Suche Held, biete Phönix (FF...

By QuillDee

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Wie kommt jemand zurecht, der nach siebzig Jahren Kälteschlaf in eine völlig neue, ja fremdartige Umgebung ge... More

Vorwort
1 - Neue Ufer
2 - Erstens kommt es anders
3 - Erdbeer-Confit an Mandelschaum
4 - Von Kartoffelchips und anderen Errungenschaften
5 - Rache ist Blutwurst
6 - Wenn jemand eine Reise tut
7 - Manifestation
8 - Zwei Avenger sehen mehr als einer
10 - Lose Enden
11 - Der große Knall
12 - Zuflucht 2.0
13 - Was einmal war, verlässt uns nicht
14 - Ein Spätsommer in der Provence
15 - Oh what a Feeling this is
16 - Von alten Freunden, Halluzinationen und guten Ratschlägen
17 - Familiengeheimnisse
18 - Der Anker
19 - Von der Kunst des Nudelschlürfens
20 - Das perfekte Date
21 - Familienzusammenführung
22 - Rotes Blut, grauer Glibber und andere Körperflüssigkeiten
23 - Trouble in Paradise
24 - Im Netz der Hydra
25 - Neukalibrierung
26 - Die Hoffnung stirbt zuletzt
27 - Operation Feuersturm
28 - Heiß und Kalt
29 - Who am I
30 - Trigger und Reset
31 - Der fast normale Wahnsinn
32 - Weihnachten bei Bartons
33 - (K)ein Glückliches Neues Jahr
34 - Beziehungskisten und andere Probleme
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Epilog

9 - Home, sweet Home

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By QuillDee


Sie waren erst kurz vor dem Morgengrauen vor einer modernen Abwandlung eines Hauses angekommen, wie Steve es aus einem Reiseprospekt für die Alpen kannte. Es lag am Rande eines kleinen Ortes und seine Fenster leuchteten als Einzige in einem freundlichen Licht. Sie wurden bereits an der Haustüre von Madame Leclerc erwartet, die sorgenvoll auf ihre Tochter blickte, die von ihrem Vater die Stufen zur Eingangstür hochgetragen wurde. Steve half dem Fahrer mit dem Gepäck und gesellte sich dann zu seinen Gastgebern.

„... keine Sorgen, sie schläft nur tief und fest", hörte er Jean-Baptiste Leclerc seine Frau beruhigen. „Darf ich dir Captain Rogers vorstellen, chérie?"

„Sehr erfreut, Sie kennenzulernen. Marion Leclerc. Nehmen Sie doch einen Moment im Wohnzimmer Platz. Sobald Yuki in ihrem Bett ist, zeige ich Ihnen das Gästezimmer. Sie müssen doch auch sehr müde sein."

Er nickte, setzte sich jedoch nicht hin, sondern besah sich das Zimmer. Die Einrichtung war schlicht, jedoch teuer und alles war penibel aufgeräumt und an seinem Platz. Trotzdem hatte er hier das Gefühl, in dem Zuhause einer liebenden Familie zu sein. Wo die fast schon minimalistisch anmutende Dekoration und die einfachen, klaren Linien der Möbel eintönige Kälte hätten suggerieren können, so zeugten viele von Kinderhand gefertigte kleine Kunstwerke und Fotorahmen, angefüllt mit Szenen aus Yukis Kindheit und Jugend, davon, dass hier eine glückliche Familie lebte. Dann und wann war auch ein junger Jean-Pierre mit einer ebenso jungen Marion darauf zusehen, beide bis über beide Ohren verliebt, und ein älterer Herr mit schlohweißem Haarkranz und Schnauzbart, der eine schätzungsweise dreijährige Yuki auf den Knien schaukelte.

Als er nach wenigen Stunden Schlaf erfrischt aufwachte, machte er sich auf die Suche nach der Küche und einer Tasse Kaffee. Doch das Haus war innen weitläufiger, als es von außen hatte vermuten lassen. Er war ohne Erfolg bis ins Obergeschoss gelangt, wo das Sonnenlicht zusammen mit den Blättern der Buche vor dem Haus wechselnde Muster auf die Holzdielen des Flurs zeichnete. Er würde diesen Flur noch entlang gehen und dann wieder in das Wohnzimmer zurückkehren, das hatte er wenigstens wieder gefunden. Dort konnte er warten, bis entweder der Herr oder die Frau des Hauses wach waren.

