Matteos Sicht
Die Zeit im Krankenhaus zog sich ewig dahin. Es war fast als hätte man eine Parallelwelt betreten in der die Gesetze der sonstigen Realität nicht mehr galten. Am nächsten morgen erschien mir die Welt schemenhaft, als die leichten Sonnenstrahlen begannen den Flur der Intensivstation zu fluten kam es mir fast unwillkürlich vor.
Ich hatte die Nacht im Krankenhaus verbracht. Fede hatte zwar versucht mit ihm zu kommen, aber ich wollte lieber hier bleiben. Schlafen konnte ich nicht, manchmal dämmerte ich in einem Zustand zwischen wach und schlafend hin und her doch jedes mal wenn ich kurz davor war wirklich einzuschlafen erfasste mich der Schock von neuem. Ich konnte die Kontrolle nicht abgeben, wenn jederzeit die Möglichkeit bestand dass der Arzt uns sprechen wollte.
Selbst als mein Bruder mich bat mit ihm nach Hause zu gehen um einen kurzen Tapetenwechsel zu bekommen lehnte ich ab. Es hätte mir vielleicht gut getan, aber zu wissen, dass einfach nur die Möglichkeit bestände nicht sofort da sein zu können, wenn Luna aufwachte oder wie mehr erfuhren würde mich wahnsinnig machen, also blieb ich hier. Der zustand in dem wir uns befanden war nicht vergleichbar mit irgendetwas anderem. Nina blieb mit mir wach, auch sie konnte die Nacht nicht schlafen. Sobald die Sonne aufging erschien Gaston im Krankenhaus, wahrscheinlich hatte er Ninas Nachrichten nach dem Aufwachen gesehen und sich sofort auf den Weg gemacht. Überfordert versuchte er seine Freundin und mich zu unterstützen und allen gute Laune zu machen, so wie er eben immer war, doch man kannte meinem besten Freund an, dass sein Lächeln nicht halb so cheerful war wie sonst und er eigentlich nicht wusste wie er damit umgehen sollte.
Ich versuchte mich auf die anderen Menschen in diesem Raum zu konzentrieren und fing so manchen besorgten Blick auf. In all der Eile hatte ich ganz vergessen, dass wir nicht die einzigen waren, die in der Intensivstation um unsere Angehörigen bangten. Ich vernahm die leblosen, verweinten Augen eines Mädchens das nicht älter als zehn Jahre sein konnte. Es war unschwer zu erkennen dass sie wahrscheinlich die ganze Nacht geweint hatte. Ihr Anblick versetzte mir einen seltsamen Stich. Der Mann neben ihr schien ihr Vater zu sein, der genauso kraftlos aussah. Ob sie wohl auf die Mutter des Mädchens wartete? Wir teilten irgendwie dasselbe Schicksal und steckten fest in dieser Blase aus Ungewissheit, wie ein Zwischenraum in der Mitte von dem was war und dem was sein würde. Letzteres war von dem was in diesen Hallen passieren würde unmittelbar betroffen.
Es war so frustrierend und...grausam. Ich ließ meinen Blick über meine Leute schweifen. Nina hatte sich auf Gastons Schoß verkrümelt, die Augen geschlossen und den Kopf gesenkt. Vielleicht konnte sie jetzt wenigstens ein bisschen Schlaf kriegen. Simon und Ambar waren in Ambars Krankenzimmer und Violetta, sowie German schienen nicht richtig zu schlafen, aber auch nicht wach zu sein. Lunas Eltern und Alfredo unterhielten sich gedämpft etwas entfernt von uns und ich sah wie Monicas uns zugewandter Rücken immer wieder von Schluchzern durchzuckt wurde.
