between the shadow and the so...

By hesitantspacewitch

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»Mein Name ist übrigens Aristes. Hier ist meine Telefonnummer, falls du mich anrufen musst.« »Deine Telefonnu... More

Vorwort
Kapitel 1 - Buttermesser und andere Gefäße in die man Dämonen verbannen kann
Kapitel 2 - Ein Grundkurs im verflucht-werden
Kapitel 3 - Ein fantastischer Tag zum sterben
Kapitel 4 - Die U-Bahn in die Unterwelt
Kapitel 6 - Die Wahl zwischen sterben und dahinscheiden
Kapitel 7 - Die Möglichkeiten der Hexerei
Kapitel 8 - Der Fluch schlägt zurück
Kapitel 9 - Die Rückkehr des Buttermessers
Kapitel 10 - Buttermesser Teil 3
Kapitel 11 - Ein Plan
Kapitel 12 - Die Opferung
Kapitel 13 - Ein Dämon und ein Nephilim betreten gemeinsam die Unterwelt.
Kapitel 14 - In dem Avery verletzt wird.
Kapitel 15 - Wie man einen Fluch bricht
Epilog

Kapitel 5 - (un)brauchbare Dämonen

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By hesitantspacewitch

Aristes verschwand nicht absichtlich. Jasper hatte das Metallgitter über ihren Köpfen nicht gesehen, weil er ständig auf den Boden sah, damit er nicht stolpern und sich das Genick brechen würde. Er hatte auch nicht gesehen, wie sich das Metallgitter geöffnet hatte und jemand Aristes blitzschnell packte um ihn durch die Öffnung in einen anderen Flur zu ziehen. Ohne loszulassen, wurde Aristes gegen die nächste Wand gedrückt, die Füße in der Luft baumelnd.

»Was denkst du, was du da mit diesem Menschen machst?«, spuckte der Dämon, der ihn festhielt.

»Oh, hallo Hargamon. Schön dich zu sehen«, krächzte Aristes. Dämonen mussten nicht unbedingt atmen, aber es war schön, die Option zu haben. Vor allem, wenn sie ihre Stimmbänder voll ausschöpfen wollten. »Wir machen eigentlich gar nichts. Zeig ihm nur die Unterwelt. Eine Art Sightseeing-Tour.« Hargamon beobachtete ihn mit leuchtenden Augen, aber Aristes schaffte es, sich unter dem einschüchternden Blick nicht zu winden. Er zweifelte nicht daran, dass Hargamon ihm gefährlich werden konnte, aber wenn all die Jahre, die er mit Dämonen zusammen lebte ihn eines gelehrt hatten, dann war es, seine Schwächen und wie viel Angst er tatsächlich hatte, zu verbergen.

»Ich hätte nicht gedacht, dass du so dumm bist.«

»Und ich habe gedacht, dass mich besser kennst. Nach allem, was wir zusammen durchgemacht haben«, seufzte Aristes dramatisch, als Hargamon die Waffe seiner Wahl manifestierte. Der Speer sah scharf genug aus, um Papier zu durchschneiden, geschweige denn seinen Schädel und brachte Aristes sofort zum Schweigen. Hargamon deutete damit auf seine Brust, die Stelle, an der sein schwarzes Herzchen gerade so schnell schlug, dass ihm schwindelig wurde.

»Du bist eine Verschwendung als Dämon. Muss ich dich daran erinnern, was passiert ist, als du das letzte Mal versucht hast, den Helden zu spielen?«, knurrte Hargamon, entblößte seine scharfen Zähne und ernüchterte Aristes, als hätte er gerade eine Ohrfeige verpasst bekommen. »Ich werde nicht zulassen, dass du diese Seele rettest. Genauso wie ich dafür gesorgt habe, dass du damals in Europa niemanden retten konntest. Entweder wirst du dich von diesem Menschen fernhalten, damit der Fluch seine Aufgabe ohne weitere Einmischung erfüllen kann. Oder du bringst ihn selbst um und bringst mir seine Seele.«

»Sonst was?«, würgte Aristes hervor. Hargamons Klauen klammerte sich immer noch unnachgiebig um seine Kehle.

»Oder der Papierkram, der deinen Tod betrifft wird deine geringste Sorge sein. Gut möglich, dass der sogar bereits erledigt ist«, lächelte der Dämon kalt. Aristes hätte beinahe gelacht.

