Suche Held, biete Phönix (FF...

By QuillDee

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Wie kommt jemand zurecht, der nach siebzig Jahren Kälteschlaf in eine völlig neue, ja fremdartige Umgebung ge... More

Vorwort
1 - Neue Ufer
2 - Erstens kommt es anders
3 - Erdbeer-Confit an Mandelschaum
4 - Von Kartoffelchips und anderen Errungenschaften
5 - Rache ist Blutwurst
6 - Wenn jemand eine Reise tut
7 - Manifestation
8 - Zwei Avenger sehen mehr als einer
9 - Home, sweet Home
11 - Der große Knall
12 - Zuflucht 2.0
13 - Was einmal war, verlässt uns nicht
14 - Ein Spätsommer in der Provence
15 - Oh what a Feeling this is
16 - Von alten Freunden, Halluzinationen und guten Ratschlägen
17 - Familiengeheimnisse
18 - Der Anker
19 - Von der Kunst des Nudelschlürfens
20 - Das perfekte Date
21 - Familienzusammenführung
22 - Rotes Blut, grauer Glibber und andere Körperflüssigkeiten
23 - Trouble in Paradise
24 - Im Netz der Hydra
25 - Neukalibrierung
26 - Die Hoffnung stirbt zuletzt
27 - Operation Feuersturm
28 - Heiß und Kalt
29 - Who am I
30 - Trigger und Reset
31 - Der fast normale Wahnsinn
32 - Weihnachten bei Bartons
33 - (K)ein Glückliches Neues Jahr
34 - Beziehungskisten und andere Probleme
35 - Zwischen den Stühlen
36 - Abrechnung
37 - Phönix aus der Asche
Kapitel 38
Epilog

10 - Lose Enden

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By QuillDee

Sie war erst spät aufgestanden und fühlte sich ausgeruht. Selbst die Rippen taten nur noch weh, wenn sie tief einatmete. Oder lachte. Und zum Lachen war ihr nicht zumute. Gerade noch war sie verprügelt, um ein Haar vergewaltigt und fast entführt worden – doch selbst jetzt, wo sie zu Hause war und in Sicherheit sein sollte, schien nicht alles so zu sein wie immer. Maman war so merkwürdig, vor allem seit sie mitgehört hatte, was sich zuletzt in jener schrecklichen Nacht zugetragen hatte. Sogar nach dem gemeinsamen Frühstück, das beinahe schon ein Mittagessen war, schien sie mit ihren Gedanken ganz woanders zu sein. Und Yuki bemerkte, wie sie sie ängstlich fixierte, wann immer sie glaubte, dass ihre Tochter nicht hinsah. Sie hatte nicht die Energie, sich mit Maman auseinanderzusetzen, doch früher oder später würde sie sie darauf ansprechen müssen. Irgendetwas war ganz fürchterlich faul.

Steve hatte die seltsame Stimmung im Hause Leclerc wohl auch bemerkt, anders konnte sie sich nicht erklären, weshalb er sich den ganzen Vormittag rargemacht hatte. Oder er ging einfach nur ihr aus dem Weg, und daran hatte sie ganz allein Schuld. Sie hatte ihn ja unbedingt küssen müssen, obwohl sie es langsam hatte angehen wollen. Es war einfach passiert. Nach einem frühen Abendbrot hatte sie ihm ihren Lieblingsplatz zeigen wollen: das Baumhaus, das Papa ihr gebaut hatte, als sie zwölf geworden war. Es war an der hintersten Grundstücksgrenze und höher gelegen, sodass man auf den Ort im Tal herabblicken konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Wann immer sie Kummer gehabt hatte oder bloß allein sein wollte, hatte sie dort ihren Frieden wieder gefunden. Es war nach der langen Zeit, die es geschlafen hatte, verwittert und etwas zugewachsen, doch immer noch stabil genug, sogar für zwei ausgewachsene Personen.