Er kam an einem Badezimmer vorbei und lugt zur nächsten Tür in den abgedunkelten Raum. Da sah er Frau Leclerc in einem Lehnstuhl an Yukis Bett sitzen. Hastig wollte er sich zurückziehen, da sprach sie ihn an, ohne sich umzudrehen, als hätte sie seine Anwesenheit gespürt. „Haben Sie Kinder? Sie werden so schnell erwachsen, und trotzdem möchte man sie für immer beschützen."

„Nein, es hat sich einfach nicht ergeben." Sie überging seinen reservierten Tonfall. „Nun, eines Tages werden Sie es verstehen. Da ist zu Anfang ein so winziges Wesen, das all Ihre Zuneigung und Fürsorge braucht. Es wird älter und selbstständiger, braucht immer weniger Hilfe und will sie am Ende auch gar nicht mehr. Und Ihnen bleibt nichts weiter übrig, als dieser eigenständigen Persönlichkeit ihren Freiraum zu geben, und gleichzeitig ein Nest, zu dem sie immer wieder zurückkehren kann. Und doch sehe ich in ihr noch immer das winzig kleine Wesen von damals."

Steve räusperte sich. „Entschuldigen Sie, Captain Rogers. Ich wollte Sie nicht langweilen."

„Das ist es nicht ... ich bin nur nicht gut in solchen Gesprächen."

„Das macht überhaupt nichts. Ich versuche gerade nur zu verstehen, wer ihr das angetan hat und warum. Ihr armes Gesicht, und unter die Bandagen will ich gar nicht sehen. Mein Mann hat mir gesagt, zwei Rippen seien gebrochen und eine weitere angebrochen. Weiß man bei S.H.I.E.L.D schon mehr?"

„Vielleicht sollten Sie das mit Ihrem Mann erörtern."

„Er ist vor einer halben Stunde wieder aufgebrochen, leider ist er die nächsten Tage unabkömmlich in Berlin. Ich wollte mich noch bei Ihnen bedanken, er sagte nämlich auch, dass Sie es ermöglicht haben, dass er Yuki mit nach Hause nimmt. Also von ganzem Herzen Danke!"

„Frau Leclerc, das war das Mindeste. Es erschien mir nicht fair, sie quer über den Atlantik zu verfrachten, wenn sie doch Angehörige hier hat und noch nicht einmal feststeht, ob ihre Entführung überhaupt etwas mit S.H.I.E.L.D zu tun hat. Es hat sich noch niemand dort zu der Tat bekannt oder Forderungen gestellt."

„Ist das so?" Die Frau war begierig, mehr zu erfahren und behielt trotzdem einen kühlen Kopf und leichten Konversationston bei. Er konnte sich jetzt gut vorstellen, dass sie Yuki ein sehr gutes Beispiel für Selbstbeherrschung gewesen sein musste, sah man einmal von der Entgleisung bei ihrer ersten Begegnung am Flughafen ab.

„Gibt es denn überhaupt schon gesicherte Erkenntnisse?"

„Nein, bis auf, dass Ihre Tochter ein sehr heißes Feuer mit unbekannter Ursache bis auf ein paar Rußflecken unbeschadet überstanden hat. Beide Entführer sind tot und es gibt keine Hinweise auf deren Identität. Wir vermuten jedoch, dass es sich um die zwei Personen handelt, die Yuki und mich die letzten Wochen augenscheinlich beschattet haben."

„Davon hat sie mir gar nichts erzählt! Dabei haben wir erst vor einigen Tagen miteinander telefoniert."

„Ich kann mir vorstellen, dass sie Sie nicht beunruhigen wollte."

