Wunschsatz: "Ich hab nicht von dir erwartet, dass du alles aufgibst, das war allein deine Entscheidung"
Leons PoV
Es lief gut beim FC Schalke. Ich hatte ausreichend Spielzeit, verdiente genug Geld um davon leben zu können und war von Menschen umgehen, denen ich vertraute und die ich gerne in meiner Nähe hatte. Ich war glücklich. Natürlich kam mir hin und wieder der Gedanke, wie es wäre, um die große Titel mitzuspielen. Doch ein Vereinswechsel war mir zu riskant. Ich müsste mich wieder beweisen, meinen Platz im Team finden und um einen Platz im Kader, sowie der Startelf kämpfen. Ich würde gute Freunde, sowie meinen besten Freund, Max Meyer, zurücklassen. Zudem würde mit hoher Wahrscheinlichkeit der Abstand zu meiner Heimat, Bochum, wachsen, wodurch ich meine Familie seltener sehen könnte. Ich hatte für mich entschieden, dass der Erfolg es mir nicht Wert war, all das aufzugeben. Ich wollte glücklich sein und dafür brauchte ich nicht zwangsläufig irgendwelche Titel.
Vielleicht wäre ich noch einige Jahre oder sogar während meiner kompletten Karriere bei dieser Meinung geblieben, wenn Joshua Kimmich nicht alles durcheinander gebracht hätte.
Nach einem Spiel gegen den FC Bayern waren Max und ich noch etwas durch die Allianz Arena in München spaziert, weil sich unsere Abfahrt aufgrund eines technischen Problems mit dem Bus verzögerte. Wir waren Joshua und David Alaba über den Weg gelaufen. Ich wusste bis heute nicht, ob es tatsächlich ein Zufall gewesen war oder Max absichtlich dafür gesorgt hatte, dass ich mit Joshua allein war, weil ich irgendwann mal erwähnt hatte, dass ich ihn süß fand.
Aus dem süß finden war durch diesen Abend viel mehr geworden. Zwei Monate später durfte ich ihn dann meinen festen Freund nennen. Ich liebte Josh, doch ich war nicht glücklich. Die Fernbeziehung belastete mich. Es reichte mir nicht, ihn nur alle paar Tage für wenige Stunden zu sehen. Ich wollte einen gemeinsamen Alltag mit ihm erleben mit allem was dazu gehörte.
2018 lief mein Vertrag beim FC Schalke aus. Eigentlich war ich immer davon überzeugt gewesen, dass ich ihn verlängern würde. Die Beziehung mit Joshua und ein sehr verlockendes Angebot vom FC Bayern änderten meine Meinung. Ich erfüllte noch meinen Vertrag, ehe ich im Sommer 2018 nach München zog.
Josh hatte mir angeboten zunächst bei ihm unterzukommen, bis ich eine passende Wohnung in München gefunden hatte. Wir waren uns einig gewesen, dass unsere Beziehung zu frisch war, um schon zusammenzuziehen. Ich hatte einen Makler beauftragt und mir sogar einige Wohnungen angesehen, doch schließlich war ich einfach bei Josh wohnen geblieben.
Als ich zwei Jahre später doch aus der Wohnung auszog, tat ich es gemeinsam mit Joshua, da wir uns ein Haus gekauft hatten. Es war eine spontane Idee gewesen. Wir hatten uns beide in der Wohnung wohl gefühlt und hatten auch ausreichend Platz gehabt. Es gab nie einen Grund umzuziehen. Bei einem Spaziergang waren wir zufällig auf ein Haus, welches zum Verkauf stand, aufmerksam geworden. Eigentlich waren wir nur stehen geblieben, um das Haus von außen zu betrachten. Doch die Eigentümer waren vor Ort gewesen und hatten uns bemerkt. Irgendwie war es zu einer Hausführung gekommen. Das Haus war perfekt. Keiner von uns hatte auch nur eine Kleinigkeit auszusetzen. Wir hätten es mit Sicherheit bereut, hätten wir die Chance nicht ergriffen, also hatte wir das Haus gekauft und waren einige Wochen später umgezogen.