Dort hatten sie aneinander gelehnt gesessen, ein weizenblonder und ein tiefschwarzer Haarschopf über eine Schüssel Weintrauben gebeugt, während sie über alle möglichen Dinge sprachen. Nur nicht über das, was sie hierhergeführt hatte. Ganz als hätte sie stillschweigend vereinbart, ausschließlich über harmlose Nichtigkeiten zu reden, welche kaum dazu geeignet waren, die Oberfläche eines ruhigen Teiches auch nur zu kräuseln.

Und auch dieses Mal, wie immer, wenn sie ihre Zuflucht aus Kindertagen aufsuchte, entspannte Yuki sich ziemlich schnell, fast schon augenblicklich. Was sie auch auf die angenehme Gesellschaft zurückführte, und auf den Wein, den sie aus Papas speziellem Kühlschrank hatte mitgehen lassen. Das Gefühl, geborgen zu sein, zusammen mit Steves sauberen Geruch nach Seife, frisch gestärktem Baumwollhemd und einem vertrauten, holzig duftenden Aftershave, all das hatte sie dazu gebracht, alle Kontrolle und guten Vorsätze sausen zu lassen.

Er hatte gerade von seiner ersten Begegnung mit seinem Jugendfreund Bucky erzählt, eine kurze Pause gemacht und Yuki gefragt, ob sie auch noch eine ganz besondere Freundschaft aus ihrer Jugend pflegte. Sie hatte verneint und festgestellt, dass solch feste und unverbrüchliche Freundschaften ziemlich selten waren. Sie hatte ganz spontan einfach nur den Kopf ein wenig angehoben und ihn sacht auf den Mund geküsst. Es war noch nicht einmal ein aufdringlicher oder gar fordernder Kuss gewesen.

So hastig war er aufgestanden, die Leiter heruntergeklettert und in Richtung des Wohnhauses verschwunden, dass sich hätte ohrfeigen können. Seine dahingestammelte Entschuldigung, dass er dringend etwas aus dem Gästezimmer brauchen würde, war alles andere als überzeugend und Yuki hatte gewusst, dass sie zu weit gegangen war.

Jetzt, mit etwas Abstand, hatte sie, wenn sie es recht bedachte, nichts weiter getan, als die Signale, die er seit ihrem Treffen am Flughafen Berlin Tegel aussendete, zu deuten und ihrem Gespür zu vertrauen, dass da etwas war, das sie beide verband. Konnte sie so falschgelegen haben? War er wirklich noch nicht über Peggy Carter hinweg, wie sie insgeheim vermutet hatte? Die Zurückweisung schmeckte wie Staub und ließ sie schlucken. Dabei hatte sie keinen Bedarf an weiteren Komplikationen, was auch der Grund dafür war, dass sie nach seinem Abgang wie betäubt Weintrauben, Wein und Gläser eingesammelt und sich in ihr Bett geflüchtet hatte, ohne ihn noch einmal zu sprechen.

In absehbarer Zeit musste sie mit diesem Mann klären, wo sie standen. Je früher, desto besser, wenn es nach Yuki ging, denn selbst eine weitere Abfuhr war etwas, womit sie fertig werden würde. Im Vergleich dazu konnte sie noch nicht einmal abschätzen, welcher Art die Schwierigkeiten waren, in denen sie sonst noch steckte. Sie würde am besten möglichst bald mit ihm reden und die Flucht nach vorne antreten. Doch er war nirgends aufzutreiben. „Wenn du Steve suchst, der ist auf Wandertour. Er war noch früher auf als ich und konnte nicht mehr schlafen, da habe ich ihm den Malerwinkel empfohlen. Doch er wollte gleich eine komplette Tour über den Sonnenpanoramaweg wieder in die Altstadt machen. Und danach noch den Obersalzberger Rundwanderweg. Ob er sich da mal nicht übernommen hat ..."

Nun, er würde spätestens am Nachmittag wieder hier sein, denn Fury hatte eine Videokonferenz über die neuesten Ermittlungsergebnisse einberufen. Yuki seufzte, wie gerne hätte sie dieses unangenehme Gespräch schon hinter sich gebracht.