„Ach, Kind." Sie strich ihrer Tochter zart über die blauschillernde Wange. „Vor sechs Wochen hast du erst deinen fünfundzwanzigsten Geburtstag gefeiert, gleichzeitig mit der Zusage von S.H.I.E.L.D. Und jetzt das!" An Steve gewandt fuhr sie fort: „Wissen Sie, es muss etwas mit ihrer Arbeit zu tun haben. Es gab noch nie Drohungen gegen uns oder Entführungsversuche. Ich wollte ihr ausreden, die Stelle anzutreten, doch sie ist so stur wie ihr Vater und sie war so stolz darauf. Na ja, natürlich kann sie rein biologisch keine Charaktereigenschaft von uns haben, wie Sie wahrscheinlich wissen, ist sie adoptiert. Aber den Sturschädel hat sie sich eindeutig von ihm angeschaut."

„Es deutet zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nichts darauf hin, Ma'am. Wir ermitteln daher in alle Richtungen und erhoffen uns, mehr Hinweise von Yuki selbst zu erhalten, sobald sie aufwacht."


Sie hatte ihm noch eine Tasse Kaffee gebracht, nachdem er sich erboten hatte, sie an Yukis Bett abzulösen. Sie hatte zwar schwach protestiert und dann nachgegeben. Und er war erleichtert, sah er doch ihre Erschöpfung in den Linien ihres Gesichtes und an dem aschfahlen Teint. Die halbe Nacht in banger Erwartung von schlechten Nachrichten zu verbringen und den Rest der Nacht und den Morgen damit, über ihre Tochter zu wachen, das musste sie sämtlicher Energiereserven berauben.

Da saß er nun in einem in Pastelltönen gehaltenen Mädchenzimmer um die Jahrtausendwende. Die Leclercs hatten seit Yukis Auszug wohl nichts daran verändert. Es war noch immer vollgestopft mit Büchern, vornehmlich Pferderomane, Plüschtieren und Fotos von dem hässlichsten, einäugigen Kater, den er je gesehen hatte. An der dem Fenster gegenüberliegenden Wand stand ein weißer Frisiertisch, um dessen Spiegel eine Schmetterlingslichterkette gewunden war. In krassem Widerspruch dazu standen die teils verstörend wirkenden Poster ringsum an Wänden und dem Kleiderschrank. Sie zeigten Musiker, den Instrumenten nach, die sich Rammstein nannten (war das nicht eine US-Airbase auf. Deutschem Boden?) und er fand auch die Band namens Nirvana wieder. Er erinnerte sich an ihre Empfehlung, als sie über Sams Liste gesprochen hatten. Andere Poster hingegen konnte er überhaupt nicht zuordnen. Welches normale halbwüchsige Mädchen hatte einen alten, weißbärtigen, graugewandeten Mann mit Spitzhut und knorrigem Stab als Idol? Bei den zwei Kriegern, die wie Ritter mit langen Schwertern gerüstet waren und den Alten begleiteten, konnte er sich gerade noch vorstellen, dass sie, wie Lancelot, Galahad und all die anderen Ritter der Artus-Sage zu seiner Jungendzeit noch heut als leuchtendes Beispiel galten. Doch was hatten es mit den fünf Zwergen und dem weißblonden Jüngling mit spitzen Ohren auf sich? Ob dieser der Herr der Ringe war? Und was war das überhaupt für ein seltsamer Titel? Steve rieb sich die Augen, wieder einmal wurde er sich des sehr großen Altersunterschiedes zwischen Ihnen beiden bewusst. Oder vielleicht war er einfach nur zu müde und spann wirre Gedankenfäden. Noch während er über sich selbst schmunzelte, fielen ihm die Augen zu.

