Glücklich lief ich mit Maja zum Schwimmtraining, es war mein erstes Training als offizielles Mitglied im Schwimmteam. Wir zogen uns schnell um und betraten die Schwimmhalle. Nach kurzer Zeit kam auch schon Hardy mit den Sidecoaches. Er klatschte zweimal laut in die Hände und es wurde ganz still. „Hört einmal bitte kurz zu, ich möchte euch euer neues Teammitglied vorstellen." er zeigte auf mich „Das ist Lia, sie wird ab heute unser Schwimmteam unterstützen. Wir freuen uns alle, dass du jetzt ein Teil unseres Team bist. Und jetzt dürft ihr euch alle 10 Bahnen einschwimmen."
Nach einem anstrengenden Training stieg ich aus dem Wasser „Lia kommst du gleich nochmal zu mir, wenn du fertig bist mit umziehen?" fragte mich der Coach ich nickte ihm zu und verschwand mit meinen Teamkollegen bei den Duschen.
„Bis morgen" verabschiedete ich mich von Maja. Sie winkte mir noch zu und verschwand dann Richtung Internat, während ich zu meinem Coach lief.
„Komm wir gehen kurz in mein Büro. Keine Angst wir müssen nur ein paar Formalitäten klären." er zwinkerte mir kurz zu.
„Also Lia ich sehe wirklich sehr viel Potential in dir, du fängst zwar jetzt erst an richtig in diesem Sport einzusteigen aber du kannst wirklich sehr erfolgreich werden. Das musst du natürlich nicht. Dir wurde bestimmt schon gesagt, dass man manche Sportarten hier als Leistungssport betreiben kann. Dazu gehört auch der Schwimmsport, den kannst du aber auch als normales Sportmodul belegen. Du musst dich natürlich nicht sofort entscheiden am besten sprichst du auch mal mit deinen Erziehungsberechtigten darüber, gerne können wir auch zusammen ein Gespräch führen. Ich möchte mit dir einfach nur besprechen, wie es aussehen würde, wenn du Schwimmen als Leistungssport wählst." begann er.
„Kann ich dann kurz meinem Bruder schreiben, er wartet draußen um mich abzuholen? Ich möchte nicht, dass er sich Sorgen macht" fragte ich ihn.
„Ja natürlich, er kann auch her kommen." schlug Hardy jetzt auch vor, woraufhin ich kurz meinem Bruder anrief, damit er herkommen würde. Es dauerte nicht lange da tauchte er auch schon auf.
„Hallo Tyler Anderson, Lias Bruder und Erziehungsberechtigter." stellte er sich kurz.
„Coach Hardy, Chefcoach vom Schwimmteam. Schön, dass es so spontan alles klappt. Also ich würde Ihnen beiden einfach erklären was es heißt Schwimmen als Leistungssport zu machen.
Genau, wir haben dreimal die Woche Schwimmtraining: Montags, Mittwochs und Freitags. Dienstags und Donnerstags kommt Kraft- und Ausdauertraining hinzu. Viele der Sportler machen zusätzlich morgens oder abends selbstständig und freiwillig Sport. Am Wochenende sind Wettkämpfe, falls diese Wettkämpfe an beiden Tagen sind, ist der Montag natürlich Trainingsfrei, ansonsten ist es Sonntags.
Zum Leistungssport gehört natürlich nicht nur das Training sondern auch die Körperliche Verfassung und die Ernährung. Das heißt es werden regelmäßig Bluttests und Drogenests gemacht aber auch Kontrolle von Herz, Knochen, Gelenke etc. Für jeden einzelnen Sportler werden individuelle Ernährungspläne erstellt und es findet eine regelmäßige Ernährungsberatung statt. Zusätzlich sind regelmäßige Besuche bei unserer Psychologin pflicht.
Das wärs erstmal, haben Sie noch fragen oder möchten Sie etwas wissen?"
Tyler schaute mich fragend an, ich wusste worüber er reden wollte. Ich nickte ihm zustimmend zu.
„Lia leidet unter Magersucht aufgrund von PTBS, sie ist bereits in therapeutischer Behandlung und auf dem Weg der Besserung. Jedoch ist sie noch im Untergewicht." erklärte mein Bruder Hardy.
„Meine Tochter litt auch unter einer Essstörung, wir haben verschiedene Therapien versucht aber letztendlich hat sie es mit Sport recht gut in den Griff bekommen. Unsere Sidecoaches, Ärzte und Therapeuten sind sehr gut ausgebildet um genau solche Erkrankungen vorzubeugen oder eben auch im Heilungsprozess zu unterstützen." erklärte Hardy uns.
Wir redeten noch eine Weile bis ein Entschluss feststand. Ich sollte erstmal zweimal die Woche am Training teilnehmen, da ich wahrscheinlich zusätzlich noch einmal die Woche beim Cheerleadingtraining mitmachte. Sollte es mir beim Schwimmen gefallen und ich die erwartete Leistung bringen sollte, dürfte ich langsam in den Leistungssport einsteigen. Ich war sehr glücklich mit dieser Entscheidung.
Glücklich lief ich mit Tyler Richtung Parkplatz. „Lia du bist ja auch noch hier." sprach mich auf einmal jemand an. Verwirrt drehte ich mich um, es war Hannah. Ich lächelte sie an „Ja ich habe noch mit dem Coach gesprochen." erklärte ich ihr. „Achso das ist mein Bruder Tyler, Tyler das ist Hannah" stellte ich die beiden vor. „Freut mich Sie kennenzulernen Mr. Anderson"
„Nenn mich ruhig Tyler. Ich freue mich auch, dich mal kennenzulernen." lächelte Tyler sie an.