»Das ist wirklich schmeichelhaft, aber ich kann nicht. Jasper töten, meine ich. Ich habe mit ihm einen Vertrag geschlossen.«

»Nein, hast du nicht«, spuckte Hargamon aus und Aristes verzog das Gesicht.

»Ähm, doch, das habe ich. Überprüf den Papierkram.« Dass Hargamon ihn so plötzlich losließ, schockierte ihn so sehr, dass er nicht auf den Füßen landete, sondern wie eine Marionette, deren Fäden durchtrennt wurden, zu Boden fiel. Aber Aristes war das egal. Er wusste, dass er gewonnen hatte. Für jetzt zumindest.

»Ich hasse dich«, rief Hargamon und warf seinen Speer in dem Versuch, Aristes wie eine Zielscheibe auf dem Schießstand aufzuspießen. Aber Aristes war schneller, rollte aus dem Weg und stand auf. Der Speer schlug neben ihm gegen die Wand und ging sauber in den Stein. Das Wissen, dass er ihn nicht umgebracht hätte, selbst wenn er ihn aufgespießt hätte, war nur ein kleiner Trost. Es stimmte, dass Dämonen sich gegenseitig verletzen konnten. Sie konnten kämpfen und sich gegenseitig zerreißen. Aber sie konnten sich niemals gegenseitig töten. Nicht entgültig, zumindest. Es war eine Regel, die so unnachgiebig war wie die Schwerkraft selbst. Die einzigen Kreaturen, die gefährlich genug waren, um Dämonen für immer zu beseitigen, waren die Vertreter des Himmels.

»Gern geschehen«, krächzte Aristes und grinste den anderen Dämon an, dessen Augen vor Wut nur noch heller leuchteten.

»Ich werde dich und diesen erbärmlichen Menschen fertig machen.«

»Viel Glück dabei.« Hargamon schnaubte eine schwarze, nach Schwefel stinkende Rauchwolke.

»Du glaubst mir nicht.«

»Bitte. Du konntest die Seele eines Menschen nicht stehlen und er hat deinen Todesfluch überlebt. Was lässt dich glauben, dass du jemals seine Seele bekommen wirst?«, fragte Aristes spöttisch und zu seiner Überraschung fing Hargamon an zu lachen.

»Warum denkst du, ich werde es nicht tun? Du hast gerade eine menschliche Seele ganz allein in der Unterwelt gelassen. Es wäre doch schade, wenn ihr was passieren würde, während du hier mit mir plauderst, oder?«, sagte er mit einem schäbigen Lächeln, während Aristes vor Entsetzen bleich wurde. Er wusste, dass er sich nicht um diesen Menschen kümmern sollte. Aber er tat es trotzdem.

Aristes verschwendete keine Sekunde mehr. Er lief sofort zur Lüftungsschacht, wurde aber von Hargamon aufgehalten. Der Dämon breitete seine Arme aus, beschwor zwei flammende Kugeln aus Höllenfeuer in seinen Handflächen und warf sie auf Aristes. Er verfehlte um Haaresbreite, versengte den Ärmel seines T-Shirts, als Aristes auswich, bevor er Hargamons Speer aus der Wand herauszog und ihn auf seinen Besitzer warf. Der Speer drang durch Hargamons Torso und spießte ihn an die Steinmauer hinter ihm. Aufgrund der Natur des Speers (gebaut um Dämonen zu verletzen) konnte Hargamon die Waffe nicht so leicht wieder herausziehen, wie er es gerne hätte. Stattdessen breitete er seine Arme aus und beschwor das Höllenfeuer. Die Flammen kräuselten sich zu Kugeln, so groß wie Basketbälle, und blutrote Flammen flackerten ungeduldig über seine Finger. Aristes duckte sich, als Hargamon sie mit einem wütenden Schrei auf ihn warf und durch die Lüftungsöffnung in den vorherigen Gang zurück schlüpfte. Er fand den Flur leer vor.

Die Bücher und Jasper waren weg.

Aristes stöhnte, um die Sorge zu verbergen, die durch seine Brust raste.

