EIN BRIEF ZU WEIHNACHTEN

Von gologel

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❝Weihnachtsmann, ich hab dir einen langen Brief geschrieben, dass dich alle Kinder lieben und ich hoff...❞ ╰┈... Mehr

𝐍𝐔𝐋𝐋 - die Charaktere
𝐄𝐈𝐍𝐒 - ein Brief zu Weihnachten
𝐙𝐖𝐄𝐈 - ein ganz gewöhnlicher WG-Tag
𝐕𝐈𝐄𝐑 - tänzelnde Spielchen
𝐅Ü𝐍𝐅 - ein Dinner mit dem Weihnachtsmann
𝐒𝐄𝐂𝐇𝐒 - der Elf im Mondlichtsee
𝐒𝐈𝐄𝐁𝐄𝐍 - Mandelcremelippen
𝐀𝐂𝐇𝐓 - böse Jungen bekommen keine Geschenke
𝐍𝐄𝐔𝐍 - der geheime Wunsch

𝐃𝐑𝐄𝐈 - nächtliche Begegnungen

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Von gologel

𝐖𝐄𝐈𝐒𝐒 𝐒𝐎𝐖𝐄𝐈𝐓 das Auge reichte. Im Norden, Osten, Süden, Westen nur weiß, mal verklärt durch dichten Nebel, mal verheißungsvoll glitzernd durch die in der Entfernung strahlende Sonne, mal rissig durch Eisschollen, mal mit Hufspuren von riesigen Herden verziert.

Spätestens jetzt wurde den Studenten bewusst, dass das wirklich stimmte - die Geschichte vom Zauber von Weihnachten und so. Und selbst wenn sie es nicht durch den Flug in den geflügelten Schneemobilen oder den unendlichen kahlen Weiten des Weihnachtswinterlandes geglaubt hätten, dann wären sie wohl beim Anblick des Wichteldorfs zu Gläubigern geworden.

Viele Holzhütten, durch verwinkelte Pfade verbunden, die sich um hohe Tannen schlängelten, versammelten sich vor einem riesigen Fabrikgebäude, das seinen imposanten Schatten auf die kleinen Behausungen warf. Doch dieser Schatten war nicht bedrohlich oder einschüchternd, er besaß die Aura einer schützenden Hand, die väterlich über sie wachte.

Die Fabrik streckte sich mit ihren spitzen Türmen dem weißen Himmel entgegen und - glitzernder! - Dampf entstieg in die Atmosphäre.  Eine Glaskuppe gewahrte einen flüchtigen Blick ins Innere und tiefgrüne Gewächse rankten sich an den Türmen entlang in luftige Höhen. Die große Eingangstür war in einem satten, dunklen Rot gestrichen und ein riesiges Geschenkeemblem signalisierte, was hier hergestellt wurde - die Geschenke der Welt.

Die Geschenke der braven Welt, wie sich Jeongguk dachte, den Namjoon mit seinem Gegenargument nicht überzeugt hatte. Obwohl Jeongguk auch gar nicht von etwas anderem überzeugt werden wollte - nicht, weil er so festgesessen in seiner Meinung war, dass er nichts Dagegensprechendes hören wollte, sondern weil er einfach unheimliche Befriedigung darin fand, ein nerviges kleines Arschloch zu sein.

Als sie über die Hütten hinwegflogen - in ihnen wohnten die Wichtel in kleinen Gemeinschaften, so erklärte es Seokjin den Menschen durch ihre Luftblasenhelme - fiel ihnen auf, dass alle Häuser individuell geschmückt waren. Manche hatten rote oder grüne weihnachtliche Symbole an ihren Türen oder in ihren Fenstern kleben, kleine Glocken hingen von den Dachvorsprüngen und begrüßten die Gäste frohlockend mit ihrem Klang oder Büschel von Tannen schmückten die Außenwände.

Die hohen Tannen, um die sich die Pfade schlängelten, waren mit echten Kerzen erleuchtet und wie von Zauberhand komplett schneefrei. Ihren intensiven, waldigen Geruch konnten die jungen Männer erschnuppern, obwohl sie sich weit oben in der Luft befanden.

Sie flogen über die Behausungen hinweg an der Fabrik vorbei und sahen erst jetzt, wie weit sie sich erstreckte. Sie war wohl mehrere hundert Meter lang und es war beinahe konfus, dass etwas, das offensichtlich für gigantische Massen ausgelegt war, so elegant und friedlich aussehen konnte.

"Das erinnert mich an die Industrialisierung", sagte Jeongguk und seine Stimme wurde in die Luftblasen der Anderen übertragen, "an die riesigen Fabriken, die gebaut wurden, damit sich die einfachen Leute in ihnen halb tot schaffen konnten."

