Suche Held, biete Phönix (FF...

By QuillDee

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Wie kommt jemand zurecht, der nach siebzig Jahren Kälteschlaf in eine völlig neue, ja fremdartige Umgebung ge... More

Vorwort
1 - Neue Ufer
2 - Erstens kommt es anders
3 - Erdbeer-Confit an Mandelschaum
4 - Von Kartoffelchips und anderen Errungenschaften
5 - Rache ist Blutwurst
6 - Wenn jemand eine Reise tut
7 - Manifestation
8 - Zwei Avenger sehen mehr als einer
9 - Home, sweet Home
10 - Lose Enden
11 - Der große Knall
12 - Zuflucht 2.0
13 - Was einmal war, verlässt uns nicht
14 - Ein Spätsommer in der Provence
15 - Oh what a Feeling this is
16 - Von alten Freunden, Halluzinationen und guten Ratschlägen
17 - Familiengeheimnisse
18 - Der Anker
19 - Von der Kunst des Nudelschlürfens
20 - Das perfekte Date
21 - Familienzusammenführung
22 - Rotes Blut, grauer Glibber und andere Körperflüssigkeiten
24 - Im Netz der Hydra
25 - Neukalibrierung
26 - Die Hoffnung stirbt zuletzt
27 - Operation Feuersturm
28 - Heiß und Kalt
29 - Who am I
30 - Trigger und Reset
31 - Der fast normale Wahnsinn
32 - Weihnachten bei Bartons
33 - (K)ein Glückliches Neues Jahr
34 - Beziehungskisten und andere Probleme
35 - Zwischen den Stühlen
36 - Abrechnung
37 - Phönix aus der Asche
38 - Wer loslässt, hat beide Hände frei
Epilog

23 - Trouble in Paradise

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By QuillDee

In einem der höchsten Bürotürme mitten auf der künstlichen Insel Tsukushima klingelte das Telefon, und die Frau griff mit korallenrot und spitz manikürten Fingernägeln nach dem Hörer. „Ja?" Sie klang selbstsicher, doch die Hand mit dem Hörer zitterte unkontrollierbar, denn Kobayashi war am anderen Ende der Leitung. Wenn er aus seinem Urlaub in Key West anrief, hatte es nichts Gutes zu bedeuten, oder aber er hatte sich lediglich dazu entschlossen, sich selbst zu kümmern. Was auch nicht gut war für sie.

„Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Kobayashi-Sama", sagte sie unterwürfig und verbeugte sich, obwohl die ehrerbietige Anrede mehr als ausreichend war und er sie gar nicht sehen konnte. Doch sie wollte kein Risiko eingehen: Es waren schon Köpfe für geringere Vergehen gerollt. Als sie vorhin Meldung gemacht hatte, war sie schon als die Abteilungsleiterin gebrandmarkt, unter deren Augen Yuki Leclerc entwischt war. Dass eine Widow daran beteiligt war, taugte für Männer wie Kobayashi nicht als Ausrede. Und sie hatte sich auch dafür verantworten müssen, dass fünf ihrer Leute regelrecht abgeschlachtet worden waren, als die kostbare Beute sich ihres Zugriffs entzogen hatte.

Jetzt auch nur den Hauch von Respektlosigkeit vermuten zu lassen, wäre mehr als töricht.

„Ich kann gar nicht oft genug sagen, wie sehr ich mich schäme, das Vertrauen, das die Corporation in mich setzte, enttäuscht zu haben." Wieder verbeugte sie sich, fror aber in der Bewegung ein, als ihr der Mann befahl, mit dem Unsinn aufzuhören. Seine Stimme klang wie immer aalglatt und sie erinnerte sich an reptilienhafte Augen, die sich noch vor einem Jahr kalt und gleichzeitig wohlwollend auf sie gerichtet hatten.

„Ihr Vater hat uns vor Jahren in der britischen Botschaft einen großen Dienst erwiesen, deshalb sei Ihnen dieser Fehltritt verziehen. Sparen Sie sich die Katzbuckelei: Sie haben jetzt die Gelegenheit, es wieder gutzumachen. Nutzen Sie sie!"

