Wenige Sekunden später ist auch schon Mrs. Philosophie eingetrudelt und hat alle Anwesenden, was ungefähr die Hälfte der Klasse ist, mit einem flüchtigen ›Hallo‹ begrüsst. Vereinzelt erhält sie sogar einen Gruß zurück, was sie allerdings ignoriert, während sie stattdessen das Thema der heutigen Lektion an die Tafel schreibt. Dass dabei das kleine Stück Kreide unangenehmer quitscht als sonst immer, während sie Stichworte notiert, wird mit einheitlichem Zusammenzucken quittiert. Es ist immerhin die erste Stunde und eigentlich sind ja alle müde oder gar noch nicht richtig wach, was unangenehme Dinge unangenehmer werden lässt.

Als sie sich umdreht und schliesslich ein wenig nach links bewegt, kann ich auch endlich das Thema lesen. ›Vegebung und Vergeltung‹ steht da in ihrer säuberlichen Schrift geschrieben.

»Heute befassen wir uns einmal wieder mit einem im Kasten vorgeschlagenen oder besser gesagt gewünschten Thema«, beginnt sie ihre gewöhnliche Anfangsrede. Die ersten zehn Minuten spricht sowieso immer nur sie, damit wir eine Einführung haben oder unsere Meinungen oder Gefühle mit den anderen teilen können.

Heute wird das wahrscheinlich nicht so sein, da es ein Wunsch aus dem Kasten ist. Der Kasten ist eine kleine Box im Sekretariat, welche unsere Lehrerin aufgestellt hat. Dort kann man Zettelchen einwerfen, wo man Probleme oder Sonstiges anonym aufschreiben kann, damit wir sie dann im Unterricht besprechen. Anfangs haben wir das nie gebraucht, doch irgendwann hat sich jemand gewagt und einen Zettel eingeworfen. Irgendwann haben sich dann schliesslich immer mehr getraut und mittlerweile machen wir immer einmal wieder so einen emotionalen Exkurs.

Mrs. Philosophie meint nämlich, dass das eine wichtige Sache sei und auch wenn ich das vermutlich nie offen gestehen würde, stimme ich ihr dabei zu. Es ist einfacher über Dinge zu sprechen, mit denen man selbst konfrontiert wird und nicht nur irgendwas, das man in irgendwelchen langweiligen, Jahrhunderte alten Büchern liest.

»Vergebung und Vergeltung sind beides Dinge, mit denen wir sehr oft konfrontiert werden. Beide Dinge können uns verändern oder unsere Charakterzüge zeigen. Vergebung mag vielleicht eher als Charakterstärke angesehen werden, aber das heisst noch lange nicht, dass es immer der Weg ist, den wir selbst wählen.«

Mrs. Philosophie verbindet ihren Laptop mit dem Beamer, sodass auf der Leinwand ihr Bildschirm abgebildet wird.

Vergebung ändert nie
deine Vergangenheit,
aber bereichert deine
Zukunft.

- Japanische Weisheit -

»Aber genau weil Vergebung der schwierigere Weg von beiden ist, werden wir uns heute ausführlicher damit befassen. Reaktionen auf Fehlverhalten können je nach Situation unterschiedlich ausfallen. Vor allem, wenn man keine Entschuldigung erhält.«

Mrs. Philosophie macht den Beamer wieder aus - natürlich hat sich die ganze Anstellaktion für dieses eine Zitat gelohnt - und sieht und erwartungsvoll entgegen.

»Wir werden heute in Zweiergruppen die beiden Dinge besprechen. Ihr könnt frei arbeiten, ich habe euch ein Arbeitsblatt mit Fragen vorbereitet, allerdings müsst ihr nichts aufschreiben. Solche persönlichen Dinge und Entscheidungen sollt ihr momentan nicht aufschreiben, denn es ist mir wirklich wichtig, dass ihr heute Zeit habt, euch zu unterhalten und einmal nicht von mir beeinflusst seid oder nur etwas notiert, von dem ihr denkt, dass es mir gefällt.«

Sie holt tief Luft und ich mache es ebenfalls. Ich weiß nicht so recht, was ich von dem heutigen Thema halten sollte. Vor allem nicht, wenn ich mit irgendjemandem über meine Gefühle sprechen soll und dabei eigentlich keine Ahnung habe, was ich von beidem halte. Es kommt eben immer ein wenig auf die Situation und das Umfeld darauf an.

»Und daher habe ich auch schon Gruppen gemacht. Uns Lehrern fallen mehr Unstimmigkeiten auf, als ihr Wissen mögt. Es ist vielleicht wichtig für einige von euch, sich einmal austauschen zu können, auch wenn es eher unfreiwillig verläuft.«

Mrs. Philosophie zieht irgendein Blatt aus ihrem undefinierbaren Stapel hervor und räuspert sich dabei, während ich ihre Worte noch verarbeite. Sie wählt? Ich meine, wieso? Was soll sie schon wissen von unserem Leben? Ich meine, sie ist Lehrerin, schon klar, aber die merken doch meistens sowieso nicht viel.

Doch natürlich muss ich mich in dem Punkt täuschen, als ich höre, wie sie meinen Namen aufruft. Und als ich höre, mit wem sie mich zugeteilt hat.

 Und als ich höre, mit wem sie mich zugeteilt hat

Oops! This image does not follow our content guidelines. To continue publishing, please remove it or upload a different image.

Uuuuuund vielleicht kommt ein wenig Drama...

Wen hat Mrs. Philosophie wohl mit Hope in eine Gruppe getan 🤔?
Lasst mich eure Meinungen gerne in den Kommentaren wissen ☺️!

ShadowWhere stories live. Discover now