Namjoon erwiderte darauf nichts, doch Jeongguk registrierte zufrieden, wie sich dessen Hände fest um den Lenker wickelten und seine Knöchel hervorstanden. Seokjin, an dem sich Jeongguk festhielt, warf dem Studenten ein Grinsen zu. Yoongi und Taehyung klärten derweil mit einem kurzen Blick, dass keiner von ihnen möglichst viel Zeit mit diesem konfliktreichen Duo verbringen wollen würde.

Es wirkte eh so, als hätte jeder der Wichtel sich schon seinen Schützling ausgesucht. Jimin war zwar etwas schüchtern, aber doch ziemlich versessen auf Taehyung zugegangen (Yoongi konnte es ihm nicht verübeln, Tae in einer Snapback war ein Anblick, bei dem er sich selbst am Anfang ihrer Freundschaft hatte zusammenreißen müssen). Hoseok - Yoongi sollte ihn doch einfach Hobi nennen - hatte ganz selbstverständlich Platz für ihn gemacht.

Hobi war Yoongi etwas suspekt. Er hatte ihn zum Lächeln gebracht, da hatten sie sich noch keine Sekunde gekannt, und solche Mensch-, Wichtel zogen ihn an wie das Licht die Motten. Das war nichts, was Yoongi per se störte, denn es war ein sehr angenehmes Gefühl, wenn ihm jemand gleich so vertraut schien; es machte ihn einfach nur immer etwas misstrauisch.

Vorbei an der Geschenkefabrik eröffnete sich den Studenten ein neues, bisher verstecktes Gebäude - das Haus des Weihnachtsmannes, wobei die Bezeichnung Villa das Gebäude wohl eher traf. Drei Stockwerke endeten in einem spitzen Dach, auf der Veranda stand ein kuscheliger Schaukelstuhl und die wohlige Wärme des Inneren kroch aus den Ritzen des Hauses hinaus und streckte einladen ihre Hände aus.

"Irgendwie hatte ich den Weihnachtsmann immer als einen bescheidenen Mann eingeschätzt", fing Jeongguk die nächste Frotzelei ein, auf die Namjoon gleich einging.

"Der Weihnachtsmann ist auch ein bescheidener Mann, dessen Türen uns immer offen stehen. Jeder Wichtel darf in sein Haus eintreten, sich an seinem Kamin wärmen, in seinen Gästebetten schlafen und sich in seinen Wannen wärmen. Vor allem aber findet jeder immer ein offenes Ohr und ein willkommenheißendes Herz bei ihm und seiner Frau und das solltest du wertschätzen", rügte er Jeongguks unterschwelligen Vorwurf, "denn schließlich bist du nur sein Gast."

"Keine Sorge, es wirkt vielleicht nicht so, aber Gguk kann sich zusammenreißen. Und wenn er frech wird, scheißen wir ihn einfach ordentlich zusammen", mischte Taehyung sich fröhlich mit ein.

Yoongi kicherte darauf nur tief und Jeongguk verdrehte seine Augen. Egal wie viel Scheiße er jemandem entgegnete, gegen Yoongi und Taehyung war er noch nie angekommen. Aber auch nur, weil die zwei sich immer gegen ihn verbündeten - alleine würden sie sich nie gegen ihn behaupten können.

"Das hoffe ich doch...", antwortete Namjoon und eine unausgesprochene Drohung schwang in seiner verhängnisvollen Stille mit.

"Sonst?" Jeongguk wollte es wissen. Er wollte es immer wissen.

Namjoon hätte Gewaltandrohungen, bloße Brutalität oder Terrorisierungsideen aussprechen können, aber er besann sich in diesem Moment auf seine bessere Seite. Dieser bittere Mensch pikste so messerscharf gegen all seine empfindlichen Punkte und zog ihn dabei beinahe mit in seine Verdorbenheit. Er hatte Prinzipien und würde diese nicht ablegen, weil sein Gegenüber sie mit Füßen trat. Dann musste er erst recht für sie einstehen

"Sonst wäre das ein wahres Zeichen für Charakterschwäche", erwiderte er also nur.

Die anderen drei Wichtel warfen sich einen Blick zu. Namjoon sollte vielleicht doch nochmal ein Gespräch mit dem Weihnachtsmann führen.
Die anderen zwei Menschen warfen sich bei diesem Satz ebenfalls einen Blick zu. Ja, sie würden dieses Duo definitiv zu meiden versuchen.