„Ja, natürlich, Kobayashi-Sama. Alles, was Sie wollen. Was soll ich tun?" Ihre Stimme überschlug sich vor Erleichterung.

„Unser Kontakt bei S.H.I.E.L.D. ist zwar aufgeflogen, aber die gute Nachricht ist, dass er nicht geredet hat. Zumindest wird er es nicht tun, bis wir ihn endgültig zum Schweigen bringen. Die weitaus bessere Nachricht ist, im Hinblick auf Ihre weitere Karriere, dass er uns bereits vor acht Monaten im Rahmen eines anderen Auftrags die Adressen dreier S.H.I.E.L.D. Safe Houses in der Stadt beschafft hat. Sie werden sie in eines davon gebracht haben, und ich habe gleich nach Ihrem unglückseligen Fehlschlag alle drei überwachen lassen."

„Was ist, wenn die Informationen veraltet sind?" Die Frau hasste sich dafür, dass ihre Stimme nun doch so ängstlich klang, wie sie sich fühlte.

„Das lassen Sie meine Sorge sein. Ich halte es für unwahrscheinlich. Gaijin, allen voran die Amerikaner!", er stieß Letzteres mit so einer Verachtung aus, die sie Schaudern machte. Ihr Vater war Brite und sie somit zur Hälfte ‚Gaijin'. „Sie sind so blind und wiegen sich in Sicherheit, wenn man sie nur lange genug unbehelligt lässt. Sie werden nichts geändert haben." Er machte eine Pause, und die Nackenhaare der Frau stellten sich in Erwartung ihres neuen Auftrages auf.

„Wie dem auch sei: Sie werden einen Anruf erhalten, sobald sich an einer der Adressen etwas tut. Und dann sorgen sie dafür, dass das Mädchen in unsere Obhut kommt. Wie sie das tun, bleibt Ihnen überlassen - aber wir brauchen sie lebend und nach Möglichkeit unversehrt. Da sie dieses Mal wissen, dass eine Widow vor Ort ist, hoffe ich um Ihretwillen, dass Sie einen guten Plan haben."

„Ja, Kobayashi-Sama. Ich werde Sie nicht noch einmal enttäuschen!" Sie legte auf, doch das Zittern wollte lange nicht aufhören.

✮✮✮✮✮✮

Als sich die dreifach gesicherte Tür des Apartments öffnete und Natasha hindurch kam, konnte er nicht an sich halten. Er stürmte auf sie zu, stieß sie grob beiseite und riss eine blutverkrustete Yuki an sich. „Du lebst! Ich hatte solche Angst, dass Natasha zu spät kommt!", seine Stimme versagte bei den letzten Worten und es hörte sich mehr wie das Krächzen einer Krähe an als etwas, das aus menschlicher Kehle kam. Yuki machte sich los, und er betrachtete sie genauer. Sie war über und über mit Blut bedeckt, das an manchen Stellen bereits eine rostbraune Färbung angenommen hatte und so weit getrocknet war, dass es bei der leichtesten Erschütterung in großen Flocken von ihr abfiel. Im Gesicht hatte diese unheimliche Maske schon Risse, nur um die Augen hatte sie das Blut, wahrscheinlich als es noch flüssig gewesen war, mit kreisenden Bewegungen abgerieben. Durch diese runden Öffnungen starrte sie ihm ohne jede Regung entgegen.

Er begann, sie tastend zu untersuchen, und sie wehrte ihn mit erstaunlicher Energie ab. Da schnappte sie: „Ich hab zwar drin gebadet, aber es nicht meins. Außerdem hat Natasha sich auch schon vergewissert, dass noch alles dran ist!"

Natasha räusperte sich. „Ich sehe schon, ihr habt einiges zu klären – entschuldigt mich, ich brauche einen Drink. Beachtet mich gar nicht." Sie ging auf die entgegengesetzte Seite des großen Wohn- und Essbereichs, fläzte sich auf einen der Hocker an der Bar und vertiefte sich demonstrativ in die Auswahl an Spirituosen.