Steve war nach einer kurzen Nacht früh aufgewacht und nicht mehr eingeschlafen. Das verfluchte Supersoldaten-Serum hatte dafür gesorgt, dass ein einfaches Lauftraining nicht mehr ausreichte, ihn auszupowern. Er musste wohl noch einige Kilometer mehr laufen, um Abstand zu gewinnen. Abstand von dem, was schon den Schlaf von ihm ferngehalten hatte. Und von dem Chaos, das Yuki mit ihrem Kuss in seinem Inneren angerichtet, wo zuvor alles an Ort und Stelle aufgeräumt gewesen war. Selbst die Trauer darüber, dass er um sein Leben mit Peggy betrogen worden war, hatte er fest zugeschnürt und ganz unten in einer kleinen Truhe, weit hinten in seinem Bewusstsein verstaut. Jetzt war sie aus ihrem Versteck gezerrt worden und lag ausgebreitet da, richtete ihren anklagenden Blick auf ihn. Wie er es nur hatte zulassen können, dass die Pflicht gesiegt hatte – und wie er es jetzt zulassen konnte, dass eine andere Frau Peggys Platz einzunehmen versuchte. Er hatte sich von Yukis Mutter, die auch zu den frühen Vögeln gehörte, ein paar Karten geben lassen und sich zwei mehrstündige Wandertouren ausgesucht. Damit schlug er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Er konnte sich körperlich ein bisschen verausgaben und gleichzeitig die schöne Landschaft erkunden. Bei seinen Einsätzen damals mit dem Howling Commando in Feindesland hatte er kein Auge dafür gehabt. Außerdem hatte es ihn überrascht, dass sich ganz in der Nähe das zweite Führerhauptquartier Obersalzberg befand, das man sogar besichtigen konnte. Diesen Lern- und Erinnerungsort würde er sich ansehen. Wie mochte dieser Unmensch gelebt haben? Mit welchen Einrichtungsgegenständen und Bildern hatte er sich in seiner Residenz umgeben? Nicht dass Steve je verstehen würde, was den Führer angetrieben hatte, doch einen Blick auf den Privatmann Hitler zu erhaschen war verlockend.

Und vielleicht würde er danach endlich wieder einen klaren Kopf haben. Auch wenn er noch immer nicht wusste, was er in Sachen Yuki unternehmen wollte. Doch das spielte keine Rolle, wichtiger war, dass die junge Frau, die sich unverhofft in sein Leben gemogelt hatte, in Sicherheit war. Den Umkehrschluss, dass sie ihm etwas bedeuten musste, wenn ihm ihre Sicherheit so wichtig war, tat er damit ab, dass er in seinem Leben schon immer das Richtige getan oder es zumindest versucht hatte.


In Papas Arbeitszimmer hatten sich alle Teilnehmer der Videokonferenz per Hologramm um den großen Schreibtisch versammelt. Sie warteten nur noch auf Steve und Nick Fury sah schon unwillig auf seine Armbanduhr. Da flog die Tür auf und Yuki nickte Steve zu. Der Direktor verschwendete keine Zeit und begann gleich mit seinem Bericht. Auch wenn es nichts Neues gab, außer der Identität der Entführerin. Das Kennzeichen hatte S.H.I.E.L.D. auf die Spur einer Mietwagenfirma gebracht, und die Frau hatte den Kastenwagen tatsächlich unter ihrem echten Namen, Edith Jones, angefragt. Ein Fehler, der nicht zu der Perfektion passen wollte, mit der die Aktion geplant und ausgeführt worden war. Über den Mann mit dem merkwürdigen Decknamen hatten sie jedoch nichts weiter herausfinden können. Auf keiner der öffentlichen Überwachungskameras zwischen dem Hotel und der Rue de l'Étoile war er so unvorsichtig gewesen, sein Gesicht zu zeigen. Yuki hatte sich mehr erhofft und zwang sich, ihre Enttäuschung zu verbergen. Betont sachlich fragte sie nach Equipment, damit sie die Überwachungsbänder aller größeren Pariser Plätze noch einmal selbst durch gehen konnte und sich über das S.H.I.E.L.D. Intranet immer über den aktuellen Stand der Ermittlungen auf dem Laufenden halten konnte. „Wenn Sie darauf bestehen ... Doch sollten Sie sich nicht auf ihre Genesung konzentrieren, Ms. Leclerc, anstatt Sherlock Holmes zu spielen?"