Sie wußte, dass sie träumte. Das Durcheinander an Bildern und Gefühlen, durchbrochen von Phasen der absoluten Dunkelheit, konnte nicht real sein. Das erste war große Angst, die schmeckte wie bitterer Staub, der sie zu ersticken drohte, und ein grelles, blendend weißes Licht. Jeder Zentimeter ihrer Haut brannte, dass sie Angst hatte, sie würde sich jeden Moment von ihrem rohen Fleisch schälen. Sie war dankbar für den Wechsel zu einer dickflüssigen Schwärze, die ihren Körper weiter durch den merkwürdigen Traum trug. Es war warm und totenstill, fast hätte sie es als angenehm empfunden, als der Schmerz sie wieder einholte. Doch ihre Schreie blieben stumm, nichts konnte diese Stille durchdringen. Dann kam lange Zeit nichts, sie schwebte noch in völliger Dunkelheit, die jedoch nicht mehr so schwer auf ihr lag. Die Schmerzen waren fort, doch auch ihr erleichtertes Aufseufzen wurde von den Schatten geschluckt.

Zwei Stimmen. Eine Frau und ein Mann. Noch immer konnte sie nichts sehen. War das Papa? Nein, er war so weit weg, er konnte sie unmöglich retten. Steve? Wie kam sie auf diesen Namen? Es musste ein Freund sein und sie klammerte sich an den Klang seiner Stimme, doch plötzlich löste sich wieder alles auf in tintenschwarze Schlieren, die durch ein Wasserglas zogen und sich wieder verdichteten.

Nichts. Es drang nichts mehr in ihr Bewusstsein, das vor Frust schrie, weil es nichts gab, auf das es sich fokussieren konnte. Bis sie sich selbst als kleines Mädchen sah, wie sie auf dem Schoß ihres Vaters eingeschlafen war, der es nicht wagte, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Es war tröstlich, zu wissen, dass er da war. Er würde sie heimbringen. Wo war eigentlich Steve?

Und dann schwebte sie noch einmal durch ein dunkles Nichts, das sie diesmal in einen ruhigen Schlaf sinken ließ.


Die Frauen tuschelten über ihn, das hatten sie früher jedenfalls immer getan. Doch dieses Mal fehlte der gewohnte herablassende oder mitleidige Unterton. „Er ist wirklich zum Anbeißen, Schatz. Und so nett. Warum hast du so jemanden nicht früher mal mit nach Hause gebracht?"

„Ach, Maman, hätte ich, wenn so jemand verfügbar gewesen wäre. Außerdem habe nicht ich ihn mitgebracht, sondern Papa. Und er ist irgendwie vergeben."

„Wie kann jemand ‚irgendwie' vergeben sein, Mäuschen?"

„Ach, es ist kompliziert. Und bitte nenn mich nicht Mäuschen, wenn wir über Typen reden. Das ist echt schräg."

Yuki! Schlagartig war er hellwach und beschloss, sich demonstrativ zu strecken. Es gehörte sich nicht, die beiden zu belauschen, auch wenn er gerne gehört hätte, was sie von ihm dachten. Das Gespräch erstarb sogleich und Steve nuschelte ein verlegenes „Guten Morgen, die Damen." Verflixt, hoffentlich merkten sie nicht, dass er einen Teil ihrer Unterhaltung mitgehört hatte. Doch als Frau Leclerc ihm freundlich zunickte und sagte, dass es wohl eher ein guter Nachmittag werden würde, entspannte er sich.

„Ihr müsst einen Riesenhunger haben, ich richte euch mal eine ordentliche Brotzeit zusammen."

Sie sprach wie ein befehlsgewohnter Feldwebel, der nicht den Hauch eines Widerspruchs erwartete, und ging nach unten in die Küche, wo sie sie laut klappernd hin- und hergehen hörten.

„‚Brotzeit'?"

„Eine Zwischenmahlzeit." Yuki grinste. „Aber eine, wie du sie noch nicht kennst."

„Wie geht es dir? Du hast mir einen ziemlichen Schrecken verpasst. Einfach so zu verschwinden und unter einer dicken Ascheschicht wieder aufzutauchen." Er nahm ihre Hand, um die Schärfe in seiner Frage abzumildern.

„Es tut mir leid. Ich weiß, es war so dämlich sich einfach so mit einem fremden Kerl zu treffen, nur weil er behauptet, die Mutter hätte einen schweren Unfall gehabt. Ich könnte mich selbst in den Hintern beißen, das bringt man schon kleinen Kindern bei, dass sie bei so etwas auf keinen Fall mitgehen sollen." Yuki blickte zerknirscht auf ihre Hände, die unablässig mit dem Saum ihrer Patchwork-Decke spielten. Steve legte seine großen Hände über ihre und sah ihr fest in die Augen.