Steve schluckte. Er hatte es so lange aufgeschoben, sie aufzuklären, dass er jetzt, wo ihm keine Wahl mehr blieb, nicht die richtigen Worte fand. „Ähm, bitte setz dich doch erst. Dann reden wir", eröffnete er lahm und deutete auf die cremefarbene Sitzgruppe vor der großen Fensterfront. Es dämmerte schon und das Lichtermeer Tokios begann hinter dem Glas zum Leben zu erwachen.

Yuki schüttelte den Kopf. „Ich stehe lieber", sagte sie kalt. „Außerdem möchte ich ungern die Einrichtung einsauen", fügte sie mit Blick auf das Sitzmöbel hinzu.

Er seufzte ergeben. „Hör zu, es tut mir wirklich leid. Ich wollte dir schon früher sagen, dass ich S.H.I.E.L.D. eingeweiht habe. Es war zu deinem eigenen Schutz: Ich hatte das Gefühl, ihn in Japan nicht mehr gewährleisten zu können. Jedenfalls nicht allein."

„Du hast es mir versprochen, verdammt! Und hast das Versprechen gebrochen!" Yuki wurde immer lauter und Steve registrierte aus den Augenwinkeln den besorgten Blick Natashas. „Das hätte ich ausgerechnet von dir nie erwartet. Und dann bist du auch noch so feige und sagst es mir nicht, bis ich es SO erfahre!" Sie hob ihm die verkrusteten Hände entgegen. Wieder rieselten rostrote Flocken auf den beigen Teppichboden.

Steve schlug die Augen nieder, er wusste selbst, dass er ein Feigling gewesen war. Und um ein Haar wäre alles zu spät gewesen, und er hätte ihr den Vertrauensbruch nicht mehr beichten können. Doch mit ihrer nächsten Tirade regte sich Widerstand in ihm.
„Was glaubst du, wer du bist?! Nur weil dich ein verrückter Wissenschaftler gepimpt hat, bist du noch lange nichts Besonderes! Du hast nicht mehr das Recht, zu lügen und Leute zu hintergehen, wie andere Typen! Ich hasse dich! Nein, ich hasse mich, weil ich wirklich geglaubt habe, du seist anders ..."

Als sie Luft holte, hielt er sie an ihren Oberarmen fest, um sicherzustellen, dass sie ihm zuhörte. Er hoffte den Ärger in seiner Stimme unterdrücken zu können, doch schon während er zu sprechen begann, hörte er selbst, wie wenig es ihm gelang.
„Du bist zu Recht aufgebracht und du stehst vielleicht noch unter Schock, aber sprich nie wieder so respektlos von Dr. Erskine! Ich verdanke ihm so viel, unter anderem auch, dass ich dir begegnen konnte. Willst du wissen, warum ich dir nicht früher reinen Wein eingeschenkt habe?!"

„Ja, zum Henker! Und lass mich verflucht noch mal los!"

„Weil du so verdammt eigensinnig und aufbrausend bist, dass ich mich einfach nicht getraut habe! Ich wollte das, was wir haben, nicht kaputtmachen und wusste, wie das endet. Nämlich so wie jetzt! Und hättest du auf mich gehört, als ich dich mehrfach darauf angesprochen hatte, dass wir die anderen einweihen sollten, dann müssten wir dieses Gespräch jetzt nicht führen!"

Yuki schwieg erst fassungslos und drehte dann noch weiter auf. Er hatte nicht gedacht, dass eine Steigerung noch möglich war. „Ach, jetzt ist es auch noch meine Schuld?! Ich hatte meine Gründe, warum ich das nicht wollte, und ich hätte einfach klein beigeben und ‚Ja und Amen' sagen müssen, nur weil der große Captain America es für richtig hält, ja?! Falls du es noch nicht gemerkt haben solltest: Diese Zeiten sind vorbei. Kleine, brave Frauchen, sind passé! Vielleicht wärst du besser im Eis geblieben, du selbstgerechter ..."

Er sah rot. „Vielleicht wären kleine, brave Frauchen in manchen Situationen vorzuziehen!"
„... Mistkerl ... Bitte was?!" Sie rang nach Worten, und Steve setzte erneut an, nur um von Natasha unterbrochen zu werden, die sich von beiden unbemerkt zwischen ihn und Yuki gestellt hatte.