Sie landeten sanft auf einer flachgepressten Schneedecke, die augenscheinlich als Start- und Landebahn diente. Die Beine der Studenten fühlten sich ganz schwach und unsicher auf dem Boden an, nachdem sie stundenlang entlastet worden waren.

Im nächsten Moment schwangen die Türen des Hauses schon energisch auf und eine unglaublich große Frau trat ihnen mit offen ausgestreckten Armen entgegen. Sie war mindestens zwei Meter groß und neben ihrem korpulenten Körper wirkte selbst der muskulös gebaute Namjoon zierlich.

Ihre dicken Wangen strahlten rot wie glasierte Granatäpfel, ihre grauen Locken bauschten sich auf wie die der allzu perfekten, blonden Christkinder und ihr bordeauxfarbener Zweiteiler mit den weißen Manschettenknöpfen war erschreckend stylisch für eine Frau, die vermutlich mindestens mehrere hundert Jahre alt war.

"Endlich sind unsere Gäste da! Endlich sind überhaupt mal Gäste da! Meine Lieben, ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich auf euch gefreut habe und mich jetzt über euch freue! Jeon Jeongguk, Min Yoongi und Kim Taehyung", sie stützte die Arme in ihrer Taille ab und ihr Wirbelwind an Worten ließ die Jungen verstummen, während sie von herzenden Augen gemustert wurden.

"Fühlt euch willkommen! Die Weihnachtsmagie hat euch hier her zu uns geführt und euch damit ein Geschenk gemacht, das die Allerwenigsten sich auch nur ausmalen könnten!" Da konnten die Studenten ihr nur nickend zustimmen, noch baff von ihrer Energie. 

"Bitte versteht, dass wir uns schützen müssen und ihr deswegen nichts von hier aufzeichnen könnt." Die Frau sah sie entschuldigend an und bot ihnen einen kleinen Korb als Aufbewahrungsort ihrer Handys an.

Auch wenn es etwas Unbehagen in den Jungen auslöste, gaben sie ihre Geräte ohne Murren ab. Sie hatten es gewissermaßen schon erwartet und auch die observierenden Blicke der Wichtel bemerkt, wenn sie es während des Flugs gezückt hatten. Und dann würde sich Jeongguks Mutter halt mal wieder darüber aufregen, dass ihr Sohn auf keine Nachricht antwortete.

"Na gut", die Frau klatschte voller Tatendrang in ihre Hände und die ausgebeulten Trainingstaschen, in die die Studenten eilig ein bisschen Kleidung gepackt hatten, schnellten in die Höhe, "dann will ich euch erstmal ankommen lassen und zeige euch euer Zimmer. Ihr habt schließlich eine lange Reise hinter euch."

Bestimmt drehte sie sich wieder um und stieg die paar Holzstufen hinauf. Die Studenten hinter ihr verharrten jedoch noch kurz in ihren Positionen, hinweggerissen von dieser Energie.

"Ist das die Frau vom Weihnachtsmann?", brachte Taehyung nur überrumpelt hervor.

"Ja", bestätigte Jimin ihn grinsend, "und sie ist fast noch besser als der Weihnachtsmann!"

Blasphemie in Namjoons Ohren, dachte sich Jeongguk.

Der Junge kann ja tatsächlich mal sprachlos sein, dachte sich Namjoon.



ミ⛦



"Leute, wir sind grad wirklich beim verdammten Weihnachtsmann." Yoongi starrte auf das Holz über ihm, das die Ausbuchtung seines Bettes schmückte.

"Mmh", brummte Jeongguk gedankenverloren, der nach dem Auftreten der Weihnachtsfrau die Fähigkeit zu sprechen verloren hatte.

"Vollkommen egal, warum du auf die mittelalterliche Idee kamst 'nen Brief zu schreiben, Shoutout an dich ey, jetzt sind wir hier", meinte Taehyung, der auf diese realitätsändernde Erfahrung etwas besser reagierte als seine Freunde.

"Mmh, ja, gern geschehen."

"Glaubt ihr, der Weihnachtsmann wird noch einschüchternder sein als seine Frau?", fragte Yoongi.

"Nein, ich glaube so ein Feuer von Frau braucht einen ruhigen Mann", meinte Taehyung.

"Glaubt ihr, ich soll mich beim Weihnachtsmann entschuldigen?", murmelte Jeongguk.

"Keine Ahnung, was hast du denn geschrieben?"