Auf einmal sah ich auf. Eine Tür ging auf und ein Arzt in einem weißen Kittel trat hervor. In diesem Moment erschien er mir wie die Möglichkeit einer lange erwarteten Erlösung. Oder ein Todesengel. Mein Atem versagte und ich wagte es nicht zu hoffen, doch tatsächlich....er ging in unsere Richtung. Selbst bei dem kleinen Mädchen und ihrem Vater machte er nicht halt sondern steuerte weiter auf unsere Gruppe zu. Wäre ich noch ganz bei Sinnen, hätte es mir leider getan, da die beiden schon länger auf die qualvolle, alles entscheidende Nachricht warteten als wir, doch in dem Moment verwendete ich keinen Gedanken daran. Ob mich das zum schlechten Menschen macht oder nicht ich konnte nur an eines denken, und zwar daran endlich zu erfahren wie es weiter gehen würde.
"Sind sie die Angehörigen von Senorita Luna Valente und Senora Sharon Benson?", fragte der eher jüngere Arzt.
Endlich. Endlich würde ich entweder aus dieser Hölle befreit werden oder vollständig in den Abgrund fallen. "Ja, das sind wir.", hörte ich Lunas Mutter sagen. Violetta meinte leise, dass sie Simon und Ambar holen werde und machte sich mit schnellem Schritt davon. Das alles bemerkte ich allerdings lediglich am Rande, da jegliche Konzentration meinerseits auf den Arzt gerichtet war. Ich sah wie Nina totenbleich nach vorne sah, die Augen aufgerissen wie ein panisches Tier und wie German mit starrem Blick geradeaus sah. Ambar und Simon kamen mit Violetta angerannt, beide mit zerzausten Haaren und kleinen, von dunklen Augenringen gesäumten Augen, und doch wirkten sie hellwach. Alfredo hielt die Finger verkreuzt, als würde er beten, aber vielleicht versuchte er auch einfach nur sich irgendwie selbst zusammen zu halten. Mein Bruder und Ludmila erschienen gehetzt und außer Atem an der Intensivstation. Anscheinend waren sie auch von Violetta informiert worden.
Alles war totenstill, die Stimmung bis zum bersten gespannt als der Arzt zu reden begann. "Also, ich werde ihnen jetzt nähere Auskünfte zu den beiden Patentinnen geben. Wie sie alle wissen, liegen die beiden aktuell mit schweren Verletzungen im Koma."
Ich spürte wie Fedes Hand sich mit leichtem druck auf meine Schulter legte und irgendwie fühlte sich diese Geste tröstend, aber gleichzeitig ganz weit weg an. Mein Herz schien zu rasen, als würde es gleich kaputtgehen und danach einfach stillgelegt werden.
"Wenn das in Ordnung ist werde ich mit dem Zustand von Luna Valente beginnen. Ich fasse mich kurz, da sie alle eine schwere Nacht hatten."
Egal wie kurz er sich zu fassen versuchte, es dauerte mir immer noch zu lang. Die nächsten Sätze würden darüber entscheiden ob die Liebe meines Lebens weiterhin .....leben durfte. Ich könnte entweder bald die größte Erleichterung meines Lebens erfahren oder meine Seele würde in einem Mal zerschmettert werden. Wir befanden uns in solch einer Extremsituation, wer hatte so einen Moment schon mal erlebt? Viele Leute konnten das nicht von sich behaupten und doch blieb es mir nicht erspart obwohl ich noch nicht einmal zwanzig war.
Als der Arzt weiterredete war mir bereits schwindelig.
"Da das andere Auto mit Senora Sharon Benson als Fahrerin frontal in den Wagen gefahren ist, in welchem Senorita Valente saß hat der Unfall mehrere Schäden hinterlassen. Das Auto hat sich einmal überschlagen, wodurch sie ein Schleudertrauma, sowie eine leichte Gehirnerschütterung erlitt. Außerdem wurden mehrere kleine Schnittwunden an ihren Beinen sowie eine sehr große, durch Scherben verursachte Wunde an ihrem Bauch genäht. Außerdem hat sie sich bei dem Unfall das Handgelenk und eine Rippe gebrochen. Die große Scherbe in ihrem Bauch ist sehr tief eingedrungen...."