„Timeout!", rief sie laut und bestimmt, während sie mit den Händen das entsprechende Signal formte, eine flache Hand senkrecht mit den Fingerspitzen gegen die andere flache Hand gelegt.

„Ich hole auch kaltes Wasser, wenn ihr mich dazu zwingt!" Die Drohung erzielte die gewünschte Wirkung. Beide Kontrahenten traten jeweils einen Schritt zurück.

„So Kinder, und jetzt atmet ihr einmal Mal tief durch, zählt bis zehn und hört Tante Tasha zu!"

Steve nickte langsam, Yuki starrte ihn nur böse an Natasha vorbei an.

„Also: Steve, du hältst jetzt die Klappe, bevor du etwas noch Dümmeres sagst." Er hob zu einem Widerspruch an. „Ssst, kein Wort!", unterbrach ihn die Spionin und fuhr an Yuki gewandt fort. „Und für dich gilt dasselbe, und du gehst duschen, aber zackig. Ich will nämlich mit dir reden. Mädelsabend. Aber so nehme ich dich nirgends mit, du siehst nämlich aus wie Carrie auf ihrem Abschlussball."

Steve runzelte über die letzte Bemerkung die Stirn, Yuki hingegen versuchte erfolglos, ein Grinsen zu unterdrücken. Wie so oft, war er im Nachteil, wenn es um Anspielungen auf Dinge ging, die er nicht kannte. „Wo muss ich lang?" Yuki sah Natasha fragend an und bedankte sich, als diese ihr mit einer Handbewegung die Richtung wies.
„Deine Sachen liegen in deinem Zimmer, gegenüber vom Bad", rief er ihr hinterher. Ihn würdigte sie keiner Antwort, was nicht überraschend war.

„Bist du sicher, dass es eine gute Idee ist, ausgerechnet jetzt mit ihr auszugehen? Wozu ein Mädelsabend, das passt so gar nicht zu dir ...", Steve versuchte den Sinn in Natashas Plan zu ergründen. Sie piekte ihn mit spitzem Zeigefinger in den Solarplexus – ein bisschen fester, und er hätte es als unangenehm empfunden.

„Du hast ja gar keine Ahnung." Jede Silbe wurde von einem weiteren Pieken begleitet.
„Erstens: Es ist eine ausgezeichnete Idee. Zweitens: Solche Zerstreuungen sind nicht nur zum Spaß, sondern auch die Gelegenheit, wichtige Mädelsthemen zu bequatschen. Also Männer im Allgemeinen. Im speziellen Fall: Dich. Drittens: Wie viele Mädels hast du schon in unserem Metier gesehen? Ich meine im operativen Geschäft, nicht im strategischen."

„Nicht viele?"

„Da hast du's. Nur weil ich kaum Gelegenheit für solche Abende habe, heißt das nicht, dass ich sie nicht zu schätzen weiß."

„Ich verstehe trotzdem nicht, was du damit bezweckst: Wie du sagst, müssen Yuki und ich diese Sache unbedingt bereinigen. Warum lässt du uns nicht einfach allein, damit wir das tun können?"

Natasha Romanoff sah ihn mitleidig an. „Ist das nicht offensichtlich? Morgen würde man einen von euch beiden tot auffinden, wenn ich euch allein ließe. Oder denkst du, dass es vorhin gut gelaufen ist?!"
Steve schüttelte frustriert den Kopf. „Nein, war aber nicht allein meine Schuld."

„Das sagt auch niemand. Aber ihr seid gerade beide emotional am Limit, und zudem hat sie mich heute in meinem Element gesehen. Wir zwei sind den Anblick von Verstümmelungen, Blut und anderen unschönen Sachen gewöhnt – sie nicht."

„Sie wirkte doch so gefasst, als ihr hereinkamt", sagte er seufzend.