„Ich bestehe darauf. Sonst verbringe ich zu viel Zeit mit Grübeln."

„Wären vielleicht einige Sitzungen mit einem unserer Psychotherapeuten besser? Wenn Sie nicht nach Washington kommen wollen, kann Herr Hauser sicher etwas in Berlin arrangieren."

„Nein, danke. Ich komme klar und das am besten, wenn ich bei meiner Familie bleiben und gleichzeitig zur Aufklärung beitragen kann."

Reicht schon, dass ich zum Bandagenwechseln zu Doktor Wanninger muss – zusätzlich ein Seelenklempner? Nein, Danke', fügte Yuki in Gedanken hinzu.

„Gut, sie bekommen in den nächsten Tagen alles, was Sie benötigen. Kommen wir zum letzten Punkt, die Brandursache: Die ist noch immer nicht geklärt. Haben Sie inzwischen eine Idee, weshalb Sie mitten im Brandherd gelegen haben?" ‚Ohne auch nur eine einzige Brandblase davon zu tragen', schienen Furys dunkle Augen zu sagen. Yuki fühlte sich unter seinem bohrenden Blick zunehmend unwohl und trat die Flucht nach vorne an. „Ich habe keine Ahnung, aber spontane menschliche Selbstentzündung schließen wir wohl aus", sprudelte es scherzhaft und betont heiter aus Yukis Mund.

„Tun wir das?" Er starrte sie nun so unverwandt und konzentriert an, dass sie sich vorkam, wie eine ganz besonders seltene Pilzspore unterm Mikroskop. Sie setzte mehrfach zu einer Antwort an, bekam jedoch nicht einen Ton heraus. So war sie erleichtert, als Steve sich zu Wort meldete.

„Fury, das ist doch nicht das dringlichste Problem. Zu allererst sollten wir möglichst alle Spuren verfolgen, die uns zu den Auftraggebern für die Entführung bringen. Die Umstände des Brandes und was auch immer Sie andeuten wollen, das hat alles Zeit."

„Das mag richtig sein. Es wird sie also freuen, zu hören, dass Ms. Edith Jones zuletzt in den Staaten gemeldet war, genauer gesagt in Hartford, Massachusetts. Sie werden also zurückfliegen und Agent Romanoff helfen, mehr über diese Frau zutage zu fördern."

„Aber Yuki ist nicht sicher ..."

„Ich schätze es nicht, wenn meine Anweisungen infrage gestellt werden, nur weil Sie Ihre Hormone nicht im Griff haben. Keine Sorge, ich habe weitere Agents für Ms. Leclercs Sicherheit abgestellt."

„Aber so ist es nicht ...", hob Steve an und Yuki protestierte fast zeitgleich: „Aber ich brauche keine ..."

Der S.H.I.E.L.D. Direktor schnalzte misslaunig mit der Zunge und würgte beide Einwände mit geübter Rücksichtslosigkeit ab: „Da haben sich zwei gefunden – nichtsdestotrotz muss ich gleich zu einem Meeting im Pentagon. Keine Zeit für Diskussionen, guten Tag." Und schon war sein Hologramm in einem Lichtblitz verschwunden. Natasha Romanoff grinste noch anzüglich, bevor sie ihr Bild abschaltete, und Ulf Hauser stammelte noch einen verlegenen Abschiedsgruß.

Yuki war wie so oft froh darüber, dass sie dank ihres Teints nicht zum Erröten neigte. So konnte sie sich Steve zuwenden, ohne dass er bemerkte, wie peinlich ihr das Ganze war. „Es tut mir leid, dass ich dich gestern so überrumpelt habe. Vielleicht ist es ganz gut, wenn du nach Washington fliegst, etwas Abstand gewinnst."

„Aber was ist mit dir? Wirst du zurechtkommen?"

„Ja, wenn du das gestern Abend einfach vergessen könntest und wir einfach Freunde ..."

„Ich will es nicht vergessen."

