Joshuas PoV
Mir war viel zu heiß, doch gleichzeitig hatte ich mit Schüttelfrost zu kämpfen. Mein kompletter Körper schien nur aus Schmerz zu bestehen und das Atmen fiel mir schwer. Den Gedanken an eine mögliche Flucht hatte ich aufgegeben. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich aufstehen könnte ohne sofort zusammenzuklappen. Mein Zeitgefühl hatte ich komplett verloren, doch würde ich vermuten, dass ich inzwischen seit fast zwei Wochen dort war.
Wie ich dort hingekommen war, wusste ich nicht. Ich konnte mich noch daran erinnern, dass ich am Trainingsgelände nach Serge aus dem Bus ausgestiegen war. Wir waren Richtung Tiefgarage gegangen. Neben mir lief ein Mitarbeiter der Sicherheitsfirma. Dann wurde alles schwarz.
Als ich wieder wach wurde, lag ich in einem kleinen Raum, der keinerlei Einrichtungsgegenstände besaß. Außer einer Tür gab es dort nichts. Es war eiskalt. Ich fühlte mich, als hätte ich schon Stunden reglos in der Kälte gelegen. Ich schrie und versuchte mich von den Fesseln an meinen Händen zu befreien. Doch meine Bemühungen blieben erfolglos. Irgendwann musste ich eingeschlafen sein oder das Bewusstsein verloren haben.
Als ich das nächste Mal die Augen aufschlug, kniete ein junger Mann vor mir. Ich war erschrocken zusammen gezuckt.
"Ich tue dir nichts, versprochen", hatte der Blonde geflüstert. Vorsichtig hatte er mir geholfen mich aufzusetzen, ehe er mir eine Wasserflasche an die Lippen gehalten hatte. Ich hatte gezögert, da ich mir nicht sicher sein konnte, ob es tatsächlich nur Wasser war. Schließlich hatte jedoch der Durst gesiegt und ich hatte getrunken. Der Mann ließ mich wieder allein, kam seitdem aber in regelmäßig Abständen vorbei, um mir Wasser oder auch mal eine Kleinigkeit zum Essen zu bringen. Egal wie viele Fragen ich stellte, wie sehr ich flehte oder wie stark ich ihn beschimpfte, er gab mir keinerlei Erklärung. In seinen Augen erkannte ich immer wieder das schlechte Gewissen. Doch er schien trotzdem nicht vorzuhaben mich gehen zu lassen. Würde er es überhaupt jemals tun? Warum sollte er mir sein Gesicht zeigen, wenn er mich irgendwann freilassen wollte? Es gab nur eine Erklärung, wieso er dieses Risiko einging ... Ich würde nicht lebend rauskommen.
Hin und wieder hörte ich vor der Tür weitere Stimmen. Sie sprachen von Lösegeld, von weiteren Gefangenen und davon, dass irgendwas anders gelaufen war, als geplant. Keinen der Anderen bekam ich in der Anfangszeit zu sehen. Es war immer nur der Blonde, der sich mir irgendwann als Noah vorgestellt hatte. Ich wusste nicht, ob es sein richtiger Name war und ich verstand nicht, was er mit all dem zu tun hatte. Bei den Diskussionen hörte ich nie seine Stimme. Er schien keine Rolle für den Plan zu spielen.
Ich konnte merken wie die Kälte, sowie das wenige Essen meinen Körper belastete. Irgendwann begann ich zu husten und fühlte mich einfach nur müde. Wenig später setzte das Fieber ein, welches mit der Zeit schlimmer wurde.
Noah bemerkte, dass sich mein Zustand verschlechterte. Immer wieder musterte er mich besorgt und wirkte schon beinahe unruhig. Irgendwann kam er in Begleitung eines weiteren Mannes in den Raum, welcher jedoch komplett maskiert war.
"Er kann nicht länger in diesem kalten Raum bleiben, wenn ihr ihn lebendig gehen lassen wollt", erklärte Noah dem Fremden, welcher genervt aufstöhnte.
"Sowas können wir jetzt nicht gebrauchen. Es ist nur eine Frage der Zeit bis die einen Beweis fordern werden, dass er und der Andere noch leben. Ohne den Beweis wird es vermutlich keine erneute Lösegeldzahlung geben. Wir können denen aber kein Beweis geben, wenn die uns beide wegsterben." Der Mann schlug mit der Faust wütend gegen die Tür. "Hätten diese Idioten das Geld vernünftig verbucht, könnten wir schon längst über alle Berge sein und hätten dieses Problem nicht. Es kann doch nicht so schwer sein Geld von einem Konto auf mehrere andere Konten zu verteilen. Jetzt können wir schön warten bis das Geld von den gesperrten Konten zurück auf dem Hauptkonto ist, damit es wieder neu verteilt werden kann und selbstverständlich stellt die Bank fragen, warum so hohe Beträge auf Konten überwiesen werden von Leuten, die gar nicht mehr leben. Da hat man schon Experten im Team und die sind trotzdem zu dämlich dafür und riskieren, dass wir 137 Millionen Euro verlieren."
"Aber wenn ihr alle drei Forderungen habt, warum sind die Beiden dann noch nicht frei?", hakte Noah vorsichtig nach.
"Wir lassen die erst frei, wenn wir das Geld und uns selbst in Sicherheit gebracht haben. Vielleicht können wir die Beiden noch gebrauchen bis es soweit ist." Der Mann sah kurz in meine Richtung. "Wenn sie solange noch am Leben bleiben."
"In dieser Kälte sicherlich nicht. Bei den Symptomen würde ich davon ausgehen, dass er eine Lungenentzündung hat und die wird nicht einfach weggehen. Er braucht Medikamente."