„Du weißt, dass das täuschen kann. Glaub mir, sie hatte für einen Tag genug und braucht einen Abend nur unter uns Frauen. Ich will nur, dass ihr zwei eine Chance habt: Ihr passt eigentlich ganz gut zusammen. Ich lasse sie an meinem Quell der Weisheit teilhaben und alles wird gut." Ihre Augen funkelten schelmisch und sie sprach danach mit großem Ernst weiter: „Sogar wenn wir Hydra dieses Mal schlagen, es wird nicht aufhören. Sie muss wissen, auf was sie sich einlässt, wenn du bei S.H.I.E.L.D. bleibst und Furys Geheim-Truppe beitrittst. Und vielleicht kann ich ihr erklären, warum du nicht anders konntest, als uns einzuschalten."

Steve sah die Agentin, nein, die Freundin lange an. „Danke. Ich schulde dir was. Und pass gut auf sie auf, bitte."

„Das kriege ich hin. Aber als Clint mich bei S.H.I.E.L.D. angeschleppt hat, gehörte es nicht zur Stellenbeschreibung, Beziehungskisten zu reparieren. Also lasst das bloß nicht zur Gewohnheit werden."

✮✮✮✮✮✮

Die Bar war nicht besonders groß und bestand im Wesentlichen aus einem schmalen, schlauchförmigen Raum, der an einer Seite von einer der längsten Theken dominiert wurde, die Yuki je gesehen hatte. Auf der anderen Seite befanden sich kleine Alkoven, und am hinteren Ende, gegenüber des Eingangs befand sich ein Podest mit drei Stangen, an denen sich semi-begabte, dafür spärlich bekleidete Tänzerinnen rekelten. Natasha hatte sie mit dem Eigentümer-Schrägstrich-Barkeeper Hanzo bekannt gemacht und direkt, ohne Yuki zu fragen, zwei doppelte Wodka bestellt. Doch sie hatte keine Einwände, heute Abend brauchte sie etwas Stärkeres als die Cocktails, die sie üblicherweise bevorzugte.

„Möchtest du etwas essen? So als Grundlage für alles, was wir noch trinken werden. Hier gibt's eine kleine Auswahl an Fingerfood."

Yuki dachte nach, aber das Bild von blutigen Schlieren, die sich noch vor einer halben Stunde am Boden der Duschkabine gebildet hatten, kam ihr wieder in den Sinn. Wie sie sich in Spiralen um den Abfluss gedreht hatten, um schließlich darin zu verschwinden, hatte eine Übelkeitswelle ausgelöst, die sie gerade noch so hatte unterdrücken können. Der Ekel war mit der Erinnerung zurückgekehrt, und so lehnte sie dankend ab. Sie würde einfach in langsamer machen müssen, denn sie wollte sich auf keinen Fall abschießen. Gegen ein wenig Ablenkung war nichts einzuwenden, aber ein Mordskater am nächsten Morgen klang wenig verlockend. Niemand wusste, was in den nächsten Tagen noch auf sie zukam.

„Sind wir hier überhaupt sicher?", fragte sie die Agentin ängstlich. „Wir hätten vielleicht besser im Safe House bleiben sollen ..."

„Ach, Kleine, bei mir bist du so sicher, wie du nur sein kannst. Und in diesen Laden kommen nur Leute mit Dreck am Stecken. Die kümmern sich von Haus aus nur um ihre eigenen Angelegenheiten. Zwei angetrunkene Frauen, die sich ein bisschen amüsieren, sind da nicht von Interesse." Yuki war nicht überzeugt. „Woher willst du das wissen?"

Natasha hakte sich mit beiden Beinen am Barhocker ein und streckte sich, bis die Gelenke knackten. Dann klärte sie Yuki darüber auf, dass Hanzo das ‚Ryujin' für die Yakuza betrieb und die meisten Kunden die Bar für die Abwicklung von dubiosen Geschäften nutzten. Auf die Frage hin, ob sie diesem Hanzo denn vertrauen konnten, erzählte sie von der losen Freundschaft, die sie mit dem Mann verband, in deren Verlauf sie ihm mehrfach aus der Bredouille geholfen hatte. Sie ging nicht ins Detail, betonte jedoch, dass er ihr genug Gefallen schuldete, für deren Einlösung zwei Lebensspannen nicht ausreichen würden. Damit war das Thema erledigt und Yuki halbwegs beruhigt.