„Tut mir leid, meine Mom wartet im Auto ich muss jetzt noch los. Wir sehen uns morgen." sie schloss mich kurz in eine Umarmung und verschwand dann winkend.
„Ihr versteht euch gut, oder?" hakte Tyler nach.
„Ja sie ist total lieb." antworte ich begeistert „und sie macht bessere Frisuren als du" lachte ich. Tyler hat mir seit Freitag jedes Mal meine Haare gemacht, meistens waren es nur einfach Zöpfe aber mich störte es nicht, ich war ihm dankbar, dass er mir dabei half."
„Das ist ja auch überhaupt nicht schwer." lachte Tyler ebenfalls. Mittlerweile waren wir schon bei Elle angekommen, Tyler begleitete mich noch hinein und verabschiedete sich dann.
„Also Lia wie war dein Tag?" begann sie auch direkt. Ich erzählte ihr ein wenig von der Schule aber hauptsächlich von dem Schwimmtraining, vom Gespräch mit dem Coach und den Pausen, die ich mit Maja, Hailey und Hannah verbrachte. Ich erzählte ihr auch von unserem Strandbesuch gestern und den ganzen Neuigkeiten.
„Wie fühlst du dich denn Lia?"
Ertappt blickte auf den Boden „Ich weiß es nicht. Ihr habt mir erklärt, dass ich als Kind missbraucht wurde aber ich fühle mich nicht wirklich so. Am Freitag habe ich mich so dreckig und eklig gefühlt, eigentlich das ganze Wochenende. Aber heute geht es mir irgendwie wieder gut, mir macht das gar nichts aus. Ich habe ein wenig das Gefühl, dass ich jetzt verstanden habe, dass mit mir nichts falsch ist, sondern mit meinen Eltern. Dr. Wingston hat mir das so oft versucht zu erklären und meine Brüder auch aber ich habe es nie verstanden. Seit Freitag verstehe ich es irgendwie, ein Teil in mir versteht das aber nicht. Ich weiß nicht wie es aussehen sollte, wie Eltern ein Kind behandeln sollte. Woher weiß ich, dass meine Brüder mich nicht genauso behandeln oder anders falsch behandeln?" erklärte ich verzweifelt.
„Wir fangen mal vorne an, okay? Es ist ganz normal, dass du noch nicht wirklich etwas fühlst bezüglich des Missbrauchs. Du verbindest keine starken Schmerzen oder traumatisierende Ereignisse damit, weil du es damals nicht verstanden hast. Du dachtest es wäre etwas ganz normales. Das heißt nicht, dass dieses Trauma irgendwann von Bedeutung wird, es kann jederzeit zum Vorschein kommen. Aber aktuell schlummert es irgendwo tief in dir und dein Kopf kümmert sich um andere Dinge, das ist völlig normal. Hast du das verstanden?"
„Ja ich glaube schon, es macht auf jeden Fall Sinn."
„Kommen wir also zu deinem nächsten Punkt. Es gibt keine Vorschrift, wie man sein Kind erzieht. Ich habe ein ganz tolles Buch, wo Schritt für Schritt erklärt wird, wie eine falsch Erziehung, wie es deine Eltern getan haben, aussieht. Wenn du möchtest, schauen wir es uns gemeinsam an."
Ich stimmte ihr zu. Ich möchte endlich wissen, warum alle sagen, was mit meinen Eltern falsch war.
„Ich kann meinen Brüdern also vertrauen, dass sie mich nicht schlafen?" fragte ich Elle nach dem wir uns das ganze Buch in Ruhe angesehen haben und ich ganz viele Fragen stellen konnte aber auch ihre Beantworten musste, wie meine Eltern mich behandelt haben. Alles was sie getan haben, war falsch, das habe ich jetzt auf jeden Fall verstanden.
„Genau, du kannst ihnen vertrauen. All diese Bestrafungen, die du bei deinen Eltern gelernt hast, werden deine Brüder bei dir nicht anwenden. Auch werden sie doch nicht bestrafen aus dem Gründen tun, aus denen es deine Eltern gemacht haben. Du bist noch jung und kommst bald in die Pubertät. Dir wird wahrscheinlich nicht immer gefallen, was deine Brüder dir vorschreiben werden. Eventuell wirst du nicht alle Regeln einhalten, gegen deine Brüder rebellieren oder Fehler machen. Das ist ganz normal, also wirklich völlig normal und überhaupt nicht schlimm. Was aber auch normal ist, dass du mit den Konsequenzen deines Handeln klar kommen musst. Deine Brüdern können dir vielleicht auch Konsequenzen stellen, das sind dann vielleicht Handyverbot oder Hausarrest. Es dürfen aber keine Konsequenzen sein, die dir wehtun." erklärte sie mir.
„Danke Elle, ich glaube ich habe es verstanden."
„Sehr gut, hast du noch Fragen?" ich verneinte.
„Möchtest du noch etwas über sprechen heute?" hakte sie weiter nach. Ich verneinte wieder.
„Gut, dann wäre es für dich in Ordnung, wenn wir die Stunde beenden heute?" „Ja"
„Na dann suchen wir mal eine neue Perle für dich aus." lächelte sie mich an.