Ich hatte irgendwann eingesehen, dass es keinen Sinn hatte, sein komplettes Leben durchzuplanen, denn es gab immer einen Grund, um den Plan zu ändern. Zwar hatte ich meine Lebensplanung aufgegeben, dennoch war ich immer davon überzeugt gewesen, dass egal was in den nächsten Jahren geschah, Josh immer Teil meines Lebens sein würde.
Nach fünf Jahren Beziehung saß ich allein auf der Terrasse und starrte auf den alten Apfelbaum im Garten. Wie so vieles in meinem Leben waren die letzten Tage völlig anders geplant gewesen.
Eine Woche zuvor war ich noch glücklich und es gab nichts, was mich an einer gemeinsamen Zukunft mit Joshua zweifeln ließ. Ich war dabei gewesen einen Urlaub für uns zu buchen.
1 Woche zuvor:
Konzentriert las ich mir die einzelnen Angebote, die ich mir zuschicken lassen hatte, durch. Es ging mir nicht um den Preisvergleich, sondern ich war auf der Suche nach dem Komplettpaket, wo einfach alles stimmte. Keine lange Umsteigezeiten, gute Flugzeiten, zentrale Lage, dennoch Privatsphäre, Pool, Meersicht und noch einiges mehr. Normalerweise war ich nicht so penibel, doch dieser Urlaub musste einfach perfekt werden.
Die vergangene Saison hatte an unseren Nerven gezehrt. Ich hatte lange Zeit mit meinem Knie zu kämpfen, während Josh durch das Impfthema wochenlang kritisiert und beschimpft wurde.
Wir hatten uns ein paar Tage Erholung verdient, ehe wir in die neue Saison starteten.
Das Zuknallen der Haustür ließ mich zusammenzucken.
"Lass die Tür heile", rief ich schmunzelnd.
"Spar dir deine Kommentare doch einfach mal!", kam es wütend von Josh zurück, was mich innehalten ließ. Irgendwas stimmte nicht. Dass die Tür zuknallte passierte uns beiden hin und wieder, obwohl es häufig eher ein Versehen war, weil man zum Beispiel gerade die Hände voll hatte. Grundsätzlich konnte mein Freund eigentlich auch damit umgehen, wenn ich ihn etwas neckte oder er sich nen blöden Anspruch von mir anhören musste. Für mich war klar, dass ich in dem Moment nicht der Grund für seine Wut war, sondern lediglich die Folgen von irgendwas, was passiert war, abbekam.
Ich stellte den Laptop zur Seite und ging in den Flur. Im oberen Stockwerk waren Schritte zu hören, ehe eine Zimmertür knallte. Ohne zu zögern folgte ich dem Kleineren in unser Schlafzimmer. Josh tigerte im Raum umher und schien noch nicht so wirklich zu wissen, wohin mit seinen Gefühlen. Hätte ich den Raum direkt wieder verlassen, hätte ich den Streit vermeiden können, doch allein die Tatsache, dass ich wissen wollte, was passiert war, hinderte mich am Gehen.
"Alles in Ordnung?", fragte ich vorsichtig, wobei ich langsam auf Josh zu ging. Als Antwort erhielt ich ein verächtlichen Schnauben. Sanft hielt ich ihn am Handgelenk fest, um ihn in meine Arme zu ziehen, doch wurde ich direkt weggeschubst. Uns war beiden bewusst, dass ich stärker war und Josh einfach festhalten könnten, doch würde ich ihn niemals zu etwas zwingen. "Was ist los?", stellte ich die nächste Frage, statt noch einmal zu versuchen, ihn in meine Arme zu ziehen.
"Lass mich einfach in Ruhe!"
"Nein, das werde ich nicht tun." Joshua wollte an mir vorbeistürmen, doch hielt ich ihn sanft fest.