"Naja, dass das kapitalistischer Scheißdreck ist. Dass er - naja, eigentlich war ja nicht mal er gemeint - die Freude von Kindern und den Sinn dieses friedfertigen Festes ausnutzt, um Profit zu schlagen. Dass er mit seinem Ausbeuten von Arbeitern, diesem Vorgaukeln von sinngebendem materiellen Konsum und der schnelllebigen Weiterentwicklung von Produkten irgendwie gegen alles steht, wofür Weihnachten gelten will. Ich weiß es selber nicht mehr so genau, es war wie ein Rausch an Worten, der raus musste und danach vergessen war."

Darauf schwiegen seine zwei Freunde erstmal.

"Ich denke, du solltest dich erstmal bei Namjoon entschuldigen", brachte Yoongi den Oberwichtel ein.

"Aber man kann ihn so gut provozieren..."

"Ein bisschen zu gut. So wie ihn seine Freunde angeschaut haben, reagiert er normalerweise nicht so", erwiderte Yoongi.

Das Holz im Ofen knackte laut und für einen Moment starrten die Jungen alle auf das lodernde Feuer.

"Du kannst ja mal schauen, wie der Weihnachtsmann dir gegenüber so ist. Aber ich denke kaum, dass er dich eingeladen hat, um dich umzubringen", beantwortete Taehyung Jeongguks vorherige Frage.

"Vielleicht gibt es hier ja doch ein paar kapitalistische Züge", meinte Jeongguk, "dann kann ich ja tatsächlich was handfest kritisieren. Und Namjoon damit schön provozieren."

Bei diesen Worten mussten die drei grinsen. Natürlich war Jeongguks Anflug von Versöhnung nur auf eine Person begrenzt gewesen und gerade mal eine kurze Stimmungsschwankung, ausgelöst durch ihre bedächtige Stille.

"Findest du ihn eigentlich heiß oder warum bist du so scharf darauf, ihn zur Weißglut zu treiben?", hakte Yoongi mit einem spielerischen Grinsen nach.

"Nun ja, er hat schon einzigartige Features, die sich ganz besonders hervorheben, wenn er missbilligend seine Augenbraue hochzieht oder sein Kiefer sich wütend verhärtet."

"Sie haben alle ganz außergewöhnliche Features", stellte Taehyung fest, worauf die anderen beiden Jungen zustimmend brummten.

"Ich glaub' der Kleine, Jimin, steht 'n bisschen auf dich, Tae", bemerkte Jeongguk und Yoongi richtete sich aufgeregt auf.

"Aber echt, der wirft immer wieder kleine verstohlene Blicke zu dir oder hat sich dich gleich geschnappt, damit du hinten auf seinem Mobil sitzt! Und dachte dabei noch, dass er seine Begeisterung für dich gut versteckt hätte."

Taehyung lachte nur über die Beobachtungen seiner Freunde und schwieg. Er bildete sich nicht viel auf das Verhalten von anderen ein, vor allem, wenn er sie erst ein paar Stunden kannten, aber auch ihm waren Jimins dezente Annäherungsversuche aufgefallen. Stattdessen lenkte er das Thema auf Yoongi ab.

"Und was hälst du von deinem Wichtel, Min Yoongi?" Er wackelte mit seinen Augenbrauen und auch der Jüngste drehte sich dem Ältesten gespannt zu.

Yoongi seufzte nur. Kein schweres, trauriges Seufzen, aber eines, das viel und gleichzeitig gar nichts sagte.

"Ich habe immer noch kein Interesse an irgendetwas oder irgendjemandem." Er starrte weiter die Decke an, während seine Gedanken wieder in die Erinnerungen abdrifteten, zu denen sie die letzten Wochen immer zurückgekehrt waren, wenn sie nichts davon abhielt. Was sehr regelmäßig vorkam, denn Yoongi dachte sonst an nichts.

Taehyung und Jeongguk schlossen derweil einen Pakt über bloßen Blickkontakt. Wenn sie ihren besten Freund nicht aus seinem Tief holen konnte, dann konnte ihnen bestimmt dieser Wichtel Hobi helfen.



ミ⛦



Das Holz im Kamin war schon fast erloschen, als Taehyung und Jeongguk beschlossen, nochmal das Haus des Weihnachtsmannes zu erkunden. Sie hatten sich vorhin, als sie zum Abendessen gerufen wurden, schon einen Überblick über die Abzweigungen und Gänge machen können. Dabei waren sie sich mit der Zeit sicher gewesen, dass das Haus im Inneren noch durch Magie erweitert sein musste, denn es fühlte sich an, als würden sie durch ein - einladendes - Labyrinth irren.

Den Weihnachtsmann und seine Frau hatten sie nicht gesehen. Der Wichtel, der ihnen das Essen brachte, hatte erzählt, dass es anscheinend einen Notfall im Stall gäbe - nachdem er sie erstmal eine Minute lang nur angestarrt hatte.