✮✮✮✮✮✮

Die Frau war zwischen Erwartung und Furcht hin- und hergerissen. Eine der Adressen hatte sich als Volltreffer herausgestellt: Der blonde Soldat war dort als Erstes eingetroffen. Daraufhin hatte die Frau ihre eigenen Leute hingeschickt, mit der Anweisung während der weiteren Observation den größtmöglichen Abstand zu halten, für den Fall, dass die Widow noch herumschwirrte. Sie durften keinen Verdacht erregen, kein Risiko eingehen, bevor die Zeit für den Zugriff reif war. Einen weiteren Fehler würde man ihr nicht mehr durchgehen lassen. Dann war die Zielperson eingetroffen, und die Befürchtung, S.H.I.E.L.D. könnte beide an unterschiedlichen Orten untergebracht haben, hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst.

Als die Zielperson in Begleitung der Widow wieder aufgebrochen war, machte sich die Frau keine Sorgen mehr, denn sie hatten kein Gepäck sich. Die beiden würden also zurückkehren. Und das wiederum hieß, es bliebe der Frau genug Zeit für alle Vorbereitungen.

Sie gab Anweisung, den zurückgebliebenen Agenten, sowie die Ablösung möglichst unauffällig zu eliminieren und die Leichen sorgfältig hinter den Müllcontainern im Hinterhof zu verstecken. Ihre Männer sollten außerdem die Funkgeräte der Toten an sich nehmen, um die russische Agentin nötigenfalls hinhalten oder ganz täuschen zu können.

Für den Soldaten, das Mädchen und die Umgehung des Retina-Scans an der Wohnungstür hatte die Frau schon einen perfekten Plan, doch alles stand und fiel mit Natasha Romanoff. Oh ja, die Frau hatte in den letzten Stunden ihre Hausaufgaben gemacht, und mit Erschrecken festgestellt, dass es sich bei der Agentin nicht um irgendeine Widow handelte, sondern um die tödlichste und gerissenste dieser menschlichen Waffen. Sie mussten ihr vorgaukeln, dass die Ablösung schon da und alles in bester Ordnung wäre. Und hoffen, dass sie auch wirklich darauf hereinfiel und nach Ende ihrer Schicht einfach gehen würde. Die Operation unter ihren wachsamen Augen durchzuführen war undenkbar.

Natürlich konnten sie nicht ausschließen, dass die Agentin ihren Schützling doch bis in das Apartment begleiten würde, und sei es auch nur, um sich von dem Soldaten zu verabschieden – die beiden schienen gut befreundet zu sein. Aber diese kleine Unwägbarkeit unterlag nun einmal weder ihrer Kontrolle noch der ihrer Männer vor Ort.
Sie musste sich jetzt in Geduld zu üben und das Beste hoffen. Etwas anderes blieb ihr nicht übrig.




Nachdem sie sich mit dem Wodka warmgelaufen hatten, war eine nicht unbeachtliche Zahl an Cocktails gefolgt. Währenddessen hatten sie sich über alles Mögliche unterhalten, sich über ihre Vorlieben und Hobbys ausgetauscht. So hatte Yuki unter anderem von Natashas heimlicher Leidenschaft für das Quilting erfahren. Black Widow an der Nähmaschine. Nicht nur, dass dies ein absurdes Bild abgab, auch der neckische Augenaufschlag, mit dem sie sich geoutet hatte, gab Yuki das Gefühl, dass die Frau sie auf den Arm nahm. Überhaupt waren fast alle Aussagen dieser Frau unergründlich. Vielleicht wurde man so, wenn man ständig in irgendwelche Rollen schlüpfen musste und sehr selten man selbst sein konnte.

Nur ein Thema war nicht zur Sprache gekommen: Der hässliche Streit mit Steve, der so eskaliert war, weswegen die Agentin sie überhaupt in diese Bar gebracht hatte. Doch sie konnten diesen weißen Elefanten, der im Raum stand, nicht mehr lange umgehen, sonst wären sie bald nicht mehr nüchtern genug, um geradeaus zu sprechen.