»Wo ist dieser Mensch jetzt hin?«



In der Zwischenzeit beschloss Jasper, mit Büchern und Krücken in der Hand weiterzuziehen, in dem zaghaften Versuch, den Ausgang der Unterwelt selbst zu finden. Er war sich ziemlich sicher, dass er sich verirrt hatte, nachdem er mehrere Gänge mit offenen Türen passierte, die in dunkle Räume voller obskurer Szenen führten. Jasper kam an einem altmodisch aussehenden Wohnzimmer mit weißen Tischdecken und einem leise spielenden Grammophon vorbei. Das Lied klang leicht verstimmt und hallte eindringlich durch die leeren Flure. Es war ein instrumentales Klavierstück, das ihm seltsam vertraut vorkam und gleichzeitig seine Nackenhaare aufstehen ließ. Jasper eilte weiter, vorbei an leeren Korridoren mit dunklen Flecken an den Wänden, die Blutflecken sein konnten oder auch nicht, und flüsternde Schatten, die ihn erschreckten.

Schließlich kam er an eine Abzweigung. Ein Gang führte nach links, einer nach rechts. Beide sahen genau gleich aus. Es war wie in einem Albtraum.

»Wo ist ein Dämon, wenn man wirklich einen braucht«, murmelte Jasper und versuchte, die auf dem Steinboden geschriebenen Runen zu verstehen.

»Vielleicht kann ich ja behilflich sein?«, kreischte eine Stimme neben seinem Ohr. Jasper schrie auf und sprang zurück. Hastig sah er sich nach der Quelle der Stimme um. Er fand sie in Form eines Wasserspeiers, der kopfüber unter der Decke lauerte. Seine gelben Augen glühten in der Dunkelheit und das Flattern seiner ledrigen Flügel machte ein Geräusch, als würde jemand Plastiktüten ausschütteln, bevor sie vorsichtig auf den Rücken gefaltet wurden.

»Du siehst verloren aus, Mensch«, kommentierte er, bevor er tief Luft holte und sichtlich erschauderte. »Oh Satan, und du riechst furchtbar. Warum hat das niemand erwähnt?«

»Mein Geruch?«, fragte Jasper, bevor er sich stoppen konnte. »Ich wurde verflucht.«

»Das ist nicht das was ich meine. Du riechst nach Schutzzaubern«, erklärte der Wasserspeier und machte verschiedene Würgegeräusche, die Jasper angewidert zurückschrecken ließen. »Und nach etwas Süßem. Du riechst schlimmer als ein Blumenstrauß.«

»Danke, nehme ich an?«

»Es sollte kein Kompliment sein.«

»Ja, das dachte ich mir.« Der Wasserspeier hörte auf, seine Knubbelnase zu rümpfen und ein gieriger Blick überkam seine Augen.

»Deine Seele riecht leider immer noch köstlich genug, um alles andere verzeihen zu können«, sagte der Wasserspeier und klapperte aufgeregt mit seinen Krallen.

Jasper trat sofort zurück und hob seine Krücke wie ein Degen, bereit sich zu verteidigen.

»Oh nein, bleib bloß weg von mir. Versuch nur, meine Seele zu essen. Ich verspreche dir, es wird dir die schlimmsten Bauchschmerzen deines ganzen Daseins bereiten«, sagte er, sein Tonfall streitlustiger als ihm wirklich zumute war aber um ehrlich zu sein, war Jasper fertig mit diesem Tag.

»Ein tapferer Mensch. Interessant«, gackerte der Wasserspeier, schrill und albern. Er kratzte sich mit einer seiner krallenbesetzten, nackten Hände am Kopf, bevor er losließ und mit einem kurzen Flügelschlag auf dem Boden landete. Im Neonlicht sah seine Haut grau aus wie Stein und sein Schatten verschmolz perfekt mit der Dunkelheit, die sie umgab. Seine dreieckigen Ohren zuckten, als könnte er Jaspers kaninchenschnellen Herzschlag hören, aber der Wasserspeier machte keine Anstalten, ihn anzugreifen. Stattdessen setzte er sich auf den Boden und begann mit einer der Krallen an seinem Fuß in seinen vergilbten Zähnen zu stochern.