Yoongi hatte sich müde murmelnd tiefer in die dicke Decke eingekuschelt und so ließen seine zwei Freunde ihn im schwach erleuchteten Zimmer zurück, während sie sich auf den Flur stahlen. Schweigend schlenderten Taehyung und Jeongguk nebeneinander her und begutachteten die Einrichtung.

Bilder von Rentieren, Geschenkebergen auf einem roten Schlitten, Ansammlungen an Wichteln, dem Weihnachtspaar und von weihnachtlich geschmückten Städten aus der ganzen Welt hingen an den Wänden. Tannenzapfen, kleine Schneemänner, gebastelte Schneeflocken und vieles Ähnliches schmückten die Kommoden und rote Teppiche erweichten den harten Holzboden.

"Findest du es nicht auch irgendwie komisch, dass die Wichtel uns Menschen total ähnlich sehen?", fragte Jeongguk, als sie beide auf eine Schar von Wichteln in einer grün-roten Uniform blickten.

"Findest du es nicht irgendwie komisch, dass der Weihnachtsmann nicht als real gilt und die Menschheit doch ein ganz passendes Bild von ihm und allem, was ihn umgibt, gezeichnet haben?", stellte Taehyung eine Gegenfrage.

"Das ist keine sinnvolle Antwort."

"Ich weiß nicht, ob du im Haus des echten Weihnachtsmannes sinnvolle Antworten erwarten solltest", erwiderte Taehyung und schlenderte an der Bilderwand entlang, aufmerksame Augen auf die Abbildungen gerichtet.

Jeongguk verstand, was Tae ihm sagen wollte. Es leuchtete ihm auch ein und gewissermaßen hatte Tae auch Recht. Allerdings glaubte Jeongguk, dass man überall sinnvolle Antworten erwarten konnte - man musste nur die Welt verstehen, die diese Antworten gab.

Als er aufblickte, da er am Boden kniete und die Schnürsenkel seiner Schuhe erneut zu einer Schleife hatte binden müssen, war Taehyung verschwunden. Fluchend richtete Jeongguk sich auf und eilte den langen Flur entlang, doch als er um eine Ecke bog, eröffneten sich ihm zwei Möglichkeiten.

Typisch Tae. Er wartete nicht auf einen, sodass er alle abhängte und beschwerte sich dann im Nachhinein, dass man ihn verloren hätte.

Kurzerhand entschied Jeongguk sich für Links. Entweder er würde Tae finden oder aber er kehrte alleine zu Yoongi zurück - in diesem Haus würde ja wohl niemand umkommen. Oder?

Jeongguk war die Treppe schon fast ganz unten angelangt, als er bei dem Bild, das sich ihm bot, innehielt. Namjoon stand einige Meter von ihm entfernt, über den Flur durch eine Tür in der Mitte eines Raumes, und redete mit einem Mann, bei dem er den Kopf in den Nacken legen musste, um zu ihm hochblicken zu können. Dieser Mann war unverkennbar der Weihnachtsmann.

Der Wichtel wirkte unsicher, beschämt, während er dem bärtigen, großen, dicken Mann sein Herz auszuschütten schien. Er gestikulierte wirr, als könnte er die richtigen Worte aus der Luft ergreifen, bevor er dann wieder den Kopf hängen ließ und kapitulierend mit den Schultern zuckte.

Jeongguk konnte nicht hören, was die beiden Männer sprachen, doch er fand es faszinierend, wie sich Namjoon immer wieder aufrichtete, nachdem der Weihnachtsmann etwas zu ihm gesagt hatte. Er schien ihm unglaublich zu vertrauen und sie wirkten sehr eng miteinander.

Jetzt nickte der Wichtel wegen den Worten des Weihnachtsmannes bedächtig, der alte Mann klopfte dem Jüngeren ermutigend auf die Schulter und damit drehte sich dieser um - und steuerte direkt auf Jeongguk zu. Er konnte gar nicht schnell genug reagieren, da hatte Namjoon ihn schon entdeckt. Der Wichtel stockte kurz in seiner Bewegung..

"Gute Nacht", brummte er dann leise an Jeongguk gewandt und bog vor den Treppenstufen nach rechts ab, mit wahrendem Abstand zu dem Studenten.

"Gute Nacht", entgegnete dieser mit heiserer Stimme, ertappten Scham im Blut.

Als er sich aus seiner Starre löste und den Blick wieder anhob, blickte er ohne Umschweife in die Augen des Weihnachtsmannes, der ihn über die Distanz hinüber beobachtet hatte. Ein Zwinkern huschte über sein faltiges Gesicht. Jeongguk erwiderte dies überrumpelt mit einem erschrockenen Versuch von Grinsen und trat schnell die Kehrtwende in sein Zimmer an.