„Warum sind wir eigentlich wirklich hier?", fragte sie die rothaarige Frau direkt.
„Ich wollte, dass du runterkommst. Und dir dann den Kopf waschen", sagte diese und prostete ihr zu.

„Ach, nur mir?!"

„Naaah, lass mich ausreden!" Natashas Aussprache war trotz ihres Vorsprungs, was den Alkoholpegel anging, noch einigermaßen deutlich. „Dir den Kopf waschen, UND dir sagen, dass du recht hast."

„Aha", sagte Yuki irritiert.

„Dein Kopf gehört gewaschen, weil du ihm keine Chance gegeben hast, sich zu erklären. Dabei tut es ihm unendlich leid, dass er dich hintergangen und es dir dann auch noch verschwiegen hat. Was hat er mir nicht die Ohren deswegen abgekaut." Natasha legte den Kopf in den Nacken, kippte den Rest ihres Glases in den Mund und bedeutete Hanzo, gleich nachzuschenken.

„Er hat es sich nicht leicht gemacht, weißt du? Er wollte nur für deine Sicherheit garantieren, und das geht am besten mit uns. Ich verstehe deinen Ärger, aber das ist kein Grund, es ihm jetzt so schwer zu machen, sich zu entschuldigen."

Yuki zog die Augenbrauen zusammen und schnappte: „Ach, nur weil er es gut gemeint hat, ist es okay, unsere Abmachung zu ignorieren und einfach über meinen Kopf hinweg eine andere Entscheidung zu treffen?!"

„Nein, ist es nicht. Ich kann gar nicht zählen, wie oft ich aufräumen musste, weil irgendwelche Typen aus den richtigen Gründen das Falsche getan haben – doch du wärst jetzt tot, verstümmelt oder verschleppt, wenn er es nicht getan hätte!"

Yukis Aufmüpfigkeit schrumpfte schnell unter dem unbarmherzigen Blick aus grünen Augen.

„Ja, denk ruhig einmal darüber nach, wo du jetzt wärst, wenn ich nicht auf dich aufgepasst hätte. Tut mir leid, dir das sagen zu müssen, Prinzessin: In unserem Geschäft heißt es ‚Friss oder stirb'. Eine falsche Entscheidung kann dich das Leben kosten. Steve hat dir die deinige aus der Hand genommen, damit du lebst. Und er macht sich deswegen schon selbst genug Vorwürfe. Du weißt, wie er ist: Die Last der Welt auf seinen breiten Schultern, bla, bla, bla."

Die Agentin hatte recht. Sie musste nur an die Effizienz dieser ehemaligen Spionin und Attentäterin denken, und ihr war klar, dass sie selbst sich niemals gegen fünf Männer hätte zur Wehr setzen können. In Paris hatte sie zwar ein Feuer ausgelöst, um sich zu retten – doch das war unbewusst geschehen, sie hatte keinerlei Kontrolle gehabt. So lange sie diese Fähigkeit nicht steuern konnte, war sie als Verteidigung nutzlos. Und Steve hatte ihren Zorn in Kauf genommen, um sie zu beschützen. Denn auch das hatte er ihr versprochen.

Kleinlaut flüsterte sie: „Es tut mir leid, aus diesem Blickwinkel gesehen, habe ich mich vorhin abscheulich benommen."

„Okay, Schwamm drüber. Kommen wir jetzt zu dem anderen Teil. Wo du goldrichtig liegst." Yukis Mundwinkel hoben sich etwas. „Und der wäre? Würde mir helfen, mich weniger mies zu fühlen wegen der Dinge, die ich ihm vorhin an den Kopf geworfen habe."

„Captain America ist wirklich nichts Besonderes, wie du richtig erkannt hast."

„Wie jetzt? Er verfügt über eine unglaubliche Physis, Schnelligkeit und Selbstheilungskräfte, ist außergewöhnlich stark und robust. Ich vergaß noch intelligent, sexy und obendrein durch und durch gut." Natasha hob eine Augenbraue und Yuki ergänzte eilig: „Ich hab das vorhin doch nur gesagt, weil ich sauer war."