Yuki biss sich auf die Unterlippe, sie hatte es verkackt.

„Ich weiß nur nicht, ob ich für den nächsten Schritt bereit bin." Ihr Herz schlug ein wenig schneller und als er weitersprach, wollte es aus ihrer Brust fliegen. „Du bist mir so wichtig wie sonst niemand seit Peggy, sei dir dessen gewiss. Fury hat ins Schwarze getroffen, ob nun mit Absicht oder nicht. Doch es ist ein bisschen wie Verrat an Peggy."

„Dann habe ich noch eine Chance?" Er nahm sie in die Arme, drückte sie fest an sich, und das war Antwort genug. Sie genoss einen Moment die Wärme und seinen Duft, gab sich einen Ruck und machte sich los.

„Was ist los, habe ich etwas falsch gemacht?" Yuki musste sich ein Lachen über seinen verdatterten Gesichtsausdruck verkneifen.

„Alles, gut. Komm mit, ich habe da noch etwas für dich", sagte sie mit betont ernster Stimme, um nicht doch noch loszukichern, und nahm ihn an der Hand. Sie zog ihn die Treppe hinauf bis in ihr Zimmer und beantwortete keine seiner Fragen, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatten. Steve hob zu einer weiteren Frage an, doch sie bedeutete ihm mit einer Hand, sich noch zu gedulden. Zwar stand ihre Entscheidung fest, doch es kostete sie doch einige Überwindung, ihr Vorhaben ganz durchzuziehen. Sie atmete noch einmal tief durch und überreichte ihm eine unscheinbare Mappe aus ihrer Schreibtischschublade.

„Was ist das?", fragte Steve zunehmend verwirrt.

„Etwas, das ich dir schon lange hätte geben müssen", flüsterte Yuki. „Es wird dir helfen, mit der Vergangenheit abzuschließen. Versprich mir, erst im Flieger reinzuschauen, und frag nicht weiter nach!"

„Was soll diese Geheimniskrämerei?" Doch Yuki war schon wieder auf dem Weg nach unten. „Komm schon, lass uns den letzten Abend noch genießen – es duftet nämlich ganz herrlich aus der Küche und Maman soll sich nicht umsonst abgerackert haben."


Sie hatten noch gut und reichlich gegessen, und die Stimmung war gut, trotz seiner bevorstehenden Abreise. Sicher, es war ihm nicht entgangen, dass Yukis Mutter des Öfteren nervös auf die Wanduhr gesehen hatte und dass Yuki selbst ihn mit einem Ausdruck ansah, als würden sie sich nie wieder sehen. Doch er hatte ihr versprochen, nicht weiter auf Erklärungen zu drängen. Bei der älteren Frau hingegen wusste er ganz genau, worin ihre Unruhe begründet war. Sie wartete wahrscheinlich immer noch auf den Anruf ihres Mannes und sah sich gezwungen, ihrer Tochter bald reinen Wein einzuschenken, über was auch immer sie bisher vor ihr verheimlicht hatten. Doch es widerstrebte ihm, sich einzumischen. Denn schließlich handelte es sich um eine Familienangelegenheit. Er konnte sich nur zu gut daran erinnern, was das letzte Mal geschehen war, als er so etwas getan hatte. Er wollte damals nur einen Streit zwischen Bucky und seiner Schwester schlichten, was damit geendet hatte, dass beide nie mehr miteinander gesprochen hatten. Sogar Bucky selbst hatte ihn wochenlang geschnitten. Worum es in dem Streit gegangen war, war längst verblasst, doch die Folgen waren ihm heute noch so präsent wie vor all den Jahren.

Was auch immer diese ominöse Familiengeschichte an Gefahren für Yuki barg, vier S.H.I.E.L.D. Agenten, die über sie wachten, würden ihre Sicherheit garantieren. Er musste sich damit abfinden, nicht alles selbst erledigen oder kontrollieren zu können, denn es musste auch jemand der Spur von Ms. Jones folgen, bevor sie kalt wurde. Auf diese Weise konnte er dazu beitragen, weitere Bedrohungen auszuschalten.