»Sag mir, wie genau hast du dich hier unten verlaufen? Sollten Menschen nicht an der Oberfläche herumtollen?«

»Das wäre schön. So sorglos ist das Leben leider nicht«, antwortete Jasper und ließ seine Krücke langsam sinken. »Vor allem, wenn man es schafft, sich versehentlich mit Dämonen anzulegen.«

»Aus versehen? Du riechst, als hättest du versucht, mit der halben Unterwelt in den Krieg zu ziehen. Und als hättest du verloren.«

»Danke für die Info«, grummelte Jasper. »Kannst du mir helfen, den Weg an die Oberfläche zu finden? Ich wurde von einem nutzlosen Dämon stehen gelassen.« Der Wasserspeier legte den Kopf schief und stieß ein nachdenkliches Geräusch aus, das sich anhörte, als würden Fingernägel über eine Tafel kratzen.

»Vielleicht. Aber umsonst mache ich das nicht.«

»Was willst du?«, wollte Jasper wissen und beäugte den Wasserspeier misstrauisch.

»Der Anhänger, den du als Halskette trägst. Es ist ein Schutzzauber, nicht wahr? Ein mächtiger, wenn meine Sinne mich nicht täuschen.«

»Der Peridot? Auf keinen Fall!«, rief Jasper. Der Kristall war schließlich einer der Gründe, warum er noch am Leben war. Der Wasserspeier zuckte mit den Schultern.

»Dann helfe ich dir nicht. Und ich nehme mit den Anhänger trotzdem. Genauso wie deine Seele.« Bevor Jasper reagieren konnte, sprang der Wasserspeier mit ausgestreckten Klauen und Stoßzähnen auf ihn zu. Er hätte beides in Jaspers Haut vergraben und ihn wie Papier zerrissen, wenn Aristes nicht wie aus dem Nichts aufgetaucht wäre, um den Wasserspeier wie eine lästige Fliege aus der Luft zu pflücken. Der Dämon warf Jasper einen entsetzten Blick zu.

»Hast du mich gerade ernsthaft nutzlos genannt?«, wollte er wissen. Jasper, mit geöffnetem Mund und erhobener Krücke, ließ den Atem, den er angehalten hatte entweichen und sank gegen die Wand hinter ihm.

»Vielleicht überdenke ich diese Meinung ja noch einmal. Andererseits hast du mich mitten in der Unterwelt stehen lassen.«

»Nicht freiwillig. Ich habe einen Freund von uns getroffen. Hargamon. Erinnerst du dich an ihn?« Jasper stöhnte.

»Ich hasse diesen Kerl«, sagten beide gleichzeitig enthusiastisch. Jasper und Aristes sahen einander überrascht an. Dann lächelten sie.

»Ich verlange, dass du mich sofort absetzt«, kreischte der Wasserspeier und zappelte in Aristes Griff. Er schlug mit den Flügeln aus, doch Aristes ließ ihn nicht los. Stattdessen hob er ihn auf Augenhöhe.

»Oh, schau dir das an. Ein Unterwelt Miezekätzchen«, gurrte Aristes sarkastisch. »Es überrascht mich nicht, dass Hargamon niemand kompetenteren finden konnte, aber ich gebe zu, ich bin ein bisschen enttäuscht. Wirst du dich benehmen und uns in Ruhe lassen?«

»Nenn mich nicht so! Ich kratz dir die Augen aus du gemischtblütiger Pseudoteufel!«, schrie der Wasserspeier.

»Böses Kätzchen«, antwortete Aristes und lächelte fröhlich mit einem gefährlichen Unterton, der Jasper leicht erschauern ließ. »Weißt du, was wir mit Gargoyles machen, die sich nicht benehmen? Wir stecken sie in die Waschmaschine und finden heraus, wie lange es dauert, sie von ihren Sünden zu reinigen.« Das ließ den Wasserspeier erneut schreien und noch mehr mit den Flügeln schlagen, diesmal vor Angst, bis Aristes ihn losließ. Der Wasserspeier flog sofort davon, so schnell und so weit wie möglich.

»Du bist wahnsinnig! Lassen Sie mich allein. Und denk nicht daran, jemals wieder in meine Nähe zu kommen!« Sie sahen zu, wie der Wasserspeier durch einen der Lüftungsschlitze im Boden verschwand, hörten ihn ein paar Mal krachend gegen die Metallwände stoßen, bevor er sich auffing und es schaffte, hindurch zu fliegen ohne sich zu verletzen. Aristes schüttelte den Kopf und seufzte. Gargoyles waren zwar nicht wirklich gefährlich, aber dafür waren sie umso nerviger.

