23 | Glühwürmchen

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     Es dauert nicht wirklich lang, bis ich den Strand erreiche, an dem wir unseren ersten Abend in Friedrichshafen verbracht haben. In den Sonnenstrahlen wirkt er so anders, als in dieser Nacht. Auf eine andere Weise magisch.

     Bedacht schlendere ich dem Wasser entgegen, die Hände in den Taschen meiner Hose vergraben, den Blick in die Ferne gerichtet. Die frische Brise zerzaust meine Haare, weckt in mir das Bedürfnis, loszufliegen, ohne weitere Gedanken an meine Flucht zu verschwenden.

     Nachdenklich beobachte ich das Funkeln des Wassers, genieße, dass meine Lungen klare Luft zu atmen scheinen. Und ich fühle mich leicht und frei und sicher. Als hätte die Welt schon vor langer Zeit aufgehört, sich weiterzudrehen. Als wäre ich in einer stillstehenden Sanduhr gefangen, in der ich endlich zur Ruhe kommen konnte. Als wäre es auf einmal ein Leichtes, auf die Frage nach dem Sinn des Lebens zu antworten.

     Weil dieses Gefühl der Sinn ist.

     Und irgendwie ist es in diesem Moment logisch, dass wir Schmerzen empfinden. Dass wir leiden und verzweifeln und aufgeben wollen. Denn am Ende lohnt es sich immer. Für dieses eine Gefühl.

     Für das Gefühl, wenn wir leben.

     Wenn wir keinen Sauerstoff atmen, sondern sich unsere Lungen mit purem Glück füllen. Wenn Euphorie ihre Leinwand auspackt. Wenn der Refrain unseres Liedes erklingt und wir nicht stillstehen können, wenn wir tanzen müssen. Wenn wir uns mitten im Leben befinden: Zwischen Hektik und Stillstand, zwischen Angst und Mut, zwischen Gold und Schwarz und wir uns dem leuchtendem Teil unseres Lebens entgegenneigen. Wenn der dunkle Abgrund so unendlich weit entfernt ist, dass wir uns fragen, wie wir uns ihm je nah fühlen konnten.

     Ich atme bewusst, ein und aus. Jeder Zug ist essentiell, damit ich lebe. Und ich weiß nicht genau, was sich verändert hat, aber ich weiß, dass es passiert ist. Dass sich irgendwas verschoben hat. Dass ein kleiner Teil meines Puzzles eine neue Form angenommen und ein neues Meisterwerk gebildet hat. Nicht vollständig, nicht perfekt, aber genug.

     Das Flüstern in der Luft übertönt meine eigenen Atemzüge, die Möwen beginnen zu schreien und es klingt so vertraut. Ich lege den Kopf in den Nacken, schließe die Augen, um ihren Stimmen besser lauschen zu können.

     Mal wieder weiß ich nicht, wie lange ich dort einfach nur stehe und lebe. Aber ich weiß, dass es notwendig war, um wirklich begreifen zu können, was mein Herz gefühlt hat. Um begreifen zu können, was dieser Sommer mit mir gemacht hat.

    Und als sich die Straßen langsam füllen und ich zu viel Hunger habe, um weiterhin das Wasser beobachten zu können, mache ich mich auf den Weg zurück; noch etwas leichter und fast glücklicher, als zuvor.

[...]

     Wir haben Eierkuchen gebacken und die Küche ist erstaunlicherweise nicht in Flamme aufgegangen, obwohl vier Leute in ihr herumhantiert haben, von denen nur eine Person wirklich weiß, wie man kocht und backt.

    Mathea und ich haben mal wieder festgestellt, dass Ajax manchmal der geduldigste Mensch auf dieser Erde sein kann. Die Ruhe und Gelassenheit, mit der uns alles vier- und fünfmal erklärt hat, haben uns alle etwas überrascht. Ihn vermutlich noch am meisten, denn das Chaos, welches allein beim Zusammenmischen des Teiges entstanden ist, wäre Grund genug für einen emotionalen Zusammenbruch gewesen.

    Anstatt die Eierkuchen sofort zu essen, hat Lovis darauf bestanden, sie einzupacken und ein Auto zu mieten, um eine kleine Fahrt zu unternehmen. Verraten, wohin es denn gehen soll, wollte er uns allerdings nicht. Stattdessen hat er Ajax mit leuchtenden Augen seinen Plan zugeflüstert, welcher sich nach einer kurzen Diskussion dazu breitschlagen lassen hat, meinen Bruder in seinem Vorhaben zu unterstützen.

WAS UNS HIGH MACHT | ✓Where stories live. Discover now