"Was willst du?!", wurde ich angebrüllt.
"Wissen, was mit dir los ist."
"Das geht dich nichts an!"
"Ich bin dein Freund. Natürlich geht es mich etwas an, wenn du dich so aufführst."
"Unsere Beziehung gibt dir noch lange nicht das Recht über mein Leben zu entscheiden!"
"Ich will doch gar nicht über den Leben entscheiden, sondern lediglich wissen, was passiert ist. Vielleicht kann ich ja irgendwie helfen."
"Du hast schon mehr als genug geholfen! Ich hab nicht von dir erwartet, dass du alles aufgibst, das war allein deine Entscheidung! Ich habe nie von dir verlangt, dass du nach München ziehst!"
"Das habe ich doch auch nie behauptet." Irritiert blickte ich meinen Freund an, da ich nicht verstand, worum es überhaupt ging. Mir fehlte irgendeine Information, die Joshs Wut und seinen Aussagen einen Sinn gab. Ich war nicht einmal in der Lage zurück zuschreien, da ich viel zu irritiert vom Verlauf unseres Gespräches war.
"Hör doch einfach mal auf dich als perfekten Freund darzustellen, der immer alles besser weiß, nichts verkehrt macht und immer die richtige Entscheidung trifft!"
"Erklärst du mir bitte endlich mal, was dein Problem ist?", versuchte ich erneut den Grund für seine Laune zu erfahren.
"DU BIST MEIN PROBLEM!" Erschrocken starrte ich den Blonden an, welcher den Moment nutzte, um aus den Raum zu stürmen und mich allein zurückzulassen.
Eine Woche war vergangen ohne dass ich irgendein Lebenszeichen von Josh erhalten hatte. Serge und einige der Anderen hatten mir hin und wieder geschrieben. Ihre Nachrichten hatte ich zwar beantwortet, doch sämtliche anderen Kontaktmöglichkeiten abgelehnt. Ich wollte mit Niemanden reden und keinen sehen, außer Josh. Dieser war nicht nur für mich, sondern auch für die Anderen nicht mehr erreichbar. Er schien komplett untergetaucht zu sein, was während der Sommerpause natürlich deutlich leichter als während der Saison war.
Eine Woche lang lebte ich mit der Ungewissheit, ob ich Joshua überhaupt noch meinen Freund nennen durfte, was überhaupt geschehen war und wo der Jüngere sich aufhielt. Ich war am Ende mit meinen Nerven, woran neben dem Gedankenwirrwarr in meinem Kopf und die Sorge um Josh auch der Schlafmangel Schuld war. Ohne Josh neben mir konnte ich nicht vernünftig schlafen und erst recht nicht, wenn ich nicht wusste, ob es ihm gut ging. Es schien tatsächlich auch Niemand zu wissen, wo Josh war und was eine Woche zuvor passiert sein könnte.
Ein Klopfen ließ mich zusammen zucken und brachte mich dazu, mich umzudrehen. In der offenen Terrassentür stand Josh. Er sah miserable aus, was mich vermuten ließ, dass nicht nur ich unter Schlafmangel litt.
"Du lässt die ganzen Fliegen ins Haus", kommentierte er kleinlaut die Terrassentür, die ich offen gelassen hatte.
"Josh", hauchte ich nur. Ich war viel zu erleichtert, dass er auf den ersten Blick unversehrt vor mir stand. Eilig stand ich auf und ging auf ihn.
"Es tut mir leid, dass ich ...", begann er eine Entschuldigung, die jedoch dadurch unterbrochen wurde, dass ich ihn in eine feste Umarmung zog. Einen winzigen Moment hatte ich Angst, dass er mich wieder von sich stoßen könnte, doch stattdessen lehnte er sich an mich, während er die Umarmung erwidert.
"Wo warst du?", fragte ich vorsichtig, wobei ich den Kleineren noch enger an mich drückte.
"In Spanien bei David."
"Warum?"