»Danke, schätze ich«, sagte Jasper, nicht sicher, was er sonst sagen sollte und Aristes sah ihn an und zuckte mit den Schultern.

»Gern geschehen. Lass uns wieder nach oben gehen, ja?« Aristes lächelte und bot Jasper eine Hand an, um ihn hochzuziehen.

»Nur zu gerne.«

Sie schafften es, ohne weitere Zwischenfälle in Jaspers Wohnung zurückzukehren. Zu Hause zog Jasper seine Jacke aus und ließ sich auf die Wohnzimmercouch fallen, wobei er sein Bein auf die Kissen auf dem Tisch wuchtete, die bereits dort lagen. Er beobachtete, wie Aristes die Bücher auf dem Teppich verteilte und sich auf den Boden setzte, um sie durchzusehen.

»Okay, das sieht auf den ersten Blick nicht schlecht aus«, sagte Aristes, nachdem er ihre Titel durchgelesen und die acht Bücher auf dem Teppich ausgelegt hatte. Sie waren unterschiedlich in Größe und Zustand. Einige sahen ziemlich neu und gut erhalten aus, während andere aussahen, als würden sie auseinanderfallen, sobald jemand sie berührte. Jaspers Blick fiel auf das schwere, lederbekleidete Grimoire mit dem flachen, violetten Stein auf dem schwarzen Einband, eingerahmt von silbernen Linien und Zeichen. Es sah sowohl schön als auch gespenstisch aus.

»Hier, nimm das hier.« Aristes warf ihm ohne Vorwarnung eines der kleineren Bücher zu und traf ihn damit fast direkt ins Gesicht. Jasper fing es in letzter Sekunde auf.

»Hey! Vorsichtig.« Er nahm das Buch, das wie eine Art Tagebuch aussah, mit dem leerem Stoffeinband und den welligen Seiten. Er öffnete es und erkannte, warum Aristes ihm das gab. Es war auf Englisch. Zugegeben, altes Englisch aber lesbar. Jasper setzte sich auf und machte sich an die Arbeit.



Das war vor drei Stunden gewesen. Seitdem lasen sie, recherchierten, machen Essenspausen und schrieben von Zeit zu Zeit Notizen, ohne wirklich etwas über Todesflüche und deren Beseitigung zu erfahren. Anscheinend hatte niemand lange genug gelebt, um herauszufinden, wie man einen entfernt.

Es war halb vier am Nachmittag, als Jasper herauszufinden versuchte, was zum Teufel man mit ›apricity‹ meinte und warum sich nie jemand die Mühe gemacht hatte, ein Inhaltsverzeichnis zu schreiben, als sein Handy klingelte. Er sah nur flüchtig auf, als er den vertrauten Klingelton seiner besten Freundin hörte und nahm den Anruf einfach entgegen.

»Hallo Avery. Was gibts?«

»Du hast es vergessen, nicht wahr?« Jasper konnte ihr Lächeln hören, aber das half ihm nicht gegen den Drang, sein Gesicht gegen eine Wand zu schlagen.

»Fuck«, fluchte er und schloss kurz die Augen. Avery hatte das Semester im Ausland verbracht. Er hatte vergessen, dass sie heute zurückgekommen ist. »Ich bin ein schrecklicher Freund. Es tut mir so leid.« Avery lachte fröhlich.

»Alles gut. Mach es wieder gut, indem du mir einen Bubble Tea ausgibst. Soll ich heute noch vorbeikommen?«, fragte sie.

»Ja, natürlich. Ich habe dich vermisst. Schön, dass du zurück bist«, sagte Jasper.

»Geht mir genauso. Bis in einer Stunde.«

Es klingelte an der Tür, gerade als Aristes aufstand und sich stöhnend streckte.

»Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich brauche eine Pause«, verkündete er und öffnete die Haustür, bevor Jasper es überhaupt schaffte auf die Beine zu kommen. »Bis später«, rief Aristes über seine Schulter und ging an Avery vorbei, die ihm verblüfft nachsah, als Aristes sie mit einem »Schönen Nachmittag, Menschenwesen« begrüßte.