ミ⛦



Taehyung trieb sich derweil in einem anderen Teil des Hauses herum. Er war so vertieft in die Dekoration des Hauses - seine so glanzlose Normalität -, dass er gar nicht bemerkt hatte, wie er Jeongguk abgehangen hatte. Als er sich umdrehte, weil er eine Weile nichts von ihm gehört hatte, blickte ihm nur ein leerer Gang entgegen.

Für einen Moment überlegte Taehyung zurückzukehren - wer wusste schon, auf was für Ideen Jeongguk kam -, doch dann hörte er einen lauten Aufschlag und einen Schmerzenslaut. Gguk würde es schon besser gehen als dieser Person. Hilfsbereit ging er auf die Suche nach dem Pechvogel, der wohl vom Himmel gefallen war.

Obwohl dieser Pechvogel, so erkannte es Taehyung, als er durch die einzige offenstehende Tür spazierte, nicht vom Himmel, sondern von einer Regalleiter gefallen war. Jimin hatte sich inzwischen wieder aufgerappelt, aber streichelte sich noch mit verzogenem Gesicht über seinen Rücken.

"Alles in Ordnung?", fragte Taehyung milde besorgt nach und Jimin zuckte kräftig zusammen.

"Ähm, ja, alles in Ordnung, geht schon", stammelte der junge Wichtel, nachdem er sich schnell von seinem Schock erholt hatte. Von all den Wesen in dieser Umgebung musste ihn ausgerechnet der schöne Menschenjunge bei dieser Peinlichkeit erwischen. Als Jimin realisierte, was er gerade in der Hand hielt, ließ er es blitzartig hinter seinen Rücken wandern.

Taehyung aber hatte gerade sowieso keine Augen für ihn. Beeindruckt schweiften sein Augen über die hohen Bücherregale, die sich bis ganz an die Decke in - fünf? - Metern Höhe schmiegten. Sie waren vollgestopft mit den unterschiedlichsten Büchern in Farbe, Größe und Alter, auf manchen Bücherreihen waren noch andere Bücher gestapelt und an den Stellen, die genug Platz boten, standen bordeauxrote Ohrensessel mit kleinen Lampen.

"Das ist wirklich eine wunderschöne Bibliothek", meinte Taehyung, der seinen Blick wieder dem Wichtel zuwandte. Komisch, Jimin hatte seine Arme angestrengt hinter dem Rücken verschränkt.

"Ja, sie ist mein Lieblingsort, gleich nach den Ställen und den Werkstätten und unserem Versammlungsraum im Wichteldorf und den Bänken unter der großen Weihnachtstanne und den Klippen über dem Polarmeer und -"

Amüsiert lachte Taehyung auf und Jimin stockte in seiner Aufzählung. "Ich weiß nicht, ob du das hier als Lieblingsort bezeichnen kannst, wenn davor noch zehn andere kommen", zog der Student ihn grinsend auf.

"Ich habe viele Lieblingsorte", schnaubte Jimin, aber erwiderte Taehyungs Grinsen.

"Und über was kann man in dieser Bibliothek lesen?" Der Student versuchte die Titel auf den Bücherrücken zu erkennen, doch er konnte sie sich nicht erschließen. Kein Wunder auch, wenn er seine Brille nicht trug.

"Über so gut wie alles. Die Geschichte des Weihnachtswinterlandes, über seine Wesen und Einwohner, über die Dörfer, über all die Weihnachten, die bisher gefeiert wurden, über die glückseeligen und beunruhigenden Momente, über den Zauber von Weihnachten..." Jimin plapperte abermals los und schwärmte in ausufernden Sätzen über die Bibliothek.

Und Taehyung mochte es. Es war süß, wie aufgeregt die zierlichen Hände des Wichtels durch die Luft sausten, wenn er seine Begeisterung nicht zurückhalten konnte und wie ein Leuchten in seine Augen kroch und sich über sein gesamtes Gesicht ausbreitete. Taehyung versuchte einen Blick auf das Buch zu erhaschen, das Jimin offensichtlich vor ihm verheimlichen wollte, aber es schwirrte zu schnell herum, als dass er es hätte entziffern können.

"Und man kann auch einiges über euch Menschen nachlesen. Wie eure Welt gestaltet ist, eure Bräuche, Sitten, Kulturen, Geschichten, wie ihr euer Leben regelt, über eure Eigenarten und Besonderheiten, eigentlich so gut wie alles vermutlich", schloss Jimin seine Erzählung ab und schnappte erstmal leicht nach Luft.