"Er gehört zu meinen besten Freunden, genauso wie Serge, der schon beinahe wie ein Bruder für mich ist."
"Was hat Serge damit zu tun, dass du nach Spanien fliegst ohne dass es irgend Jemand weiß? Serge hat gesagt, er wüsste nicht, wo du bist."
"Wusste er auch nicht." Ich löste mich etwas von Josh, um sein Gesicht sanft mit beiden Händen umschließen zu können.
"Ich würde gerne verstehen, warum du vor einer Woche so sauer warst und einfach abgehauen bist, wieso du für niemanden erreichbar warst, weshalb du ausgerechnet nach Spanien bist, warum du jetzt wieder hier bist und was ich falsch gemacht habe, weswegen du nicht mit mir geredet hast." Seufzend senkte Josh seinen Blick Richtung Boden.
"Du hast gar nichts falsche gemacht. Ich war einfach ein Idiot und das hast leider in erster Linie du abbekommen. Serge Wechsel nach Real Madrid scheint immer wahrscheinlicher zu werden. Ich habe vor einer Woche einen Anruf von Real Madrid bekommen. Wenn ich zustimme, würden sie Kontakt zum FC Bayern aufnehmen und versuchen mich ebenfalls nach Madrid zu holen. Ich würde dann wieder mit David und weiterhin mit Serge zusammenspielen."
"Hast du zugesagt?", hakte ich zögerlich nach.
"Ich könnte mit den Beiden zusammen spielen, aber nicht mehr mit dir."
"Josh, das ist vielleicht eine einmalige Chance. Wenn du die nutzen möchtest, bin ich der Letzte, der dich daran hindern würde. Wir würden das schon hinbekommen."
"Wir hatten am Anfang unserer Beziehung schon mit dem Abstand zwischen Gelsenkirchen und München zu kämpfen und da waren wir es noch nicht einmal gewöhnt einen gemeinsamen Alltag zu haben. Unsere Beziehung ist mir wichtiger als meine Karriere. Ich bleibe in München."
"Bist du deswegen nach Spanien? Um diese Entscheidung zu treffen?"
"Ehrlich gesagt war die Entscheidung bereits kurz nach dem Telefonat getroffen. Ich war einfach sauer auf mich selbst, weil ich überhaupt um Bedenkzeit gebeten hatte und für einige Minuten sogar daran gedacht hatte zu wechseln. Du bist für mich von Gelsenkirchen nach München gezogen, obwohl du vor unserer Beziehung entschlossen hattest, dort zu bleiben und dann spiele ich mit dem Gedanken, zu wechseln und dadurch den Abstand zwischen uns, den du extra verkleinert hast, größer als jemals zuvor werden zu lassen. Ich war damit überfordert, dass ich mich wie ein Idiot verhalten habe und du trotzdem versucht hast, zu helfen. Ich war sauer darüber, dass du nicht so tust, als wärst du der perfekte Freund, sondern es wirklich bist, ich es aber nicht sein kann. Es war irgendwie plötzlich alles zu viel. Ich musste weg, bevor ich noch mehr gesagt hätte, was ich nicht so gemeint hätte. Als ich in Spanien gelandet bin, wäre ich am liebsten direkt ins nächste Flugzeug zurück nach München gestiegen, aber ehrlich gesagt hatte ich Angst, dass ich durch mein Verhalten alles kaputt gemacht habe und ..." Ich brachte Josh durch einen zärtlichen Kuss zum Schweigen. Der Blonde schien kurz überrascht zu sein, erwiderte den Kuss dann jedoch.
"Versprich mir einfach, dass du nie wieder einfach spurlos verschwindest. Ich hab mir Sorgen gemacht."
"Tut mir leid."
"Nicht entschuldigen, sondern versprechen."
"Es wird nie wieder passieren, versprochen. Ich liebe dich, Leon."
"Ich liebe dich auch, Joshi", lächelte ich, ehe ich ihn erneut küsste.