Glücklicherweise erholte Avery sich schnell beim Anblick von Jasper. Sie stürmte in die Wohnung, ein Wirbelwind aus rotem Haar und fließendem, schwarzen Kleiderstoff und umarmte ihn fest genug, um alle Luft aus ihm herauszupressen. Jasper grinste und drückte sie zurück. Er hat sie mehr vermisst, als ihm bewusst war.

»Es ist so schön, dich zu sehen«, lachte Avery.

Sie war nur ein Jahr älter als Jasper und sie wuchsen mehr oder weniger zusammen auf. Ihre Mütter hatten sich bei einem der Zirkeltreffen angefreundet, als Jasper und Avery gerade alt genug waren, um auf eigenen Beinen zu laufen. Seitdem waren die zwei praktisch unzertrennbar. Man wusste schnell, wo Jasper war, konnte Avery nicht weit sein und umgekehrt. Sie machten gemeinsam die Wälder und Spielplätze unsicher, stritten sich um das letzte Stück Apfelkuchen, nahmen zusammen mit ihren Familien an Zirkeltreffen und Ritualen teil. Sie sind füreinander da gewesen, als Avery ihren ersten Herzschmerz durchlebte, als Jasper mit 13 merkte, dass er Jungs und keine Mädchen mochte. Avery brachte ihm bei, wie man Eyeliner benutzt, ohne sich die Augen auszustechen, und nahm ihn mit zu seinem ersten Konzert. Jasper machte sie im Gegenzug süchtig nach Anime und Bubble Tea. Sie verbrachten ihre Sommer am nahegelegenen See und tanzten nachts bei Vollmond. Ihre Familien feierten gemeinsam die Sabbate. Wenn Jasper mitten in der Nacht überhaupt jemanden zum Reden brauchte, war Avery die Erste, die ihm in den Sinn kam und umgekehrt. Und jetzt studierten sie gemeinsam an derselben Universität, Avery mit ihrer Violine und Jasper am Klavier.

Sie trennten sich und Avery trat die Stiefel von ihren Füßen, bevor sie durch den Flur hüpfte.

»Kanada war unglaublich. Ich habe so viel gelernt. Ich wünschte, ich hätte länger bleiben können. Aber egal. Ich bin zurück, Baby, und die an der Uni können sich auf was gefasst machen«, rief sie aufgeregt, ging ins Wohnzimmer und blieb beim Anblick des Chaos aus Büchern und Essensresten stehen. »Woah, was habe ich verpasst.«

»Also... das...«, begann Jasper und Avery wurde sofort misstrauisch.

»Irgendetwas sagt mir, dass dein gebrochener Fuß nicht nur ein gebrochener Fuß war.« Jasper seufzte.

»Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst, du warst nicht hier und konntest sowieso nichts tun, also...«, begann er zu erklären, als Avery ihn unterbrach.

»Jasper, was zum Teufel? Was ist passiert?«, wollte sie wissen und Jasper seufzte.

»Kurze Antwort: Ich wurde verflucht.«

»Du was?«, schrie Avery, packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn. »Und du dachtest nicht, dass ich das wissen will? Bist du verrückt?"

»Ich bin mir nicht sicher. Mein Leben ist im Moment irgendwie verrückt.«

»Hat der süße Typ, der deine Wohnung verlassen hat, als ich herauf kam, zufällig etwas damit zu tun?«, grinste Avery. Sie vergrub die Hände in den Taschen ihres Kleides und stupste ihn gegen die Schulter. Jasper warf ihr einen verärgerten Blick zu und schubste zurück.

»Das war Aristes. Er ist ein Dämon.« Avery erstarrte und blinzelte ihn an.

»Jasper, ich fange an zu glauben, dass ich träume. Setz dich hin und fang bitte von vorne an«, sagte sie und führte ihn in die Küche. Avery machte beiden eine Tasse Tee und setzte sich dann hin, während Jasper ihr alles erzählte, was passiert war.

»Und weißt du, woher die Noten kommen?«, fragte Avery schließlich.