„Das war wirklich sehr dumm. Vor allem hätte ich dich doch begleitet, warum hast du nicht gefragt?" Er konnte sich diese Frage nicht verkneifen, obwohl eine Antwort darauf nichts an dem geändert hätte, was geschehen war.

„Ich war einfach in Panik und wollte rechtzeitig zu Hause sein, um Maman noch ein letztes Mal sehen zu können. Verdammt, ich verstehe es selbst nicht."

Das Bett knarzte verdächtig, als er sich zu ihr setzte, hielt jedoch dem zusätzlichen Gewicht stand.

„Aber es ist zum Glück noch gut ausgegangen, ich verlier kein Wort mehr drüber, wenn du auch aufhörst, dich selbst mit Vorwürfen zu quälen."

Da klopfte es an der Tür und Frau Leclerc kam herein, mit zwei rustikalen Brettchen, die überladen waren mit einer großen und interessanten Auswahl an Essbarem. „Was hast du noch mal von wegen Ascheschicht gesagt?"

Doch Yukis Frage wurde kurzer Hand von ihrer Mutter abgewürgt: „Dafür habt ihr nachher auch noch Zeit! Lasst es euch schmecken."


Die ,Befragung' war weitaus weniger unangenehm, als Yuki sich ausgemalt hatte. Vielleicht lag es daran, dass Steve es war, der sie befragte. Sie war sehr dankbar dafür, nicht mit Nick Fury in einem kargen Kabuff in Washington sitzen zu müssen, während dieser sie mit seinem guten Auge nieder starrte. Sie konnte nicht auf Anhieb alles bis zu ihrem Blackout rekonstruieren, es war, als hätte sich ein zäher Nebel auf bestimmte Passagen gelegt, der sich erst auf mehrmaliges Nachfragen hin auflöste. Was von Vorteil war, weil sie dadurch den nötigen Abstand von dem für sie schlimmsten Augenblick gewann. Dem Moment, als grobe Hände sie dort berührten, wo sie nichts, aber auch gar nichts, verloren hatten, und als sie sich ihres bevorstehenden Todes bewusst war. Sie ließ dennoch nichts aus, auch als sie merkte, wie Steves Kiefermuskeln sich anspannten. Er sah aus, als würde er den Preisboxer-Mistkerl gleich aus ihrer Erzählung pflücken und ihm den Kopf abbeißen. Sein Gesichtsausdruck war so fremd, es wollte so gar nicht zu seinem sonst sehr gutmütigen und ausgeglichenen Selbst passen, sodass sie sich beeilte zum Ende zu kommen. „Wovor hatte er so große Angst?", fragte Steve sich selbst. „Keine Ahnung, vor mir bestimmt nicht", erwiderte Yuki trocken. ‚Doch außer dir und ihm war niemand mehr in dem Fahrzeug, bis auf seine bewusstlose Komplizin', die leise, nagende Stimme in ihrem Kopf ließ sie erschauern, und sie konzentrierte sich lieber auf das, was Steve ihr über seine Suche und ihre Rettung zu berichten hatte.

Als er von dem Feuer erzählte, das ohne ersichtlichen Grund ausgebrochen war, meldete sich die Stimme jedoch zurück. Bei der Schilderung über das Ausmaß der Zerstörung und seiner Überraschung, sie unverletzt mitten drin aufzufinden, war die Stimme nicht mehr leise. Etwas war ganz und gar nicht in Ordnung mit ihr, wenn sie allein an die Panik des Mannes in den letzten Sekunden dachte und daran, dass das Feuer um sie herum am heftigsten gebrannt und genau dort seinen Ursprung hatte.