Die Stimme des Arztes wurde noch ernster wenn das ging und zu diesem Zeitpunkt hatten sich bei mir wieder Tränen angesammelt. Ich verstand nicht genau was das hieß aber es hörte sich schrecklich an...würde sie mit so starken Verletzungen überhaupt aufwachen können? Wieso musste sie das alles durchmachen? Es war so sinnlos.
"...wäre sie ein paar Millimeter tiefer eingedrungen wäre der Schaden irreparabel gewesen, doch so konnten wir die Wunde um ein Haar versorgen. Senorita Valente wird eine längere Zeit im Krankenhaus und anschließend in der Reha bleiben müssen, doch ihr Körper wird sich bis auf einige Narben vollständig von dem Unfall erhole. Diese Zeit, sowie möglicherweise eine Therapie wird sie für ihre Psyche sowieso brauchen."
Sobald er die Worte gesprochen hatte, schienen meine Schultern all das Gewicht der ganzen Erde abzugeben und ich senkte, den Kopf in die Hände gelegt den Blick. Wie aus weiter Ferne hörte ich einen Schrei und das Schluchzen mehrerer Person und erst da realisierte ich, dass mir heiße Tränen über die Hände rannten. Ich schluchzte ebenfalls.
Sie hatte es geschafft. Meine Luna hatte es geschafft. Sie hatte nie aufgegeben zu kämpfen und jetzt konnten wir uns endlich erholen. Sie hatte es geschafft. Noch nie in meinem ganzen Leben war ich so stolz auf jemanden und so erleichtert. Irgendwo in mir hatte ich die Hoffnung nicht aufgegeben, da ich gewusst hatte dass Luna nie aufgeben würde. Sie hatte die ganze Zeit gekämpft, selbst sie mit schweren Verletzungen und dem Wissen dass die eigene Tante sie wissentlich hätte töten können hatte sie nie aufgehört zu kämpfen. Für ihre Familie, sich selbst und auch für uns. Ich empfand so einen Respekt in diesem Moment dass mich ein weiterer Schwindelanfall durchfuhr.
Ich spürte wie ich von meinem Bruder in eine Umarmung gezogen wurde. "Sie hat es geschafft. Luna hat es geschafft.", lachte mein Bruder leise mit Tränen in den Augen. "Ja!", schrie ich auf, "sie hat es geschafft."
Ich vernahm Nina, sowie Lunas Eltern weinen zu hören und allgemeine euphorische Ausrufe. Dieser Moment war nicht zu beschreiben. Ich kann nicht beschreiben wie es war zu erfahren, dass die Liebe deines Lebens nicht sterben würde. Es war als hätte ich, nein als hätte wir alle noch eine Chance bekommen. Eine Chance auf ein Leben ohne Unfälle und Intrigen welches vielleicht nicht auf einmal, aber mit der Zeit all das Leid wieder gutmachen können.
Selbst als sich die anderen wieder dem Arzt zugewandt hatten, fuhren meine Gedanken immer noch eine wilde Achterbahnfahrt, sodass ich vom folgenden Satz des Arztes nur noch die Hälfte vernahm.
"....und deshalb tut es mir leid ihnen das mitteilen zu müssen, doch aufgrund der schweren Verletzungen und des ohnehin fragilen Zustands in dem sich ihr Körper befand, wird es Senora Sharon Benson leider nicht möglich sein wieder zu erwachen."
Was für ein Kapitel nicht wahr? Tut mir wirklich leid dass ich solange nicht aktualisiert habe, aber in letzter Zeit war mit meiner Führerscheinprüfung (die ich übrigens bestanden habe xD) und den beginnenden Vorbereitungen fürs Abi leider weniger Zeit.
Umso mehr bin ich froh dieses Kapitel endlich geschafft zu haben und freue mich riesige darauf eure Resonanzen zu hören und was ihr zu den Entwicklungen sagt. Ich muss ja sagen, dass ich während dem Schreiben selbst ein paar Tränen vergossen habe weshalb ich hoffe dass es mir gut gelungen ist.
Keep Reading😇