»Nicht wirklich. Meine Tante glaubt, sie hat sie zusammen mit ein paar anderen Stücken auf einem Flohmarkt gefunden. Sie hat nicht gewusst, dass es besessen war. Sie weiß auch nicht, warum der Dämon verbannt wurde. Ich sollte vielleicht Aristes danach fragen. Vielleicht weiß er etwas.«

»Es tut mir wirklich leid, dass ich frage, aber du bist dir absolut sicher, dass du verflucht wurdest? Es ist nicht nur eingebildet. Oder eine Art Placebo Effekt?«, fragte Avery vorsichtig und Jasper schnaubte spöttisch.

»Du denkst ernsthaft, meine Mutter hat mich nicht als allererstes ein Ei zerschlagen lassen?«

»Ist das Eigelb wirklich schwarz gewesen?«, wollte Avery wissen, aber es steckte kein Zweifel hinter ihren Worten. Nur Neugier und Ehrfurcht. Jasper nickte.

»Ich hatte noch nie in meinem Leben Angst vor einem Ei. Es kam pechschwarz heraus. Meine Familie hat mich direkt in die Badewanne geschickt und mir ein Detox-Gebräu nach dem anderen eingeflößt. Es hat gegen das Schlimmste geholfen, denke ich«, erzählte Jasper. »Abgesehen davon, habe ich das hier«, fuhr er fort und zog den Ausschnitt seines T-Shirts herunter und zog das weiße Pflaster ab, mit dem er das schwarze Zeichen über seinem Herzen abgedeckt hatte. Es sah aus, wie eine Art Tattoo, das schlecht verheilt war. Die schwarzen Linien standen von der Haut ab wie altes Narbengewebe oder wie ein Brandmal. Sprachlos starrte Avery ihn an.

»Das ist verrückt«, hauchte sie. Sie spielte mit dem Anhänger um ihren Hals. Es war ein stäbchenförmiger Rosenquarz, den sie als Pendel benutzte. »Und was jetzt? Wie geht es dir? Wie lange musst diesen Gips tragen?«

»Der Termin zum Abnehmen ist nächste Woche«, sagte Jasper und stützte seinen Kopf auf den Küchentisch.

»Schön.«

»Ja. Ich kann es kaum erwarten. Ansonsten versuche ich, so oft wie möglich zu Hause zu bleiben. Obwohl selbst das zweifelhafte Resultate mit sich bringt«, seufzte er.

»Ich helfe gerne, wo ich kann«, sagte Avery und zog ihre Füße auf den Stuhl. Jasper lächelte sie sanft an.

»Danke. Wir versuchen derzeit herauszufinden, wie wir den Fluch loswerden können. Wenn du dazu eine Idee hast, sag bescheid.«

»Heißt das, ich muss mir jetzt beim üben von neuen Musikstücken Sorgen machen?«, fragte Avery und brachte Jasper zum Lachen.

»Nein, der Dämon war an dieses spezielle Lied gebunden. Wenn man mit normaler Musik Dämonen beschwören könnte, wären alle Musiker der Welt in Schwierigkeiten«, sagte er und Avery schnaubte belustigt.

»Ehrlich gesagt habe ich manchmal das Gefühl, dass meine Uni-Kollegen alles tun würden, um eine anstehende Prüfung zu verschieben. Erinnerst du dich an die Rachmaninow Hausaufgabe im letzten Semester? Er hat nicht einmal ein Violinkonzert geschrieben. Meine armen Finger haben geblutet. Und meine Ohren auch, weil wir so schlecht waren.«

»Ich erinnere mich. Ich erinnere mich auch daran, dass du fantastisch geklungen hast«, sagte Jasper und Avery lachte.

»Das ist wirklich süß, aber du liegst falsch.«

Sie redeten fast zwei Stunden über Averys Auslandsreise und alles, was danach geschah, bis Avery schließlich aufstand und ihre leere Tasse in die Spülmaschine stellte. »Okay, ich muss langsam nach Hause, Koffer auspacken. Ich werde Augen und Ohren offen halten für alles, was deinen Fluch betrifft.«

»Danke dir.«

»Nicht dafür. Pass auf dich auf«, sagte sie und drückte einen sanften Kuss auf Jaspers Wange, bevor sie ging und nichts als vertraute Wärme hinterließ. Jasper lächelte. Er hatte Avery immer sowohl als große Schwester als auch als seine beste Freundin gesehen und das Gefühl beruhte auf Gegenseitigkeit. Er war froh, dass sie zurück war.

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