiert war. Blut und andere Körperflüssigkeiten konnten problemlos fortgespült werden, weshalb keine Notwendigkeit bestand, dass sie ihre Zelle verließ.

Doch hier saß sie nun. Mit Händen und Füssen an einen futuristisch anmutenden Zahnarztstuhl gefesselt und einer Art Helm umgeschnallt, der am Hinterkopf unangenehm spannte. „Der Thalamus-Stimulator dockt mit zwei Sonden am Thalamus an, der für die Weiterleitung von Schmerzsignalen an die Großhirnrinde verantwortlich ist. So werden wir sehr direkt Schmerzen erzeugen und auch stufenlos steigern können, ohne physischen Schaden zu verursachen."

Das war der Blues Brother mit der bandagierten Hand. Sie hatte noch keinen der beiden sprechen hören und lachte hysterisch. Der Typ hatte eine Stimme wie Donald Duck, was so überhaupt nicht zu seiner Arbeit passte. Kein Wunder, dass sie bisher geschwiegen hatten. Er starrte sie böse an, aber sie kicherte leise weiter, als der andere Zwilling fortfuhr: „Wir danken für die Gelegenheit, das Gerät an diesem Objekt testen zu können." Kermit. Ohne jeden Zweifel Kermit.

„Beginnen Sie mit der Demonstration." Die Stimme dieses Mannes kannte sie nicht. Aber sie konnte den Kopf nicht in seine Richtung drehen, weil er mit Klebeband fixiert war.

Donald drückte eine Taste auf der klobigen Fernbedienung und sie hörte erst ein Summen und spürte dann, wie zwei Nadeln knapp unterhalb der Schädelbasis eindrangen. Nach dem stechenden Schmerz fühlte sie nur einen leichten Druck, der von der Einstichstelle aus emporstieg.

„Ist das etwa alles?", spottete sie, bereute es jedoch in dem Augenblick, als Donald den Regler der Fernbedienung langsam nach oben schob.

Schmerz explodierte in jeder Faser, ihres Körpers. Wirklich jeder, es blieb nicht eine einzige Stelle unberührt. Als der Regler bis zum Anschlag oben war, explodierten Lichtblitze vor ihren Augen und sie hörte ein unmenschliches Kreischen. Erst als Donald den Stimulator wieder herunterregelte, merkte sie, dass sie es gewesen war, die kreischte. Sie war in kaltem Schweiß gebadet und erbrach sich zitternd.

„Ausgezeichnet", sagte der fremde Mann beeindruckt. „Dann sollen wir mit dem Stimulator fortfahren, Kobayashi-Sama?", fragte Carpenter. Der kriecherische Ton, irritierte Yuki. Sollte sie vor dem Mann Angst haben, vor dem Carpenter sich in die Hosen machte? Vielleicht. Es war jedenfalls jemand ganz oben in der Hydra-Hierarchie.

Schnitt.

Steve. Sie erkannte seinen Geruch. Er war hier. Er war gekommen, sie zu holen. Sie wollte ihn schelten, sich so in Gefahr zu bringen. Dabei hatte sie ein ums andere Mal gehofft, er würde sie holen kommen. Er hatte die Aufnahme auf seinem Handy bestimmt gehört, wusste, dass sie ihn nicht hatte verlassen wollen.

Und jetzt war er hier, sie spürte sein warmes Gewicht angenehm schwer auf sich liegen und wölbte sich ihm entgegen. „Bring mich weg", bat sie ihn. „Gleich", sagte er und küsste sie, als würde er sie verschlingen wollen. „Lass mich dich erst lieben, ich habe dich so sehr vermisst!"

Es musste ein Traum sein, denn das klang nicht nach ihm. Aber es war ihr egal, er war hier. Das war alles, was jetzt zählte. Sie erwiderte seinen Kuss genauso begierig und legte ihre Hand auf seine, als er ihre Brust umfasste und sie zu kneten begann. „Steve ...", stöhnte sie und plötzlich gab er sie frei und war fort.

„So ist das also!", höhnte der Mann, den Carpenter mit Kobayashi angesprochen hatte.

„Sie haben mir nicht gesagt, dass die Sache mit dem Soldaten so tief geht, Carpenter-San. Das hätten wir nutzen können."

"Aber Kobayashi-Sama, wir kommen nicht mehr an ihn heran, um ihn als Druckmittel zu verwenden", wandte Carpenter ein.

Yuki heulte auf, entsetzt davon, dass ausgerechnet die zwei Personen, die sie am meisten verabscheute, Zeugen eines so intimen Augenblicks geworden waren, auch wenn er nicht real, sondern im Traum stattgefunden hatte. Ihre Sehnsucht hatte sie schwach gemacht und sie verraten.

Die nächsten Worte ließen ihr das Blut in den Adern gefrieren.

„Das spielt keine Rolle. Wir können diese innige Verbindung nutzen und die nächste Stufe zünden. Den Thalamus-Stimulator in Kombination mit neuronal übertragenen Bildern. Organisieren Sie so viele Bild- und Videoaufnahmen von dem Mann wie möglich, das sollte kein Problem sein. Dieser selbstgefällige Gaijin ist ja omnipräsent in den Medien seit New York. Und setzen sie alle unsere Deep Fake Spezialisten daran."

„Das ist brillant, Kobayashi-Sama! Sie wird die direkte neuronale Bildübertragung nicht von der Realität unterscheiden können. Es spielt keine Rolle, dass wir das Druckmittel gar nicht in unserer Gewalt haben. Sie wird nur sehen, was mit ihrem Liebhaber anstellen könnten, wenn sie nicht kooperiert."

Yuki schloss die Augen. Wenn Steve sie retten wollte, musste er sich beeilen. Oder sie musste ihre Rettung in die eigenen Hände nehmen. Aber wie sollte sie das anstellen, wenn ihre Gabe sie im Stich ließ und so mehr Fluch als Gabe war? Verzweiflung wusch über sie hinwg, und Yuki blieb leer und erschöpft zurück.

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Hey, das ist meine erste ff, ich hoffe sehr, sie gefällt euch! Viel Spaß! 😊❤️ (fertig geschrieben)
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