Maman hatte ihnen Tee ins Zimmer gebracht und diesen Teil der Unterhaltung mitgehört. Sie war nicht nur ebenso beunruhigt wie sie selbst. Nein, sie wurde kreideweiß, zitterte so sehr, dass sie Tee auf dem Tablett verschüttete und Steve aufsprang, um sie zu stützen. Doch einige Sekunden später hatte sie sich wieder gefangen. Yuki war es nicht gewohnt, sie so zu sehen. Ihre Mutter hatte schon immer über eine starke und gefasste Persönlichkeit verfügt. Es hatte auch nur einen Wimpernschlag gedauert, und sie war versucht, sich einzureden, dass sie sich diesen Moment der Schwäche nur eingebildet hätte.

„Maman, was ist los?" Doch die Reaktion auf ihre Frage war ernüchternd. Beinahe schroff fiel die Antwort aus: „Ich weiß nicht, was du meinst. Es ist alles in Ordnung!"


Die beiden Frauen waren schon lange zu Bett, doch Steve konnte einfach nicht einschlafen und hatte noch einen nächtlichen Spaziergang gemacht. Der Wortwechsel zwischen Mutter und Tochter bereitete ihm Kopfzerbrechen. Er hatte das Gefühl, dass er durch seine Zusammenfassung der Geschehnisse unfreiwillig eine böse Ahnung bestätigt hatte, die Frau Leclerc geheim halten wollte. Zu allem Überfluss hatte er auch noch Yuki vor den Kopf gestoßen und einen schönen, entspannten Abend zu einem fürchterlich peinlichen Abschluss gebracht. Und das nur, weil er keine Ahnung gehabt hatte wie er auf einen unschuldigen Kuss reagieren sollte. Dass er keine Erfahrung in diesen Dingen hatte, war nur eine schwache Entschuldigung. Und wie kam es, dass sich etwas einerseits so gut und richtig anfühlte, und gleichzeitig so falsch? Es würde ein sehr langer Spaziergang werden.

Als er wenige Minuten nach Mitternacht zurückkam, war er noch immer nicht mit sich im Reinen. Doch er hatte jetzt wenigstens die nötige Bettschwere und wollte sich noch eine Flasche Wasser aus der Küche mit ins Zimmer nehmen.

„Du kannst das nicht allein entscheiden, Jean!" Yukis Mutter war am Telefon und klang sehr angespannt.

„Nein, sie muss es wissen. Sie muss wissen, warum sie in Gefahr ist." Sie presste den Hörer noch fester ans Ohr.

„Ich weiß, dass wir sie beschützen wollten, indem wir die alten Geschichten von ihr fernhalten. Aber das geht nicht mehr. Sie wissen von ihr und werden nicht aufhören."

Steve beobachtete, wie sie Furchen in den dicken Teppich lief, während sie einem längeren Monolog lauschte. „Das letzte Wort ist noch lange nicht gesprochen, mein Lieber! Wenn du dich bis morgen Abend nicht meldest, dann werde ich den beiden alles erzählen. So lange sie nicht Bescheid weiß, ist sie ein leichtes Ziel. S.H.I.E.L.D. hat außerdem die Mittel ihr zu helfen und Rogers wird es wahrscheinlich sowieso tun wollen, egal was Fury sagt."

Sie knallte den Hörer auf und ging unterdrückt vor sich hin schimpfend nach oben. Steve hingegen war wieder hellwach und noch aufgewühlter als vor seinem Spaziergang. Er rang mit sich, ob er die Mutter damit konfrontieren und die Tochter ins Bild setzen sollte, oder ob er abwarten sollte, bis die Mutter sich gegen den Vater durchgesetzt hatte. Er war seit dem Tod seiner Eltern so lange allein gewesen, dass solche familiären Streitigkeiten ihn komplett überforderten. Als ob er nicht schon genug damit zu tun hatte, sich an eine völlig neue Welt zu gewöhnen. Vielleicht sollte er einfach eine Nacht über diese Angelegenheit schlafen. Ja, das klang vernünftig, doch vorher würde er noch ein kleines Lauftraining rund um das Dorf, in den Wald und wieder zurück absolvieren. Nichts machte den Kopf freier, als zu laufen, und morgen war ja auch noch ein Tag.

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