„Trotzdem ist er einfach nur ein Kerl, der gepimpt wurde. Der Ausdruck gefällt mir übrigens. Einer er besseren Kerle, das schon, und glaub mir, ich kann das beurteilen. Aber eben auch nur ein Mensch. Mach nicht den Fehler, ihn zu überhöhen. Gestehe ihm zu, dass er, wie alle anderen auch mal aus den richtigen Gründen das Falsche tut." Natasha Romanoff winkte Hanzo ein weiteres Mal heran. „Gott, ich brauche noch einen Drink. Ich höre mich an, wie meine eigene Großmutter."

Yuki hingegen bestellte sich nur ein Wasser, ihr schwindelte schon leicht, und wandte sich wieder der älteren Frau zu: „Kann ich dich auch um einen anderen Rat bitten, wenn du schon dabei bist?"
„Wenn's sein muss ... ist eh schon egal, immerhin hab ich damit angefangen. Nastrovje!"

Sie stießen an. „Wenn das hier vorbei ist, kommt der nächste Auftrag für Steve, und dann der nächste und so weiter. Für mich ist das mit der ständigen Lebensgefahr nichts, wie du gesehen hast, und ich werde wieder an den Computer zurückkehren. Vielleicht kündige ich ganz bei S.H.I.E.L.D, aber ich denke, Steve ist noch nicht so weit. Du weißt ja, die Welt, seine Schultern. Bla, bla. Wie können wir da noch eine Beziehung führen?"

„Kluges Mädchen. Tja, ich habe keine Ahnung. Ich kenne da nur ein Paar, das wirklich gut damit zurechtkommt, dass einer von ihnen diesen Job macht. Ich weiß nicht, wie Clint und Laura das hinbekommen." Sie sah ernst von ihrem Glas auf. „Aber ich wette 1000 zu 1, dass gemütliche Feierabende vor dem Kamin eher die Ausnahme sind."

Yuki fühlte sich ertappt und erkannte, dass Black Widow genau wusste, wie es in ihr aussah. Die nächsten Worte bestätigten es: „Also schmink dir das ab. Ihr werdet flexibel sein müssen, und du musst jederzeit mit einer schlimmen Nachricht rechnen. Steve ist zwar pepimpt, aber eben nicht unsterblich."

„Ich weiß nicht, ob ich das kann."

„Dann werde dir schnell klar darüber. Besser du ziehst einen Schlussstrich, bevor er zu tief drin steckt und du ihn ernsthaft verletzt. Wobei ich denke, dass es schon zu spät sein könnte."

„Aber ich will es ja können. Ich stecke da genauso tief drin. Zählt das nicht?"

„Manchmal reicht reine Willensstärke aus, manchmal nicht. Ich mag dich, aber ihn mag ich lieber und ich bin auf funktionierende Team-Partner angewiesen. Tu ihm nicht weh, wenn du es vermeiden kannst – mehr sage ich nicht."

Sie saßen noch eine weitere Stunde im ‚Ryujin' und Natasha Romanoff kippte noch einige weitere Drinks mit der Erklärung, dass Beratungsgespräche nun einmal verflixt durstig machten. Yuki begnügte sich weiter mit Wasser, denn ihr genügte die bisherige Wirkung ihrer eigenen konsumierten Drinks. Sie genoss das warme Gefühl im Bauch und das luftige im Kopf, und sie genoss es zum Ausklang zusammen mit ihrer neuen Freundin, die Typen in der Bar zu bewerten. Die Ausarbeitung des Punktesystems war nicht leicht gewesen, denn beide Frauen hatten unterschiedliche Schwerpunkte, doch dann machte es richtig Spaß. Aber am Ende kam irgendwie keiner an die Punktzahl Steves heran, die sie ihm beide schon zu Beginn des Spiels gegeben hatten. Sie konnte es kaum erwarten, sich endlich mit ihm auszusprechen, und registrierte erleichtert, wie Natasha mit einem frustrierten Blick auf ihre Armbanduhr sagte: „Mist. Meine Schicht ist bald zu Ende: Bringen wir dich zu deinem Prinzen, sonst verpasse ich noch meine Ablösung."

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