"Viel Glück dabei. Ich lebe schon mein ganzes Leben lang in ihr und versteh' nur einen Bruchteil der Handlungen der Menschheit."

Jimin murmelte daraufhin nur etwas Undeutliches vor sich hin, widersprach Taehyung jedoch nicht.

"Und was ließt du da?", hakte Taehyung mit einem Kopfnicken in Richtung Jimins Buch nach.

Dessen Gesichtszüge schossen erschrocken nach oben und er presste das Buch gegen seine Brust, sodass er es mit seinen Unterarmen verdecken konnte. Also unauffällig war der Junge nicht, dachte sich Taehyung.

"Was - über - euch", antwortete Jimin in abgehaktem Ton, "also über die Menschheit. Dieses System da, was Jeongguk uns vergeworfen hat. Kapitalismus?" Er redete viel zu schnell und er tippelte auch viel zu nervös auf seinen Zehen herum, das wusste er. Er konnte es nur nicht unterbinden.

"Hmm, dann auch dabei viel Spaß", schmunzelte Taehyung, der beschloss, Jimins offensichtliche Lüge einfach durchgehen zu lassen. Es würde schon seine Gründe haben.

Der junge Student ließ seinen Blick noch einmal über die Regale streifen, bevor er zur Verabschiedung die Hand hob und dem Wichtel seinen Freiraum wiedergab.

Mit einem tiefen Schnaufen verließ Jimin sein angespannt angehaltener Atem. Zum Glück hatte der bildhübsche Tae den Titel nicht lesen können. Jimin sah auf das Buch in seinen Händen, das ihn diese schlaflose Nacht lehren sollte.

Amor et voluptas - eine Einführung in menschliche Tiefen prangte auf seinem Frontdeckel.



ミ⛦



Yoongi lauschte dem Knacken des in sich zusammenfallenden Holzes, während sein Kopf die Geschehnisse des heutigen Tages zu reflektieren begann. Das war verrückter als so gut wie jeder hoch dosierter Edible-Trip.

Obwohl es die Erzählung über den Weihnachtsmann schon lange gab und niemand diese als verrückt verrief. Oder war er nicht doch eine Erfindung von Coca Cola gewesen? Also doch nur eine Erfindung irgendeines Großkonzerns, um ein Rad am Kapitalismuswagen zu drehen?

Yoongi hatte davon wenig Ahnung, noch weniger als von Weihnachten. Zumindest redete er sich das gerade ein, denn er hatte keine Lust, darüber weiter nachzudenken. Er hatte schon seit einiger Zeit - so lange, dass man beinahe Monate statt Wochen sagen konnte - keine Lust mehr, über irgendwas nachzudenken.

Vor Wochen, beinahe schon Monaten, hatte er all seine Gedanken auf Papier ausgekotzt, in einsamen Nächten ins Mikrofon gerotzt - wortwörtlich, es waren oft Tränen gelaufen - und danach so tief in seinem Archiv verbuddelt, dass er sie hoffentlich erst in Jahren finden und in Melancholie versetzt darüber den Kopf schütteln würde.

Und seitdem hatte er keine reichweitentragenden Gedanken mehr - und erst Recht nichts mehr zum Ins-Mikrofon-Kotzen. Scheiß Kreativloch. Das war noch viel deprimierender als seine scheiß Ex.

Yoongi seufzte schwer und rieb sich über seine müden Augen. Er hätte mit Jeongguk und Taehyung mitgehen und das Haus des Weihnachtsmannes erkunden sollen. Stattdessen lag er in einer kleinen Ausbuchtung, starrte deren Holzdecke an und bemitleidete sich selbst - während er beim fucking Weihnachtsmann zu Gast war.

Klar gehörte das zum Leben auch dazu, aber leiden konnte er diese Augenblicke trotzdem nicht. Denn sie erinnerten ihn immer daran, dass sein unnahbares Selbstbild ein bisschen zu idealistisch gedacht war - und welcher Mensch erinnerte sich schon gerne daran, dass er menschlich war?

Ein Klopfen riss ihn aus seinem Gedankenstrudel. Verwundert hob er den Kopf. Das konnte weder Taehyung noch Jeongguk sein, die klopften nie. Sie machten höchstens mal Affengeräusche vor der Tür, wenn sie dachten, dass Yoongi gerade vielleicht masturbieren könnte. Yoongi fand das ziemlich lächerlich und abgesehen davon, sperrte er in solchen Fällen eh seine Türe ab.