Sie waren alle früh zu Bett gegangen, und in dieser Nacht hatte er wie ein Stein geschlafen. Er war frisch und entspannt aufgewacht. Mit der Entschlossenheit, seine neue Mission nach besten Kräften abzuschließen, war auch ein innerer Frieden über ihn gekommen, den er seit seiner Rückkehr aus dem Eis nicht mehr verspürt hatte. Die Leclercs hatten es sich nicht nehmen lassen, ihn zum Salzburger Flughafen zu fahren, wo sie sich von ihm verabschiedet hatten. Frau Leclerc mit einer Herzlichkeit, die ihn überraschte und Yuki niedergeschlagen, mit einem weidwunden Blick, der sich auch nicht aufhellte, als er ihr versprach, schnellstmöglich wieder nach Deutschland zu fliegen. Er wurde einfach nicht schlau aus ihr, und das war es wohl, was Bucky ihm als das rätselhafte Wesen von Frauen beschrieben hatte. Ob ihm die geheimnisvolle Mappe auf seinem Schoß dabei helfen würde? Abwesend wimmelte er eine Flugbegleiterin ab, die ihm etwas vom Servierwagen anbieten wollte, und warf einen Blick auf mit Schreibmaschine beschriebenen Blätter, Kopien wie er bei genauerem Hinsehen erkannte.

Gleich der erste Name elektrisierte ihn: Corporal Timothy Alloysius Cadwaller Dugan, geboren am 11. April 1912. Konnte es möglich sein? Ganz unten auf dem Blatt sah er den Eintrag, dass der Mann jetzt in einem Seniorenheim in Kansas lebte. Hastig blätterte er weiter: Jacques Dernier, geboren am 2. Januar 1911, verstorben im März 1946, James Montgomery, Jim Morita, James Montgomery Falsworth, James Buchanan Barnes, sein Freund bester und einziger Freund. Es lebten nicht mehr viele, von den Mitgliedern seines Spezialkommandos und noch weniger war über deren aktuellen Verbleib bekannt. Doch beim letzten Blatt hielt er unwillkürlich die Luft an und knallte die Mappe wieder zu. Er würde es nicht ertragen, Margaret Elizabeth Carters Todesdatum zu lesen. Was hatte sich Yuki dabei nur gedacht?

Steve schloss die Augen und atmete mehrmals tief durch, während er Peggys warmes Lächeln heraufbeschwor. Hier war die Chance mit der Vergangenheit abzuschließen, ganz wie Yuki es angekündigt hatte. Er öffnete die Augen und schlug den Aktendeckel wieder auf. Er würde kein Feigling sein. Da war sie, sah ihn sogar aus einem körnigen Schwarz-weiß-Foto mit klugen, dunklen Augen verschmitzt an. Doch was seine Aufmerksamkeit mehr noch als das auf sich zog, war der Eintrag, dass sie in einem Pflegeheim in Arlington lebte, nicht weit von Washington entfernt. Seine Sicht verschwamm und er blinzelte heftig, um die aufsteigenden Tränen zu vertreiben. Die leuchtend gelbe Ecke eines Klebezettels lugte hinter diesem letzten Papier hervor. Mit zitternden Fingern zog er es hinten ab und las darauf in Yukis eleganter Handschrift:

„Hallo Steve, ich denke, dass es wichtig für Dich ist, sie zu sehen. Deswegen habe ich Dir die genaue Adresse und Telefonnummer der Pflegeeinrichtung herausgesucht. Ich habe Angst, dass Du danach vielleicht nicht mehr zu mir zurückkommst, aber ich möchte auch nicht für alle Zeit mit einem Geist konkurrieren. Nimm Dir Zeit. Wie Du Dich auch entscheidest, es ist okay. Yuki."

Steven Grant Rogers hatte nach seiner Behandlung mit dem Wunderserum schon oft harte Treffer einstecken müssen, doch nichts hatte ihn so umgehauen wie diese Sammlung an losen Blättern. Eine Stunde Flug bis zur Zwischenlandung in Frankfurt waren hoffentlich genug, sich davon zu erholen.


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