"Dann sollte er wohl hoffen, dass das Geldproblem schnell gelöst wird, damit er seine Medikamente bekommt."
"Du hast selbst gesagt, dass ihr ihn lebend braucht. Lass ihn mich zumindest nach oben ins Warme bringen. In dem Zustand würde er bei einem Fluchtversuch sowieso nicht weitkommen. Ich behalte ihn auch die ganze Zeit im Auge." Tatsächlich ließ der Fremde sich von Noah überreden.
Seit einigen Stunden, wenn nicht sogar schon länger, lag ich nun in einem warmen Bett. Noah saß inzwischen auf einem Sessel nur wenige Meter von mir entfernt, wo er mit mehreren Büchern und Notizen beschäftigt war. Immer wieder glitt sein Blick jedoch besorgt in meine Richtung.
Ich war einfach nur noch müde. Es war unmöglich mich auf irgendwas länger als wenige Sekunden zu konzentrieren. Außer Schmerz und Müdigkeit spürte ich nichts mehr. Immer wieder schlief ich ein. Vielleicht verlor ich aber auch noch das Bewusstsein, so sicher war ich mir da nicht.
Sollte nicht bald entschieden werden, dass ich freigelassen werde, war ich mir nicht sicher, ob ich überleben würde.
Leons PoV
Reglos saß ich im Wohnzimmer auf einem der Sessel und starrte auf mein Handy, welches vor mir auf dem Wohnzimmertisch lag. Seit siebzehn Tagen fehlte von Joshua und Lucas jede Spur. Die Entführer hatten sich, nachdem wir die 90 Millionen Euro überwiesen hatten, nicht mehr gemeldet. Die Ermittler konnten feststellen, dass das Lösegeld für Josh und Lucas hin und her gebucht wurde. Da die ganzen Überweisungen jedoch im Ausland getätigt wurden und auch noch in unterschiedlichen Ländern, war es für sie schwierig Verdächtige zu ermitteln oder überhaupt einen Anhaltspunkt festzulegen, um Ihre Ermittlung eingrenzen zu können. Seit über zwei Wochen schienen sie keinen Schritt weitergekommen zu sein.
Jamal, der nach zwei Tagen aus dem Krankenhaus entlassen wurden war, konnte leider auch nicht weiterhelfen. Er hatte Lucas und Josh während seiner Gefangenschaft nie gesehen. Bei ihm waren zwei maskierte Männer gewesen, die kein einziges Wort gesprochen hatten, sondern über ein Stück Papier miteinander kommuniziert hatten. Vor Ort hatten die Beiden keinerlei Spuren hinterlassen. Nachdem das Lösegeld für Jamal gezahlt wurden war, konnten sie problemlos untertauchen.
"Leon, du musst eine Kleinigkeit essen", sprach Serge mich vorsichtig an. Er war ohne mich überhaupt zu fragen in mein Gästezimmer eingezogen und schien nicht vorzuhaben, mich in Ruhe zu lassen.
"Keinen Hunger", erwiderte ich. Der Mittelfeldspieler stellte einen Teller mit Rührei und eine Tasse Tee auf den Tisch vor mir.
"Iss." Ich ignorierte ihn. "Muss ich dich jetzt wirklich füttern?"
"Kümmre dich um deinen eigenen Kram", maulte ich ihn an.
"Mach ich, indem ich dafür Sorge, dass einer meiner besten Freund nicht verhungert. Jo würde ..."
"Lass Josh aus dem Spiel. Wage es nicht ihn zu nutzen, um deinen Willen zu bekommen", unterbrach ich Serge wütend.
"Sobald er frei ist, wird er dich brauchen, also solltest du dafür sorgen, dass du dann auch brauchbar bist und dazu gehört, dass du regelmäßig isst."
"Wenn er frei kommt."
"Das wird er, Leon." Serge setzte sich auf die Lehne des Sessels und legte einen Arm um meine Schulter.
"Was macht dich so sicher? Die Entführer haben ihr Geld und sind wahrscheinlich schon längst untergetaucht. Es ist doch auch nur noch eine Frage der Zeit bis die Ermittlung eingestellt wird oder zumindest die ersten Leute vom Fall abgezogen werden, weil sie eh keine Hoffnung mehr haben, dass sie noch irgendwelche Ergebnisse erzielen können. Sie werden Josh und Lucas irgendwann einfach aufgeben."
"Das werden wir aber nicht tun. Wir werden die Beiden zurückbekommen und vorher keine Ruhe geben."
"Dafür brauchen wir aber das Ermittlerteam mit deren kompletten Technik. Wenn die ihre Arbeit einstellen, haben wir keine Chance mehr."
"Dann lassen wir halt nicht zu, dass die ihre Arbeit einstellen." Serge nahm den Teller vom Tisch und hielt ihn mir hin. "Die Polizei steht unter dem Druck der Öffentlichkeit. Es werden zwei erfolgreiche Profifußballer vermisst. Sollten die aufgeben, haben sie nicht nur ein Problem mit unserer Mannschaft, sondern auch mit tausenden Fans und weiteren Personen, die in der Öffentlichkeit steht. Einfach so aufgeben funktioniert nicht und das werden wir auch nicht tun. Wir werden Jo und Lucas nicht einfach aufgeben." Er nahm noch die Gabel, um mir diese in die Hand zu drücken. "Und entweder isst du jetzt freiwillig oder ..." Serge beendete seine Drohung nicht und sah mich stattdessen einfach nur abwartend an. Seufzend nahm ich ihm den Teller ab und zwang mich zumindest etwas vom Rührei zu essen.
Ich hoffte einfach nur, dass dieser ganze Albtraum bald ein Ende haben würde.