Die große Eichentür des Gästezimmers öffnete sich und Hobi spazierte mit einem Tablett, auf dem vier dampfende Tassen standen, herein. Erstaunen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, als er die leeren Betten sah und Yoongi konnte nicht anders, als wieder zu sanft zu lächeln.

"Eigentlich wollte ich euch allen eine heiße Schokolade vorbeibringen und die Pläne für die nächsten paar Tage vorstellen, aber... hmm", erklärte Hoseok und verfing sich in Ratlosigkeit.

"Kein Problem, ich trinke gerne mehrere Tassen heiße Schokolade", erwiderte Yoongi grinsend, "und das Programm kann ich mir auch alleine merken."

Hobi spiegelte Yoongis Grinsen wieder und setzte sich neben ihn auf die Bettkante. Der verlockende Kakaogeruch stieg in Yoongis Nase auf und das Selbstmitleid war vergessen. Vorsichtig nippte er an dem Getränk und verbrannte sich fast die Zunge. Der Wichtel neben ihm lachte lauthals über seine gequälte Grimasse.

"Sehr im weihnachtlichen Nächstenliebe-Spirit von dir", meinte Yoongi gespielt verdrossen, doch über Hoseoks Gesicht huschte sofort überraschte Erschrockenheit.

Augenblicklich tätigte der Student eine beruhigende Geste - auch wenn Hobis Gesichtsausdrücke Gold wert waren. Er war diese Art von Men-, Wichtel, deren Gesichter Bände sprachen und die einfach herrlich anzublicken waren. Ob dass nun bei Hoseok daran lag, dass er unwirkliche Schönheit verkörperte oder wandelndes Meme-Potenzial hatte - Yoongi einigte sich auf beides.

"Also wir haben vor, euch in den Werkstätten herumzuführen. Wir sind ja praktisch dazu verpflichtet, da Jeongguk genau das kritisiert hat. Und dann hat jeder von uns noch genau einen von euch, dem er was zeigen wird. Jimin wird sich um Taehyung kümmern, ich hab' dich", Hobi warf dem Studenten ein herzerwärmendes Lächeln zu - war diese sanfte Wärme in Yoongis Brust der Kakao? - "und ich schätze, dass Joonie und Jeongguk die Zeit miteinander verbringen werden."

"Na, hoffentlich bringen die beiden sich nicht um", scherzte Yoongi und Hoseok hob als Antwort nur seine Augenbrauen, während er ebenfalls an seiner heißen Schokolade schlürfte.

"Der Weihnachtsmann weiß, was er tut, wenn er Namjoon zu Jeongguk schickt. Außerdem ist Joonie eigentlich immer sehr ausgeglichen... Dein Freund scheint ihn nur noch mehr provozieren zu können, als Jin es kann."

"Oh ja, das kann Gguk gut. Das ist vermutlich mit das Beste, was er kann", bestätigte Yoongi den Wichtel.

Sie saßen kurz stillschweigend nebeneinander, beide in Gedanken bei diesem konfliktgeladenen Duo, während sie ihre warmen Getränke tranken und in die versiegende Glut starrten.

"Noch irgendwelche Wünsche?", unterbrach Hobi dann ihr Schweigen.

"Hmm?", brummte Yoongi, dessen Hirn nicht schnell genug mitkam.

"Noch irgendwelche Wünsche betreffend unseren geplanten Programmes?"

"Nein, hört sich super an", meinte Yoongi. Wie gesagt, schon lange kein reichweitentragenden Gedanken mehr gehabt.

"Und andere Wünsche? Wünsche zu Weihnachten? Wünsche, die die Magie von Weihnachten benötigen?" Hobi sagte es in einem federleichten, beiläufigen Ton, aber sie beide spürten das unterschwellige Angebot in seiner Frage.

Yoongi wusste nicht genau, was ihn zu seiner ehrlichen Antwort trieb. Normalerweise legte er nur seinen engsten Freunden seine Gefühlswelt nackt auf den Tisch - na gut, manchmal war sie noch leicht bedeckt. Vermutlich lag es daran, dass er hier im Haus des fucking Weihnachtsmannes neben einem fucking Weihnachtswichtel saß.

"Ich will aus meinem Kreativloch heraus. Ich will wieder Songs produzieren, Texte schreiben, was zu sagen und zu denken haben." Denn wenn Yoongi zu der Musik fand, dann fand das Leben und seine inhaltsschweren Gedankenanstöße von ganz allein wieder zu ihm.

Und so hatte Jung Hoseok eine Mission für diese Weihnacht, als er aus Min Yoongis Zimmer schlüpfte. Es galt, einen sehnlichen Wunsch zu erfüllen.


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